Bewusstsein, Geist, Seele, Verstand, Gedächtnis

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von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich (1996)

Eine Bemerkung vorab, damit kein Missverständnis aufkommt: beim Gegenstand des vorliegenden Beitrages handelt es sich nicht mehr um eine sozusagen "weltliche" Wissenschaft, bei der jedermann - wie etwa bei Vorgeschichte, Astronomie oder Ozeanographie -, sofern man sich nur belesen gemacht hat, mitreden kann. Die im Westen weitverbreitete, neunmalkluge, intellektuelle Ego-Aufgeblähtheit hört das zwar gar nicht gerne. Tatsache ist aber, dass hier weitaus mehr gefordert ist, als nur ein Sich-belesen-Machen. Der menschliche "Geist" (wir werden noch sehen, wie verschwommen und mehrdeutig unsere einschlägigen Wortbedeutungen sind) will sich nämlich hier selbst - seine eigene Natur und sein Funktionieren - erkennen! Hier ist, neben einem vergleichenden Studium relevanter Werke [1] tiefe Kontemplation [2] angesagt, wobei man ohne Zuhilfenahme geeigneter praktischer Techniken (Yoga, Meditation, Schamanismus etc.) wohl kaum auskommen wird. Der Verfasser ist sich dessen bewusst, dass er auf diesem Wege noch nicht sehr weit vorangekommen ist. Er möchte daher seine nachstehenden Ausführungen lediglich als Anregung zum Mitdenken, zum Mit-Suchen, verstanden wissen.

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Körper, Seele und Geist in der alchemistischen Tradition

Nach der westlich-alchemistischen Tradition besteht alles, was existiert, aus den drei "wesentlichen Bestandteilen", "Essentialen", "philosophischen Prinzipien" oder "Substanzen":

Diese drei Substanzen [3] sind zwar voneinander verschieden, entstammen aber nach alchemistischer Tradition [4] einer gemeinsamen Quelle. Es ist hier nicht der Ort, näher auf Details des alchemistischen Weltbildes einzugehen. Festzuhalten bleibt für unsere Zwecke, dass in dieser Tradition "Geist" und "Bewusstsein" zwar derselben Quelle entstammen, aber verschiedene Dinge sind. Was genau aber "Geist" und "Bewusstsein" sein sollen, ist für den der Alchemie Fernstehenden nicht so ohne weiteres herauszufinden. Lediglich für die laborantische Alchemie ist klar, dass beispielsweise im Pflanzenreich das ätherische Öl die Trägersubstanz der "Seele" und der Alkohol die Trägersubstanz des "Geistes" ist. Deshalb spricht man ja etwa von Birnengeist!

Man mag sich vielleicht wundern. Haben wir nicht gelernt: Gott ist Geist? Sollte man dann nicht eher denken, dass die Quelle, der jene drei entstammen, "Geist" ist? Man sieht, hier besteht Klärungsbedarf.


Bewusstsein, Geist, Verstand in der Umgangssprache

Überprüfen wir anhand zweier verbreiteter Wörterbücher, des deutschen DUDEN [5] und auch - wegen der Notwendigkeit, das vielbenutzte Wort "mind" jeweils richtig interpretieren zu können - den englischen COLLINS [6], ob in der gehobenen Umgangssprache die Worte "Bewusstsein", "Geist" und "Verstand" in klar definiertem Sinne gebraucht werden, ihnen jeweils ein klar definierter Begriff entspricht!

Man mag sich in diesem Zusammenhang zweckmäßig an den - zur Vorsicht mahnenden! - Dialog zwischen Mephisto und dem fahrenden Studenten in Goethes FAUST erinnern:

  • Mephisto: Im ganzen - haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sichre Pforte zum Tempel der Gewissheit ein.
  • Student: Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein.
  • Mephisto: Schon gut! Nur muss man sich nicht allzu ängstlich quälen; denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten...

