Lyellismus und Katastrophismus

Wie eine seriöse Geologie von einer windigen Ideologie verdrängt wurde

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich (1997)

Abb. 1 Georges Cuvier (1769-1832) war im frühen 19. Jahrhundert die zentrale Forscher-Persönlichkeit des Katastrophismus.

Auch ihr größter Liebhaber wird nicht behaupten wollen, daß die Geologie eine "exakte" Naturwissenschaft sei - auch wenn ihren Vertretern im Feuer der Diskussion mitunter solch erheiternde Äußerungen entfahren [1] -, oder daß sie dies je werden könnte. Eher könnte man sie als Konglomerat aus einander ablösenden Lehrmeinungen und Hypothesen bezeichnen. Von einer solchen - sehr notwendigen! - wissenschaftsgeschichtlichen und wissenschaftsphilosophischen Betrachtungsweise war ja schon im vorangegangenen Kapitel [2] die Rede.

Immerhin war man aber beim Anbruch des naturwissenschaftlichen Zeitalters, unter dem Einfluß des großen Cuvier (Abb. 1) (Zeitgenosse Goethes, Beethovens und Napoleons), soweit gelangt, daß man die Erdoberfläche von wiederholten Kataklysmen, gewaltigen Erdumwälzungen, gestaltet sah. [3] Georges Cuvier (1769-1832) war eine der ganz großen Vatergestalten der Geologie und hat das Weltbild des Katastrophismus in seinem Werk "Discours sur les révolutions de la surface du globe" festgeschrieben, das 1812, im Jahr von Napoleons Rußland-Feldzug, erschien.

Cuvier hatte einen bedeutenden katastrophistischen Vorgänger, William Whiston (1667-1752). Whiston war ein Schüler Newtons, der ihn zunächst sehr schätzte und als sein Promotor fungierte. Später brach Newton jedoch mit ihm, weil er meinte, Whistons Katastrophismus würde letztlich alle traditionellen Vorstellungen über die Ordnung des Kosmos, ja sogar die Existenz Gottes in Frage stellen. [4] Aus ebendiesem Grunde bekam Whiston später sogar Schwierigkeiten mit der Church of England, die sich wohl bereits mit der 1681 publizierten These Whistons, ein Komet habe die biblische Sintflut verursacht [5], nicht hatte anfreunden können.

Abb. 2 Sir Charles Lyell - der Mann, der die Geologie in die Sackgasse des Aktualismus führte

Diese Whiston-Episode ist sehr lehrreich, zeigt sie doch drastisch, wie spannungsgeladen - weil sakrosankte Weltbilder berührend! - die Atmosphäre schon damals wurde, sobald der Katastrophismus ernsthaft ins Spiel gebracht wurde. Die Verbreitung solcher ketzerischen, revolutionierenden Lehren tat nach Ansicht der Obrigkeiten den "Untertanen" und Kirchen-"Schafen" nicht gut.

Abb. 3 Das Titelblatt von Lyells "Principles of Geology" - der 'Bibel des Aktualismus'

Erst nach 1830 wurde der cuviersche Katastrophismus durch die vor allem durch Charles Lyell (Abb. 2) (1797-1875) propagierte - unwissenschaftliche, jedoch zeitbedingte - Ideologie des "Aktualismus" verdrängt. Unter Aktualismus versteht man die Behauptung, dass auf unserem Planeten stets nur die vergleichsweise harmlosen Kräfte am Werk waren, wie wir sie heute beobachten. Dieser Paradigmenwechsel ist sehr lehrreich, demonstriert er doch überzeugend die Zeitbedingtheit der schulwissenschaftlichen Paradigmata (Lehrmeinungen, Dogmen)! Es ist wohl kaum ein Zufall, daß der Katastrophismus sich im Zeitalter der Französischen Revolution und der napoleonischen Umwälzung Europas durchsetzte, während er im nachfolgenden Zeitalter der Restauration und Repression vom "zahmen" Aktualismus verdrängt wurde, der auch dem viktorianischen Zeitalter viel sympathischer war. Lyell und seine "Doctrine of Uniformity" (= Aktualismus) waren für die Geologie eine Katastrophe! Eine pure - wissenschaftlich gänzlich haltlose! - Ideologie hatte die bis dahin wissenschaftlich-seriöse Geologie überwältigt. Von nun an mußte jeder Geologe, der publizieren wollte, seinen Kotau vor dieser Ideologie machen.

