Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus - Rezension

Rezension von Horst Friedrich

Abb. 1 Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus - Plädoyer tür eine zeitgemäße Leitkultur korrigierte u. erweiterte Auflage AlibriVerlag, Aschaffenburg, 2006, 3-86569-011-4, 196 Seiten, Paperback, €10,00

Dieses "Plädoyer fiir eine zeitgemäße Leitkultur" wurde, wie uns der Autor auf den Seiten 8 und 196 mitteilt, "im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung" geschrieben. Wofür diese Stiftung steht, möchte man dann selbstredend als Erstes wissen.

Auf einer Annoncenseite hinten im Buch erfahren wir es: "Die Giordano-Bruno-Stiftung (Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus) sammelt neueste Erkenntnisse der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, um ihre Bedeutung für das humanistische Anliegen ,friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Menschen im Diesseits' herauszuarbeiten. Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik/Politik zu entwickeln und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen." Der Buchautor, Dr. Schmidt-Salomon (Jg. 1967), ist Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Stiftung. Im Stiftungsbeirat werden neben der Publizistin Mynga Futrell, Co-Direktorin von "Brights" [1], einem Politologen, einer Dokumentarfilmerin und Malerin, einem Aktionskünstler, einem Schriftsteller, einem Bildhauer und Kommunikationsdesigner, einem Wissenschaftsjournalisten etc. u.a. auch 16 Professoren gelistet, unter ihnen mindestens zwei (Kanitscheider, Vollmer), die nicht zuletzt durch ihre Verbindung mit der GWUP, dem deutschen Ableger der US-amerikanischen "Skeptiker"- Organisation CSICOP, bekannt sind.

Eine wie auch immer geartete Verbindung mit CSICOP/GWUP darf zunächst misstrauisch machen und kann beim Rezensenten, der das befremdliche Treiben dieser "Skeptiker" schon jahrelang beobachtet, nicht gerade als Empfehlung dienen. CSICOP/GWUP stehen im Ruf einer szientistischen "Laienforscher"- Vereinigung, die letztlich aber gar nicht forschen, sondern im Sinne eines materialistischen Weltbildes missionieren möchte. Wer dies nicht glaubt, der mag in dem von dem Wissenschaftssoziologen Gerald Eberlein herausgegebenen Band (Eberlein 1991) die vernichtenden Urteile der Professoren Raimund Kaufmann, Hans-Dieter Betz und Herbert König nachlesen. Kaufmann beschreibt dort (S. 46) die GWUP-Aktivitäten als ein "Possenspiel am Rande des Wissenschaftsbetriebes", wo es "um Wahrheitsfindung weder im dialektischen noch im empirischen Sinne geht." Vernichtend fällt auch die detaillierte "Abrechnung" des vormaligen Skeptiker-Redaktionsleiters Edgar Wunder [2] mit der GWUP aus. Wunder offenbart überaus befremdliche Details zum wahren Charakter und zum Vorgehen, zum Auseinderklaffen zwischen Anspruch und tatsächlicher Kompetenz dieser Vereinigung. So erfahrt man beispielsweise:

"Als schließlich im Herbst 1998 der Geschäftsführer der GWUP, Amardeo Sarma, im Namen des Vorstandes von mir als verantwortlichem Redaktionsleiter unverhohlen forderte, der Skeptiker solle zukünftig nicht mehr der offenen, kontroversen und kritischen Diskussion von Parawissenschaften dienen, sondern vielmehr ,der Meinungsmache' (Zitat), weshalb - unabhängig von der wissenschaftlichen Qualität - bestimmte inhaltliche Positionen und sogar konkrete Personen im Skeptiker systematisch benachteiligt oder ausgegrenzt werden sollten, war für mich klar, daß ich diesen Weg nicht länger mitgehen konnte."

Hoffen wir also, dass Vorstand und Mehrheit des Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung es zu verhindern wissen, dass dieser bei der GWUP herrschende (Un- )Geist der Unaufrichtigkeit auch auf diese Stiftung hinüberschwappt. Die eingangs zitierten Ziele der Stiftung scheinen ja auf den ersten Blick durchaus forderungswürdig.