Im DUDEN lassen sich folgende, für unsere Zwecke einschlägige Definitionen entnehmen [7]:

  • Bewusstsein: Gesamtheit aller jener psychischen Vorgänge, durch die sich der Mensch der Außenwelt und seiner selbst bewusst wird.
  • Geist: Das denkende Bewusstsein des Menschen, Verstandeskraft, Verstand. Der Ausdruck "im Geist(e)" wird interpretiert mit "in Gedanken, in der Vorstellung". Außerdem wird noch die Bedeutung "geistige Wesenheit: Gott ist Geist" aufgeführt.
  • Verstand: Fähigkeit, zu verstehen, Begriffe zu bilden, Schlüsse zu ziehen, zu urteilen, zu denken.
  • Denken: Die menschliche Fähigkeit des Erkennens und Urteilens anwenden, mit dem Verstand arbeiten, überlegen, sich etwas vorstellen.
  • Psyche: Bewusstes und unbewusstes Erleben und Streben umfassendes Bewusstsein, Denken und Fühlen, Gemüt, Seele.
  • Seele: 1. Das, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht, Psyche. 2. Substanz-, körperloser Teil des Menschen, der nach religiösem Glauben unsterblich ist, nach dem Tode weiterlebt.

Man sieht: diese Definitionen sind alle zirkelhaft miteinander verwoben, von Durchblick ist keine Rede, der bedauernswerte DUDEN-Benutzer kann in diesem Definitions-Gewirr herumklettern wie der Affe im Lianengewirr eines Urwaldriesen, ohne je ans Licht - d.h. zu einem Begreifen dessen, was mit dem jeweiligen Wort konkret gemeint ist - zu gelangen. Ist es in der englischen Umgangssprache anders? Mitnichten! Mit dem COLLINS erleben wir das Gleiche. Um den Beitrag nicht ausufern zu lassen, soll hier nur (in freier Übersetzung) die COLLINS-Interpretation des Wortes "mind" wiedergegeben werden.

  • mind: Der Teil eines Individuums, der für das Denken, die Gefühle und die Sprache zuständig ist; Intelligenz oder der Intellekt; das Erinnern, das Gedächtnis; kreatives Denken, Vorstellungskraft; und schließlich auch noch: Intelligenz, im Gegensatz zu materiellen Dingen, wobei als Beispiel gegeben wird "the mind of the universe" (am besten vielleicht übersetzt mit "der kosmische Geist").

Da die meisten den Westen erreichenden Werke zur indischen Tradition in Englisch geschrieben sind und in diesen Büchern das Wort "mind" sehr oft vorkommt, ist es selbstredend von größter Wichtigkeit, dass dieses Wort jeweils richtig ins Deutsche übersetzt wird. Aber wer kann das? Wer soll beurteilen, in welchem Sinn das Wort "mind" gerade gebraucht wird? Wer ist kompetent genug dafür? Wie wir der obigen COLLINS-Definition oder -Interpretation entnehmen, kann alles mögliche damit gemeint sein.

Bei einem überaus kompetenten Kenner der alchemistischen Tradition [8] finden wir beispielsweise "soul" (Seele) interpretiert als "consciousness or mind" (consciousness = Bewusstsein). Demnach wäre den obigen COLLINS-Definitionen noch "Bewusstsein" hinzuzufügen, und "the mind of the universe" wäre dann auch mit "Weltseele" oder "kosmisches Bewusstsein" übersetzbar.


"Mind", Bewusstsein und der "innere Beobachter" in der indischen Tradition

Oder doch nicht? Mata Amritanandamayi [9], eine nach Überzeugung des Verfassers über jeden Zweifel erhabene zeitgenössische indische Quelle, macht zu dem Problem-Komplex "mind"/Bewusstsein/"innerer Beobachter" [10] höchst beachtenswerte Aussagen, die hier auszugsweise und in freier Übersetzung - als kleiner Vorgriff auf die Behandlung der indischen Tradition - wiedergegeben sein sollen.

Auf die Frage, ob der "innere Beobachter" (sakshi bhava, "witness consciousness") eine Funktion des "mind" oder eine Erfahrung jenseits des "mind" sei:

  • "Nein, es ist keine Funktion des »mind«. Sakshi bhava ist ein Zustand ... ohne Interferenz durch den »mind« und seine Gedanken. ... Der »mind« besteht aus Gedanken. In sakshi bhava ... erlebt man sogar seine eigenen Gedanken als Zeuge. Während man den eigenen Gedankenprozess beobachtet, denkt man nicht. ... Das Denken gehört zum »mind«, wohingegen das Beobachten (Zeuge sein) zum höheren Selbst gehört. Das Beobachten (Zeuge sein) ist ein Zustand, wo man sich im reinen Bewusstsein befindet. Der »mind« und seine Gedanken sind nicht real. Sie sind eine Fiktion unserer eigenen Schöpfung. Allein Bewusstsein ist real. ... Im Zustand des Beobachters beobachtet man einfach mit perfekter Aufmerksamkeit, ... man ist absolut bewusst. Auf der anderen Seite, solange man sich mit seinem »mind« und seinen Gedanken identifiziert, ist man nicht bewusst - man ist weit weg von Reinem Bewusstsein. ... Im Zustand des Beobachters existiert kein Denken, d.h. dass man sich mit keinerlei Gedanken identifiziert, allein Bewusstsein da ist. ... Das Selbst tut nichts als beobachten."


