Atlantis in einer hebräischen Abhandlung von 1378/9?

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Abb. 1 Der Prophet Joel, dargestellt in der Tracht jüdischer Gelehrter im mittelalterlichen Frankreich mit von der christlichen Obrigkeit verordnetem (!) Spitzhut, in einer Illustration der Stavordale-Bibel aus dem 12. Jhdt. (aus der Enyclopaedia Judaica). Verfügten jüdische Gelehrte des Mittelalters noch über antikes Relikt-Wissen in Bezug auf Atlantis?

(red) Diese in Hinsicht auf mittelalterliche Atlantis-Erwähnungen interessante Frage warf unlängst Thorwald C. Franke auf, den man inzwischen wohl als profiliertsten Atlantologie-Historiker des deutschsprachigen Raums bezeichnen darf. In seinem jüngsten Buch, "Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis" [1] schreibt er vorsichtig dazu:

"In einer anonymen hebräischen Abhandlung aus dem Jahr 1378/9, die offenbar eine teilweise Paraphrase eines arabischen Werkes ist, liegt villeicht eine Andeutung zu Platons Atlantis vor. Im Zusammnhang mit der Frage, wo man denn den Anfangspunkt setzen soll, um die Erde mit einem Netz von Längengraden zu überziehen, werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Ptolemaios soll [am] westlichen Langengrad bei den Kanarischen Inseln angesetzt haben. In disem Zusammenhang heißt es in der englischen Übersetzung:

>Some say that they [the inhabited regions] begin at the beginning of the western ocean [the Atlantic] and beyond. For the earliest times [literally: the first days] there was an island in the middle of the ocean. There were scholars there, who isolated themselves in [the pursuit of] philosophy. In their day that was the beginning for measuring] the longitude[s] of the inhabited world. Today, it has become [covered by the?] sea, and it is ten degrees into the sea; and they reckon the beginning of longitude from the beginning of the western sea." [2]

Diese in frühesten Zeiten im Atlantik gelegene Insel, die später versank, könnte von Platons Atlantiserzählung inspiriert worden sein. Allerdings ist die Andeutung zu vage, um das sicher sagen zu können. Die Vorstellung von Gelehrten, die auf der Insel in Isolation lebten, geht vielleicht auf die griechischen euhemeristischen Entmythologisierungsversuche de Mythos um den Titanen Atlas zurück, denen zufolge Atlas ein großer Astronom gewesen sei, der dann wiederum mit König Atlas von Atlantis verwchselt wurde." [3]

Frankes Vorsicht bei der Einschätzung des Sachverhalts in allen Ehren, aber es stellt sich hier - gerade dann, wenn man nicht mit ihm einer Meinung ist, dass der Titanenspross Atlas und Platons Atlantier-König ganz eindeutig voneinander zu unterscheiden seien - immerhin die Frage nach einer anderen antiken Insel-Überlieferung, aus welcher der vorliegende mittelatlterliche Textauszug gespeist worden sein könnte. Immerhin müsste diese Quelle ebenfalls über eine Insel berichtet haben, die a) im Atlantik lag, b) von überaus kultivierten Menschen bewohnt wurde und c) "Zum Meer geworden" sei. Was dies betrifft, dürfe die Auswahl wohl nicht sehr groß sein, sofern wir nicht auch (rein spekulativ) eine verloren gegangene Quelle aus dem Altertum mit in Betracht ziehen.


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Siehe:
    Franke Geschichte-Hypothesen-Atlantis mit Umrandung.jpg
    Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis, Norderstedt (BoD), Juli 2016, broschiert, 596 Seiten ISBN 978-3-7412-5403-1
  2. Siehe: Y Tzvi Langermann, "Hebrew Astronomy: Deep Soundings rom a Rich Tradition", in: Helaine Selin und Sun Xiaochun (Hrsg.), "Astronomy Across Cultures - The History of Non-Western Astronomy", Dordrecht (Springer Netherlands / Kluwer Academic Publishers), 2000, S. 555-584 (Das Zitat befindet sich auf S. 574.)
  3. Quelle: Thorwald C. Franke, op. cit. (2016), S. 256

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