Transdisziplinär

Vorbemerkung

"Der Begriff Transdisziplinarität tauchte erstmals vor drei Jahrzehnten annähernd simultan in den Werken solch unterschiedlicher Gelehrter wie Jean Piaget, Edgar Morin und Erich Jantsch auf. Er wurde geprägt, um einem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen, das - vor allem im Bereich des Bildungswesens - wahrgenommen wurde, um die Überschreitung disziplinärer Grenzlinien zu zelebrieren - ein Vorgang, welcher weit über multidisziplinäre und interdisziplinäre Zugänge [zur Forschung; d.Ü.] hinausging." (Basarab Nicolescu, 2002) (Abb. 1)

(red) Bei der deutschsprachigen Wikipedia wird zutreffend auf die Tatsache hingewiesen, dass von Transdisziplinarität "im aktuellen wissenschaftlichen Gebrauch kein einheitliches Verständnis" existiert. "Im deutschen Sprachraum bezeichnet der Ausdruck zumeist ein Prinzip integrativer Forschung (Mittelstrass 2003 [1]). Dies steht im Gegensatz zur Auffassung von Transdisziplinarität als einem universellen theoretischen Einheitsprinzip (Nicolescu 2002 [2])" [3], an dessen grundlegendem Verständnis von transdisziplinärer Forschung [4] sich auch die Verwendung des Begriffs Transdisziplinarität bzw. (transdisziplinär) bei Atlantisforschung.de anlehnt (z.B. bei der Definition von Atlantisforschung als "transdisziplinäre Verbund-Wissenschaft").


Andere Definitionen

Abb. 1 Prof. Dr. Basarab Nicolescu, Gründer und Präsident d. renommierten International Center for Transdisciplinary Research and Studies (CIRET); 1992 war er einer der Mitbegründer der Study Group on Transdisciplinarity bei der UNESCO, und er ist Gründer und Direktor der Reihe Transdisciplinarity, Rocher Editions, Monaco (Foto: Cartea Românească)

1) Transdisziplinär ist eine Forschung, "die sich aus ihren disziplinären Grenzen löst, die ihre Probleme disziplinunabhängig definiert und disziplinunabhängig löst" (Mittelstraß 1998:44 [5]).

2) Transdisziplinarität geht "nicht zwischen den Fächern hin und her oder schwebt, dem absoluten Geist nahe, über den Fächern und Disziplinen. Sie hebt vielmehr innerhalb eines historischen Konstitutionszusammenhanges der Fächer und der Disziplinen fachliche und disziplinäre Parzellierung, wo diese ihre historische Erinnerung verloren haben, wieder auf" (Mittelstraß 1998:44).

3) "Der Weg von der Disziplinarität zur Transdisziplinarität braucht weder zu einer einheitlichen Theorie der Wissenschaft noch zu einer die Disziplinen umfassenden Interdisziplin führen." (Antos 2001 [6])

4) "Unter Transdisziplinarität versteht man eine integrative Forschung, die verschiedene Handlungsmöglichkeiten und Wissensformen, zum Beispiel wissenschaftliches Wissen, lokales Wissen oder Alltagswissen, verbindet, um komplexe und gesellschaftlich relevante Problemstellungen bearbeiten zu können. Die Problemformulierung, Lösungsentwürfe und deren Umsetzung in Praxisfelder erfolgen in Kooperation mit Partnern der gesellschaftlichen Praxis."

5) ">Ganz allgemein (...) wird unter Transdisziplinarität verstanden, dass Wissenschaft bzw. Forschung sich aus ihren fachlichen, disziplinären Grenzen löst und ihre Probleme mit Blick auf ausserwissenschaftliche, gesellschaftliche Entwicklungen definiert, um diese Probleme disziplin- und fachunabhängig zu lösen.< Ausgangspunkt von transdisziplinärer Forschung ist die hochgradige Ausdifferenzierung der Wissenschaft in Disziplinen, Subdisziplinen und Fächern mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und Forschungspraxen. Transdisziplinäre Forschung geht hinter diese Ausdifferenzierung nicht zurück, sie geht darüber hinaus: >Bei Transdisziplinarität wird der gemeinsame Forschungsgegenstand von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen und gesellschaftlichen AkteurInnen (Politik, Verwaltung, Alltag....) definiert. Diese Problemorientierung transdisziplinärer Forschung führt zu komplexen Fragestellungen. Bei transdisziplinärer Forschung werden unterschiedliche gesellschaftliche Akteure aktiv einbezogen; auch schwache und randständige, die von Entscheidungsprozessen und gesellschaftlicher Gestaltung ausgeschlossen sind. Diese Akteursorientierung bzw. dieser dezidierte Praxisbezug kann in unterschiedlichen Kooperationsmodellen erfolgen. Ein weiteres zentrales Merkmal transdisziplinärer Forschung ist deren Anwendungsorientierung, d.h. von Anfang an werden disziplin- und fachübergreifend sowohl gesellschaftliche Lösungen als auch innerwissenschaftliche Lösungen (neue theoretische Ansätze und Methoden) erarbeitet.< Transdisziplinäre Forschung, die immer reflexiv und selbstreflexiv ist, organisiert Forschung als gemeinsamen Lernprozess zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Im kulturellen Alltag gehören transdisziplinäre Themenstellungen zu den Selbstverständlichkeiten einer aktuellen Praxis auf der Höhe der Zeit."

