Geheimnisvolle Winzlinge - Welches Genie durchbohrte die georgischen Zinnperlen?

Version vom 3. April 2009, 04:45 Uhr von BB (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: von unserem Gastautor Luc Bürgin [[Bild:Zinnperlen_1.jpg|thumb|'''Abb. 1''' "''Die Dinger sind mit ihren 1 bis 1,5 Millimetern derartig winzig, dass man sich erns...)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

von unserem Gastautor Luc Bürgin

Abb. 1 "Die Dinger sind mit ihren 1 bis 1,5 Millimetern derartig winzig, dass man sich ernsthaft fragt, wie die Leute es damals wohl geschafft haben, dort überhaupt ein Loch reinzubringen!"

Es ist immer wieder erstaunlich, wie unauffällig an und für sich kontroverse Fundstücke in Museen präsentiert werden. Kleine unleserliche Kärtchen weisen geradezu verschämt darauf hin, dass die Entstehung des fraglichen Exponats im Dunkeln liegt oder - wie es Ausstellungsmacher lieber formulieren - "noch unklar ist". Die Munition wird entschärft, bevor sie hochgehen kann. Je weniger Platz für Spekulationen, desto besser. Denn Spekulationen öffnen Raum für Fantasie. Und die wird Wissenschaftlern bereits in der Universität erfolgreich ausgetrieben.

Eva Koch straft derartige Klischees Lügen. Fragezeichen bereiten ihr eine helle Freude. Und wenn es um "ihre" georgischen Zinnperlen geht, gerät die Pressesprecherin des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum sogar regelrecht ins Schwärmen: "Die Dinger sind mit ihren 1 bis 1,5 Millimetern derartig winzig, dass man sich ernsthaft fragt, wie die Leute es damals wohl geschafft haben, dort überhaupt ein Loch reinzubringen! Die Öffnungen sind so klein, dass lediglich ein hauchdünnes Haar hindurchpasst. Dabei ist es schon faszinierend genug, dass Perlen dieser Größe von den Archäologen überhaupt gefunden werden."

Kochs Euphorie ist verständlich: In Zusammenarbeit mit der Georgischen Akademie der Wis-senschaften Tbilssi konnten im Bochumer Museum vom 28. Oktober 2001 bis zum 8. Septem-ber 2002 rund 1000 archäologische Exponate aus Georgien erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Drei Jahre Vorbereitungszeit waren der Ausstellung "Schätze aus dem Land des Goldenen Vlies" vorausgegangen. Dass es in diesem Fall um etwas ganz Besonderes ging, zeigten bereits die beiden prominenten Schirmherren der Veranstaltung: Eduard Schewardnaze, Staatspräsident von Georgien, und Johannes Rau, Bundespräsident von Deutschland.

Georgiens Vergangenheit ist eng mit der griechischen Sagenwelt verknüpft. Prometheus soll dort von Göttervater Zeus einst an einen Felsen gekettet worden sein. Und die Argonauten stöberten im alten Kolchis am Schwarzen Meer nach dem legendären Vlies - dem Fell eines goldenen Widders. Argwöhnisch bewacht von einem furchteinflößenden Drachen harrte es der Helden, wie uns die Überlieferung erzählt.

Zum ersten mal überhaupt durften deutsche Wissenschaftler die Funde aus der damaligen Zeit nun zusammen mit ihren Kollegen vom Archäologischen Zentrum der Akademie der Wissen-schaften der Republik Georgien unter die Lupe nehmen. Speziell die Metallbeschaffenheit der Exponate wurde bis ins kleinste Detail analysiert. Der Bochumer Museumsdirektor Professor Rainer Slotta stolz: "Das ist eine Forschungsarbeit, die in dieser Form noch niemals geleistet wurde und die Forschung des gesamten Kaukasusgebietes und Vorderasiens auf eine neue Basis stellen wird."

Abb. 2 Eine der georgischen Zinn-Persen unter dem Elektronen-Mikroskop: Die Bearbeiungs-Spuren im Inneren der Perle beweisen, dass sie tatsächlich künstlich durchbohrt wurde.

Bereits der Katalog der Ausstellung ist eine Augenweide für alle Freunde des Geheimnisvollen: Auf knapp 500 Hochglanzseiten führt er den Leser in ein sagenumwobenes Land voller kunst-voller Schmuckgegenstände, astrologischer Traktate, religiöser Fresken, uralter Sonnenschei-ben, Prunkäxte und wundervoller Metallfiguren. Ein Exponat merkwürdiger als das andere.

Größtes Geheimnis der Ausstellung bildeten aber die 2500 mikroskopisch kleinen Zinnperlen aus dem Gräberfeld von Ergeta bei Sugdidi in der Kolchis (um 750-650 v. Chr.). Jede von ih-nen wiegt durchschnittlich 3,5 Milligramm und besteht aus relativ reinem Zinn mit Verunreini-gungen von Kupfer, Blei und Eisen. Löcher in ihrem Innern deuten darauf hin, dass sie einst zu ganzen Ketten aufgezogen worden sein mussten.

Licht- und rasterelektronemikroskopische Untersuchungen in Bochum konnten horizontal ver-laufende Riefen im Innern der Perlen nachweisen - was beweist, dass die Öffnungen künstli-chen Ursprungs sind. Mit welchem technologischen Verständnis und Handwerk die filigranen Kleinode einst durchlöchert wurden, ist allerdings unklar: "Die Bohrer selbst könnten aus Kupfer, Bronze oder Eisen bestanden haben", vermuten Michael Prange und Ünsal Yalçin im Museumskatalog. "Auch der Einsatz von Obsidianbohrern ist nicht auszuschließen, jedoch wegen des geringen Durchmessers der Bohrlöcher eher auszuschließen."

Die beiden Wissenschaftler spekulieren in der Folge noch über weitere Herstellungsmöglich-eiten. Dennoch: So richtig schlau scheinen sie aus den Perlenlöchern nicht zu werden. Wer kann es ihnen schon verdenken. Und so muss auch Museumssprecherin Eva Koch auf Nachfra-ge einräumen, "dass man bis heute nicht hundertprozentig weiß, wie die das damals geschafft haben." Und dann ist da noch ein weiteres Rätsel, auf das mich die rührige Pressesprecherin aufmerksam machte: In ganz Georgien gibt es keine entsprechende Zinnlagerstätte.

Bleibt somit die Frage, woher das verarbeitete Material überhaupt importiert wurde. Koch: "Unsere Wissenschaftler sind sich mittlerweile ziemlich sicher, dass es aus Afghanistan stammt - also einen elend langen Weg hinter sich hat. Und Distanzen dieser Art nahm man in der da-maligen Zeit nur auf sich, wenn es um etwas wirklich Wertvolles ging..."


Anmerkungen und Quellen

Bürgin Rätsel.jpg

Dieser Beitrag von Luc Bürgin © wurde seinem Buch "Rätsel der Archäologie - Unerwartete Entdeckungen - Unerforschte Monumente" entnommen, das im Jahr 2003 in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München, erschienen ist. Diese Wiederveröffentlichung erfolg mit freundlicher Genehmigung des Autors.


Bild-Quelle

(1) Luc Bürgin, "Rätsel der Archäologie - Unerwartete Entdeckungen - Unerforschte Monumente"

(2) ebd.