Biographische Atlantida-Exegese

Platon - 'Märchenerzähler' oder 'Historiker'?

Abb. 1 Denjenigen, die sich mit der Erforschung des Atlantis-Problems und dem Studium der platonischen 'Atlantida' befassen, hat der Philosoph einen hochkomplexen und faszinierenden Forschungs-Gegenstand hinterlassen. Inwiefern kann die BIOGRAPHISCHE, autorenorientierte AE zur Lösung des Atlantis-Rätsels beitragen?

(bb) Bei der 'Biographischen Atlantida-Exegese' stehen Leben und Werk von Platon (vermutlich 247 bis 346 vor der Zeitenwende), seine Philosophie, seine Praxis als Autor, sowie seine Lebenssituation zur Zeit der Abfassung seiner in Teilen erd- und menschheits-geschichtlichen Abhandlungen (Nomoi, Timaios und Kritias) im Zentrum der Überlegungen. Sie ist als autorenzentrierter Untersuchungs-Ansatz darauf angelegt, alle für die Entstehung der Atlantida relevanten Hintergrund-Informationen in eine exegetische Untersuchung einzubeziehen, um daraus Rückschlüsse auf den literarischen Charakter dieses Werkes ziehen, oder formale und inhaltliche Aspekte des Atlantisberichts folgerichtig erfassen zu können.

Das Hauptproblem, mit dem wir dabei konfrontiert werden, bringt der Physiker und Atlantisforscher Prof. Dr. Axel Hausmann folgendermaßen auf den Punkt: "Obgleich Platon (Abb. 1) [...] zu den bedeutendsten und einflussreichsten Philosophen der klassischen Epoche in Griechenland gezählt wird, weiß man nicht allzuviel über seinen Lebenslauf." [1] Einige der wesentlichen Fakten fasst er wie folgt zusammen: "Die antiken Schriftsteller Plutarch (Abb. 2), Laërtius und Diodor (Diodorus Siculus) liefern immerhin Hinweise darauf, dass Platon ein Sohn einer wohlhabenden Aristokratenfamilie aus Athen war. [2] Er begann schon als junger Mann Tragödien zu schreiben und fand sich bald im Umkreis des berühmten Philosophen Sokrates wieder. [3] Als Sokrates -399 wegen angeblicher Gottlosigkeit in Athen zum Tode verurteilt wurde und den Schierlingsbecher leeren musste, kehrte Platon seiner Heimatstadt Athen erstmals den Rücken.

Nach einem Zwischenaufenthalt im benachbarten Ort Megara begab er sich für einige Zeit in die griechische Stadt Syrakus an der Südostküste der Insel Sizilien. [4] Von dort in seine Heimatstadt zurückgekehrt gründete er im Jahr -386 in Athen die Platonische Akademie, wo er bis -367 Philosophie lehrte. Eine Einladung des Tyrannen Dionysos II. von Syrakus, bei Hofe als Berater tätig zu werden, führte Platon erneut nach Sizilien. Dieser Aufenthalt endete jedoch genauso enttäuschend wie seine dritte Reise im Jahr -361. Diodor berichtet gar, der Philosoph sei damals in die Sklaverei verkauft worden. Am Ende eines umfangreichen Werkes entstanden als letzte Dialoge [5] des fast Achtzigjährigen die zwei Bücher 'Timaois' und 'Kritias', in denen die Atlantislegende aufgezeichnet ist." [6]

Lyon Sprague de Camp liefert uns ein paar weitere, freilich subjektiv eingefärbte, Details: "Das was [Aristoteles über Platon] schrieb, deutet darauf hin (für mich wenigstens), daß es sich bei ihm um eine redselige, voreingenommene, schulmeisterliche Persönlichkeit handelte - einfallsreich und asketisch, voller Charme, mystischer Intuition und einem ungestümen Enthusiasmus für weltreformerische Visionen. Doch ob er wirklich so war, dessen können wir nicht sicher sein. Wie bei vielen Griechen der Klassik waren seine Zuneigungen hauptsächlich homosexueller Natur, obgleich er neben seinen männlichen Geliebten auch eine weibliche besessen und einen Sohn hinterlassen haben soll." [7]

