Britannien

Abb. 1 Thomas Pennant (1726- 1798) war einer der ersten Forscher, welche Britannien mit Atlantis in Verbindung brachten.

(bb) Die Vorstellung, die Britischen Inseln - von denen wir heute wissen, dass sie noch bis vor etwa 10.000 Jahren Teil des europäischen Festlands waren - könnten in direkter Verbindung mit den von Platon in seinem Atlantisbericht beschriebenen Örtlichkeiten stehen, ist keineswegs neu. Einer der ersten Gelehrten, die England als übrig gebliebenen Teil von Atlantis betrachteten, war Thomas Pennant (1726-1798) (Abb. 1) ein britischer Natur- und Altertumsforscher, der dieser Vorstellung 1792 in seinem Buch "Introduction to the Arctic zoology" Ausdruck verlieh.

Verstärktes atlantologisches Interesse wurde Britannien allerdings erst im 20. Jahrhundert zuteil. Zunächst veröffentlichte der, 1859 in Cornwall geborene [1], Schriftsteller George H. Cooper in den 1920er und 30er Jahren zwei etwas skurril wirkende Bücher, in welchen er die These präsentierte, das Alte Britannien sei die Wiege der Zivilisation gewesen. In dem ersten, "Ancient Britain: The Cradle of Civilisation" (Abb. 2), schlug Cooper 1921 unter anderem vor, der Garten Eden habe sich auf dem Salisbury Plain im Gebiet der heutigen Grafschaft Wiltshire befunden, in der Nähe von Stonehenge. Die dortige Megalith-Anlage betrachtet er als die 'Säulen des Herakles', Britannien sowie Irland als historisches Atlantis, und die Zivilisationen des Alten Ägypten sowie Alt-Mexikos als dessen kulturelle Nachkommen.

In seinem zweiten Buch, "The Druid Bible" [2], arbeitete Cooper 1936 diese Vorstellungen weiter aus und diskutierte auch den Trojaischen Krieg, und die Osterinseln im Kontext seiner Hypothese. Was Irland betrifft (das wir bei Atlantisforschung.de auch in einem separaten Beitrag besprechen), behauptete er, dass es “in der Tat in Platos Erzählung geographische Beschreibungen gibt, die mit den natürlichen Eigenschaften Irlands übereinstimmen; tatsächlich so gut, dass es unmöglich erscheint, jene Insel von [Platons] Schema abzukoppeln.” Den Hafen von Cork sah Cooper als den wahrscheinlichsten Kandidaten für die Hafenanlagen von Atlantis an, wozu er zunächst erklärte, dass diese Vorstellung “sehr gut zu Platons Erzählung passe...", um dann zugestehen zu müssen, "...wenn wir die geometrischen Ringe, etc. beiseite lassen.[3]

Abb. 2 Das Cover einer Taschenbuch-Ausgabe von George H. Cooper's erstem 'Atlantis-Buch'

1946 identifizierte der Journalist und Buchautor W. Comyns Beaumont (1873–1956) Großbritannien als Atlantis und beschrieb seine Bewohner als Angehörige einer bronzezeitlichen Kultur, deren Siedlungen um 1322 v.d.Z. durch den Impakt eines Kometen zerstört worden. [4] 1995/96 präsentierte der russische Wissenschaftler Viatcheslav Y. Koudriavtsev ein Thesenpapier, in dem er sein Modell einer im 'Celtic Shelf' (der 'Keltischen See', vor der heutigen Küste Cornwalls) versunkenen Atlantis [5] vorstellte.

Im Jahr 1999 verortete der renommierte italienische Astrophysiker Vittorio Castellani (1937-2006) Atlantis in seinem Buch "Quando il mare sommerse l'Europa: dal mistero dei druidi ad Atlantide" auf dem nordatlantischen Kontinentalschelf, wo sich heute die Britischen Inseln befinden. Wie er zu Recht konstatiert, seien Britannien, Irland, Dänemark und Frankreich vor dem Abschmelzen der Gletschermassen am Ende der jüngsten Eiszeit noch miteinander verbunden gewesen. (Abb.3) Von dort aus seien, wie in Platons Dialogen Timaios und Kritias beschrieben, invasive Migrationen in den Mittelmeer-Raum hinein erfolgt. [6] Die aktuellste Arbeit zu 'Atlantis und Britannien' lieferte 2009 der Journalist Donald Ingram mit seinem Buch "THE UNLOST ISLAND - A History of Misunderstanding Atlantis", in welchem er zu dem Schluss kommt, dass die “Atlanter ziemlich sicher mit der Wessex-II-Kultur Britanniens gleichgesetzt werden können.” [7] Zwei weitere Atlantisforscher, welche in jüngerer Vergangenheit die Annahme eines 'britischen Atlantis' befördert haben, sind E. J. de Meester und Paul Dunbavin, mit deren Arbeiten wir uns hier etwas ausführlicher befassen wollen.

Abb. 3 'Doggerland', das 'Atlantis der Nordsee' (östlich des damaligen 'britischen Subkontinents' (rot markiert) gelegen), versank spätestens vor etwa 8500 Jahren zum größten Teil in den anschwellenden Fluten des Atlantik. (Bild: University of St Andrews / Mail Online)

E. J. de Meester aus den Niederlanden gehört zu jenen modernen Atlantisforschern, die das von Platon beschriebene Reich mit der nicht minder geheimnisvollen Megalithkultur der Jungsteinzeit identifizieren. Dabei konzentriert er sich, der klassschen Interpretation von Platons Ortsangaben folgend, auf das Gebiet des Atlantischen Ozeans. Während er daher mediterrane Lokalisierungsversuche schulwissenschaftlicher Atlantisforscher, wie zum Beispiel auf der Vulkaninsel Thera, ablehnt, übernimmt er deren Revision der platonischen Zeitangaben, die er für übertrieben hält.

E. J. de Meester sieht in den ringförmigen Ornamenten und Baustrukturen der Megalithiker einen deutlichen Hinweis, auf welche Kultur sich Platon bei seinen Berichten bezieht. Deren kreisförmige Bauform habe in deutlichem Gegensatz zur ägyptischen Architektur gestanden, der ein rechteckiges Prinzip zu Grunde lag: "Die Ägypter bauten alles rechteckig. Das taten auch die Griechen, mit Ausnahme einiger runder Tempel. Hätte Platon sich eine ideale Stadt ausgedacht, dann hätte er vermutlich eine rechtwinklige Stadt entwickelt." Das häufig verwendete, aus drei konzentrischen Ringen bestehende, Symbol der Megalithiker könne entweder Atlantis repräsentieren, oder die Hauptstadt sei vielleicht gezielt in Form dieses Symbols erbaut worden.

Abb. 4 Der Grundriss des prähistorischen Observatoriums von Stonehenge ähnelt stark demjenigen der Hauptstadt von Atlantis - ein Zufall?

Als Zentrum atlantidischer und megalithischer Zivilisation macht de Meester Britannien aus, genauer das Tiefebene von Südengland, die Platons Beschreibung einer fruchtbaren, von Bergen umgebenen, Ebene weitgehend entspreche. Auch die von ihm beschriebenen heißen und kalten Quellen seien dort zu finden. Auf der Insel Wight, vor der Mündung des Avon, gebe es Vorkommen der verschiedenfarbigen Steine, aus denen die Gebäude der Atlantier erbaut gewesen sein sollen.

Nördlich von Poole, am Fluss Avon (de Meester vermutet hier eine Ableitung des Flussnamens von 'Atlantis') liegen die Überreste der Megalithanlage von Stonehenge, die der Forscher ebenfalls mit Atlantis in Verbindung bringt. Dort sollen auch die Sportstätten und Rennbahnen der Atlantiden gelegen haben, von denen Platon berichtet (Kritias 117c). Bei der Lokalisierung des Stadtkerns von Poseidonis mit dem Hügel der Kleito im Zentrum will er sich allerdings nicht festlegen, sondern bietet drei alternative Lösungsvorschläge an:

Falls Platons Angaben, was de Meester annimmt, ungenau und nicht wörtlich zu nehmen seien, könne Kleitos Hügel sich auch außerhalb des eigentlichen Stadtzentrums, z.B. bei Silbury Hill, einem künstlichen, etwa 40 Fuß hohen, Hügel im Süden von Avebury befunden haben, vielleicht sei aber auch Avebury mit seinen drei Ringwällen selber Atlantis gewesen. Am wahrscheinlichsten sei jedoch der St. Michael`s Mount bei Penzance in Cornwall der ehemalige Zentralhügel der Hauptstadt gewesen. Zwei Argumente sprächen für diese Lokalität: Erstens sei in Cornwall schon in prähistorischer Zeit Zinn abgebaut worden. Vermutlich wurde das Metall am St. Michael's Mount auf Schiffe verladen. Zweitens gäbe es eine Legende über eine versunkene Stadt in Cornwall.

Abb. 5 Megalithische Ringmuster nach E.J. de Meester

Auch Paul Dunbavin sieht in seinem 1995 erschienenen Buch 'The Atlantis Researches' den britannischen Großraum als Schauplatz der Atlantis-Legende. Zeitlich ordnet er den Untergang des Inselreiches etwa 3000 v. Chr. ein, als Ursache vermutet der Katastrophist eine Pol- oder Erdkrustenverschiebung, die verheerende Flutwellen und gravierende Verschiebungen der Klimazonen bewirkt habe.

Dunbavin vermutet die atlantische Ebene nicht in Südengland, sondern im Bereich der heutigen Irischen See, zwischen Wales, Schottland und Irland. Er geht davon aus, dass der Pegelstand des Atlantik vor 5000 Jahren noch um einiges niedriger als heute gewesen ist. Die britische Hauptinsel und Irland seien zu dieser Zeit noch miteinander verbunden, aber vom europäischen Festland bereits durch eine schmale Wasserstraße getrennt gewesen. Die flache, rechteckige Ebene im Zentrum dieser britannischen `Superinsel´ entspreche genau Platons Beschreibung.

Abb. 6 Die Ebene von Atlantis erkennt de Meester in Südengland, südlich von Stonehenge und nördlich der Insel Wight wieder.

"Eine Senkung des Meeresspiegels um etwa 35-40 Meter würde ausreichen, um den Grund der östlichen Irischen See freizulegen. Eine weitere Absenkung um, sagen wir, 65 Meter würde wenig Unterschied in den Grundzügen der Gesamtküste machen. Irgendwo zwischen diesen Grenzwerten würde eine irreguläre konkave Küstenlinie entstehen, die sich, an einem Punkt westlich von Holyhead beginnend, bis zur Gegend südwestlich von Calf of Man erstreckt. Die Küstenlinie würde sich dann mehr oder weniger direkt nach Norden bis zu einem Punkt, nur wenige Meilen vom Mull of Galloway entfernt, fortsetzen, um weiter über Ailsa Craig zum Mull of Kintyre zu verlaufen. Westlich dieser Küstenlinie, zwischen Anglesey und der Isle of Man müsste ein kleines, niedrig gelegenes, dreieckiges Eiland von etwa der Größe der Isle of Man gelegen haben."

Abb. 7 Das weitläufige Gelände der megalithischen Anlagen von und bei Stonehenge gehörte mit seinen Rennkursen, Grabhügeln, Straßen und Gebäuden nach de Meester zum metropolitanen Umland von Poseidonis.

Poseidonis soll nach Dunbavin in der Nähe der Isle of Man, in einer fruchtbaren Ebene gelegen haben. Die große britannische Insel, sogar das Gebiet der heutigen Orkney Inseln, sei damals wald- und wildreich gewesen, wie die Atlantida es beschreibt. Elefanten, wie es sie laut Platon auf Atlantis gegeben haben soll, kann er allerdings nicht vorweisen. Außerdem muss Dunbavin zugeben, dass die Gegend um eine, möglicherweise existierende, versunkene Stadt unterhalb der Cardigan Bay, die er für die atlantidische Metropolis hält, kleiner als bei Platon beschrieben sei.

In 'The Atlantis Researches' finden sich zahlreiche Beschreibungen versunkener Wälder und ehemaliger, überfluteter Strände in der See. Dunbavin meint: "Aktuelle Theorien über den Zeitpunkt, als das Becken der Irischen See überflutet und die Verbindung zwischen England und Irland wurde, konzentrieren sich auf die ehemaligen Strandlinien, die man an den Küsten Schottlands entdeckt hat. Die so genannte `50-foot beach´, die etwa soweit im Süden wie Islay und die Halbinsel Galloway bemerkt wurde, soll aus einer Kälteperiode am Ende der jüngsten Eiszeit stammen. Stellenweise wurde sie durch die jüngere `25-foot beach´zerstört, aus der man mehrere Kanus ausgegraben hat. Keine solche Strandlinie kann südlich von Lancashire ausgemacht werden; aber entsprechende Strände kommen in Nordirland vor, teilweise um die Insel Rathlin herum. Diese Strände werden häufig als Beweis dafür angeführt, dass der Meeresanstieg nicht später als im Boreal [etwa 10 000 BP, d. V.] erfolgt sei."

Dunbavin wendet jedoch ein, dass die Radiokarbon-Datierung [8] einer dieser Küstenlinien bei 6400 BP gelegen habe. Außerdem führt er als Belege für seine Theorie ehemals überflutete Wälder an, die im Verlauf des Zinnabbaus im Tal von Pentewan in Cornwall sowie in der Gegend der Cardigan Bay in Wales entdeckt wurden.

Auch eine eigene Theorie zum mysteriösen Oreichalkos des platonischen Atlantisberichts bietet Dunbavin an: Es soll sich bei dieser wertvollen Substanz um Rotgold gehandelt haben, eine natürlich vorkommende Legierung von Kupfer und Gold. Den Alten Ägyptern sei hingegen nur Weissgold bekannt gewesen, einer Goldlegierung mit Silberanteilen. Mit dem Kataklysmus, der die Megalithkulturen des atlantischen und mediterranen Raums zerstörte, muss Rotgold im östlichen Mittelmeerraum immer rarer geworden sein, und im Laufe der Zeit gingen schließlich das Wissen um Herkunft und Charakter dieses Metalls ganz verloren.

Selbst wenn man den Atlantis-Theorien Dunbavins nicht folgen will, so enthält sein Buch aus alternativ-historischer Sicht wertvolle Erkenntnisse zur katastrophistischen Veränderung der Erdoberfläche im Bereich der heutigen Britischen Inseln. Zudem unterstützen seine Aussagen die Annahme hochentwickelter Kulturen auf der britischen Halb-, bzw. späteren Großinsel in prä- und protohistorischen Zeiten.


Weitere Beiträge bei Atlantisforschung.de


Anmerkungen und Quellen

Hauptsächlich verwendetes Material:

A) E.J. de Meester, Did Atlantis lay in England? (nicht mehr online)

B) David Hatcher Childress, Lost Cities of Atlantis, Ancient Europe & The Medterranean, Aventures Unlimited Press 1996, Seite 344 ff.

C) Tony O’Connell, Cooper, George H., bei: Atlantipedia.ie


Einzelverweise:

Fußnoten:

  1. Quelle: C.A. Shant, in einer englischsprachigen Rezension von Cooper's 'The Druid Bible', archiviert bei: SAO/NASA Astrophysics Data System (ADS) (abgerufen: 19.10.2012)
  2. Siehe: Capt. George H. Cooper, "The Druid bible - the primitive testament and natural predecessor of the Old and New Testament, universal key to prehistoric symbolic records, startling proofs that ancient Britain was the cradle of civilization" San Jose, Calif.(V. Hillis & sons), 1936
  3. Quelle: Tony O’Connell, Cooper, George H., bei: Atlantipedia.ie (abgerufen: 19.10.2012)
  4. Siehe: W. C. Beaumont, The Riddle of Prehistoric Britain, UK, 1946
  5. Siehe bei Atlantisforschung.de die deutschsprachige Fassung: Viatcheslav Y. Koudriavtsev, "Atlantis auf dem Celtic Shelf - Eine wissenschaftliche Hypothese zu Platons Atlantis-Bericht" (1996)
  6. Quelle: Tony O’Connell, "Castellani, Vittorio", bei: Atlantipedia.ie (abgerufen: 20.10.2012)
  7. Quelle: Don Ingram, zitiert nach: Tony O’Connell, "Ingram, Donald", bei: Atlantipedia.ie (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de; abgerufen: 20.10.2012)
  8. Anmerkung: Zur Kritik dieser Datierungsmethode siehe bei Atlantisforschung.de die Beiträge in der Rubrik: "Das 'Kreuz' mit den Datierungen" (red)

Bild-Quellen:

1) Tony O’Connell, Cooper, George H., bei: Atlantipedia.ie
2) Bildarchiv Atlantisforschung.de
3) University of St Andrews / Mail Online, unter: 'Britain's Atlantis' found at bottom of North sea - a huge undersea world swallowed by the sea in 6500BC (Rob Waugh), 2./3. Juli 2012; nach: NATURAL HISTORIAN, "Doggerland: The Ice Age, Sea Level Rise, and Human Migration", 8. Juli 2012
4-7) E. J. de Meester, Did Atlantis lay in England? (nicht mehr online)