DIE ÄGYPTER - EIN „ALTES“ VOLK

Version vom 11. Juli 2009, 11:16 Uhr von RMH (Diskussion | Beiträge)
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von unserem Gastautor Reinhard Prahl

Abb. 1 Wie alt wurden die "alten Ägypter" eigentlich? Und wie weit reicht ihre Kultur zurück? Diesen spannenden, historisch-demographischen Fragen widmet sich Ägyptologie-Experte Reinhard Prahl im folgenden Artikel.

Thomas Fuss wies 1999 in seiner „Spezies Adam“ darauf hin, dass die hohen Lebensalter im Alten Testament durchaus der Realität entsprechen können. Anhand der antiken Texte konnte er glaubhaft darlegen, dass wenig Grund besteht, der Bibel keinen Glauben zu schenken. Fuss stützt seine These u.a. auf apokryphe Texte, die Schriftrollen aus Qumran oder jüdische Geheimschriften.

Doch auch dieser Autor vermochte keine konkreten Belege vorzuweisen, es gab offensichtlich keine Grabstätten, die ein von Menschen erreichtes Lebensalter von zumindest 140 oder mehr Jahren beweisen konnten. Will man die Fachwelt aber wenigstens zum Nachdenken anregen, sind archäologische Fakten unablässig. Ebenso ergeht es ihm mit der interessanten und unterstützenswerten These der Erbverdünnung, die man aus den Bibeltexten schließen kann. Auch konnte außer biblischem und apokryphem Material nichts neues hinzugefügt werden.

Für das ägyptische Alte Reich gelang es mir nun, diese Beweise in einer älteren Fachpublikation zu entdecken. Es gibt Gräber von hohen Beamten, die nach eigenen, ägyptologisch unzweifelhaften, Aussagen ein für unsere heutige Zeit unglaubliches Alter erreicht haben. Auch ein Abnehmen des Lebensalter lässt sich in Ägypten belegen. Hier müssen wir jedoch aufgrund des hohen Alters auch wieder auf Texte zurückgreifen, die aufgrund der real existenten Personen allerdings ein ungleich höheres Gewicht erhalten, als je zuvor.


1. Manethos Liste und der Turiner Königspapyrus

Der Turiner Königspapyrus (Abb. 2) ist eine Liste der ägyptischen Herrscher aus dem Neuen Reich (1550 - 1070 v. Chr.). Der Papyrus reicht bis in die Zeit zurück, in der „Götter“ und „Geister“ über Ägypten herrschten, bis in die 19. Dynastie. Leider ist der Papyrus sehr fragmentarisch, so dass man vieles nicht mehr erkennen kann, aber interessant ist für uns im Augenblick die Kolumne I. Leider ist der einleitende Text, wie die meisten Regierungszeiten und Lebensjahre auch verloren, aber einige z.T. brisant erscheinende Daten sind erhalten und für die Untersuchung brauchbar.2

Wie gesagt, beginnt die Turiner Königsliste mit den Göttern. Da der Papyrus höchstwahrscheinlich aus Heliopolis stammt, ist hier die Reihenfolge der Götter, wie sie nach heliopolitanischer Weltsicht „das Licht der Welt erblickt“ haben sollen, aufgeführt. Es handelt sich um neun Namen, die der ägyptischen Theologie entsprechend die Große Götterneunheit von Heliopolis genannt wird. Der erste auf der Liste ist der von den Ägyptern als Sonnengott verehrte Re, seine Lebens- und Regierungszeiten sind verloren, genau so wie die folgenden Götterkönige Schu (Luft), Geb (Erde), Osiris (Richter der Verstorbenen und König des Jenseits) und Seth (Gott der Wüsten und Fremdländer, Gott der Stürme). Für den nächsten Gottkönig mit Namen Horus 2 (Osiris´ Sohn in Gestalt eines Menschen mit Falkenkopf, ursprünglich vielleicht eine Sonnengottheit) ist eine Regierungszeit von 300 Jahre angegeben (In einer anderen Liste, die wahrscheinlich auf Manetho zurückgeht ist, nebenbei bemerkt, für den Gott Thot 1 eine Lebensdauer von 726 Jahren angegeben)!