Trotz dieses Mangels an gesicherten Informationen kann die Biographische Exegese Ansatzpunkte zur Beantwortung der Frage liefern, mit was für einer Art literarischem Produkt wir es bei der Atlantida zu tun haben, und ob es sich bei den darin enthaltenen Informationen – tendentiell - um 'Fakten' oder Fiktion handelt (vergl. Verifizierende Exegese). Zugespitzt stellt sich das Problem dabei folgendermaßen dar: Hat der Athener Philosoph sich den Atlantisbericht ausgedacht und 'erfunden' ("Fiktionalitäts-These"), oder hat er uns damit einen zuverlässigen und präzisen Historienbericht hinterlassen? Tatsächlich existieren zwei fundamentalistisch argumentierende Lager, deren Anhänger vehement darauf beharren, sie seien in den Besitz einer 'absoluten' Wahrheit gelangt.

Abb. 2 Der hellenische Autor Plutarch aus Chäronea lebte um 50. n. Chr. Ihm verdanken wir einige der wenigen Informationen zu Platons Leben.

Beginnen wir mit dem Modell der prinzipiellen Akzeptanz, dem GLAUBEN daran, dass ALLES, was Platon uns in Sachen 'Urgeschichte' und 'Atlantis' vorstellt, wortwörtlich und in toto nichts als die 'reine Wahrheit' sei. Der esoterische Atlantis-Autor Prof. Heinz Kaminski (1921-2002) hat beispielhaft vorgeführt, wohin eine blinde Verklärung Platons führen kann. So schrieb er u.a., "daß Platon, ein Schüler des Sokrates, der Wahrhaftigkeit aus seinem tiefsten Innern heraus verpflichtet war und somit die Dialoge >Timaios und Kritias< mit ihren Aussagen über Atlantis kein willkürliches Phantasieprodukt, sondern das Produkt eigener Erfahrungen und geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse ist, die Platon in diesem Zusammenhang erfahren, geprüft und dann erst niedergeschrieben hat." [8]

Selbst pseudo-biographische Elemente müssen bei Kaminski dazu herhalten, Platon zum unfehlbaren Chronisten hochzustilisieren: "Nach dem Tode Sokrates bereiste Platon Kleinasien und Ägypten. In Ägypten schritt er durch die Schulung der Isis-Priester und des Isis-Mysteriums. Platon erreichte hier den dritten Grad der Einweihung. Dieser dritte Einweihungsgrad vermittelte ihm vollkommene geistige Klarheit, verbunden mit der Herrschaft des Geistes über die Seele und den Körper." [9] Auch andere Atlantisten, wie Dimitri S. Merezhkovski (anders: Mereschkowski) betrachteten es mit einiger Naivität schlicht als inakzeptabel, "jemand von Platons Aufrichtigkeit hätte in einer so wichtigen Sache wie Atlantis gelogen." [10]

Auch wenn sie sich, wie etwa bei Kaminski, betont seriös gibt, bedarf es keiner bedeutenden Anstrengung, den unwissenschaftlichen Charakter solcher Platon-Betrachtungen zweifelsfrei aufzuzeigen (siehe dazu: Die "ganzheitliche Atlantisforschung" des Prof. Heinz Kaminski). Sie in diesem Sinne 'selbsterläuternd' und ohne weiteres als Produkt eine Glaubens-Systems zu identifizieren. Somit können wir sie typologisch in den Bereich des Atlantismus einordnen und aus atlantologischer Sicht als unhaltbar und widerlegbar zurückweisen. Komplizierter gestaltet sich dagegen die Auseinandersetzung mit den Verfechtern der Antithese zur gerade skizzierten 'Platon-Gläubigkeit' von Kaminski et al.

