Der Neandertaler - neu definiert

von William R. Corliss (1996)

Abb. 1 Die historische Darstellung eines Neandertalers in einer Ausgabe des Magazins Harper's Weekly aus dem Jahr 1873. Seither wurde dieses Klischee lange Zeit 'liebevoll' gehegt. Erst in den jüngsten Dekaden hat sich die wissenschaftliche Betrachtung dieser paläolithischen 'Vettern' des Homo sapiens gründlich geändert.

Das allgemeine Bild vom Neandertaler ist das einer brutalen, kaum menschlichen Kreatur, die in zerlumpte Felle gekleidet war (Abb. 1) und - abgesehen von einigen Grunzern - nicht sprechen konnte.

Vergiss dieses Bild! Mehrere hundert Meter tief in einer Höhle in der Nähe von Bruniquel in Südfrankreich stolperten Höhlenforscher über eine komplexe vierseitige Struktur von 4 x 5 Metern, die aus Stalaktiten und Stalagmiten aufgebaut war. Innerhalb von deren "Wänden" fanden sie ein Stück verbrannten Bärenknochen, das später auf ein Alter von mindestens 47.600 Jahren karbondatiert wurde. Ein verbrannter Knochen und eine geometrische Struktur lassen auf die Arbeit intelligenter Kreaturen schließen, ebenso wie die große Entfernung von der Oberfläche. Fackeln wären so weit unten eine Notwendigkeit gewesen. Diese Angabe von 47.600 Jahren ist jedoch ein Problem. Die ersten Cro-Magnons infiltrierten Westeuropa erst um 35.000 v.d.G.. Nach dem allgemein anerkannten anthropologischen Zeitplan bewohnten um 47.600 v.d.G. nur jene unmenschlichen Neandertaler diesen Teil von Frankreich. Wir müssen also zu dem Schluss kommen, dass die Neandertaler den ausgeklügelten Umgang mit Feuer gut kannten. Sie hatten auch genug Neugierde, sich tief in die Erde zu wagen, wo sie für einen unbekannten Zweck eine rätselhafte Struktur erbauten. All das scheint auch mehr Informationstransfer zu erfordern, als es mit ein paar "Ughas" möglich ist! [1]

Es besteht immer die Möglichkeit, dass jene mysteriösen Cro-Magnons, die aus dem Nichts erschienen zu sein scheinen, noch vor dem [offiziellen] Zeitplan nach Westeuropa kamen. Sie sind wahrscheinlich die Künstler, die diese 31.000 Jahre alten Höhlenmalereien in der Höhle von Chauvet in Südfrankreich gemacht haben. Auch wenn die Cro-Magnons leichter gebaut waren und kleinere Gehirne hatten, sollen sie die Neandertaler schnell ersetzt haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Europa reichlich fossile Zeugnisse des sogenannten 'archaischen' Homo sapiens [aus der Zeit] vor etwa 500.000 Jahren zu finden sind. Haben sich diese archaischen Versionen des modernen Menschen zu Neandertalern entwickelt, bevor die Cro-Magnons (modernen Menschen) auf den Plan traten? Einige Paläoanthropologen glauben das jetzt. Noch vor Kurzem wurde allgemein angenommen, dass der Homo erectus und nicht der 'archaische' Homo sapiens die Neandertaler hervorgebracht hat. [2]

Kommentar des Verfassers

Auch wir sind verwirrt. Nimm diese evolutionären Menschheits-Stammbäume nicht zu ernst! Sie verändern sich mit jedem neuen 'Fund', und diese scheinen jedes Jahr mehrmals aufzutreten.


Redaktionelles Addendum


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von William R. Corliss (1926-2011) erschien erstmals in Science Frontiers Nr. 104: März - April 1996, unter dem Titel "Reinventing The Neandertals"; Übersetzung ins Deutsche sowie redaktionelle Bearbeitung durch Atlantisforschung.de nach der online gestellten Version des Artikels bei science-frontiers.com im Juli 2018.


Fußnoten:

  1. Quelle: Michael Balter, "Cave Structure Boosts Neandertal Image", in: Science 271:449, 1996
  2. Quelle: Jean-Jacques Hublin, "The First Europeans", in: Archaeology 49:36, Januar / Februar 1996

Bild-Quelle: