Gavin Menzies: The Lost Empire of Atlantis

eine Rezension von Dr. Horst Friedrich, Wörthsee

unter Einbeziehung von: Pierre Honoré: ICH FAND DEN WEISSEN GOTT, Frankfurt a.M. (Verlag Heinrich Scheffler), 1961

Abb. 1 Gavin Menzies: THE LOST EMPIRE OF ATLANTIS, London, 2011, Paperback, 379 S., zahlr. Abb., Orion Books Ltd. / Phoenix

Nach seinen verdienstvollen Werken über die chinesischen weltweiten Flottenexpeditionen während des europäischen Renaissance-Zeitalters ("1421", "1434") hat Gavin Menzies sich jetzt an das noch immer umstrittene Atlantis-Thema gewagt. Das Buch (Abb. 1) ist anregend geschrieben, man wird es mit Gewinn studieren. Ich selber wurde bei der Lektüre stark an das Buch von Honoré (m.W. ein Pseudonym) erinnert, das 50 Jahre zuvor erschienen war und mich seinerzeit stark beeindruckt hatte. Es erscheint mir daher sinnvoll, die beiden Bücher in einer Rezension zusammen zu besprechen.

In Menzies´ "Select Bibliography" ist das Werk (Abb. 2) von Honoré nicht erwähnt, es heißt dort aber: "Full bibliography on website". Es läßt sich dem Buch selbst also nicht entnehmen, ob Menzies bei seinen Literaturrecherchen über Honoré "gestolpert" ist. Zwar wirkte das Menzies-Werk auf den Rezensenten einerseits wie eine Art Aktualisierung von Honoré, andererseits wird Atlantis bei Honoré nur auf S. 145 kurz erwähnt in dem Sinne, daß er die Atlantis-These im gewöhnlich verstandenen Sinne für Betrachtungen zu den altweltlich-neuweltlichen Kulturzusammenhängen für entbehrlich hielt. Interessanterweise nun ist Menzies derselben Meinung. Seine These ist es, daß die ursprüngliche Fassung des von Platon wiedergegebenen Berichts über den Untergang von Atlantis die Vernichtung der kretisch-minoischen Zivilisation durch die Thera-Explosion ca. 1450 v.Chr. zum Gegenstand hatte. Deswegen spricht auch sein Buchtitel nicht von einer "versunkenen Großinsel Atlantis", sondern vom "Lost Empire of Atlantis". Mit "Atlantis" ist bei Menzies also die zweifellos beachtliche kretisch-minoische Kultur gemeint.

Datei:Pierre Honoré - Cover Ich fand den weißen Gott.jpg
Abb. 2 Pierre Honoré: ICH FAND DEN WEISSEN GOTT, Frankfurt a.M., 1961, Hardcover, 359 S., zahlr. Abb., Verlag Heinrich Scheffler

Beide hier besprochenen Werke enthalten zusammengenommen eine sehr beachtliche Menge an Material zu einem offensichtlich schon seit Jahrtausenden existierenden ethno-linguistischen, technologischen (Schffbau/Seefahrt inbegriffen) und Kultur-Diffusionismus, und zwar zu einem weltumspannenden, ebenso transatlantischen wie transpazifischen Diffusionismus. Das Beweismaterial hierfür hat sich inzwischen zu Bergen gehäuft. Wer dies heute noch bezweifeln wollte, den könnte man wissenschaftlich nicht mehr ernst nehmenn. Über Details innerhalb des neuen Paradigma-Weltbildes, das den Gesamtrahmen für jede Diskussion darstellt, darf und muss selbstredend auch weiterhin diskutiert werden.

Angesichts der erwähnten, heute erreichten Materialfülle in besagter Hinsicht ist selbstredend die Frage nicht ganz unberechtigt, ob denn das Problem eventuell existiert habender, im Meer versunkener, Landmassen oder -gebiete ("Atlantis", "Mu", "Lemuria") noch von nennenswerter Relevanz ist. Der Rezensent meint: zweifellos! Schon allein aus ganz allgemein-wissenschaftlichen Erwägungen. Wir wollen ja schließlich wissen, in was für einer Welt und auf was für einer Art Planet wir leben, was da in der vermutlich sehr langen Prähistorie des Jetztmenschen alles möglich war. Zwar glauben wir heute zu wissen, daß ein jahrtausendealter weltweiter Kultur-Diffusionismus auch ohne ein "Atlantis", "Mu" etc. funktioniert haben könnte, die unbestreitbar nachgewiesene Existenz auch nur einer jener oft postulierten mittelozeanischen "Zwischenstationen" (oder gar "Mutterkulturen") würde jedoch das Bild verändern und weitere Szenarien möglich machen.

Zweifellos weden wir gut beraten sein, bis auf weiteres die beiden stark überlappenden -forschungsfelder weltweiter Kultur-Diffusionismus einerseits, und Atlantis-Mu-Lemuria (etc.)-Forschung andererseits, nebeneinander, und weit intensiver als bisher, zu behandeln. Wobei der Schwerpunkt vielleicht sogar auf dem prähistorischen Diffusionismus liegen sollte, von dem das Katastrophismus-Thema, d.h. die Atlantis-Mu-Lemuria-Problematik eher ein Sub-Thema, wenngleich auch einen Forschungsschwerpunkt darstellen würde.

Dr. Horst Friedrich (Wörthsee, 23.3. 2013)