Abb. 2 Ein Fragment des Turiner Königspapyrus beinhaltet eine Liste der ägyptischen Herrscher aus dem Neuen Reich (1550 / 1070 v.Chr.). Die Liste reicht zurück bis in die Zeit zurück, in der „Götter“ und „Geister“ über Ägypten herrschten, bis in die 19. Dynastie.

Nun mag man argumentieren, dass es sich eben um mythische Gestalten, keine realen Menschen handelt - wenn es nicht Hinweise darauf gäbe, dass das nicht stimmt. Denn Osiris wird als erster König über Ägypten angesehen, der den Ägyptern die Errungenschaften der Zivilisation brachte. Er wird in der ägyptischen Ikonographie stets als Mensch dargestellt, mit Hirtenstab und oberägyptischer Krone. Im Osiris-Mythos, der uns in vollständiger Form leider erst aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. vorliegt, geschrieben vom griechischen Historiker Plutarch, wird Osiris ebenfalls als erster König des vereinten Landes genannt.

Bezeichnend ist, dass der Osiris-Mythos sich zumindest teilweise bis in die 4. Dynastie zurückverfolgen lässt und der Gau (ägyptische Verwaltungseinheit, vergleichbar mit einem Bundesland) aus dem Osiris stammt, der Gau von Busirs, dem heutigen Abusir (von pr - wsjr, per-Wusure = Haus des Osiris) hat als Zeichen auf der Standarte ebenfalls einen König mit Hirtenstab und Zepter (den pharaonischen Machtinsignien), was wohl auf Osiris verweist. Zumindest für die alten Ägypter ist also Osiris unzweifelhaft der erste menschliche Herrscher des Landes. Darauf weiter einzugehen, würde hier zu weit führen und verlangt nach einer eigenen Arbeit. Ein anderer Eintrag im Turiner Papyrus weiter unten erscheint indes für diese Untersuchung viel interessanter .

In Kolumne II sind die sogenannten „Geister“ aufgelistet. In dieser Kolumne finden wir unter der Rubrik „Geister, die im Delta waren“ folgenden Eintrag: „19, J. 2341“. 19 Herrscher haben also 2341 Jahre lang geherrscht, macht eine Durchschnittsherrschaftszeit von 123 Jahren! Die mögliche Annahme, dass es sich bei diesen genannten Herrschern ebenfalls um Gestalten der Mythologie handelt ist allerdings widerlegbar, wie schon der Ägyptologe Kurt Sethe nachgewiesen hat. Zu seiner brillanten Arbeit „Beiträge zur ältesten Geschichte Ägyptens“ von 1904, komme ich weiter unten noch. Zuvor möchte ich noch auf den Begriff „Geister“ eingehen. Gemeint ist das ägyptische Wort „ach (AX)“, gemeinhin übersetzt mit „Geist“. Geschrieben wird das Wort mit einem Zeichen, dass einen Schopfibis (Abb. 3) darstellt.

Im Wörterbuch „Die Sprache der Pharaonen„ von Rainer Hannig finden wir „ach“ auf S. 11 folgendermassen übersetzt: „Ach-Geist, Verklärter (personifizierter Sternenglanz; Göttliches im Menschen), Verklärungsseele, und als zweite Möglichkeit: Der würdige Tote (als Geisterwesen)“, womit bewiesen wäre, dass es sich bei den Achu um, wenn auch verstorbene, Menschen gehandelt hat. Das Wort Ach wird als eine Art Epitheton (ein schmückendes Beiwort) gebraucht, um die Ehrwürdigkeit des Verstorbenen hervorzuheben. Ach ist also mit „Geist„ in diesem Falle zu schwach übersetzt und wir können getrost davon ausgehen, dass die Achu (Mehrzahl von Ach) tatsächlich als lebende Menschen durchschnittlich 123 Jahre regierten und sie NACH IHREM TOD zu Achu wurden, also NACHDEM sie durchschnittlich 123 Jahre über Ägypten geherrscht hatten.