Die Gehirn-Theorie des Bewusstseins

Es scheint also, als müssten wir über die Sache mit dem Bewusstsein noch länger und tiefer nachdenken. Zuvor sollten wir allerdings eine üble "Zeitungsente" dem Papierkorb überantworten, die durch eine unheilige Ehe von materialistischer Ideologie und neo-scholastischer Wissenschaft ins Dasein gerufen wurde. Im schul-naturwissenschaftlichen Weltbild [11] handelt es sich nämlich bei "Bewusstsein" um eine - letztlich aber doch wieder rätselhafte - Manifestation rein materieller, chemisch-physikalischer Vorgänge in unserem Gehirn. Von dieser Seite wird das Gehirn auch gerne mit einem Computer oder Informationsverarbeitungssystem verglichen: "Und das wäre es dann auch schon". Die Tatsache, dass man noch niemals Anzeichen eines Bewusstseins bei einem Computer entdeckt hat, scheint nicht zu stören.

Ein überaus kompetenter Kenner der Materie (Medizin, Psychologie), Medard Boss, hat eine meisterhafte Widerlegung dieser "Gehirntheorie des Bewusstseins" [12] geschrieben, die man kennen sollte. Er demonstriert überzeugend die "Windigkeit" dieses aus Ideologie und Spekulationen zusammengeschusterten Denkgebäudes und schreibt: "Es ist offenkundig, dass die Ableitung des Bewusstseins aus Informations-Verarbeitung den vorliegenden Sachverhalt im vorhinein auf den Kopf stellt. Alle Informationsverarbeitung nämlich setzt ein Bewusstsein, das heißt ein Vernommen-haben von Bedeutsamkeiten eines Begegnenden immer schon voraus".

In der Tat muss wohl dem Problem des Gedächtnisses eine ausschlaggebende Wichtigkeit in allen unseren diesbezüglichen Überlegungen zukommen. Wo ist der Sitz unseres Gedächtnisses? Nur im materiellem Gehirn? Oder in unserem Energiekörper, der Aura? Ist dieser Energiekörper vielleicht überhaupt der Sitz unseres Bewusstseins? Das Gehirn wäre dann vielleicht nur ein computerverwandtes Interface zwischen Körper und Energiekörper. Wie kommt es, dass wir von unzählbar vielen Arten von Objekten - und jede Art in unendlich unterschiedlichsten Varianten vertreten! - doch alle korrekt erkennen können? Fragen über Fragen, die von der westlichen schul-naturwissenschaftlichen Schul-Medizin und Schul-Psychologie alle nicht überzeugend beantwortet werden können.


Die indischen Vorstellungen zu Bewusstsein, Geist, Seele, Verstand, Gedächtnis

Nachdem wir im Westen nichts Überzeugendes und Kohärentes finden konnten, wollen wir uns versuchsweise dem Osten, der indo-tibetischen Tradition, zuwenden. Hier dürften wir - oben gab es bereits eine Kostprobe! - wohl eher fündig werden. Allerdings nur, wenn wir zuvor unsere westlich-überhebliche Ego-Aufgeblähtheit abgelegt haben.

Nach Überzeugung des Verfassers handelt es sich bei der indischen (indotibetischen) Tradition um ein - Philosophie, Naturwissenschaft, Psychologie, Religion und mystische Praktiken umfassendes - System, das allen anderen Systemen, die auf unserem Planeten bisher gefunden wurden, haushoch überlegen ist. Was kein großes Wunder ist, da die indische Kultur schon seit mehreren Jahrtausenden besteht und die Menschen dort sich über diesen langen Zeitraum intensiver als alle anderen Völker - theoretisch und praktisch - mit dergleichen beschäftigt haben. Zweifellos wird aber für ein Studium des vielschichtigen Bewusstseins-Problems auch die schamanische Tradition [13] berücksichtigt werden müssen!

