Konventionelle Experimentelle Archäologie

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Experimentelle Archäologie aus grenzwissenschaftlicher Sicht, Teil I

"Wenn archäologische Anomalien manifest werden, dann sind nicht mehr sie selber anomal, sondern ihr Definitions-Rahmen." (Handbuch des Archäologie-Guerillero)

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Abb. 1 Links: Das "Nydam-Schiff" (Ellmers 1972, 326; Gøthche 1995). Rechts: Das experimentelle Riet-Boot "Abora 2" auf seiner Expedition im Jahr 2002.

(bb) In seinem Papier "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie" stellte der Archäologe Dr. Timm Weski 1997 die Experimentelle Archäologie (nachfolgend auch: kurz: EA) in allgemein verständlicher Form als universitären Forschungszweig seines Fachs vor, wobei er sich allerdings auf den Bereich der Experimentellen Boots- und Schiffsarchäologie konzentriert hat. [1]

Trotz dieser Spezifizierung gibt uns Weskis fachwissenschaftlich-universitäres Papier die Gelegenheit, gestützt auf Zitate daraus, eine kritische Reflexion der Experimentellen Archäologie aus grenzwissenschaftlichem bzw. alternativ-historischem [2] Blickwinkel vorzunehmen. Außerdem soll hier der Versuch unternommen werden, einige grundsätzliche Unterschiede in Ansätzen, Theorie und Praxis konformistischer und nonkonformistischer Varianten dieses Forschungszweigs aufzuzeigen. Wir wir zeigen werden, sind diese Differenzen durchaus erheblich.


Konventionelle Experimentelle Archäologie - Bastelei und Modellbau nach wissenschaftlichen Spielregeln?

Beginnen wir unsere Betrachtung mit einer Definition des Begriffs, die wir bei Weski gefunden haben, und hier wegen ihrer Prägnanz, aus ihrem Kontext gelöst, einleitend zitieren möchten: "Experimentelle Archäologie bedeutet anhand von Funden, schriftlicher Überlieferung und ethnologisch/volkskundlicher Beobachtungen Geräte und Gegenstände nachzubilden, die dem angenommenen Original (Hypothese) so ähnlich wie möglich sein sollen. Im Idealfall sollte zum Vorbild kein erkennbarer Unterschied mehr bestehen. Anschließend wird dann das fertige Produkt auf seine Brauchbarkeit und Anwendbarkeit untersucht. Aber auch die Herstellung von reinen Exponaten fällt mit in den Bereich der Experimentellen Archäologie. Das Spektrum beginnt mit einfachen Arbeitsvorgängen, wie dem Backen von Brot und endet beim Nachbau ganzer Dörfer, in denen der Alltag früherer Zeiten nachgelebt wird, wie z.B. in Berlin-Düppel." [3]

Halten wir dazu zunächst kurz fest, dass dies eine fachzentristische [4] Definition ist, die sich vor allem auf die Produktion von "Repliken" oder auch (bei mangelhafter Datenlage) "Quasi-Repliken" sowie auf die handwerklichen Aspekte eines archäologischen Experiments fokussiert und vorwiegend am Endergebnis orientiert ist. Dabei erweitert Weski diesen eng gesteckten Definitions-Rahmen nur unwesentlich, wenn er anfügt: "In einigen Fällen ist nicht nur das Endprodukt, sondern auch seine Herstellung Teil des Experiments, um beispielsweise den gesamten Arbeitsaufwand ermitteln zu können, oder um eine besonders authentische Nachahmung zu erhalten. In solchen Fällen müssen auch die Bäume mit Steinbeilen gefällt (Adamek u.a. 1990) oder die Nägel von Hand geschmiedet (woher kommen Holzkohle und Roheisen?) werden." [5]

Abb. 2 Die Burg Dankwarderode in Braunschweig wird von Dr. Timm Weski als Beispiel für Experimentelle Archäologie im weiteren Sinne erwähnt.