Abb. 3 Wie vertrauenswürdig sind Platons Aussagen zur Zivilisations-Geschichte? Selbst sein von ihm verehrter Lehrer Sokrates (ca. 469 - 399 v. Chr.; Bild) soll sich nach einem Vortrag des Dialogs 'Lysis' durch Platon unzufrieden über die darin enthaltenen Übertreibungen geäußert haben.

Wir meinen damit die Annahme, dass GRUNDSÄTZLICH ALLES ZU VERWERFEN sei, was Platon über die Vergangenheit schrieb, und dass es sich bei 'Atlantis' um eine Erfindung gehandelt habe. So spricht etwa der Atlantologie-Kritiker Burchard Brentjes (1993) von der "karge[n] Wahrheit, dass jenes Inselreich nur eine literarisch-kritische Figuration Platons war." [11] Diese Auffassung basiert, wie der sowjetische Atlantologe Dr. Nikolai Zhirov 1970 schrieb, auf den "Ansichten der Linguisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Martin, Rhode [12], Rivaud [13], Susemihl, Taylor [14] und andere), welche die Möglichkeit vollständig zurückweisen, dass in der Atlantis-Legende irgendetwas Wahres stecken könne." [15]

"Diese Gelehrten kamen", wie es bei Zhirov weiter heißt, "zum Schluss, dass er alles andere als vertrauenswürdig sei, und dass seine Dialoge voll von Pseudomythen stecken, die er sich selbst ausgedacht habe. Als Beispiele dafür werden die Schlüsse der Dialoge 'Politeia', 'Phaedros' usw. genannt." Diese Skepsis reicht übrigens, wie Zhirov anfügt, bis zurück in Platons Lebzeiten: "Als er den 'Lysis', einen seiner ersten Dialoge, vor Publikum vortrug, drückte Sokrates (Abb. 3), der dabei anwesend war, seine Unzufriedenheit mit den Übertreibungen aus. In ähnlicher Weise war auch der Sophist Gorgias von Platons Talent für Fehlinterpretationen der Worte und Ideen anderer verblüfft. Es ist wohlbekannt, dass er die Realität sogar in seinem Dialog 'Sokrates', der seinem Lehrer gewidmet war, übertrieb und verzerrte." [16]

Zhirov hält dem entgegen: "Wir sind der Auffassung, dass es, auch wenn die meisten der oben aufgeführten Bewertungen zu Platons Persönlichkeit gerechtfertigt sind, keine Gründe dafür gibt, ihn als vollständigen Lügner und Märchenerzähler [orig.: "spinner of yarns"; bb] anzusehen. Im Timaios appelliert er an sein Publikum (nicht in seinem eigenen Namen!), seine Geschichte über Atlantis zu glauben. [...] In keinem anderen Dialog versichert Platon seinen Zuhörern so beharrlich die Wahrheit seiner Erzählung. Offensichtlich muss es dafür einen Grund gegeben haben." Diesen Grund sieht Zhirov vor allem darin, dass Platon "von den Vorurteilen seiner Zeitgenossen bezüglich einiger seiner Geschichten wusste. Um seiner Erzählung mehr Gewicht zu verleihen, verbindet er [schließlich auch] die Atlantis-Legende mit Solons Namen." [17]

Wäre der Atlantisbericht tatsächlich fiktionaler Natur - und damit frei erfunden -, dann hätte Platon also nicht nur "den Namen des Kritias missbraucht, seines Verwandten und Freundes, dem dieser berühmte Dialog in den Mund gelegt ist. Darüber hinaus hätte er auch den Namen des Solon missbraucht, des >weisesten der sieben Weisen und Stolz Griechenlands" [18], und sogar - was bei einem religiösen Menschen wie ihm besonders verwerflich erscheinen müsste - auch den der Göttin Mnemnosyne, auf die sich die Figur des Kritias im gleichnamigen Dialog beruft (siehe dazu auch: Aristoteles - 'Kronzeuge' gegen Atlantis?).