Bei Betrachtung des Buches von Schmidt-Salomon ist zunächst festzustellen: Der Autor des "Manifests" ist offenbar positiv bemüht, dabei behilflich zu sein, menschenfreundlicheren Zuständen, als sie gegenwärtig auf unserem Planeten herrschen, den Weg zu bahnen. Und da er dieses "Manifest" eben im Auftrag der Giordano-Bruno-Gesellschaft verfasst hat, darf man darin wohl auch eine begrüßenswerte Generalabsicht der Stiftung selbst sehen. Auch bei löblichen Generalabsichten steckt der Teufel freilich im Detail. Sehen wir also, ob es dem Autor gelungen ist, erforderliches Wissen und Kompetenz zu versammeln und sich auftürmende Denk-Klippen zu umschiffen. Dazu müssen zunächst die einzelnen Ziele der Giordano-Bruno-Stiftung noch einmal im Detail wiedergegeben werden. Die Stiftung will

(A) neueste Erkenntnisse der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften sammeln,

(B) die Bedeutung dieser Erkenntnisse für das humanistische Anliegen eines "friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Menschen im Diesseits" herausarbeiten,

(C) Grundzüge eines naturalistischen Weltbildes entwickeln,

(D) Grundzüge einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik/Politik entwickeln sowie

(E) die zu entwickelnden Grundzüge (C) und (D) einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Abgesehen von der merkwürdigen Klausel "im Diesseits" (wo sonst? im "Jenseits" etwa?) unter (B) tauchen in diesen Zielbeschreibungen etliche Wörter auf, die der Erläuterung bedürfen: "humanistisch", "naturalistisch", "säkular", "evolutionär-humanistisch". "Säkular" etwa übersetzt das Duden-Universalwörterbuch mit "weltlich"; gemeint dürfte hier aber "areligiös" oder "nicht-religiös" sein. Dieses wie auch die Wörter "humanistisch", "naturalistisch" und "evolutionär-humanistisch" kommen auch im Buch von Schmidt-Salomon vor. Wir werden noch darauf zurückkommen.

Beim Vergleich des Buch-"Manifests" mit den formulierten Stiftungszielen fällt sogleich auf: Das, was im Buch den breitesten Raum einnimmt und allenthalben aus den Seiten quillt, kommt in der Auflistung (A) bis (E) überhaupt nicht vor. Jedenfalls nicht explizit. Nämlich die grundsätzliche Ablehnung -und der dringende Wunsch nach Abschaffung - jeglicher Religion, und zwar nicht nur jeder organisierten Form von Religionsausübung, sondern auch der religiösen Grundeinsteilungen des Einzelnen. Schon hier muss ich, obwohl das "Manifest" anregend zu lesen ist, auf zwei sehr störende, den Gesamteindruck nachhaltig beeinträchtigende Schwächen dieses Autors zu sprechen kommen (Schmidt-Salomon bittet im übrigen [S. 172] ja selbst um Anregungen und Kritik für eine weitere Neuauflage).

Da ist zunächst und im Besonderen das häufige, unzulässige Verallgemeinern über "die Religionen", auf einem Gebiet also, auf dem man sich die tatsächlichen weltweiten Szenarien unterschiedlicher kaum denken kann. Dies sollte der Autor in einer Neuauflage tunlichst bleiben lassen, sich statt dessen zunächst einmal über den Variantenreichtum der Religionen - etwa über Taoismus, Hinduismus, Buddhismus - selbst kundig machen. Außer ein paar angelesenen Eindrücken scheint der Verfasser hier nämlich über keinerlei tiefergehenden Kenntnisse zu verfügen. Der zweite kritikwürdige Punkt betrifft die ausgeprägte Ambivalenz vieler Aussagen Schmidt-Salomons, ein Hin-und-Her von Meinungsäußerungen, die sich schwerlich miteinander in Einklang bringen lassen. So schwächt er beispielsweise in dieser 2. Auflage (S. 161-162) seinen ansonsten religionsfeindlichen Rundumschlag (der mitunter sehr an Colin Goldners fanatisch-unqualifiziertes Buch Psycho aus demselben Verlag erinnert [Goldner 2000]), wie folgt wieder ab:

"Es wäre ein Fehler, wiirde man die religionskritische Aussage des MANIFESTS so verstehen, als ob in dem Buch behauptet würde, daß alles, was im Rahmen religiöser Traditionen entstanden ist, was ,religiöse' Menschen in der Geschichte leisteten (und auch heutzutage leisten) unsinnig oder inhuman wäre. Selbstverständlich enthalten sämtliche Religionen als kulturelle Schatzkammern der Menschheit neben einem Arsenal fehlerhafter Seinserkenntnis und inhumaner Sollenssätze viele wertvolle Elemente, die auch heute noch erhaltenswert sind."

Selbst hier hat der Verallgemeinerungs-Teufel den Autor noch im Griff: "Sämtliche Religionen"? Woher weiß der Autor das? Hat er sich gründlich nicht nur mit den großen Weltreligionen (Hinduismus und Buddhismus sind alleine bereits enorm aufwendige Systeme) oder gar mit den Aberhunderten von sektenähnlichen und/oder synkretistischen Abspaltungen wie Bahai, Zeugen Jehovas, Mormonen, Scientology, dem Schamanismus (der ebenfalls einen Religionsaspekt hat) und all den vielen anderen hinreichend befasst? Hat er offenbar nicht.

Der schriftstellerische Wankelmut des positiven und negativen Religionskommentars, des Gebens und Nehmens, setzt sich auch in den folgenden Paragrafen fort. Noch immer auf S. 162 lesen wir:

"Es ist doch gar nicht zu bestreiten, daß die Religionen Sachwalter eines ,impliziten Wissens' sind, welches sich die Menschheit im Verlauf ihrer kulturellen Evolution durch Versuch und Irrtum erworben hat. Allerdings stellen die Religionen als Religionen keineswegs die bestmöglichen Sachwalter eines solchen impliziten Wissens dar. Warum? Weil sie auf grund ihrer Ansprüche auf überhistorisch gültige, aus vermeintlich ,höheren Quellen' stammende Erkenntnisse das auch in Zukunft immer wieder nötige Lernen über Versuch und Irrtum (d.h. die kritisch-rationale Wende) untergraben. Genau hier liegt der Schwerpunkt der evolutionär-humanistischen Religionskritik."

Abb. 2 Michael Schmidt-Salomon, Autor des 'Manifest des evolutionären Humanismus'

Alles gut gemeint, möchte man sagen, aber in der Ausführung und begrifflich schwach, teils überheblich anmaßend. Zwar ist der Rezensent ganz beim Autor, wenn es um nur all zu berechtigte Kritik an organisierten Religionsgemeinschaften geht, großen wie kleinen. Der in der Menschheitsgeschichte wohl einmaligen religiösen Bevormundung und Tyrannei in der Vergangenheit des Abendlandes, der vielfältigen Untaten in diesem Zusammenhang, die oft jeder Beschreibung spotten, des vielfältigen Betrugs und der Vorspiegelungen mittels vermeintlich "heiliger" Schriften, sind wir uns alle bewusst. Fanatismus und Alleinseligmachungsansprüche haben in echter Religion nichts zu suchen. Und selbstverständlich müssen sich heute die Vertreter organisierter Glaubensgemeinschaften kritische Fragen zu ihren Dogmen, ihrem Gebaren, ihren heiligen Schriften und ihren Gründungslegenden gefallen lassen. Ebenso auch die "weltlichen Religionen" wie der Darwinismus oder der Marxismus. Ich meine aber: Es eilt ja nicht gar so entsetzlich. Wir sollten vielleicht einmal versuchsweise, wie es der Taoismus (nicht nur als Religion, sondern auch als Lebensphilosophie) anraten würde, "den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen". Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn sich Schmidt-Salomon das Tao te King auf den Nachttisch legte. Dann hätte er immer gleich ein Stück jener "Weisheit des Ostens" griffbereit, die es auch heute noch gibt und die unter verschiedenen Aspekten und unterschiedlichen Schwerpunkten auftreten kann. Es ist nur zum eigenen Schaden der Menschen der westlichen Kultur, sich dieser Weisheiten nicht gelegentlich zu erinnern.