Ganz ähnlich ist es mit dem „Horusgeleit“, oder besser den „Horusdienern“ ägyptisch Schemsu Hor (%msw-"r). Auch diesen Herrschern wird eine ungewöhnlich lange Herrschaftszeit zugesprochen, nämlich bei Manetho 5813 Jahre und im Turiner Königspapyrus: „Summe der Regierungen der Geister des Horusgeleits: J. 44203 Summe ihrer Lebenszeit bis zu denen des Horusgeleits: J...3200+x“. Die Horusdiener wurden später als Bau (bAw) bezeichnet, geschrieben x. Bau wird gemeinhin mit Seelen übersetzt.

Abb. 3 Der heute in Ägypten ausgestorbene Schopfibis symbolisierte das „ach (AX)“, gemeinhin übersetzt mit „Geist“ verstorbener Menschen. Die Glyphen für den Vogel und das "ach" entsprechen sich.

Geleiten, dienen oder auch folgen ist, wie bereits gesagt, die deutsche Übersetzung für das ägyptische Wort schemsu (Smsw). Die Ägyptologen weigern sich beharrlich, in dieser Herrschergruppe Menschen zu sehen. Aber der bereits erwähnte Kurt Sethe wies anhand des Wortes „schemsu“ nach, dass es sich sehr wohl um Menschen gehandelt haben muss. Schemsu bedeutet zwar soviel wie folgen, wird aber im Ägyptischen im Zusammenhang mit: jemandem folgen, um ihm zu dienen, gebraucht. Es handelt sich also nicht um die, die dem Gott Horus (dem direkten Vorgänger der Schemsu Hor) als Nachfolger auf dem Thron folgten, wie etwa Wolfgang Helck annimmt, sondern um Individuen, die dem Gott folgten, um ihm zu dienen, also Priester, oder Personen in einem zu vergleichenden Stand. Sethe schreibt: „Die „Horusdiener vor Menes (dem ersten Pharao, Anm. von mir) würden dann also nicht mit den >Horus-dienern<, die den Gott Horus im Mythus begleiteten, identisch sein, sondern wären Wesen, die den Horus als Gott verehrten, also vermutlich Menschen“

Besser kann man den Beweis nicht erbringen, als anhand philologischer Fakten, die selbst ein Ägyptologe nicht unbeachtet lassen sollte. Ausserdem haben wir da noch die Tatsache, dass der Turiner Königspapyrus von den GEISTERN DES HORUSGELEIS spricht, also von den Achu Schemsu Hor (AX.w %msw-"r) und wie wir gesehen haben, bezieht sich der Begriff Ach auf verstorbene Menschen. Nun sei im folgenden die Frage erlaubt: Wenn die Horusdiener keine Götter, sondern Menschen waren, was hindert uns daran anzunehmen, dass Osiris auch ein Mensch war, der in späterer Zeit von den Ägyptern zum Gott erhoben wurde? Ich stehe mit meiner Meinung nicht ganz allein da, Kurt Sethe schreibt beispielsweise in „Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter“: “Osiris, der seinem Namen nach der „Sitz des Auges“, G: bedeutet, und ganz das Aussehen eines Kosenamens hat, ist, sowie nach seiner ganzen Erscheinung (rein menschlich mit Zepter und Krone) und seiner Behandlung offenbar ein vergötterter alter König,...“ [von mir gekürzt; R. P.].

Solche Beispiele von Vergöttlichung sind in der ägyptischen Geschichte durchaus bekannt. Imhotep z.B. lebte zur Zeit der 3. Dynastie unter König Djoser. Ihm wird die Erbauung der Stufenpyramide von Sakkara zugeschrieben und somit die Erfindung des Steinbaus in Ägypten. Für diese und andere Taten wurde Imhotep später als Gott verehrt. Gleiches gilt für einen Architekten aus der 18. Dynastie namens Amenophis, Sohn des Hapu, der unter Amenhotep III. lebte und diente. Auch er wurde für seine architektonischen Leistungen zum Gott erhoben.

