Die gläsernen Türme - eine Atlantis-Fata-Morgana?

Atlantis in der Bretagne - Betrachtungen zur Theorie des Helmut Tributsch, Teil III

Abb. 5 Die Menhire von Carnac stellen für Helmut Tributsch ein weiteres Relikt der untergegangenen Atlanter-Zivilisation dar.

(bb) Kommen wir nun zu einer zentralen Annahme von Tributsch, die zu den essentiellen Besonderheiten seiner atlantologischen Forschungs-Arbeit gehört: seine Fata-Morgana Hypothese. Die Großanlagen des Neolithikum, wie Stonehenge und Carnac betrachtet Tributsch nämlich als Observatorien für Fata-Morgana-Phänomene [1], denen er eine zentrale Bedeutung für die Religion der Großstein-Baumeister beimisst: "Die Kultur, welche einst die Küsten des Atlantik von Irland über England, Frankreich bis Spanien mit riesigen Steindenkmälern übersähte, besaß eine Religion, die sich auf Fata-Morgana-Beobachtungen und -Deutungen stützte. Dies ist durch Forschungsergebnisse gestützt, die wir schon früher veröffentlicht haben." [2]

Leider sind uns diese Forschungsergebnisse (die uns sehr interessieren würden) nicht bekannt, und in "Die gläsernen Türme von Atlantis" stellt Tributsch uns quasi 'vor vollendete Tatsachen'. Bei der Lektüre seines diesbezüglichen Kapitels "Sie hatten Gott Atlas vor Augen" können wir zwar durchaus seine Argumentation nachvollziehen, müssen ihm aber ungeprüft glauben - oder auch nicht - wenn er z.B. schreibt: "Die Verbindung zum Himmel, welche die Luftspiegelung einer Insel vortäuscht, war für die Megalithmenschen wohl Mittelpunkt ihrer Religion und Weltanschauung. Der religiöse Herrscher ihres Reiches, dem sie mit unglaublicher Aufopferung und Hingabe dienten, war demnach Atlas, der Meeresriese, dessen Säule den Himmel trägt und bei dem der Göttergarten zu suchen ist." [3]

Und weiter heißt es: "Ebenso wie die Toten über den >Körper des Atlas< ins himmlische Reich abwandern konnten, vermochte neues Leben über ihn zur Erde hinunterzugelangen. Zu den Menhiralleen von Carnac (Abb. 5) pilgern noch heute die Bauern mit ihrem Vieh, um Fruchtbarkeit zu erbitten." Außerdem heißt es zuvor: "Die kultischen Anlagen [der Megalithiker/Atlanter] waren riesig, um einen weitschweifenden Ausblick zu gestatten. Sie wurden an Plätzen angelegt, wo Fata Morgana Erscheinungen häufig auftraten. [...] Um Carnac herum, in der südlichen Bretagne, wo Tausende von Riesensteinen zu Alleen zusammengefaßt wurden, erkannten wir schließlich die Anlage eines gewaltigen Fata-Morgana-Observatoriums: Von einem etwas im Hinterland liegenden Beobachtungshügel aus visierte man - über die Steinalleen als weithin sichtbare Kimmen - die der Küste vorgelagerten Inseln und die Halbinsel Quiberon an. Auf diese Weise erkannte man deutlich jede Hebung und Senkung ihrer Konturen, die mit atmosphärischen Veränderungen zusammenhängen und Wettervorhersagen ermöglichen.

Der Höhepunkt aber war das Auftreten einer Spiegelung einer Insel nach oben, welche die irdische Welt über die Gestalt des >Atlas< wie über einen Nabel mit der gedachten überirdischen Welt verband. [...] Bei dieser Gelegenheit, so stellte man sich vor, konnten die wartenden Toten in die jenseitige Welt aufgenommen werden. Nicht ohne Grund finden sich hier 239 Hünengräber am >Tor zum jenseitigen Reich<." [4]

Wir halten fest: Prof. Tributsch präsentiert uns seine direkte Atlantis-Lokalisierung (Gavrinis) über eine Rekonstruktion von Religion und Kultus der atlantischen Megalithiker, wobei er die mythische Figur des Himmels-Stützers Atlas als typisches Fata-Morgana-Phänomen einer "gespiegelten Insel" identifiziert, um sie er dann als Verbindungsglied zur Atlantis-Geschichte einsetzen zu können - dem einzigen Verbindungsglied, wohlgemerkt, das er uns anbieten kann, um diese Lokalisierung 'zwingend' zu begründen. [5] Einzig aus dieser Konstruktion und mit Hilfe seiner Chronologie-Revision schlußfolgert er letztlich, "daß das sagenhafte Atlantis das Megalith-Reich an der Atlantikküste [mit der Hauptstadt Gavrinis/Kerne] war." Zumindest ohne Kenntnis seiner weiteren Arbeiten reicht das keinesfalls dafür aus, seine Lokalisierung auch nur halbwegs 'wasserdicht' erscheinen zu lassen.


Fortsetzung:


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Anmerkung: Tributsch ignoriert mit seiner Interpretation offenbar die Tatsache, dass sich bei wichtigen Ring-Komplexen, wie den Steinkreisen von Stonehenge oder Goseck (in Deutschland), eindeutig ihre Funktion als ASTRONOMISCHE bzw. Sonnen-Observatorien nachweisen lässt. Dabei muss man ihm als "bravem Schulwissenschafter" zugute halten, dass sich diese Erkenntnis seinerzeit unter Prähistorikern noch nicht völlig durchgesetzt hatte. In einzelnen Fällen wird sogar heute noch - wider alle Evidenzen - bestritten, dass es eine astronomische Funktion solcher Bauwerke gegeben hat (siehe etwa: "Die 25 Steinkreisanlagen von Malta - Observatorien der Vorzeit").
  2. Quelle: Helmut Tributsch, "Die gläsernen Türme von Atlantis - Erinnerungen an Megalith-Europa", Frankfurt am Main (Ullstein) 1986, S. 134; --- Anmerkung: Tributsch bezieht sich auf seine Darlegungen in "Das Rätsel der Götter - Fata Morgana", Berlin, 1983
  3. Quelle: ebd., S. 134, 135
  4. Quelle: ebd., S. 134
  5. Anmerkung: Davon abgesehen liefert Tributsch durchaus wesentliche Argumente, die für einen ALLGEMEIN atlanto-mediterranen, megalithischen Ursprung von Teilen der Atlantis-Saga sprechen.

Bild-Quelle:

5) FF-Gallery, unter: http://2style.net/ff_gallery/carnac.jpg