John Jakes: Tolle Tage in Atlantis

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Eine Rezension von Bernhard Beier

Abb. 1 Das Frontcover von "Tolle Tage in Atlantis", Rastatt (Verlagsunion Pabel-Moewig), TB, 1977 (Reihe:Terra Fantasy Band 38; Hier das Cover der 2. Aufl., 1980)

"Man nennt mich Hoptor, den Weinhändler, obwohl mein Gewerbe eigentlich von ganz anderer Art ist. Jedenfalls genieße ich einen hervorragenden Ruf bei fast allen Bürgern von Atlantis - seien es Diebe, Halsabschneider oder hohe Herrschaften. Ich, Hoptor, bin ein ehrenwerter und hilfreicher Mann. Ich scheue - gegen entsprechendes Entgelt natürlich - keine Mühe, jedem die Richtige für seine einsamen Nächte zu beschaffen. Meine Geschäfte blühten bis zu dem Tage, da hohe Offiziere Seiner Majestät Ränke zu schmieden begannen und der König durch Conax, den Barbaren, seine künstlichen Zähne verlor. Und als die Fremden von den Sternen erschienen, wendete sich alles endgültig zum Schlechten - mein Schicksal, sowie das Los von Atlantis. Lesen Sie mein Tagebuch - und schenken Sie mir Ihr Mitgefühl." [1]

Mit dieser kurzen Vorstellung des Protagonisten seines Romans "Tolle Tage in Atlantis" (Abb. 1) - und des, nebenbei bemerkt, womöglich sympathischsten Zuhälters der Literaturgeschichte - beginnt John Jakes seinen humorigen, pseudohistorischen Report über die turbulenten Ereignisse, welche, zumindest in der von Hoptor bzw. dem Autor berichteten, 'etwas anderen' Version der Legende, zum Untergang von Atlantis führten, oder, wie es in der englischsprachigen Originalfassung (Abb. 2) heißt, "...the true account of the calamitous destruction of the great island kingdom together with a narrative of its wondrous intercourses with a superior race of other-worldlings, as transcribed from the manuscript of a survivor, Hoptor the Vintner, for the enlightenment of a dubious posterity". [2]

Es mag sein, dass besagter Herr Hoptor in literaturwissenschaftlicher Hinsicht alle Kriterien eines 'unzuverlässigen Erzählers' erfüllt, aber dafür sind er und John Jakes um so zuverlässiger, wenn es darum geht, den Leser über 160 kurzweilige Seiten hinweg bestens mit einer äußerst amüsanten Geschichte zu unterhalten, in der es um Liebe und Kabale geht, um menschliche Schwächen und Schrullen, aber auch darum, wie man als Person mit philanthropischer Grundhaltung den durch weniger menschenfreundlich eingestellte Zeitgenossen verursachten Widrigkeiten des Lebens trotzen kann, ohne dabei seine Prinzipien über den Haufen zu werfen - oder den Humor zu verlieren.

Abb. 2 Das Frontcover der amerikanischen Original-Ausgabe dieses Klassikers von John Jakes

Man könnte diesen Roman zwar, wie es zuvor wohl schon in anderen Besprechungen vorgeschlagen wurde [3], auch als "Parodie auf den [angeblichen!] Atlantis-Mythos" betrachten, aber das scheint diesem Rezensenten zu kurz gegriffen. Er geht eher davon aus, dass Jakes den letztlich >bierernsten<, aber höchst publikumswirksamen Stoff der Atlantislegende deshalb als Grundlage für seinen Roman wählte, weil die Atlantida sich zweifelsohne besonders gut dafür eignet, mittels einer alternativen, respektlos-komödiantischen Variation des Stoffes effektvoll kontrastiert zu werden. Was John Jakes jedoch zweifellos parodieren bzw. persiflieren wollte, ist die Fantasy-Literatur an und für sich, von der er sich bald darauf als Autor verabschiedete [4], und in Hinblick auf die Schlussphase und das Ende des Romans vermutlich auch die Paläo-SETI-Literatur. Dass ihm seine Parodie auf's Schönste gelungen ist - man denke nur an die brillant angelegte, durch die Handlung polternde Figur des auf Atlantis gestrandeten Barbaren Conax (orig.: "Conax of Chimeria"), einer weiteren Hauptperson des Romans, werden sicherlich nicht zuletzt Fans dieses Genres gerne bestätigen.

Zum Glück für Leser/innen der deutschsprachigen Version des Buches, die 1977 als Band 38 der legendären Taschenbuchreihe Terra Fantasy erschien, wurde die Übersetzung damals von Lore Straßl (1930-2003) vorgenommen, die keinen geringen Anteil am Fantasy-Boom der 1970er Jahre hatte, und u.a. auch Romane vieler angelsächsischer Größen dieser Literaturgattung, wie Poul Anderson, Lin Carter, Lyon Sprague de Camp, Robert E. Howard, Michael Moorcock und Andre Norton ins Deutsche übertrug. Ihr gelang es mit dem ihr eigenen Gefühl für Nuancen, selbst unterschwellige und subtile Details aus "Mention My Name in Atlantis" so ins Deutsche zu transportieren, dass man sogar sagen kann: ihre Version des Jakes´schen Romans ist stellenweise noch besser als das Original!

Jedenfalls kommt dieser Rezensent zum Ergebnis: "Tolle Tage in Atlantis" wäre es allemal wert, neu aufgelegt zu werden, aber solange dies nicht der Fall ist, kann eine jüngere Leser/innen-Generation sich zumindest darüber freuen, dass das Buch noch immer antiquarisch und auch online erhältlich ist, sodass sich dieses große Lesevergnügen im Taschenbuchformat ohne viel Mühe und für kleines Geld erwerben lässt.



Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: John Jakes, "Tolle Tage in Atlantis", Rastatt, 1977 und 1980 (2. Aufl.), Reihe: Terra Fantasy Band 38; zit. nach: sfp, unter: Tolle Tage in Atlantis (abgerufen: 25. Okt. 2014; nicht mehr online)
  2. Quelle: John Jakes, "Mention My Name in Atlantis", Penguin Group (USA), 1972; zit. nach: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Mention My Name in Atlantis"
  3. Siehe z.B.: Gerd Rottenecker, "Zum 80. Geburtstag von John Jakes", bei: Bibliotheka Phantastika
  4. Anmerkung: John Jakes wurde später mit seinen Historien-Romanen über die Zeit des amerikanischen Sezessionskriegs (u.a. "Die Erben Kains", "Liebe und Krieg" sowie "Himmel und Hölle") zum weltberühmten Bestsellerautor; also mit genau jener Sorte Literatur, von deren Lektüre dieser Rezensent nur allzu gerne Abstand nimmt, da er sie ehrlich gesagt geradezu Brechreiz erregend findet.

Bild-Quellen:

1) sfp, unter: Tolle Tage in Atlantis
2) Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Mention My Name in Atlantis"