Es gibt aber auch schriftliche Belege, die das Horusgefolge, oder besser die „Horusdiener“ eindeutig als Menschen erscheinen lassen. In einer bekannten Bauinschrift des Tempels von Dendera aus der Zeit Thutmosis III. heisst es etwa: „Gefunden wurde der große Plan in Dendera in einer alten Schrift, die geschrieben war auf das Leder eines Tierfells ZUR ZEIT DER HORUS-DIENER, gefunden wurde er im Innern einer Ziegelmauer des Königshauses ...“

Das klingt schlichtweg nicht, als hätte es sich jemand ausgedacht, oder als hätte jemand über Geisterwesen geschrieben. Nachdem wir also philologisch nachweisen konnten, dass die Schemsu Hor, die, zur Erinnerung, über 4000 Jahre über Ägypten geherrscht haben, Menschen waren, können wir uns Individuen zuwenden, die ganz sicher rein menschlicher Natur waren.


2. Ptah-schepses

Abb. 4 Statue des lesenden Ptah-schepses. "Er hält zum Lesen den aufgerollten Papyrus vor sich und richtet seinen Blick in die Ferne, auf die Gottheit. Die leichte Asymmetrie des nach links geneigten Kopfes verleiht der Figur eine ganz eigenwillige Lebendigkeit. Original: Hildesheim, Pelizaeus-Museum. Ägypten, Altes Reich, 6. Dynastie, um 2300 v. Chr. Polymeres ARA-Replikat, Höhe 33 cm."

Ptah-schepses war ein hoher Würdenträger am Hofe des Pharao Sahure (5. Dynastie). Er bekleidete die Ämter des Richters und Wesirs, war also hoch angesehen. Seine Mastaba (ägyptische Grabform mit „bankförmigen“ Überbau, daher der arabische Ausdruck Mastaba = Bank) liegt in Sakkara, in der Nähe der Pyramide seines Herrn und Pharaos Sahure.

Ptah-schepses erwähnt in seinem Grab, dass er unter den Pharaonen Chefren (40 Jahre), Men-kau-Re (20 Jahre), Schepseskaf (10 Jahre), Thamphthis (2 Jahre), Userkaf ( 10 Jahre), Sahure (15 Jahre), Neferirkare (10 Jahre), Schepseskare (5 Jahre), Neferefre (5 Jahre) und Niuserre (4. Bis 5. Dynastie), der 35 Jahre regiert hat4, gedient habe. Es gibt keinen Grund, an den im Grab von Ptah-schepses genannten Daten zu zweifeln. Das fand auch schon der berühmte Ägyptologe Alexander Scharff (Grundzüge der ägyptischen Vorgeschichte, 1927). Nimmt man also an, dass unser Würdenträger seinen Dienst im ersten Jahr des Chefren aufnahm und ihn bis zum letzten Jahre des Niuserre inne hatte, hätte Ptah-schepses 152 (!) Jahre gearbeitet. Geht man vom Mindestwert aus, also vom letzten Jahr Chefrens bis zum er-sten Jahr Niuserres bleiben immerhin noch 79 Jahre Amtszeit übrig.

Da aber beide Extremwerte unwahrscheinlich sind, können wir vielleicht einen Durchschnitts-wert von 115,5 Jahren annehmen. Man muss natürlich noch berücksichtigen, dass der Wesir und Richter wohl kaum im Jahr seiner Geburt seine Ämter erhielt, so dass er für diese wichtigen Ämter wohl mindestens 20 Jahre alt gewesen sein muss, wahrscheinlich eher noch älter. Vielleicht legte Ptah-schepses sein Amt später aus Altersgründen nieder, so dass wir evtl. noch 5 Jahre "Rentnerdasein" annehmen dürfen, denn irgendwann wurde der Wesir und Richter sicherlich zu alt, seine Ämter weiter auszuüben. Dann wäre er über 140 Jahre alt geworden!