Auch ein kurzer, wissenschafts-geschichtlicher, Rückblick von Weski macht deutlich, dass der Aspekt handwerklicher Reproduktion stets im Zentrum des Experimental-Interesses der Archäologen gestanden hat: "Experimentelle Archäologie kann, obwohl als eigenständiger Forschungszweig noch nicht richtig anerkannt, auf eine lange Geschichte zurückblicken. Dies gilt auch für Boote und Schiffe, allerdings sind viele Versuche nie dokumentiert und veröffentlicht worden (Ellmers 1990). Ebenso gehören das Wiederaufrichten antiker Tempel in den Bereich der experimentellen Archäologie wie der Nachbau des römischen Kastells Saalburg mit seinen funktionierenden Heizanlagen und Katapultgeschützen." Weskis fachzentristischer Betrachtungs-Winkel wird erneut deutlich, wenn er fortfährt: "Die Arbeit Pfeifers über die Technik der Steinzeit muß zu diesem Themenkreis hinzugezählt werden, obwohl er außer praktischen Versuchen stark von ethnologischen Parallelen ausging (Pfeifer 1914; Feustel 1973).

Ebenso müssen die zahlreichen Brückenmodelle, die von Gymnasiasten nach Caesars Beschreibung gefertigt wurden (Bell. Gall. IV, 17), erwähnt werden. Auch Bauwerke des Historismus, wie die Burg Dankwarderode in Braunschweig (Abb. 2) oder auch die Schlösser von Ludwig II (Neuschwanstein) können mit zum Spektrum historischer Rekonstruktion gerechnet werden. Neuen Aufschwung erhielt die experimentelle Archäologie in den sechziger Jahren durch verschiedene Projekte vor allem aus Dänemark (Lejre) und aus England (Fansa 1990). Inzwischen leiteten sich daraus eine Vielzahl von Versuchen ab, von denen einige kürzlich in einer Wanderausstellung zusammengefaßt wurden (Fansa 1996)." [6]

Wie zu sehen ist, gab es schon lange 'Experimentelle Archäologie' im Sinne eines an Historizität orientierten, versuchsweisen Nachbaus alter Artefakte, bevor das 'Kind einen Namen' bekam und sich als Forschungszweig innerhalb der Archäologie zu etablieren begann. Das "archäologische Experiment" ist also, streng genommen, keine Eigenentwicklung der Archäologie, sondern ein "Adoptivkind", das erst relativ spät aus der nicht-universitären Forschung und Lehre übernommen und von Archäologen in ihrem Sinne "kultiviert" wurde.

Von daher sollte es weder verwundern, dass 'Experimentelle Archäologie' nach wie vor auch außerhalb des universitär-archäologischen Fachs, z.B. im schulischen oder grenzwissenschaftlichen Bereich (oder im Rahmen nicht archäologischer Fach-Wissenschaft, z.B., wie bei Pfeifer, im Kontext ethnologischer Forschung) stattfindet, noch sollten den Betrachter Entwicklungs-Defizite dieser jungen Forschungs-Richtung und eine gewisse Konfusion bezüglich ihrer Grundlagen und Zielsetzungen irritieren.

Etwas unklar heißt es dazu bei Weski: "Obwohl der Experimentellen Archäologie ein fundiertes, theoretisches Grundlagengerüst fehlt (Parthesius, im Druck) sind Grundlagen und Ziele mehrfach, teilweise kontrovers formuliert worden". Natürlich ist dies kein Widerspruch, wie Weski hier nahelegt, sondern solche kontroversen Betrachtungen und Formulierungen resultieren geradezu zwangsläufig aus der Tatsache, dass es sich bei der (universitären) Experimentellen Archäologie um einen vergleichsweise jungen Forschungszweig handelt, dessen Grundlagen und Ziele noch 'auskristallisieren' müssen.