6) "Transdisziplinäre Forschung hat – stärker als die interdisziplinäre – größere Zusammenhänge im Blick, weil der Zwang, sich auf die eigene und benachbarte Disziplinen zu konzentrieren, wegfällt. Diese größeren Zusammenhänge sind vereinfachte Ausschnitte aus einer zunächst unstrukturierten Problemlandschaft, bei denen wir Komplexität bewusst reduzieren." (Peter Finke, 2014) [7]

7) ""Schon die Erfindung der Interdisziplinären Forschung war ein notwendiger und sinnvoller Reparaturmechanismus der isolierten Einzelwissenschaften. Aber sie bleibt zu zaghaft, arbeitet nur übrig gebliebene Lücken zwischen benachbarten Fächern auf. Wirkliche Transdisziplinarität geht weit darüber hinaus. Sie scheut sich auch nicht davor, geltende Paradigmen infrage zu stellen, die nur im Schutze der Isolation gedeihen konnten." (Peter Finke, 2015)


Literatur-Tipp der Redaktion

Abb. 2 Das Frontcover von Philipp W. Balsigers Standardwerk zum Thema Transdisiplinarität

Philipp W. Balsiger "Transdisziplinarität: systematisch-vergleichende Untersuchung disziplinenübergreifender Wissenschaftspraxis" (Abb. 2), Wilhelm Fink Verlag, 2005


Weitere Literatur

Bibliographie Inter-/Transdisziplinarität - Universität Bern - Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität (abgerufen: 25.07.2014)


Anmerkungen und Quellen

Definitionen 1-3 nach: Transferwissenschaften.de, vormals unter: http://www.transferwissenschaften.de/pageID_800738.html (abgerufen am 05.05. 2011 - nicht mehr online)

Definition 4 nach: leuchtpol.de, unter: Transdisziplinär (Stand: 05.05. 2011)

Definition(en) 5 nach: Glossar: Transdisziplinarität, Institute for Art Education / Institut ästhetische Bildung und Vermittlung, bei: Zürcher Hochschule der Künste (Stand: 16.10.2011)


Einzelverweise:

  1. Siehe: Jürgen Mittelstraß, "Transdisziplinarität - wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit", 2003 ISBN 3-87940-786-X
  2. Siehe: Basarab Nicolescu, "Manifesto of Transdisciplinarity", State University of New York Press, New York, USA, 2002, aus dem Französischen von Karen-Claire Voss.
  3. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Transdisziplinarität (abgerufen: 10.12.2012
  4. Siehe dazu online auch das Exzerpt "TRANSDISCIPLINARITY: Basarab Nicolescu" (aus: MANIFESTO OF TRANSDISCIPLINARITY) bei: eye of the cyclone - is there life on earth, or are we just dreaming... (abgerufen: 03.01.2012)
  5. Siehe: Jürgen Mittelstaß, (1998): Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität? In: Ders. (Hrsg.): Die Häuser des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt, S. 29-48.
  6. Siehe: Gerd Antos (2001): Transferwissenschaft. Chancen und Barrieren des Zugangs zu Wissen in Zeiten der Informationsflut und der Wissensexposion. In: Gerd Antos und Sigurd Wichter (Hrsg.): Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umriss einer Transwissenschaft. Frankfurt a. M., Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Peter Lang Publishing. 3-33. Transfer Wissenschaften.
  7. Quelle: Peter Finke, "Citizen Science - Das unterschätzte Wissen der Laien" , München (oekom) 2014, ISBN 978-3-86581-466-1

Bild-Quellen:

1) Cartea Românească, unter: Nicolescu, Basarab
2) Bildarchiv Atlantisforschung.de