Dies bringt Verneiner einer Historizität der Atlantida freilich nicht von ihrer Meinung ab. Eine biographisch-exegetische Begründung für diese Position formulierte 1961 beispielhaft Zhirovs Landsmann, der Atlantologie-Kitiker Y. V. Knorozov: "Platon war niemals ein Historiker und versuchte keinesfalls, irgendwelche Überlieferungen aufzuzeichnen. Als Philosoph war er äußerst interessiert daran, ein staatliches System zu ersinnen, das den [sozialen] Wohlstand sicherstellen und mächtig genug sein sollte, um Feinden zu widerstehen. Seine Neigung zu diesem Problem lässt sich verstehen, wenn wir die Niederlage in Betracht ziehen, welche die Athener im Peloponnesischen Krieg erlitten, während welchem die Regierung in Athen mehrfach wechselte." [19]

Zur Untermauerung dieser These haben konnventionelle Wissenschaftler (Altphilologen u. Historiker) eine literaturgeschichtliche These entwickelt, der sich auch Knorozov bei seiner Argumentation bedient: "Zur Verbreitung seiner philosophischen Ideen entwickelte Platon ein literarisches Genre in Form von Dialogen zwischen mehreren Personen, welche diesen Ansichten Ausdruck verliehen ... Diese Dialoge sind keine Aufzeichnungen tatsächlicher Konversationen, sondern Werke literarischer Natur. [...] Dies ist natürlich eine rein literarische Methode, die von Platon geschickt verwendet wurde, um seine Ideen überzeugender klingen zu lassen." [20]

Tatsächlich wird niemand ernstlich bestreiten, dass die Rahmenhandlung des 'Timaios' und 'Kritias' fiktionaler Natur war, oder in Abrede stellen, was etwa William H. Babcock 1922 über Platons Werk schrieb: "Seine bevorzugte Darstellungsweise bestand in der Wiedergabe vermeintlicher Dialoge zwischen Sokrates und verschiedenen Personen - Dialoge, an die sich in ihrer Gesamtheit niemand genau hätte erinnern können. Man hat erkannt, dass er im Arrangement, den Charakteren und Äußerungen Erfindungen verwendet hat, um ebenso seine eigenen Theorien und Konzepte zu transportieren wie diejenigen seines bewunderten Lehrers und Führers, so dass es häufig unmöglich erscheint, zu sagen, ob wir bestimmte Betrachtungen oder Stellungnahmen in erster Linie Platon oder Sokrates zuschreiben sollen." [21]

Daraus jedoch ableiten zu wollen, es handele sich auch bei der 'Atlantis-Überlieferung' um eine Erfindung Platons erscheint mehr als spekulativ, und so formulierte auch Babcock eher vorsichtig: "Besessen von seinen Betrachtungen k ö n n t e [Hervorh. durch uns; d. Red.] er auch ein, weitgehend selbst erdachtes, eingebildetes Bild eines entwickelten Systems sozialer und politischer Organisation als lehrreiches Beispiel präsentiert haben. Dies hat er [auch] in seiner '[ Republik]' getan und er plante anscheinend ein teilweise paralleles Werk dieser Art mit der Trilogie, von welcher der 'Timaios' und der fragmentarische 'Kritias' den ersten und den unvollendeten zweiten Teil darstellen." [22]


Die Atlantida als 'Unvollendete'

Abb. 4 Die Atlantida als 'Unvollendete'? Es spricht einiges dafür, dass der Dialog 'Timaios' und der unbeendete 'Kritias' Teile einer von Planton geplanten Trilogie darstellen, die nie fertig gestellt wurde. Kann die 'biographische AE' den Gründen dafür auf die Spur kommen?

