Atlantisforscher oder Atlantist? Zur typologischen Einordnung von Spanuths Werk

Abb. 1 War Pastor Jürgen Spanuth lediglich ein schwärmerischer Phantast, der von wissenschaftlicher Forschung keine Ahnung hatte?

(bb) Wenn es um die Frage geht, ob Jürgen Spanuths Werk einen explizit atlantologischen Charakter hat, oder als 'unwissenschaftlich' oder sogar 'pseudowissenschaftlich' - und damit als atlantistisch einzuordnen ist, so stellen wir fest, dass heute offenbar selbst scharfe Spanuth-Kritiker keine Vorwürfe dieses Kalibers erheben, sondern sich, wie etwa Franz Wegener (2003), eher kryptisch und verschwommen auf die allgemeine Erwähnung "wissenschaftliche[r] Kritik" an Spanuth zurückziehen. Dass es eine solche Kritik im aktuellen Wissenschaftsbetrieb gibt, muss angesichts des Fehlens entsprechender Publikationen bezweifelt werden. Somit heißt es in dem bereits zitierten Abriss über Jürgen Spanuth bei WIKIPEDIA im Abschnitt "Heutige Bedeutung" nicht zu Unrecht: "Heute werden Spanuths Ansichten von der akademischen Wissenschaft wegen zahlreicher Widersprüche nicht mehr diskutiert." [1]

Das ist eine absolute Feststellung, die allerdings recht wenig über die tatsächliche Diskussionswürdigkeit dieser Ansichten aussagt und schon im nächsten Satz wieder relativiert wird: "Ernsthaft erwogen wird lediglich die Möglichkeit eines allgemeinen kausalen Zusammenhanges zwischen bronzezeitlichen Naturkatastrophen (z.B. Dürreperioden) im 13. vorchristlichen Jahrhundert und den großen Wanderungsbewegungen um das Jahr 1250 v. Chr. (Urnenfelderwanderung, dorische Wanderung, Seevölkersturm)." [2]

Halten wir zunächst fest, dass dieses, Spanuths Theorie von der 'Großen Wanderung' und seine katastrophistische Betrachtung des plötzlichen Endes der 'Bronzezeit' betreffende, Zugeständnis nicht unwesentlich erscheint, und in der Tat Einzelaspekte seines Werks hervorhebt, mit denen er sich bleibende Meriten um konventionelle sowie alternative Vor- und Frühgeschichtsforschung erworben haben dürfte. Wesentlicher erscheint uns hier jedoch, den vorausgegangenen Satz des Wikipedia-Autors aufzugreifen, in welchem ja immerhin unterstellt wird, Spanuths Ansichten seien früher Gegenstand einer ernstzunehmenden, diese Bezeichnung verdienenden, Diskussion in Kreisen "der akademischen Wissenschaft" gewesen.

Genau daran muss jedoch starker Zweifel aufkommen, wenn wir uns näher mit seiner Rezeptions-Geschichte und dem Streit befassen, den Spanuth mit seinen Veröffentlichungen zu Beginn der 1950er Jahre ausgelöst hat. Eine - wenn nicht die - zentrale Figur dieses Streits war der Geologe Prof. Karl Gripp (Abb. 2) von der Universität Kiel, der den Pastor und Atlantisforscher bereits 1949 ohne wenn und aber zum "Phantasten" erklärte [3], eine Meinung, die er nach Erscheinen von Spanuths erstem Atlantis-Buch (1953) immer lauter und angestrengter zu verbreiten begann.

Welche Gründe dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben könnten, deutet der Spanuth-Experte Dr. Hans-Wilhelm Rathjen an, der in einem Essay über Gripps Attacken gegen den 'Atlantis-Pastor' schreibt: "Spanuth zog sich ohne Absicht die Feindschaft eines gewissen Karl Gripp zu. Dessen Nazi-Karriere und kriminelle Vergangenheit waren Spanuth bestens bekannt, so konnte dieser Geologe befürchten, sie kämen über den Holsteiner ans Licht. Gripp verfügte im jungen Nachkriegsdeutschland über entscheidende Macht, er konnte Wiedereinstellungen [an den Universitäten; bb] in Kiel und Hamburg begünstigen oder verhindern.