Es scheint, als habe Schmidt-Salomon, wenn er von "den Religionen" spricht, stets nur die abrahamitischen Religionen im Blick. Die anderen drei großen Weltreligionen, Taoismus, Hinduismus und Buddhismus, sind aber nicht weniger wichtig. Bevor der Autor sich also an die 3. Auflage seines Buches macht, sollte er sich gründlich über diese informieren. Es hat nämlich wenig Sinn und grenzt genau genommen an Scharlatanerie, sich ständig über "die Religionen" zu ereifern, mit vielen von ihnen aber gar nicht hinreichend vertraut zu sein.

Auch etliche weitere der eingangs unter den Zielformulierungen der Giordano-Bruno-Stiftung verwendeten Wörter, die sich zumeist im "Manifest" wiederfinden, verunklaren für den Leser die Diskussion eher als dass sie sie erhellten. Unter (A) ist beispielsweise von den "Erkenntnissen" der Wissenschaften die Rede. Der Autor, bisweilen hinweggetragen vom Feuer seiner Entlarvungsrhetorik, scheint oft selbst nicht in der Lage, zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Thesen, Hypothesen und Theorien, versuchsweisen Erklärungsansätzen und unbezweifelbaren Tatsachen zu unterscheiden. Er verwendet das Wort "Erkenntnisse" häufig dort, wo er tatsächlich nur von wissenschaftlichen Theorien oder derzeit akzeptierten Paradigmata spricht. Der Darwinismus, die Urknall- nebst Expansionstheorien oder das "große Eiszeitalter" sind tatsächlich keine unerschütterbaren Fakten im Sinne "gesicherter Erkenntnisse", sondern lediglich derzeit "getragene" Paradigmata. Dies müsste auch für das unter (B) formulierte humanistische Anliegen Konsequenzen haben, das ja eben nach erkentnnistheoretischer Sicherheit und Unbezweifelbarkeit verlangt.

Beim Thema Szientismus I (Schul- )Wissenschaftsgläubigkeit kommt Schmidt-Salomons Wankelmut zwischen "einerseits" und "andererseits" wieder zum Vorschein. Mal stellt er die gängigen wissenschaftlichen Weltbild-Verlautbarungen als zweifelsfrei "gesichert" dar. Dann wieder lesen wir: "... akzeptiert der evolutionäre Humanismus keine absoluten Kategorien (absolute Moral, absolute Wahrheit, absolute Autorität). Er weiß um die Relativiät menschlicher Erkenntnis" (S. 35). Ähnlich drei Seiten weiter: "Wenn also jemand tatsächlich im unbedingten Sinne an die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung glauben sollte, so hätte er das Wesen der Wissenschaft gründlich mißverstanden. Denn Wissenschaft ist per definitionem ergebnisoffen, als Methodik des kritischen Zweifelns beruht sie weder auf unantastbaren, ewigen Wahrheiten, noch hat sie das Bestreben, solche, Wahrheiten' zu vermitteln. Gerade weil evolutionäre Humanisten diese Eigenschaft des wissenschaftlichen Denkens ernst nehmen, sind sie vor irrationaler Wissenschaftsgläubigkeit gefeit. Sie wissen nicht nur um die Vorläufigkeit wissenschaftlicher Aussagen, sondern unterziehen auch das real existierende Sozialsystem der Wissenschaft ...einer grundlegenden Kritik." Welche von beidem Auffassungen sollen wir dem Autor nun abnehmen? Leserinnen und Leser werden sich zudem fragen, wie derart vorläufige, durchaus provisorische Erkenntnisse der Wissenschaft gemäß den Punkten (A) und (B) zur Grundlage eines neuen, vermeintlich "gesicherteren" Weltbildes werden sollen. Auch, was "evolutionärer Humanismus" denn letztlich heißen soll, erschließt sich dem Leser nur schwer. Deshalb versucht das "Nachwort zur 2. Auflage", die Definitionspflicht nachträglich noch zu erfüllen:

"Grunddefinition: Der von Julian Huxley eingeführte Begriff ,evolutionärer Humanismus' kennzeichnet eine aus vielfältigen wissenschaftlichen, philosophischen und künsterlischen Quellen gespeiste postnationale, säkulare und kritisch-rationale (d.h. sowohl antidogmatische als auch antirelativistische) Weltanschauung, die die erkenntnistheoretische Perspektive des Naturalismus mit dem ethisch-politischen Auftrag einer umfassenden Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse verbindet ...Theorie und Praxis: Zusammenfassend läßt sich der evolutionäre Humanismus beschreiben a) (auf theoretischer Ebene) als der Versuch, wissenschaftliche Aufklärung und humanistische Ethik miteinander in Einklang zu bringen, sowie b) (auf praktischer Ebene) als Beiträg zur Stärkung der ,Leitkultur Humanismus und Aufklärung' ..." (S. 169-171).