Halten wir dazu zunächst fest, dass Babcock hier einen wesentlichen Punkt anspricht, nämlich die begründete Annahme, dass es sich bei den Dialogen Timaios und Kritias lediglich um das Fragment einer umfangreicher geplanten Arbeit zu handeln scheint. Auch diese Feststellung wurde in der Vergangenheit als Argument für die 'Fiktivitäts-These' herangezogen. So zitiert Babcock den Autor Lewis Campbell [23], der dazu in der Encyclopaedia Britannica schrieb: "Was dem Timaios folgen sollte, doch nur in dem Fragment des Kritias angefangen ist, wäre die Geschichte, nicht des Falls, sondern des Triumphs der Vernunft der Menschheit gewesen. ... Nicht nur der Timaios, sondern die unvollendete Gesamtheit, aus welcher die Einleitung gebildet ist, ist vermutlich eine imaginative Schöpfung. Daher dürfte die Legende vom prähistorischen Athen und von Atlantis [...] nichts anderes als eine Prosa-Dichtung, eine >mythologische Lüge< gewesen sein, komponiert im Geiste der >Republik<, und in Form einer fiktionalen Erzählung." [24]

Dies ist allerdings einmal mehr eine Feststellung, die auf einer höchst oberflächlichen bzw. einseitigen Betrachtung von Platons Spätwerk basiert und mit seinen Intentionen nur wenig zu tun hat. Auch wenn die schlagende Beweisführung ihrer Unsinnigkeit (siehe dazu: Verifizierende AE) nicht im Rahmen der Biographischen Atlantida-Exegese möglich ist, kann diese doch zu einem tiefer gehenden Verständnis des unvollendeten Atlantisberichts beitragen Dazu bemerkt der Chemiker und Atlantisforscher Prof. Dr. Helmut Tributsch: "In seinem bekannten Dialog 'Politeia' (Der Staat) hatte er seine Vorstellungen vom idealen Staat [...] zum Ausdruck gebracht.

Nun plante er eine Fortsetzung dieser Ideen, die er im Timaios niederschreiben wollte. Hier bot sich die Gelegenheit, das Thema Atlantis aufzugreifen. [...] Timaios sollte, zusammen mit den beiden darauffolgenden Kritias und Nomoi (Die Gesetze) eine Trilogie werden, ein dreiteiliges Werk. Leider wurde es nur bruchstückweise vollendet. Im Timaios sollte Platons Verwandter Timaios Ideen über die Entstehung der Welt und die Natur des Menschen vortragen. [...] Kritias sollte dann über den Krieg zwischen den Vorfahren der Griechen und Atlantis berichten. Hermokrates war als dritter Redner vorgesehen." [25]

Auch der Atlantologie-Kritiker Arn Strohmeyer äußert sich ähnlich zum 'trilogischen' Charakter der letzten Platon-Dialoge: "Platon hatte vor der Arbeit am 'Timaios' und 'Kritias' sein großes Werk 'Politeia' ('Der Staat') fertiggestellt und plante nun eine Trilogie, deren letzter Band 'Hermokrates' heißen sollte. Sie sollte die Geschichte des Universums, der Erde und der menschlichen Geschichte zum Inhalt haben. Im 'Timaios' beschreibt Platon den Stand der Naturwissenschaften aus pythagoräischer Sicht - Atlantis spielt hier nur auf wenigen Seiten eine untergeordnete Rolle. Das kurze Eingehen auf dieses Thema hat lediglich die Funktion, eine Brücke zwischen dem 'Staat' und dem 'Timaios' herzustellen." [26]

A. Hausmann bemerkt in diesem Zusammenhang: "Der Aufbbau der beiden Werke lässt vermuten, dass Platon sehr wahrscheinlich plante, in Gestalt einer Trilogie eine Geschichte der gesamten Menschheit mit besonderer Berücksichtigung seiner Heimatstadt Athen zu verfassen. Im ersten Teil, dem Buch 'Timaios', wollte der Philosoph offenbar die Entstehung des Kosmos als Sinnbild der Göttlichen Ordnung, im darauf folgenden Werk 'Kritias' die Frühzeit der Geschichte Athens und im nicht mehr ausgeführten Buch 'Hermokrates' wahrscheinlich die jüngste Geschichte seiner Heimatstadt darstellen Aus uns nicht genau bekannten Gründen vollendete er aber nicht einmal das zweite Buch der geplanten Trilogie." [27]