Wenn hier von der "indischen Tradition" oder den "indischen Vorstellungen" zu diesem oder jenem gesprochen wird, so könnte dies beim Kenner der Materie den Verdacht aufkommen lassen, der Verfasser beabsichtige gewissermaßen geistige Hochstapelei, da ja unter dem weiten Mantel der "Religion Indiens" eine große Vielzahl von hinduistischen, buddhistischen etc. Strömungen existiert, deren theoretischen Systeme keineswegs immer in allen Details übereinstimmen. Der Verfasser ist sich dieser Tatsache wohl bewusst. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, soll hier nur - für die Zwecke des vorliegenden Beitrages zunächst völlig ausreichend - auf Arbeiten von zwei Autoren, von denen deutsche Übersetzungen [14] leicht zugänglich sind, zurückgegriffen werden: "Arthur Avalon" (= Sir John Woodroffe) [15] und Swami Narayanananda [16]. Wer sich tiefer mit der indischen Tradition beschäftigen möchte, sei auf die theoretische und praktische (Yoga) Spezial-Literatur verwiesen, die außerordentlich umfangreich ist [17].

Unseren Quellen zufolge sind "Spirit" ("Geist"), "mind" und Materie letztendlich eins, wobei "mind and matter" den Zwillingsaspekt der allem zugrundeliegenden "Substanz" - des Brahman und seiner schöpferischen Kraft, der Shakti - darstellen. Hinzugefügt muss allerdings gleich werden, dass - in mahayana-buddhistischer Terminologie ausgedrückt - erst durch die Erlangung des "Erleuchtungsgeistes" (Bodhichitta) Einsicht in die wahre Natur der Phänomene (Sunyata, die letzte formlose Wirklichkeit) gewonnen werden kann. Das Universum der Erscheinungen entsteht gemäß nachstehender Skizze. (Abb. 2)

Die letzte Wirklichkeit - Brahman, "Gott", "Geist", Energie etc. - ist allgegenwärtig, ewig, unendlich, unveränderlich, ohne Form, ohne "mind" (der bereits subtile Materie ist), jenseits von Zeit, Raum und Kausalität.

"Gott" und seine schöpferische Kraft (Shakti, die Göttliche Mutter, Prakriti-Shakti, Shabdabrahman, Kundalini-Shakti etc.) sind untrennbar und letztlich eins. Beide sind Bewusstsein, Brahman im ruhenden, die Shakti im dynamischen Aspekt. Die Shakti wiederum hat einen projizierenden und einen "sich-verschleiernden" Aspekt. Sie "verschleiert sich" und projiziert das Universum, projiziert ständig Namen und Formen. Die Shakti bringt "mind and matter" hervor, d.h. die Materie ist ebenfalls eine Erscheinungsform von Bewusstsein.

In der Prakriti-Shakti, der schöpferischen Naturkraft, sind die drei "Gunas" allgegenwärtig: Rajas (Aktivität), Tamas (Beharren) und Sattva (die wirkliche Natur von "Spirit" enthüllend). Je mehr Sattva-Guna überwiegt, desto mehr nähert sich ein Ding oder Wesen "Reinen Bewusstsein".

Die (Prakriti-) Shakti mit Sattva-Guna vorherrschend heißt Maya-Shakti, und das höchste Wesen, reflektiert in Maya-Shakti, ist Ishwara, der Herr [18]. Die Prakriti mit Rajas- und Tamas-Guna vorherrschend heißt Avidya [19] -Shakti, und das höchste Wesen, reflektiert in Avidya-Shakti, ist der "Jiva" (die individuelle Seele). Wobei jede Seele drei Körper besitzt: den Kausalkörper sowie den feinstofflichen und den grobstofflichen Körper. Also wohlgemerkt, nicht wie hierzulande: der körperliche Mensch hat eine Seele, sondern: die Seele, der "Jiva", besitzt drei Körper!

Die Prakriti-Shakti differenziert sich in die subtilen Elemente und weiter in die grobstofflichen Elemente: Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Unnötig hinzuzufügen, dass diese "Elemente", wie die der Alchemie, nichts mit dem Element-Begriff des periodischen Systems der modernen Chemie zu tun haben. Alle diese Elemente bestehen aus den drei Gunas, und alle manifestierten Dinge bestehen aus diesen fünf Elementen und den drei Gunas.