Es dürfte ein einmaliges Vorkommnis sein, daß eine Wissenschaft durch den Einfluß eines einzelnen Mannes so gewaltig zurückgeworfen, in ihrer Entfaltung rund 150 Jahre gebremst wurde. Auch der Darwinismus - ebenfalls mehr Ideologie als Wissenschaft - hätte ohne Lyell nicht aufkommen könnten [...] Der Lyellismus hatte nämlich zuvor, ohne sich viel um nachvollziehbare Beweise zu scheren, erst jene ungeheuren geologischen Zeiträume schlichtweg erfunden, die er brauchte, um die Formungen der Erdoberfläche un-kataklysmisch zu erklären, und die der Darwinismus für seine Evolutionsvorstellungen brauchte.

Zwischen 1830 und 1980 beherrschte der lyellsche Aktualismus praktisch unangefochten das Feld, von den Universitäten bis zu den geologischen Landesämtern. Auch die Tollmanns [6] sprechen von der "Ära des Aktualismus, der 1830 mit Charles Lyells >Principles of Geology< (Abb. 3) begründet und mit dem von Alvarez im Jahre 1980 stimulierten >Neo-Katastrophismus< zu Grabe getragen wurde." Der Katastrophismus hatte sich in den wissenschaftlichen "Untergrund", unter die außer-universitären Nonkonformsten und Außenseiter zurückgezogen. Namen wie Ignatius Donnelly und Hanns Hörbiger ragen aus dieser Zeit heraus. Von Immanuel Velikovsky, dem charismatischen "Propheten" des Neo-Katastrophismus, wird im nächsten Kapitel die Rede sein.

Heute ist zwar der Aktualismus noch immer die beherrschende, meist blindlings "geglaubte" geologische Ideologie, aber es gibt bereits allerhand fahnenflüchtige Überläufer. Velikovsky wurde zwar noch, wie es einem "Häretiker" zuzukommen scheint, "verflucht", aber mit der Entdeckung des Endkreide-Impaktes durch Luis und Walter Alvarez [7] und dem tollmannschen Sintflut-Buch ist der cuviersche Katastrophismus definitiv wieder in die "heiligen Hallen" akademischer Respektabilität zurückgekehrt, aus der er durch die lyellsche Ideologie vertrieben worden war. Schritt für Schritt mußte der Aktualismus seither Positionen aufgeben. Bald wird er nur noch Rückzugsgefechte liefern...


Anmerkungen und Quellen

Jahrhundertirrtum Eiszeit - Erstausgabe.jpg
Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich (©) wurde seinem, 1997 beim EFODON e.V. erstveröffentlichten Werk "Jahrhundertirrtum Eiszeit" (Abb. 4) (2. Auflage 2006; Neuausgabe 2010 im Verlag König). Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dezember 2015 mit freundlicher Genhmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiten Fassung.

Fußnoten:

  1. Anmerkung des Verfassers: Etwa in dem ansonsten außerordentlich verdienstvollen Werk von Alexander und Edith Tollmann, "Und die Sintflut gab es doch", München, 1993, wo von "der fast mathematischer Präzision arbeitenden Naturwissenschaft" (S. 10), und von "der mit exakten naturwissenschaftlichen Methoden arbeitenden Geologie" (S. 11) die Rede ist.
  2. Siehe: Horst Friedrich, Exkurs über Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte, in: Derselbe, "Jahrhundertirrtum Eiszeit", EFOFON-Edition MESON, 1997
  3. Anmerkung des Verfassers: Ebendiese Autoren unterstreichen zustimmend, "die von Cuvier (1812) klar erfaßten katastrophalen Zäsuren in der sonst ruhig und gleichmäßig verlaufenden Entwicklung des Lebens", S. 422.
  4. Anmerkung des Verfassers: Hierzu augenöffnend von Livio C. Stecchini: The Inconstant Heavens, in: Alfred de Gazia (Ed.), "The Velikovsky Affair", London, 1966, S. 91-96
  5. Anmerkung des Verfassers: Whiston hatte also gewissermaßen , wenn auch nicht in den Details, das Sintflut-Buch der Tollmanns (op. cit.) schon vorweggenommen, worin ein Komet als Sintflut-Verursacher um -7.553 postuliert wird.
  6. Siehe: A. und E. Tollmann, op. cit., S. 407
  7. Siehe: Luis & Walter Alvarez (et. al.), "Extraterrestrial Cause for the Cretaceous-Tertiary Extinction", in: SCIENCE 208/1980

Bild-Quellen:

1) Valérie75 bei Wikimedia Commons, unter: File:Cuvier-1769-1832.jpg
2) Robbot bei Wikimedia Commons, unter: File:Bolton-lyell.jpg (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
3) Catastrophism! Man, Myth and Mayhem in Ancient History and the Sciences, unter: Principles of Geology (Book I)
4) EFODON e.V. / Bild-Archiv Atlantisforschung.de