Abb. 5 Im Gegensatz zu Herodot (Bild) lagen Platons Interessen nicht vordringlich im Bereich der Geschichtsforschung. Nichts destotrotz stellen die Dialoge 'Timaios' und 'Kritias' insofern in Teilen 'historische' Abhandlungen dar, dass ihr Autor darin offenbar seine Interpretation alter Berichte zur fernsten Vergangenheit hinterlassen hat.

Es wird also mehr als deutlich: Auch wenn Platon in erster Linie Staatsphilosoph und im eigentlichen Sinne kein Historiker war - wie etwa Herodot (Abb. 5), der 'Vater' der hellenischen Geschichtsschreibung -, so erscheint es exegetisch völlig unsinnig, ihn darauf zu reduzieren, er habe lediglich "höhere Wahrheiten" (Sprague de Camp, 1970) verbreiten wollen. Schließlich weisen doch zumindest die vorhandenen Teile der unvollständig gebliebenen Hermokrates-Trilogie u.a. auch den Charakter eines Abrisses zur Ur- und Frühgeschichte der 'Alten Griechen' auf. Darüber hinaus wollte Platon mit dem Atlantisbericht zweifellos auch seine Vorstellungen zur Menschheits- und Zivilisations-Geschichte verewigen, die er bereits Jahre zuvor [28] in seinem Dialog 'Nomoi' angerissen hatte. [29]

In diesem Sinne stellt etwa der Alternativ-Historiker und Atlantologe Frank Joseph aus den USA fest, dass Platons Intention "darin bestand, Atlantis als historische Parabel zu verwenden, um die zyklische Natur der Zivilisation aufzuzeigen. Daher bestand er auch darauf, dass es sich bei Atlantis um einen realen Ort gehandelt habe. Er wollte demonstrieren, dass Gesellschaften Zyklen von Geburt, rechtschaffener Jugend und materieller Befriedigung in der Reife durchlaufen, deren Überfluss zum Niedergang führt und in der Vernichtung endet. Wäre Atlantis nur ein Märchen gewesen, so hätte seine Analogie nicht funktioniert. Mit anderen Worten, die Geschichte musste wahr sein, um seinen Anforderungen zu genügen." [30]

Ähnlich argumentiert auch A. Hausmann, der hervorhebt, dass die Atlantida als politisches Werk auch ein Plädoyer gegen expansionistische Großmacht-Bestrebungen darstellt: "Platon legt an mehreren Stellen ausdrücklichen Wert darauf zu betonen, dass die Geschichte von Atlantis wahr sei. Wir müssen ihm das glauben, da er ja die Absicht verfolgt, seiner Heimatstadt die unausweichlichen Konsequenzen einer Expansionspolitik deutlich vor Augen zu führen. Dieses Ziel hätte er aber gar nicht erreichen können, wenn das Exempel Atlantis nicht mehr als nur eine philosophische Hypothese gewesen wäre." [31]


Fortsetzung:

Biographische Atlantida-Exegese (II) - War Platon wirklich der Autor der Atlantida?