Der Jiva, die individuelle Seele oder das individuelle Selbst, ist der "Monarch" des Körpers. Sein Hauptwerkzeug ist der "mind", und die Werkzeuge des "mind" wiederum sind die fünf grobstofflichen und die fünf feinstofflichen "Sinne". Diese "Sinne" sind nicht die körperlichen Augen, Ohren etc., sondern sie sind die Fähigkeiten des Jiva, der mit ihrer Hilfe erkennen möchte. Der "mind" erkennt die Welt vermittels der "Sinne", und der Jiva erkennt die Welt durch den "mind".

Die unterschiedlichen Funktionen des "mind" sind vor allem: Intellekt, Ego, Wille und der "Gedächtnis-Speicher" (Chitta, "mind-stuff").

Das dynamische Zentrum der Körper-Energien und der Sitz von Chitta, d.h. der Speicher aller vergangenen Erfahrungen und Erinnerungen, auch von früheren Inkarnationen, ist das Muladhara-Chakra, das unterste Körperzentrum. Dort sind auch die Informationen in kausaler Form gespeichert, die es uns erlauben, die Objekte der materiellen Welt zu identifizieren. Die Kundalini-Shakti selbst ist Chitta.

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Der Jivatman [20], das individuelle Selbst, ist eine Widerspiegelung des höchsten Wesens. Er ist geschlechtslos, geburtlos, todlos. Er ist im Körper als der Beobachter ("wittness consciousness") präsent, mischt sich aber nicht in die "mind"-Funktionen ein, Leiden und Freuden existieren nur im "mind", der vom Jivatman Leben und Licht erhält. Der Jivatman bleibt unberührt von Geburt und Tod und den vielfältigen "Kino"-Ereignissen des Lebens. Das "Denkorgan" [21] des Jiva ist - so sonderbar sich das für westliche Ohren anhört - an sich nicht bewusst, sondern spiegelt das Bewusstsein (Chit) wieder und erscheint dadurch bewusst.

In der indischen Tradition ist also die Welt eine lebendige Manifestation der Quelle des Lebens, der Shakti. Alle Dinge bilden eine Einheit [22]. Überall existiert Leben. Unsere schul-naturwissenschaftlichen Spekulationen über "den Ursprung des Lebens" sind in dieser Form unsinnig, weil verfälscht durch die Annahme, dass irgendetwas ohne Leben sein könnte. Bewusstsein (Chit-Shakti) existiert in der ganzen Hierarchie des Seins und ist tatsächlich Sein. Alles lebt, alles ist Bewusstsein!


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde erstmals veröffentlicht in EFODON-SYNESIS Nr. 15/1996; bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dr. Horst Friedrich Archiv in einer redaktionell bearbeiteten Fassung nach: http://www.efodon.de/html/archiv/sonstiges/friedrich/bewusstsein.html