Und wie gesagt, es gibt Ägyptologen, die keineswegs an den Angaben Ptah-schepses zweifeln. Auch eine rein kultische Nennung der Pharaonennamen ist in diesem Fall auszuschliessen, denn Ptah-schepses erwähnt eindeutig, er habe unter all diesen Königen gedient und nicht an deren Grabmalen. Allerdings handelt es sich bei dem Grab des Ptah-Schepses nicht um eine Ausnahme, sondern offenbar um ein häufig auftretendes Phänomen, wie uns weitere Beispiele zeigen.


3. Der Prinz Sechem-ka-Re

Da gibt es beispielsweise noch den Prinzen Sechem-ka-Re, einen Sohn des Pharao Chefren, dem die Erbauung der immerhin noch zweitgrössten Pyramide auf dem Gizeh-Plateau zuge-schrieben wird. Sechem-ka-Re liegt in Gizeh begraben und hat seiner Biographie in seinem Grabe zufolge unter den Königen Chefren, Men-kau-Re, Schepseskaf, Thamphthis, Userkaf und Sahure gelebt.

Folgen wir nun unserem schon bekannten Rechenspiel bliebe für Sechem-ka-Re eine Amtszeit von bis zu 97 Jahren .


4. Der Unbekannte und die Favoritin

Das Grab eines Unbekannten, den Alexander Scharff in seinem Buch „Grundzüge der Vorgeschichte“ auf Seite 52 erwähnt, amtierte von Djed-ef-Re (Abb. 5) bis Nefer-ir-ka-Re (4. - 5. Dynastie). Wir kommen also auf eine Höchstamtszeit von 107 und auf eine Mindestamtszeit von 64 Jahren.

Nimmt man den Durchschnittswert, kommt man immerhin auf 85,5 Jahre Amtszeit. Setzt man dann wieder voraus, dass unser Unbekannter etwa 18 Jahre alt war, als er seinen Dienst antrat und ihm ein zumindest kurzes „Rentnerdasein“ beschieden war, kommt man auf ein Lebensalter von 108,5 Jahren, das aber natürlich auch wesentlich höher liegen könnte, da ein Amtsantritt, wie gesagt, mit 18 Jahren sicher zu niedrig gegriffen ist.

Ein Beispiel etwas anderen Charakters betrifft eine Favoritin des Snofru (der Name ist mir leider nicht bekannt). Sie lebte in der Zeit von Pharao Snofru (erster Pharao der 4. Dynastie), dem derzeit meistens etwa 24 Regierungsjahre zugesprochen werden5 (die Zahl liegt allerdings wahrscheinlich bei eher 50 Jahren, wie unten noch dargelegt wird) bis Chefren. Wenn sie mit etwa 14 - 16 Jahren Favoritin wurde, wovon auszugehen ist, hätte sie nach der derzeitig zugrunde gelegten Regierungszeit Snofrus etwa 104 Jahre gelebt.

Abb. 5 Der Kopf einer Büste des Pharao Djed-ef-Re (vermutl. 4. Dynastie)

Wie oben angedeutet, stimmt die Regierungszeit Snofrus jedoch wahrscheinlich nicht. Die Ägyptologin Kate Spence konnte vor Kurzem darlegen, dass sich die alten Ägypter zur Nordausrichtung der Pyramiden im Alten und Mittleren Reich an den beiden Sternen Mizar (im Sternenbild Grosser Bär) und Kochab (im Sternenbild Kleiner Bär) orientierten. Ihre These findet ihren Beweis in der Tatsache, dass sich die Nord-Südachse der Pyramiden vom Alten bis ins Mittlere Reich immer weiter nord-östlich verschiebt. Das lag daran, dass es durch die Präzession 6 eben von der Erde aus betrachtet so aussieht, als ob sich die Sterne bewegen, die Sterne Mizar und Kochab verschoben sich aber im Laufe der Jahrhunderte des Pyramidenzeitalters eben in nord-östlicher Richtung, genau so wie die Nord-Südachse der Pyramiden. Man kann also davon ausgehen, dass Frau Spence´s Theorie stimmt. Wenn dem so ist, müssen die Ägyptologen allerdings ihr bisherige Chronologie des Alten Reiches um mindestens 80 Jahre nach unten korrigieren.

