Die unterirdischen Städte in der Türkei

von Liese Knorr

Abb. 1 Planskizze der unterirdischen Stadt Kaymakli in Kappadokien.

Es wird heute angenommen, dass es in der Türkei etwa 30 unterirdisch angelegte Städte gibt, die allerdings zum größten Teil noch nicht erforscht sind. Ich las sogar, es soll 450 - 500 solche Städte geben. Sie liegen in Kappadokien, etwa zwischen Nevsehir - Nigde - Kirsehir.

Kappadokien liegt in Mittelanatolien und wird im Süden durch das Taurus-Gebirge, im Norden durch das Schwarze Meer, im Westen durch den Salzsee Tatta-Salsus und im Osten durch den Euphrat begrenzt. Der Boden besteht aus vulkanischem Tuffstein von unterschiedlicher Härte. Bekannt sind die Verbindungswege, die die Städte unterirdisch miteinander verbanden. Schätzungen zufolge sollen 1,2 Millionen Menschen lange Zeit dort gelebt haben.

Außer Kaymakli und Özkonak ist Derinkuyu die bekannteste und archäologisch am weitesten erforschte Stadt, im weiteren beziehe ich mich exemplarisch auf Derinkuyu. Derinkuyu beherbergte etwa 20 000 Menschen, vielleicht noch mehr, in den tief in den Boden reichenden Stockwerken. Die Ausdehnung der Stadt erstreckt sich auf etwa 4 km2 Fläche. Als die Stadt noch bewohnt war, hatte es sich hier nicht etwa um ein improvisiertes Fluchtasyl gehandelt. Das Gemeinwesen verfügte über eine verfeinerte Infrastruktur. Es gab riesenhafte Gemein-schaftsräume, Wohnungen mit Schlaf- und Wohnzimmern, Ställe und sogar umfangreiche Wasser- und Weinkeller, von Geschäften und anderem gar nicht zu reden.

Abb. 2 Ein Stollen in Derinkuyu. (Foto: © Knorr)

Die Archäologen sind der Ansicht, diese Städte seien in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten in den Boden "gestampft" worden. Christen hätten sich hier aus Angst vor ihren Verfolgern eingegraben. Man vermutet auch, dass einige der Etagen von arabischen Gefangenen ausgehöhlt worden sein könnten. So befinden sich im 1. Stock Schlafzimmer, Esszimmer, Weinkeller, Toiletten, Küche, Speicher und Ställe. Im 2. Stockwerk ist eine Kirche (65 m lang, 7 m breit) mit Altar und Treppe; die Höhe ist noch unbekannt, da diese Kirche noch nicht ganz ausgegraben worden ist.

Im 3. und 4. Stockwerk befinden Kirchen, Tunnels, Waffenlager, Zufluchtsorte, sowie eine Missionsschule und ein Taufbecken. In der 3. Etage liegt auch der Verbindungstunnel zu Kaymakli, einer anderen unterirdischen Stadt, die etwa neun Kilometer von Derinkuyu entfernt liegt. In diesem Tunnel können 3-5 Personen bequem und aufrecht nebeneinander gehen.

Abb. 3 Ein Stollen in Derinkuyu. (Foto: © Knorr)

Eine der Kirchen im unteren Bereich ist 25 m lang, 10 m breit und 3,50 m hoch, ist in der Form eines Kreuzes angelegt; manche Wissenschaftler bezeichnen sie als "Kleeblatt". Gegenüber dieser Kirche liegt eine Aula mit drei Säulen und einem Warteraum - an die Säulen sollen Gefangene angebunden worden sein. Eine andere Vermutung ist, dass dieser Raum für "Kandils" benutzt worden sei. Kandil ist die Bezeichnung für je eine der Nächte vor vier islamischen Festen, an denen die Moscheen mit Öllampen beleuchtet wurden.

Wie das Kanalisationssystem in dieser großen, unterirdischen Stadt funktionierte, konnte bisher noch nicht festgestellt werden. Im westlichen Teil der Stadt befindet sich ein leerer Raum, durch den anscheinend ein Bach verlief.

Bei den Ausgrabungen fand man Reste der hethitischen Kultur. Die Hethiter besaßen vor mehr als 3000 Jahren in Anatolien ein mächtiges Reich, man fand z.B. eine Löwenstatue, eine zweiteilige Mühle aus schwarzem Granit sowie Siegelringe, die die Hethiter benutzten. Die Hethiter verwendeten das erste Stockwerk der unterirdischen Stadt als Lager. Andere Volksstämme, vermutlich die Phrygier, besiegten die Hethiter und richteten dabei ein großes Blutbad an.

Während in umliegenden Städten, wie Alacahöyük, Bogazköy und anderen eine Brandschicht gefunden wurde, fehlte diese in Derinkuyu. Eventuell haben hier die Lager als Zufluchtsstätte gedient. Spuren von den Phrygiern fand man in Derinkuyu bisher nicht. Im Krieg zwischen Byzantinern und Arabern, Ende des 6. Jh.n.C., wurde die Stadt dreimal überfallen, danach mussten die Byzantiner die unterirdische Stadt verlassen, Derinkuyu verlor seine Bedeutung.

Manche der Städte wurden mit Steinen und Sand verfüllt. Als sich im 7. Jh. das Christentum ausbreitete, baute man Kirchen in die Höhlen hinein. Ende des 7. Jahrhunderts gehörte dieses Gebiet den Sendschuken, die ihre Kirchen mit Felsbildern versahen. Im 14. Jahrhundert besiedelten die Osmanen das Gebiet. Die Vermutung der Archäologen, Christen hätten diese unterirdischen Städte angelegt, ist also alles andere als stichhaltig. Man muss sich die technische Leistung einmal deutlich vor Augen halten:

1,2 Millionen Menschen mussten leben, und dazu ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Felder, die zum Anbau geeignet waren, konnten unmöglich unterirdisch angelegt werden, da die entsprechende Beleuchtung fehlte. Wenn aber oberirdisch Ackerbau und Viehzucht betrieben wurden, dann war die unterirdische Stadt auch keine sichere Zuflucht mehr! Felder und Ställe verraten, dass hier Menschen leben. Belagerer hätten sich in aller Ruhe vor den Eingängen niederlassen können, um die Bewohner auszuhungern, so dass eine kampflose Übernahme möglich gewesen wäre.

Ein weiterer Punkt, der entschieden gegen die derzeit offerierte Lehrmeinung antritt, ist der Aushub bei derart gigantischen Stadtsiedlungen. Hier hätten auf der Oberfläche riesige Aushubberge gebildet werden müssen, und die wieder um wären jedem Feind aufgefallen. Hier wurde über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, geplant und gebaut.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Liese Knorr © wurde erstmals veröffentlicht in EFODON NEWS Nr. 13/1992, und erschien online zunächst unter: http://www.efodon.de/html/archiv/vorgeschichte/knorr/turk.htm

Bild-Quellen:

(1-3) http://www.efodon.de/html/archiv/vorgeschichte/knorr/turk.htm