Erdkrustenverschiebung (Earth's Shifting Crust)

Stand die 'kambrische Explosion' in Zusammenhang mit einer Polwanderung?

von William R. Corliss (1997)

Abb, 1 Eine bildliche Darstellung der geographischen Situation vor (links) und nach (rechts) der von J. Kirschvink et al. postulierten Polverlagerung um 90°, die vor ca. 534 Millionen Jahren begonnen haben soll, anhand der Lage des irdischen Südpols

Unser Titel ist identisch mit dem eines Buches, das von C.P. Hapgood im Jahr 1958. [1] Er schrieb auch The Path of the Pole (1970). Mehrere andere Autoren haben ebenfalls vorgeschlagen, dass plötzliche Rutsche der Erdkruste in der Vergangenheit zu wilden Klimaschwankungen mit verheerenden biologischen Folgen führten - insbesondere zu all den schnellgefrorenen Mammuts in Sibirien. Diese Polverschiebungs-Szenarien, die von Denkern stammen, die sich weit außerhalb des wissenschaftlichen Mainstreams bewegen, wurden in einer 'neuen' und gut publizierten Polsprung-Theorie, die kürzlich in Science erschien [2], ignoriert. Die "neue" Theorie bezieht sich auf einen 534 Millionen Jahre alten Krustenrutsch, während Hapgood von einer Katastrophe in den letzten 10.000 Jahren sprach. Trotzdem wäre es schön gewesen, die frühere Arbeit von Hapgood gewürdigt zu sehen.

Vier Merkmale dieses 'neuen' Vorschlags machen ihn den heutigen Geologen und Geophysikern angenehmer als den von Hapgood:

1. Zwei der 'neuen' Autoren, J. Kirschvink und D.A. Evans, sind am renommierten California Institute of Technology tätig, während Hapgood Professor für Geschichte ohne Doktorgrad am Keene State College war. Status ist beim Theoretisieren eben wichtig.

2. Kirschvink et al. schlagen einen wissenschaftlich akzeptablen Mechanismus für das Einsetzen eines schnellen Krustenrutsches vor. Sie stellen sich einen riesigen Brocken des Meeresbodens vor, der plötzlich einstürzte [orig.: "suddenly foundering"; d.Ü.] und dadurch die Massenverteilung des Planeten veränderte. Dieses Ungleichgewicht veranlasste die Kontinente, sich rapide zu verschieben, um die ruhig verlaufende Rotation der Erde um ihre Drehachse wiederherzustellen.

Abb. 2 War die kambrische Revolution mit ihrer enormen Zunahme der Vielfalt von Arten und Spezies das Ergebnis der von J. Kirschvink und seinen Kollegen vermuteten geologischen und geographischen Umwälzungen?

In einem Zeitraum von 15 Millionen Jahren, so meinen sie, seien die Kontinente um 90° verrutscht. Ein Teil des heutigen Nordamerika bewegte sich vom Südpol in die Nähe des Äquators. Beweise für diese enorme Verschiebung zeigen Messungen des in Felsen 'eingefrorenen' Erdmagnetfelds. Mit anderen Worten verwendeten Kirschvink et al. Methoden des Paläomagnetismus.

3. Dieser 'neue' Krustenrutsch ist lediglich eine beschleunigte Kontinentalverschiebung (ein vorherrschendes und etabliertes Paradigma) und nicht die radikalere Vorstellung, dass die gesamte äußere Krustenschicht wie eine eingefettete Zwiebelhaut über den Erdmantel gleitet. Auch ist das vorgeschlagene Verfahren alles andere als ein Kippen der Pole [d.h. ein Polsprung, orig.: "poleflipping"; d.Ü.], bei dem der gesamte Planet um 180° kippt wie ein Tippe-Top - ein dynamisch unmögliches [3] Ereignis. [4]