Auch ergaben die Berechnungen, dass Pharao Snofru eben nicht 24, sondern etwa 50 Jahre regiert haben müsste. Hierzu gibt es noch andere Beweise. Erstens hat Snofru drei Pyramiden gebaut und selbst, wenn man fortschrittliche Technologien voraussetzt, erscheint das für drei Riesenbauten von jeweils über 100 Metern zu wenig. Denn Bauinschriften zufolge wurde die sogenannte „Rote Pyramide“, die letzte, die Snofru erbaute, im 30. Jahr begonnen, der Bau dauerte etwa 17 Jahre, wie man ebenfalls Inschriften auf der Rückseite von Verkleidungssteinen entnehmen kann.

Desweiteren kommt hinzu, dass im Ägypten des Alten Reiches alle zwei Jahre eine Zählung zur Ermittlung der Steuern durchgeführt wurde. Und vor einiger Zeit fand man in Daschur einen Stein, der die 24. Zählung unter Snofru bestätigt. Alle zwei Jahre eine Zählung = 2x24 = mindestens 48 Jahre Regierungszeit. Das heißt wiederum für Snofrus Favoritin, dass sie unter der Voraussetzung, dass sie in Snofrus erstem Jahr zu ihm kam und im letzten Jahr Chefrens verstarb, mindestens 130 Jahre gelebt haben muss.


5. Das Türarchitrav im Grabe des Nisut-neter-pu („Der König ist der Gott“)

Abb. 6 Die Mykerinos-Pyramide in Gizeh

Dies ist das letzte Beispiel, dass in diesem Rahmen Erwähnung finden soll. Die von mir entdeckte Inschrift findet sich in: „Urkunden, Band III“, von Kurt Sethe von 1933. Sethe bezeichnet die Inschrift folgendermassen:“16 (107). Ähnliche Angabe (wie die vorhergegangene von Sechem-kaRe, Anm. von mir) auf einem Türarchitrav im Grabe des (Nisut-netjer[j]-pu = njswt-nTr[j]-pw,Transkr. u. Übers. von mir) Veröffentlicht: Gauthier, Ann. Du serv. 25, 180."

Leider steht in Sethes Abschrift dieses Architravs nichts davon, welchen Beruf dieser Beamte ausübte, aber WAS zu lesen ist, ist die Anzahl der Könige, unter denen Nisut-netjer(j)-pu gedient hat. Es handelt sich um die Könige Djed-ef-Re, Cha-ef-Re, Men-kau-Re, Schepses-ka-f, User-ka-f und Sahure. Im Höchstfall hat unser Beamter seinen Dienst über einen Zeitraum von 105 Jahren versehen. Auch er hat somit wahrscheinlich ein Alter erreicht, dass die 120 weit überschritten hatte. Nicht umsonst ist das Alter der Weisheit im Alten Ägypten mit 110 Jahren angeben, offenbar handelt es sich um ein real erreichtes Lebensalter.

Ptah-hotep, ein wichtiger Würdenträger der 6. Dynastie, der immerhin Wesir und Oberrichter, Vorsteher der Priester der Pyramiden des Mykerinos (Abb. 6) und des Djedkare-Isesi und noch einiges mehr war, schreibt in seiner „Lehre des Ptah-hotep“: „Es ist nichts geringes, was ich auf Erden getan habe und ich habe 110 Lebensjahre bekommen...“7. Wahrscheinlich waren es noch einige Jahre mehr, denn wer hätte sonst die Lehre schreiben sollen? Ptah-hotep muss noch recht “fit“ gewesen sein, als er diesen Weisheitstext verfasste, dass lässt darauf schlies-sen, dass 110 Jahre weder sonderlich alt, noch ungewöhnlich waren!