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Axel Hausmann, "Atlantis - Die versunkene Wiege der Kulturen", Aachen, 2000, S. 21
  2. Anmerkung: Der sowjetische Chemiker und Atlantisforscher Dr. Nikolai Zhirov lieferte dazu - leider ohne exakte Quellenangabe - eine bemerkenswerte Randnotiz: "Es ist interessant, dass Platon selbst seine Familie über Codrus, den letzten König von Athen, und den homerischen Helden Nestor bis zu Poseidon, dem Gott des Meeres, zurückverfolgt. Seine [d.h. Platons; bb] Mutter Periktione, war mit Solon verwandt, dem Athener Gesetzgeber, won welchem Platon, wie er sagt, von der Atlantislegende erfuhr." (Quelle: N. Zhirov, "Atlantis - Atlantology: Basic Problems", Honolulu / Hawaii, 2001 (Orig.: Moskau, 1959-1963, englischsprachige, neu überarbeitete Erstausgabe: Moskau, Jan. 1968, Zweitaufl. 1970), S. 53)
  3. Anmerkung: Nach Zhirov lernten sich Sokrates und Platon um 408. v.d.Z. kennen. (Quelle: ebd.)
  4. Anmerkung: Zhirov liefert uns die ergänzende Information, dass Platon nach seinem Aufenthalt in Megara zunächst die "Cyrenaika, Ägypten und Unteritalien" bereiste, "wo er die Philosophie des Pythagoras studierte", bevor er sich nach Sizilien wandte. "Strabon zufolge (XVII, 806), dauerte Platons Reise 13 Jahre" und führte ihn auch ins Pharaonenreich. "In Ägypten besuchte er den Sonnentempel zu Heliopolis. Doch nirgendwo in Platons Dialogen findet sich eine Erwähnung seiner Ägypten-Reise oder der Priester in Saïs. [...] Jedenfalls stimmen einige Autoren mit Proklos überein, dass Platon auch in Saïs war und persönlichen Kontakt mit einem Priester namens Pateneith stand." (Quelle: ebd.; Zhirov beruft sich dabei auf: Lyon Sprague de Camp, "Lost Continents - The Atlantis Theme in History, Science and Literature", New York, 1954, S. 10)
  5. Anmerkung: Bei Zhirov (op. cit., S. 55) heißt es dazu: "Nach Diogenes Laertius wurden Timaios und Kritias von Platon kurz vor seinem Tode verfasst. Zur selben Schlussfolgerung gelangt auch L[y]utoslavsky, der eine stilistische Analyse dieser Werke vorgenommen hat [siehe: W. Lutoslavsky, "The Origin and Growth of Plato´s Logic", London, 1877] Wie auch immer wird allgemein angenommen, dass 'Die Gesetze' der letzte Dialog Platons war. Wie A.E. Taylor (1929, S. 687) hervorhebt, weist dieser Dialog die Merkmale grammatikalischen Schliffs [orig.: "polishing"; bb] auf, während der Kritias den Eindruck vermittelt, dass er lediglich ein [beiseite gelegter und daher nie vollendeter; bb] Rohentwurf war. Doch L. Young bezweifelt dieses Argument und meint, der Kritias sei der letzte Dialog gewesen [siehe: L. Young, "Platonic Miscellany", in: Atlantean Research, 2, No. 3, 1949, S. 26-39]. Man nimmt an, Platon habe seine letzten Dialoge um das Jahr 355 v. Chr. geschrieben [siehe: Sprague de Camp, op. cit. (1954), S. 3]."
  6. Quelle: A. Hausmann, op. cit., S. 21
  7. Quelle: Lyon Sprague de Camp, "Versunkene Kontinente - Von Atlantis, Lemuria und anderen untergegangenen Zivilisationen", München, 1975 S. 221
  8. Quelle: Heinz Kaminski , "Atlantis - die Realität", bettendorf, 1997, S. 20
  9. Quelle: ebd.
  10. Quelle: L. Sprague de Camp, op. cit. (1970), S. 225
