Kennen Sie die Pendejo-Höhle in New Mexico?

(bb) Falls Sie die in der Überschrift gestellte Frage nicht mit 'ja' beantworten können, ist dies keineswegs ein Zeichen für ein bedenkliches Bildungsdefizit: ca. 99,9 Prozent der Weltbevölkerung dürfte es nicht anders ergehen als Ihnen. Sollten Sie sich allerdings für den anhaltenden Wissenschaftsstreit um die Besiedlungsgeschichte Amerikas interessieren, dann ist es durchaus empfehlenswert, sich den despektierlichen Namen [1] dieser - alternativ bisweilen auch als Orogrande-Höhle bezeichneten - Örtlichkeit sowie ein paar Informationen dazu zu merken.

Basisinformationen

Abb. 1 Eine Karte zur geographischen Position der Pendejo-Höhle im Süden New Mexicos (Graphik: University Of Texas at El Paso)

Die so genannte Pendejo-Höhle (Engl: Pendejo Cave) ist eine geologische Struktur und eine archäologische Ausgrabungsstätte im südlichen New Mexico (Abb. 1), etwa 20 Meilen östlich der Kleinstadt Orogrande, 80 km südlich von Alamogordo, und etwa 15 km nordöstlich der Südspitze der Sacramento Mountains [2]. Pendejo ist eine relativ kleine Höhle, nur 5 Meter breit, 12 Meter tief und maximal 3 Meter hoch. Sie befindet sich in einer Höhe von ca. 1490 Metern über dem Meeresspiegel. Ihr Zugang ist nach Norden ausgerichtet, etwa 50 Meter über dem Boden des Rough Canyons, inmitten der kargen Wüstenvegetation der Chihuahua-Wüste. [3]

Entdeckt - oder sollten wir sagen: wiederentdeckt? - wurde die Pendejo-Höhle im Jahr 1973, doch erst zwölf Jahre später, im Frühjahr 1990 begannen dort die ersten archäologischen Grabungen unter Leitung von Richard S. MacNeish (Abb. 2). Die nächsten Grabungs-Kampagnen fanden im Winter und dann im Frühling 1991 statt. Weitere Untersuchungen folgten. Diese Grabungen förderten zahlreiche lithische Artefakte und andere 'steinzeitliche' Relikte zutage, wie etwa einseitig behauene Schaber (unilateral shavers) sowie Werkzeuge aus Knochen und Horn. Vieles davon ließ sich der Clovis-Kultur (ca. 11.000 v.d.Z.) zuordnen, andere Objekte jüngeren Kulturen. [4] Wäre es dabei geblieben, so hätte diese entlegene Fundstätte in der Fachwelt wohl kaum größere Beachtung gefunden - und auch dieser Artikel wäre nie verfasst worden.

Streit um die Pendejo-Höhle

Tatsächlich sorgte Richard MacNeish mit der Veröffentlichung der Ergebnisse seines Teams für einen veritablen 'Paukenschlag', denn er und seine Miarbeiter waren auch auf Fundgut gestoßen, das weitaus älter war als die Covis-Kultur, nämlich - wie der Archäologe später erklärte, bis zu 75.000 Jahre alt. [5]

Abb. 2 Prof. Richard Stockton (Scotty) MacNeish (1918-2001); Foto: National Academy of Sciences

Zum Beispiel wurde von ihnen eine Ahlen- oder Speer-Spitze unter Knochen des Exemplars einer ausgestorbenen Pferdeart (Equus alaskae) gefunden. Sie befanden sich in einer auf ein Alter von 36.000 Jahren datierten Schicht. Der Humerus eines Bisons weist fünf von einem scharfen Stein verursachte Kerben auf. Altersdatierung: 51.000 Jahre. Auch das gespaltene Zehenglied (phalanx) eines Pferdes, das irgendwer offenbar - der Datierung zufolge vor ca. 32.000 Jahren - vorbereitet hatte (vermutlich, um daraus eine Suppe zu kochen, was in den alten Kulturen eine gängige Praxis war), gehörte zu den Funden. [6] Schließlich waren die Forscher in einem ca. 38.000 Jahre alten Stratum auch auf einen menschlichen Hand- und einen Fingerabdruck gestoßen. [7]

Das aber kam beim Mainstream der US-amerikanischen Archäologen-Zunft, der damals felsenfest davon überzeugt war, der Mensch sei erst vor gut 12.000 Jahren nach Amerika gelangt, gar nicht gut an und sorgte umgehend für Kontroversen. So stellten z.B. MacNeishs Kollegen Brian S. Shaffer und Barry W. Baker die Datierung des besagten Handabdrucks in Frage, und auch die Archäologin Dena F. Dincauze, die selber an den Ausgrabungen beteiligt war, sah "ernsthafte Probleme" hinsichtlich "postdepositionaler" Veränderungen der Lage des Fundgutes, und zwar - man höre und staune! - aufgrund des Vorhandenseins der Bauten von Nagetieren in der Höhle, welche eine "Verschiebung einiger Relikte in ältere Schichten" verursacht haben könnten... [8]