Im übrigen lässt sich die erreichbare Lebenszeit im Alten Reich noch auf andere Weise verifizieren, anhand von Texten. So berichtet der sumerische Gilgamesch-Epos, dass König Gilgamesch, der erwiesenermaßen gelebt hat, 120 Jahre alt geworden ist. Die Regierungszeit des sumerischen Königs lässt sich auf etwa 2600 v.Chr. festlegen, also ins Alte Reich. Gleiches gilt für die Bibel. Abraham wurde 175 Jahre alt und die Texte verweisen auf etwa dieselbe Zeit, in der der Epos spielt und die ägyptischen Gräber einzordnen sind.


Abschlusswort

Betrachtet man die Lebenszeiten der Götter im Turiner Königspapyrus und die oben angeführten Biographien, ergibt sich ein überaus interessanter Schluss, der eingangs schon angedeutet wurde. Setzt man nämlich voraus, dass die „Götter“ in Wirklichkeit menschliche Herrscher waren, dann verringert sich die Lebenszeit der Ägypter ähnlich wie in der Bibel angegeben, kontinuierlich Erst wird vom Thot mit 726 Lebensjahren gesprochen, dann von Horus mit 300 und zuletzt haben wir die Biographien mit 138 bis 110 Jahren. Einer der letzten Fälle von relativ hohem Alter wäre dann wahrscheinlich der Pharao Pepi II. gewesen, der heutigen Erkenntnis-sen zufolge etwa 94 Jahre regierte und mit 6 Jahren den Thron bestieg

Es bestehen prinzipell zwei Erklärungen für diese verifizierten Grabinschriften: Entweder es gab im ägyptischen Alten Reich Menschen, die ein Lebensalter von über 130 Jahren erreichen konnten, oder, wie schon 1927 von Alexander Scharrf angenommen wurde, die Chronologie stimmt nicht! Es handelt sich in jedem Fall um eine schwerwiegende Schlussfolgerung. Denn folgen wir Scharrf, müssen wir annehmen, dass die Könige der 4. und 5. Dynastie wesentlich kürzer herrschten, als bisher angenommen. Dies beinhaltet gleichzeitig, dass für die Pharaonen der 4. Dynastie der Status als Erbauer der Gizehpyramiden ins Wanken gerät. Denn eine Bauzeit für 23 Jahre für den GESAMTEN Pyramidenkomplex des Chufu erscheint schon recht kurz, aber setzten wir voraus, dass wir die Regierungsdauer Cheops´ vielleicht um die Hälfte zu kürzen hätten, würde die Erbauung der Grossen Pyramide erheblich unglaubwürdiger er-scheinen. Gleiches gilt selbstverständlich für Chefren.

Wie bereits am Beispiel Snofru dargelegt wurde, ist indes die Wahrscheinlichkeit, dass Chufu und Chefren LÄNGER als die bisher als richtig erkannte Zeitspanne regierten (Schneider nimmt in seinem „Lexikon der Pharaonen“ beispielsweise für Cheops 40 anstatt 23 Jahre an), grösser. Vielleicht ist also die Lebenszeit für die oben genannten Personen noch um mindestens 20 Jahre zu erhöhen.

Die Ägyptologen vertreten die Ansicht, dass der „Durchschnittsägypter“ im Alten Reich in etwa ein Lebensalter von 35 Jahren erreichte. Zahlreiche Skelettfunde sollen das beweisen. Doch dazu muss man wissen, dass diese Skelette hauptsächlich von armen Menschen stammen, die schon aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen kein sehr hohes Alter erreichen konnten. Harte Arbeit, einseitige Ernährung, Bilharziose und eine gewiss nicht so gute ärztliche Versorgung, wie sie die höheren Stände erhielten, sorgten für ein frühzeitiges Ableben. Man sollte auch wissen, dass aus dem Alten Reich so gut wie keine MUMIEN existieren, von den Pharaonen schon mal gar nicht. Auch Mumien von Edlen und Adligen sind so gut wie unbekannt. Und so kann nur für die unteren Schichten von einer durchschnittlichen Lebenszeit ausgegangen werden, keinesfalls aber für die Elite des Landes, also ist schlichtweg unbekannt, wie alt die Menschen im Alten Reich wirklich werden konnten.