  1. Nach Franz Hartmann (PARACELSUS ALS MYSTIKER, München 1963) ist bei dergleichen Werken jahrelanges (!) Studium und wiederholtes Lesen derselben zu ihrem Verständnis unerlässlich.
  2. Anmerkung d. Verf.: Nach dem DUDEN: konzentriertes Nachdenken, geistiges Sichversenken, innere Sammlung und religiöse Betrachtung.
  3. Anmerkung d. Verf.: Nach Hartmann (op.cit.) sollen die drei "wesentlichen Bestandteile" der abendländischen Alchemie den drei Gunas der indischen Tradition entsprechen: Rajas (Aktivität), Tamas (Beharren) und Sattva (die wirkliche Natur des Bewusstseins enthüllend, "raising of vibrations" bewirkend).
  4. Anmerkung d. Verf.: Näheres hierzu etwa in: Horst Friedrich, "Alchemie: was ist das?", EFODON-Edition MESON, Hohenpeißenberg 1996.
  5. Siehe: DUDEN Deutsches Universal-Wörterbuch, 2. Auflage, Mannheim/Wien/Zürich 1989.
  6. Siehe: COLLINS Dictionary of the English Language, London/Glasgow 1985.
  7. Anmerkung d. Verf.: Zusätzliche Definitionen im DUDEN, die mit unserem Zweck nicht direkt zu tun haben, sind weggelassen.
  8. Siehe: "Frater Albertus" (= Albert Richard Riedel), "The Alchemist of the Rocky Mountains", Salt Lake City 1976, S. 36.
  9. Siehe: Swami Amritaswarupananda (Hrsg.), "Awaken Children! Dialogues with Sri Sri Mata Amritanandamayi", Vol. VII, San Ramon/Kalifornien, 1995, S. 17-44.
  10. Anmerkung d. Verf.: "Witness consciousness", wörtlich übersetzt "Zeugen-Bewusstsein" (von "witness" = der Zeuge, der etwas beobachtet).
  11. Siehe hierzu etwa: Horst Friedrich, "Und wieder erhebt die Scholastik ihr Haupt!", in: EFODON SYNESIS Nr.11/l995 (Rezension des Bestsellers von Murray Gell-Mann: Das Quark und der Jaguar, München 1994).
  12. Siehe: Medard Boss, Grundriß der Medizin und der Psychologie, Bern/Stuttgart/Wien 1975, S. 103-113.
  13. Siehe hierzu etwa: Paul Uccusic, "Der Schamane in uns", Genf 1991; Michael Harner, "Der Weg des Schamanen, Genf/München 1994; Norbert Claßen, "Das Wissen der Tolteken", Frankfurt a. Main 1994.
  14. Anmerkung d. Verf.: Wer des Englischen mächtig ist, sollte die englisch geschriebenen Originalwerke benutzen. Bei den Übersetzungen ins Deutsche ergibt sich das bereits oben angesprochene Problem, wie wichtige Begriffe übersetzt werden sollen. Ganz besonders gilt dies für das Wort "mind". Aber auch englische Worte, die mit dem Kraft-Energie-Aspekt des Universums zu tun haben ("power", "force", "energy"), wird man häufig problematisch übersetzt finden.
  15. Siehe: Shakti und Shakta, Weilheim 1987 (hier besonders Kap. l4 "Chit-Shakti, Der Bewußtseinsaspekt des Weltalls" und Kap. 15 "Maya-Shakti, der psychophysische Aspekt des Weltalls", S. 167-215); The Serpent Power, Madras 1972 (deutsch: Die Schlangenkraft, Bern/München/Wien 1982); Die Girlande der Buchstaben, Weilheim o.J. (ca. 1987).
  16. Siehe: Swami Narayanananda, "The Mysteries of Man, Mind and Mind-Functions", Rishikesh 1965 (deutsch: Das Mysterium von Mensch, Geist und Geistesfunktionen, Efringen-Kirchen 1984); The Primal Power in Man or the Kundalini Shakti, Rishikesh 1970 (deutsch: "Die Urkraft in Menschen oder die Kundalini Shakti", Blansingen 1981).
  17. Anmerkung d. Verf.: Ein umfangreiches Literaturverzeichnis findet sich in: "Lexikon der östlichen Weisheitslehren - Buddhismus, Hinduismus, Taoismus, Zen", Bern/München/Wien 1994
  18. Anmerkung d. Verf.: Persönlich gedachter Gott als Weltschöpfer, das unergründliche Brahman in Verbindung mit dem Universum der Erscheinungen und als Objekt unserer Anbetung und Verehrung.
  19. Anmerkung d. Verf.: Verblendung, die zwischen Wirklichem und Unwirklichem nicht zu unterscheiden vermag.
  20. Anmerkung d. Verf.: Der Atman ist das göttliche Selbst im Menschen, der unbeteiligte Beobachter des Jiva, jenseits von Körper und "mind", und als absolutes Bewusstsein identisch mit Brahman, dem höchsten Wesen. Der Jivatman benutzt den Körper als Instrument der Erfahrung, ist sich aber bewusst, dass er in Wirklichkeit der Atman ist.
  21. Es wird weiterhelfen, Näheres hierzu nachzulesen bei Avalon (op.cit. 1972, S. 65-66) und im LEXIKON DER ÖSTLICHEN WEISHEITSLEHREN unter "Antahkarana", "Manas", "Chitta", "Buddhi" und "Ahamkara". Ein richtiges Verständnis des feinstofflichen oder Mental-Körpers und der indischen Theorie der Sinneswahrnehmungen - zunächst geradezu schockierend für den "Westler" - ist von höchstem Wert!
  22. Siehe hierzu etwa die große New-Age-Forscherin Almut Kowalski (Raum im Herzen, in: Ab 40, Nr. 1/1991): Das Weltbild geschlossener, begrenzter Systeme ist von Menschen gemacht. Im Universum gibt es keine geschlossenen Systeme.