McNeish, der fachlich ohnehin nichts von der Lehrmeinung des 'Clovis first!' hielt, die er zu widerlegen trachtete [9], und der als höchst renommierter Fachwissenschaftler eine derart hohe Reputation genoss, dass man ihn nicht einfach durch Forschungssperren oder Publikationsverbote 'abschießen' konnte, behielt die Ruhe und suchte unbeirrt nach weiteren Evidenzen. Ende Juni 1992 ging er dann, wie wir bei William R. Corliss erfahren, mit der Meldung einer neuen Entdeckung in der Pendejo-Höhle an die Öffentlichkeit [10], die geeignet erschien, auch seinen schärfsten Kritikern den 'Wind aus den Segeln zu nehmen'. Die Ausgräber waren dort nun bei ihrer Feinarbeit in einer der tieferen Schichten auf mehrere Haare gestoßen. Eines davon, weniger als drei Zentimeter lang, "wurde von kanadischen Forensik-Experten als definitiv menschlich klassifiziert. Die Kohlenstoff-14-Datierung eines in der Nähe liegenden Stücks Holzkohle aus derselben Schicht ergab ein Datum von 19.180 BP - wesentlich älter als die leidenschaftlich verteidigte 12.000-BP-Datierung für die ersten Ankömmlinge in der Neuen Welt." [11] MacNeish war zuversichtlich, dass seine Erkenntnisse nun akzeptiert werden müssten und scherzte der Presse gegenüber: "Es sieht so aus, als würde ich das hier um Haaresbreite gewinnen." [12]

Wie wir heute wissen, hatte sich Richard MacNeish damals zu früh gefreut. Vermutlich unterschätze er die manifeste Erkenntnisresistenz seiner amerikanischen Kollegen, wenn es um grundsätzliche Neubewertungen des Verlaufs der urtümlichen Besiedlungsgeschichte Amerikas geht. Und so heißt es heute in der englischsprachigen Wikipedia: "Die frühe Datierung der Entdeckungen im Pendejo Cave wurde von anderen Archäologen generell unberücksichtigt gelassen. Faunenreste in der Höhle waren auf ein Alter von etwa 55.000 Jahren datiert worden, aber die [artifizielle; d.Ü.] Herstellung und Datierung der abgesplitterten Steine ​​und anderer angeblicher Artefakte menschlichen Ursprungs ist umstritten". [13] [14] Oder, wie es bei der University of Texas at El Paso formuliert wird: "Die Behauptung [sic!; bb], die Pendejo-Höhle sei vor Clovis von Menschen genutzt worden, hat die Höhle und die Interpretationen ihrer Inhalte umstritten gemacht." [15] An einer ergebnisoffenen - also nicht vor allem an der Stützung vorherrschender Paradigmen und Lehrmeinungen orientierten - Erforschung der "umstrittenen" archäologischen und paläo-anthropologischen Aspekte der Pendejo-Höhle besteht augenscheinlich noch immer kein Interesse.


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Anmerkung: Das Wort pendejo bedeutet im Spanischen eigentlich "Schamhaar". In Mexiko ist es aber auch ein drastisches Schimpfwort mit Bedeutungen, wie "Trottel", "Arschloch" oder "Idiot". Diesen befremdlichen Namen (Pendejo Cave) verdankt die Höhle einem ihrer wichtigsten Ausgräber, dem Archäologen Richard MacNeish.
  2. Anmerkung zur exakten Lage der Höhle: Otero County, New Mexico, 32°25'N, 105°55'W
  3. Quellen: 1) Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Pendejo Cave", mit Verweis auf: o.A., "Pendejo Cave", bei University of Texas at El Paso; sowie: 2) perlistige.com, unter: "Pendejo Cave" (alle abgerufen: 29. Juli 2018)
  4. Quelle: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Pendejo Cave" (abgerufen: 29. Juli 2018)
  5. Siehe:
    200
    Richard S. MacNeish (Hrsg.) und Jane G. Libbey (Hrsg.), "Pendejo Cave", University of New Mexico Press (Erstausgabe: Mai 2004)
  6. Quelle: o.A., "Pendejo Cave", bei perlistige.com (aabgerufen: 29. Juli 2018)
  7. Quelle: Carmel McCoubrey, "Richard MacNeish, Agricultural Archaeologist, Dies at 82", 30. Januar 2001, bei The New York Times (abgerufen: 29. Juli 2018)
  8. Quelle: o.A., "Pendejo Cave", bei perlistige.com (abgerufen: 29. Juli 2018)
  9. Quelle: Carmel McCoubrey. op. cit. (30. Januar 2001)
  10. Siehe: David L. Chandler, "Strand of Hair May Be Proof of Much Earlier Americans", in: The Boston Globe, 28. Juni 1992
  11. Quelle: William R. Corliss, "Winning By A Hair", in: Science Frontiers No. 83: September-Oktober 1992
  12. Quelle: ebd.
  13. Siehe: Stuart F. Fiedel, "Reviewed Works: Pendejo Cave", Journal of Anthropological Research, Herbst 2004, Vol. 60, No. 3, pp. 416-417
  14. Quelle: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Pendejo Cave" (abgerufen: 29. Juli 2018; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  15. Quelle: o.A., "Pendejo Cave", bei University of Texas at El Paso (abgerufen: 29. Juli 2018; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)

Bild-Quellen:

1) o.A., "Pendejo Cave", bei University of Texas at El Paso
2) National Academy of Sciences, nach: Kent V.Flanery und Joyce Marcus, "RICHARD STOCKTON MACNEISH - April 29, 1918–January 16, 2001", bei Biographical Memoirs: V.80 (2001) (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)