In diesem Zusammenhang zitiert er u.a. ein renommiertes britisches Autorenteam, das allerdings weniger eine "Definition der Ziele der Experimentellen Archäologie" vornimmt, als eine Bestimmung von Grundregeln, denen ein experimentelles Projekt [7] unterworfen ist, wenn es einen wissenschaftlichen Charakter für sich in Anspruch nimmt:

1. "Ein Experimentelles Projekt muß deutlich definierte Ziele besitzen, die durch nachgeprüfte Problemstellung begründet sind.

2. Die Quellenlage muß sowohl in Qualität als auch in Quantität ausreichend sein, um daraus Thesen ableiten zu können.

3. Alle wichtigen Quellen, Ergebnisse von Nachbarwissenschaften und Handwerksregeln müssen mit berücksichtigt werden.

4. Der entscheidende Ausgangspunkt besteht in der Formulierung der Fragestellung.

5. Die Versuche müssen genau genug sein, um die ursprüngliche Fragestellung überprüfen zu können.

6. Ein Projekt im Bereich der Experimentellen Boots- und Schiffsarchäologie ist im wahrsten Sinne des Wortes wertlos, wenn es nicht einer kritischen Beurteilung unterzogen wird und in einer solchen Form veröffentlicht wird, die es erlaubt, das Projekt unabhängig zu wiederholen.

7. Der Wert des Projektes hängt im starken Maße davon ab, in wie weit es das Verständnis in historischer oder kultureller Hinsicht erweitert. Dabei kommt der Rolle des Fahrzeugs eine besondere Bedeutung zu". [8]


Fortsetzung:

II. Probleme konventioneller Experimental-Archäologie


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Anmerkung: Den für uns durchaus interessanten Bereich der Rekonstruktion von Pfahlbauten klammert Weski leider aus. Dazu schreibt er: "Im Bereich der Unterwasserarchäologie sind für die Experimentelle Archäologie vor allem die Rekonstruktion von sogenannten Pfahlbauten und von Wasserfahrzeugen zu nennen. Erstere können im Rahmen dieses Beitrages nicht behandelt werden, besonders da in Deutschland wiederaufgebaute Pfahlbauten mit einer Ausnahme nur in Unteruhldingen am Bodensee vorhanden sind. Eine Beschäftigung mit diesen veralteten Hypothesen ist unweigerlich mit einer Auseinandersetzung mit der Person H. Reinerth und seiner Rolle in der deutschen Vor- und Frühgeschichte im Dritten Reich verbunden (Bollmus 1970, 154; Kossack 1977, 346)." (Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm)
  2. Anmerkung: ALTERNATIV-HISTORISCH / ALTERNATIV-HISTORIK = Sammelbegriff für alle Vorstellungen und Konzepte zur Menschheits-, Welt- und Zivilisations-Geschichte (bzw. ihrer Erforschung), die in Form und/oder Inhalt Alternativen zur konventionellen, schulwissenschaftlichen Forschung darstellen.
  3. Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm
  4. Anmerkung: FACHZENTRISTISCH = Auf einen spezifischen fachwissenschaftlichen Forschungs-Ansatz oder -Bereich fokussiert (im Gegensatz zu inter- und transdisziplinären Ansätzen und Denkweisen).
  5. Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm
  6. Quelle: ebd.
  7. Anmerkung: Auch dort wird der Gegenstand offenbar sehr spezifisch aus der Sicht Experimenteller Schiffs- und Bootsarchäologie betrachtet.
  8. Quelle: Coates et al., 1995, 300; (Übersetzung durch T. Weski), nach "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997

Bild-Quellen:

1) Links: Dr. Timm Weski Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie
1) Rechts: Verein für experimentelle Archäologie und Forschung e.V., unter: http://www.abora2.com/english/project.htm (Bild dort nicht mehr online)
2) Braunschweig - Die Löwenstadt: Sehenswürdigkeiten, unter: http://www.braunschweig.de/stadtportrait/sehenswuerdigkeiten/burg_dankwarderode.jpg