Anmerkungen und Quellen

 Reinhard Prahl 2002

Der Text aus dem Grab des Sechem-ka-Re, von Kurt Sethe abgeschrieben, in „Urkunden des Alten Reichs III, Leipzig 1933. Der Text lautet:

1.) jmAX Xr tf njswt Xr nTr (Hr) CA

2.) Xr njswt bjtj /C-f-RC

3.) Xr njswt bjtj Mn-kAw-RC

4.) Xr njswt bjtj %pss-kA-f

5.) Xr njswt bjtj Wsr-kA-f

6.) Xr njswt bjtj SA-hw-RC


Übersetzung:

1.) Verehrungswürdig unter jenem König und bei dem grossen (Horus-) Gott

2.) unter dem König von Ober- und Unterägypten Cha-ef-Re

3.) unter dem König von Ober- und Unterägypten Men-kau-Re

4.) unter dem König von Ober- und Unterägypten Schepses-ka-f

5.) unter dem König von Ober- und Unterägypten User-ka-f

6.) unter dem König von Ober- und Unterägypten Sa-hu-Re


Literatur

  • Scharff, Alexander: Grundzüge der ägyptischen Vorgeschichte, Leipzig 1927
  • Schneider, Thomas, Das Lexikon der Pharaonen, Zürich 1994
  • von Beckerath, Jürgen: Die Chronologie des pharaonischen Ägypten, Zürich 1997
  • Brunner, Helmut: Die Weisheitsbücher der Ägypter, Zürich 1988
  • Sethe, Kurt: Beiträge zur ältesten Geschichte Ägyptens, Hildesheim 1964
  • Ders. Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Leipzig 1930
  • Wolfgang Helck: Untersuchungen zu Manetho und den Königslisten, 1954
  • Fuss, Thomas H.: Spezies Adam, 1999
  • Zillmer, Hans-Joachim: Darwins Irrtum, München 1998
  • Die Bibel: Lizensausgabe der Katholischen Bibelanstalt, Stuttgart 1980
  • von Butlar, Johannes: Leben auf dem Mars, München 1992
  • Wildung, Dietrich: Imhotep und Amenhotep; Berlin 1977
  • von Däniken, Erich: Erinnerungen an die Zukunft, Düsseldorf 1968
  • Brunner-Traut, Emma: Altägyptische Märchen, München 1998
  • Germer, Renate: Mumien, Zeugnisse des Pharaonenreichs, Düsseldorf/Zürich 1991


Zeitschriften:

  • Sokar, die Welt der Pyramiden Nr. 3, 2. Halbjahr 2001:Zur Hypothese von Kate Spence über die Nordorientierung der ägyptischen Pyramiden, von Rolf Krauss


Bild-Quellen

(1) Wayne Blank, The Ancient Egyptians

(2) http://www.heute.de/ZDFde/img/4/0,1886,2022084,00.jpg

(3) http://www.carl-schweizer-museum.de/cnachtkr.jpg

(4) http://www.arsmundi.de/isroot/arsmundi/ProductImages/Bild1/001234.jpg

(5) http://www.artchive.com/artchive/e/egyptian/egyptian_4_djedefre.jpg

(6) http://www.egyptenrejser.dk/a-245-5/ (nicht mehr online)


Literatur-Hinweis der Redaktion:

Prahl Mutterkultur.jpg

"Auf der Suche nach der Mutterkultur" (257 S., zahlr. Abb., Hardcover) von Gernot L. Geise und Reinhard Prahl erschien 2005 im Michaels-Verlag (Peiting). Erhältlich für € 24,00. ISBN: 5-89559-620-6