  11. Quelle: Burchard Brentjes, "Atlantis - Geschichte einer Utopie", Köln (Dumont), 1993, S. 135
  12. Siehe: E. Rhode, "Der griechische Roman und seine Vorläufer", 2. Aufl., Leipzig, 1900, S. 210-222
  13. Siehe: A. Rivaud, "Timée et Critias", bei: Belles-Lettres, Paris, 1925
  14. Siehe: A.E. Taylor, "The Timaeus and Critias", London, 1929
  15. Quelle: N. Zhirov, "Atlantis - Atlantology: Basic Problems", Honolulu / Hawaii, 2001 [Orig.: Moskau, 1959-1963, englischsprachige, neu überarbeitete Erstausgabe: Moskau, Jan. 1968, Zweitaufl. 1970], S. 54
  16. Quelle: ebd.
  17. Quelle: ebd.
  18. Quelle: ebd., S. 10
  19. Quelle: Y. V. Knorozov, "N. F. Zhirov. Atlantida", in: Sovietskaya etnografia, No. 4, 1961, S. 214; zitiert nach N. Zhirov, 1970, S. 54
  20. Quelle: ebd.
  21. Quelle: William H. Babcock, "Atlantis", Atlantisforschung.de (2009); ins Deutsche übersetzter Auszug aus: Babcock, William H.: "Legendary Islands of The Atlantic - A Stuy in Medieval Geography", American Geographical Society, 1922
  22. Quelle: ebd.
  23. Siehe: Lewis Campbell, "Plato", in: Encyclopaedia Britannica, 11. Edit., Vol. 21, S. 823
  24. Quelle: William H. Babcock, op. cit.
  25. Quelle: Helmut Tributsch, "Die gläsernen Türme von Atlantis - Erinnerungen an Megalith-Europa", Frankfurt am Main (Ullstein), 1986, S. 96-97
  26. Quelle: Arn Strohmeyer, "Atlantis ist nicht Troja - Über den Umgang mit einem Mythos", Bremen, 1997, S. 11
  27. Quelle: Axel Hausmann, "Atlantis - Die versunkene Wiege der Kulturen", Aachen, 2000, S. 21-22
  28. Anmerkung: Andere Gelehrte, wie etwa Prof. H. Tributsch (1986, 96-97), nehmen an, dass 'Nomoi' der letzte Dialog gewesen sei, den Platon verfasst habe. Diese Auffassung hält der Verfasser jedoch für unzutreffend. Gerade eine vergleichende Betrachtung der Aussagen zur Menschheits- und Zivilisations-Geschichte in diesen Dialogen zeigt, dass im Nomoi (Buch III u. IV) das Thema der zyklischen und katastrophisch terminierten Natur kultureller Entwicklung eher abstrakt angerissen wird, das im 'Timaios' und 'Kritias' ausführlicher - und anhand des konkreten Beispiels 'Atlantis' - abgehandelt wird. Es erscheint daher wahrscheinlich, das der 'Nomoi' früher als die beiden anderen Werke verfasst wurde.
  29. Anmerkung: Zu einer nonkonformistischen Betrachtung atlantologisch relevanter Passagen des Dialogs 'Nomoi' siehe: Nomoi (Die Gesetze), Atlantis und das verlorene Wissen der Alten von Bernhard Beier; sowie: Platons anderer Atlantis-Bericht - Die 'Gesetze' und das Dunkle Zeitalter von Frank Joseph
  30. Quelle: Frank Joseph, "The Destruction of Atlantis - Compelling Evidence of the Sudden Fall of the Lendary Civilisation", Bear & Company, Rochester, Vermonth, USA, 2002, S. 90
  31. Quelle: Axel Hausmann, "Atlantis - Die versunkene Wiege der Kulturen", Aachen, 2000, S. 24


Bild-Quellen

(1) http://usuarios.lycos.es/CULTURA_CLASICA/biografias/platon.jpg

(2) http://www.wissen.de/wde/generator/substanzen/bilder/sigmalink/p/pl/plu_/plutarch_1831241,property=inline.jpg

(3) http://doormann.tripod.com/sokrates_bw4.jpg

(4) Bildarchiv Atlantisforschung.de

(5) http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/da/AGMA_Hérodote.jpg/250px-AGMA_Hérodote.jpg