Abb. 2 Der Geologe und Polarforscher Karl Gripp (1891-1984) war Jürgen Spanuths schärfster und unerbittlichster Gegener. Foto: W. Rehnder, Kiel

Etliche Wissenschaftler mit großem Namen waren ihm, nicht zuletzt wegen ihrer Amtsträgerschaft im Dritten Reich, deshalb verpflichtet. So glaubten sie ihm ausgeliefert zu sein und an der Kampagne gegen Spanuth, die Gripp von ihnen verlangte, teilnehmen zu müssen. Sie verbogen sich dazu, sogar ihre eigenen Forschungen zu leugnen oder zu verdrehen, nur um Spanuth im gewünschten Licht erscheinen zu lassen. Ein ganz unglaublicher Vorgang in der Wissenschaftsgeschichte überhaupt, und nur denkbar in der jungen Bundesrepublik." [4]

Welche "wissenschaftliche" Qualität Gripps persönliche Angriffe auf Spanuth hatten, wird jedenfalls an folgendem Zitat deutlich, welches die Methode illustriert, mit der sich dieser Geologe erfolgreich gegen JEDES potentielle Argument wappnen konnte, das möglicherweise in Spanuths "Phantasten"-Publikation von 1953 auf den Leser lauerte: "Von der Theologie gibt es keinen Weg zur Wissenschaft sondern nur zur Phantasie! Theologen sind Leute, die von außen her etwas in den Menschen hineinreden, bis er es glaubt. Darum ist und bleibt Spanuths Buch für mich indiskutabel, es ist reine Phantasterei. Ich habe keine Zeit es zu lesen." [5] Die hier an den Tag gelegte Impertinenz verdient allerdings eine ausführlichere Behandlung.

Zunächst sollte festgehalten werden: was der Mann, der sich anschickt, die 'Welt der Wissenschaft' gegen Jürgen Spanuth aufzubringen, hier - ohne auch nur mit der Wimper zu zucken! - einräumt, ist schon ein starkes Stück. Er gibt unumwunden zu, dass seine Meinung zur Atlantis-Theorie des Pastors nicht auf einer wissenschaftlich zu nennenden Untersuchung, sondern lediglich auf einer allenfalls fragmentarischen Datenbasis zum kritisierten Gegenstand beruht. "Das Eingeständnis, Spanuths Buch nicht gelesen zu haben", hinderte Gripp, wie es bei Gadow weiter heißt, jedenfalls "nicht daran, auch weiterhin über den Inhalt dieses Buches zu urteilen." [6]

Es erscheint fast so, als habe der Kieler Professor regelrecht mit seiner scharlatanesken 'Leseschwäche' kokettiert: "Im Gespräch wit dem Journalisten Fischer äußerte er sich 19.9. 53 in ähnlichem Sinne: Spanuths Arbeiten seien >der größte Blödsinn, den man sich vorstellen könne. Am 17.10. 53 bestätigte er dann dem Journalisten Auer in Kiel: >Ich lehne es ab, Spanuths Buch 'Das enträtselte Atlantis' zu lesen<, um hinzuzufügen, der Inhalt dieses Buches sei >weder interessant noch akzeptabel<." [7]

Dass Karl Gripp offenbar jede sich bietende Gelegenheit nutzte, Spanuth auf diesem Niveau zu attackieren, zeigt eine dpa-Meldung vom 1.9. 53, die, laut Gadow, von vielen Zeitungen übernommen wurde: "Vor 160 Teilnehmern der Jahresversammlung des Westdeutschen Wasserwirtschaftsverbandes nannte Gripp Pastor Spanuth [einmal mehr; bb] einen >Phantasten<, der wohl einen guten Roman schreiben könne, von echter Forschung aber nichts verstehe." [8] Man sollte meinen, diese Form pseudowissenschaftlicher Schein-Auseinandersetzung mit Spanuth sei nicht mehr steigerungsfähig, doch wie wir im nächsten Abschnitt unserer Betrachtung zeigen werden, waren Gripp et al. durchaus in der Lage dazu.


Fortsetzung:

Streit um Spanuth: Die so genannten 'Atlantis-Gespräche'


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: "Jürgen Spanuth" (Abschnitt: "Heutige Bedeutung"), März 2007
  2. Quelle: ebd.
  3. Quelle: Gerhard Gadow, "Der Atlantis Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Fischer Taschenbuch Verlag, Juli 1973, S. 58
  4. Quelle: Dr. Hans-Wilhelm Rathjen, "Zehn Takte Besinnung zu Atlantis", unveröffentlichtes Manuskript, Minden, 2006, S. 20
  5. Quelle: Gerhard Gadow, op. cit., S. 58 (Hervorhebung durch uns; d. Red.)
  6. Quelle: ebd.
  7. Quelle: ebd.
  8. Quelle: ebd.


Bild-Quellen

(1) Gerhard Gadow, op. cit., S. 120

(2) Polarforschung 72 (1), 49-56 2002 (erschienen 2004): Mitteilungen - 21. Internationale Polartagung in Kiel - 21. bis 22. März in Kiel - Begrüßung und Eröffnung durch den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung, Prof. Dr. Georg Kleinschmidt (PDF-Datei, 1,33 MB), S. 50