4. Das vorgeschlagene Abbrechen dieses [Fragments des] Meeresbodens ereignete sich vor 534 Millionen Jahren, was ungefähr mit der kambrischen Explosion (Abb. 2) neuer Lebensformen (neue Phyla) übereinstimmt. Die aus ihm resultierenden großen Klimaveränderungen und Verwüstungen der Umwelt könnten der schnellen Entwicklung des Lebens förderlich gewesen sein. Obwohl heutige Wissenschaftler solch eine Verbindung von Katastrophismus und schneller Artenbildung favorisieren, räumte J. Valentine, ein Paläontologe an der University of California, Berkeley, ein: "... es bietet keinen spezifischen Mechanismus, durch den Tiere plötzlich neue >Körperbaupläne< entwickelten. Allerdings haben Wissenschaftler lange nach einem - nach irgendeinem - Ereignis gesucht, das die rätselhafte kambrische Explosion erklären könnte." [5]

Kommentar

O.K., aber die viel jüngeren gefrorenen Mammuts [6] sind immer noch schwer zu erklären. Wenn ein Stück Meeresboden einmal wegbricht, könnte das Gleiche doch auch zweimal geschehen sein - sagen wir vor ein paar tausend Jahren. Aber warum sollten große Teile des Meeresbodens so plötzlich absinken? Keine Quelle in der Literatur berührt dies!

K. Wise hat darauf hingewiesen, dass die kambrische Explosion tatsächlich nicht den größten Zuwachs an biologischer Innovation aufwies. Die noch frühere 'archaische Explosion' erzeugte 17 neue Stämme von Bakterien, die eine außerordentliche Bandbreite verschiedener Metabolismen einsetzten. Obwohl aus der kambrischen Explosion etwa 38 neue Stämme hervorgingen, nutzten diese alle nur eine [einzige] Art des Stoffwechsels. [7] Was hat die innovativere 'archaische Explosion' ausgelöst?


Vergl. zum Thema >Kambrische Revolution und Polverschiebung< auch:


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von William R. Corliss (1926-2011) wurde von ihm erstveröffentlicht unter dem Titel "Earth's Shifting Crust" in seinem Magazin Science Frontiers Nr. 113, Sept.-Okt. 1997. Übersetzung ins Deutsche, redaktionelle Bearbeitung mit Hinzufügung des Untertitels sowie Publikation durch Atlantisforschung.de im November 2017 nach der Online-Fassung des Original-Artikels bei Science Frontiers online.

Fußnoten:

  1. Siehe: Charles H. Hapgood, "The Path of the Pole", 1968 u. 1970 (bei Chilton Book Co.); 1999 (als TB-Ausgabe bei Adventures Unlimited Press), Kempton, Illinois
  2. Siehe: Joseph L. Kirschvink et al., "Evidence for a Large-Scale Reorganization of Early Cambrian Continental Masses by Inertial Interchange True Polar Wander", in Science, 277:541, 1997 --- Siehe einführend auch: Kathy Sawyer, "Global Shift May Have Sped Evolution", in: The Washington Post, 25. Juli 1997
  3. Red. Anmerkung: Zu einer gegenteiligen Meinung siehe: Flavio Barbiero, "Änderungen der irdischen Rotationsachse nach Asteroiden- oder Kometen-Impakten (vermutl. 1973)
  4. Siehe: Science Frontiers No. 6 / 224
  5. Red. Anmerkung: William R. Corliss macht zu obigem Zitat leider keine Quellenangabe.
  6. Red. Anmerkung: Siehe zu diesen im Kontext der Annahme einer rezenten katastrophischen Verlagerung der geographischen Pole bei Atlantisforschung.de auch: Otto Muck, "Die Polverlagerung und das große Mammutsterben".
  7. Siehe: Kurt P. Wise, "The Archaean Explosion", in: CEN Technical Journal, 10: 315, 1996

Bild-Quellen:

1) William R. Corliss, "Earth's Shifting Crust", bei Science Frontiers online
2) Biology Reference, unter: Cambrian Explosion