Man weiß nicht recht, ob man es für Anmaßung oder für philosophische Arglosigkeit halten soll, ein derartiges Formulierungsungetüm forsch als eine Definition, gar als "Grunddefinition", auszugeben, in dem selbst nahezu jedes zweite Wort höchst erläuterungsbedürftig, aber gänzlich undefiniert ist.

"Naturalismus" im hier wohl gemeinten Sinne erläutert der Duden mit: "Philosophische Weltanschauung, nach der alles aus der Natur und diese allein aus sich selbst erklärbar ist." Der Collins wird präziser: "A scientific account of the world in terms of causes and natural forces that rejects all spiritual, supernatural, or teleological explanations." Da hätte es als Gegengewicht nicht geschadet, wenn Schmidt-Salomon auch bei Sir Julians jüngerem Bruder Aldous Huxley (1894- 1963) einmal nachgelesen hätte, etwa in seiner Perennial Philosophy. Dort beschreibt Huxley die "philosophia perennis" (Leibnizens "ewige Philosophie"), die auch den esoterisch-spirituellen östlichen Weisheitslehren zugrundeliegt. Aber das hätte Schmidt-Salomon dann wohl wieder zu sehr nach "Religion" gerochen.

Das Buch von Schmidt-Salomon steckt voller weiterer salopper Behauptungen, von denen bei näherer Betrachtung nur wenig übrig bleibt. So kommt die Versicherung des Autors, die "traditionellen Religionen" seien "nicht nur hinreichend theoretisch widerlegt", sondern sie hätten sich "auch in ihrer Praxis als schlechte Ratgeber für die Menschheit erwiesen" (S. 8) ganz ohne Begründung aus. Auf Seite 13 muss der Leser erfahren: "Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit trat die Unvereinbarkeit von religiösem Glauben und wissenschaftlichem Denken so deutlich zum Vorschein wie in unseren Tagen." Es dürfte nicht viele aktuelle Beobachter der Religionen und der Wissenschaften geben, die diesen Eindruck teilen. Drei Seiten weiter versichert der Autor: "... wissen wir heute, daß das ,Ich' nichts weiter ist als ein Artefakt des körperbewußten Gehirns ...Das ,bewußte Ich' wird erzeugt und gesteuert von neuronalen Prozessen, die nicht unmittelbar erfahrbar sind." Dies ist die (zu Recht) berüchtigte, derzeit im wissenschaftlichen Mainstream aber recht beliebte sog. "Gehirntheorie des Bewusstseins", die Medard Boss (1975) meisterhaft als einen materialistischer Ideologie geschuldeten sachlichen Unsinn entlarvt hat. Von "wissen wir heute" kann folglich keine Rede sein. Diese Auffassung genießt zwar im wissenschaftlichen Mainstream einigen Zuspruch. Aber eben deshalb sprechen wir ja von einer "Lehrmeinung", weit entfernt von der Art erkenntnistheoretischer Sicherheit, die der Autor stets anzustreben behauptet.

Weiter: ">Leben< läßt sich definieren als ein auf dem ,Prinzip Eigennutz' basierender Prozeß der Selbstorganisation"" (S. 17). Auch dies ist in der Wissenschaft lediglich eine partikulare Meinung, die, zudem populistisch zurechtformuliert, als eine Gewissheit verkauft wird. Dann wiederum scheint Schmidt-Salomon überraschender Weise plötzlich doch noch für monistisch-pantheistische Vorstellungen anfällig zu werden, wenn er auf S. 55 schreibt:

"Evolutionäre Humanisten vertreten ein dezidiert naturalistisches Weltbild. Das heißt: Sie gehen vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Forschung von einem Bild des Kosmos aus, in dem ,alles mit rechten Dingen zugeht', in dem es keine metaphysischen Fabelwesen (Götter, Dämonen, Hexen oder Kobolde) gibt, die auf supranaturalistische (übernatürliche) Weise (,Wunder') in das Weltgeschehen eingreifen können. Bedeutet das aber, daß ...jede Gottesvorstellung dem Weltbild des evolutionären Humanismus prinzipiell widersprechen muß? Nicht unbedingt. So wäre es mit unseren empirischen Erkenntnissen durchaus vereinbar, .., ,Gott' im Sinne der Mystiker als ,Summe allen Seins' zu definieren, als metaphysisches, unpersönliches Wesen, das jenseits unserer Wahrnehmung den gesamten Kosmos erfüllt. Evolutionäre Humanisten könnten die Existenz eines solchen Gottes nicht bestreiten, da es unsinnig wäre, eine Aussage über die Existenz bzw. Nichtexistenz eines Wesens machen zu wollen, das per definitionem nicht wahrgenommen werden kann."

Auf der vorhergehenden Seite hatte der Autor noch zu verstehen gegeben: "Der religiöse Zugang zur Welt ist gekoppelt an eine zutiefst autoritäre Denkstruktur" (S. 54). Das ist ein Totschlagargument, das in einem Buch, das sich vorgeblich wissenschaftliche Redlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat, ebenso befremdlich wirkt wie die Behauptung, "daß sämtliche religiösen Quellentexte weit unter dem ethischen Mindeststandard jeder halbwegs zivilisierten Gesellschaft stehen" (S. 67). Man muss die inkriminierten religiösen Quellentexte gar nicht verteidigen, um zu zeigen, dass dies eine völlig absurde Behauptung ist. Denn die Präambeln der Verfassungen vieler "halbwegs zivilisierter Gesellschaften" berufen sich - mit Recht oder nicht - ausdrücklich auf solche religiösen Quellentexte.

"Selbstverständlich wissen wir nicht", räumt der Autor auf S. 146 ein, "ob sich die Leitkultur Humanismus und Aufklärung jemals ...wird durchsetzen können." Hilfreich wäre es zu diesem Zweck sicherlich, wenn der Autor und die ihn beauftragende Giordano-Bruno-Stiftung sich etwas weniger weltanschaulich-kämpferisch und aufdringlich materialistisch-atheistisch gebärden würden. Freilich ist im Buch von Schmidt-Salomon nicht nur mancherlei kritikbedürftig; es gibt vielmehr, das soll abschließend nicht verschwiegen werden, auch einige positive Ansätze. Beispielhaft sei hier Schmidt-Salomons Eintreten für ein "mitmenschliches" Verhalten gegenüber der Tierwelt genannt: "Schädigende Tierversuche an ...höher entwickelten Lebewesen sollten möglichst ganz vermieden werden ...,Füge nichtmenschlichen Lebewesen nur so viel Leid zu, wie dies für den Erhalt deiner Existenz unbedingt erforderlich ist!", ließe sich die tierethische Maxime des evolutionären Humanismus in etwa umschreiben. Dieser Leitsatz unterscheidet sich deutlich von der biblischen Anweisung "Macht euch die Erde untertan!" (S. 124).


Anmerkungen und Quellen

Diese Rezension wurde erstmals in der Zeitschrift für Anomalistik veröffentlicht (Band 8 (2008), Nr. 1+2+3, S. 213-220) Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer redaktionell bearbeiten Online-Fassung.

  1. Anmerkung: Laut Fußnote 233 des Buches wurde "Brights" 2003 von Richard Dawkins, James Randi u.a. in einem ungewöhnlichen PR-Feldzug für das wissenschaftliche Denken als "erste internationale, religionskritisch-naturalistische Intellektuellenbewegung" initiiert.
  2. Siehe: E. Wunder: "Das Skeptiker-Syndrom", Beilage zu Heft Nr. 1/1999 von Forum Perspektiven, herausgegeben von dem von Wunder neu gegründeten Forum Para wissenschaften, später umbenannt in Gesellschaft für Anomalistik.


Bild-Quellen

(1) Giordano Bruno Stiftung (Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus), Michael Schmidt-Salomon. Manifest des Evolutionären Humanismus - Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur

(2) Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Sichwort: Michael Schmidt-Salomon