Panchaia

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Abb. 1 Eine Statue des Euhemeros (Foto: Ensaios Antropológicos)

(ref) Panchaia [1] (Altgriechisch: παγχαΐα sc. χώρα, "ganz vortreffliches Land"; Latein: Nesus Panchaea) - antiquiert auch: Panchea - ist der Name einer von dem antiken griechischen Mythographen und Philosophen Euhemeros (Abb. 1) in seinem Werk „Hierà Anagraphé“ (Ἱερὰ ἀναγραφή, in etwa: "Heilige Chronik") beschriebene Insel. Diese Schrift gehört zu den verloren gegangenen Werken der Antike. Ihr Inhalt - vor allem die vorhandenen Angaben zu Panchaia - wurde durch Diodorus Siculus und wiederum ihn zitierende Autoren [2] fragmentarisch überliefert. [3]

In der schulwissenschaftlichen Forschung wird allgemein davon ausgegangen, dass es sich bei Panchaia um eine Erfindung des Euhemeros handele, wobei man vermutet, er habe sich dabei an Platons Beschreibung von Atlantis orientiert. Der Althistoriker Robert von Pöhlmann beispielsweise betrachte den Bericht über Panchaia, wie auch die platonische Atlantida, den 'Sonnenstaat' des Iambulos und den Meropisbericht des Theopompos von Chios als Beispiel für die Literaturform des "Staatsromans". Aus alternativhistorischer bzw. atlantologischer Sicht - und in Anbetracht jüngerer archäologischer Erkenntnisse zur Prähistorie Arabiens und insbesondere des heutigen Bahrein - stellt sich jedoch durchaus die Frage nach einem möglichen, 'harten Kern' der Erzählung. Auch Zusammenhänge zwischen der Beschreibung von Panchaia und älteren Berichten über Dilmun und das sagenhafte 'Goldland' Punt der Alten Ägypter erscheinen keineswegs ausgeschlossen.


Euhemeros´ Angaben zu Panchaia

Abb. 2 Das Gebiet, in dem ein historisches Vorbild für Euhemeros´Panchaia zu suchen sein muss, hier rot markiert

Wie wir bei Pöhlmann erfahren, erzählt Euhemeros, "daß er auf einer der großen Reisen, die er im Auftrage seines Freundes, des Königs Kassander von Makedonien, unternommen, von dem »glücklichen« Arabien aus [4] in das südliche Weltmeer verschlagen worden und nach vieltägiger Fahrt zu einer Gruppe von Inseln gelangt sei, deren östlichste, Panchäa, Indien so nahe lag, daß man von ihr aus das indische Festland erblicken konnte. Hier hauste inmitten einer üppigen Natur ein glückseliges Volk [5] unter der Herrschaft einer priesterlichen Aristokratie, die in dem heiligen Bezirk des prachtvollen Zeustempels, sechzig Stadien von der Hauptstadt Patara [6] entfernt, zusammenwohnte. [7] Diese Priester hatten die oberste Entscheidung in allen wichtigeren Angelegenheiten des öffentlichen und privaten Lebens, wenn auch neben ihnen weltliche Beamte, ja sogar Könige genannt werden. [8] Was die soziale Organisation des Volkes betrifft, so erscheint dasselbe nach den verschiedenen Berufszweigen in besondere (korporativ organisierte?) Abteilungen gegliedert. Neben dem Priestertum steht als zweite selbständige Klasse die der Ackerbauer, als dritte die der Krieger. [9] Eine Gliederung, die – rein äußerlich betrachtet – eine gewisse Ähnlichkeit mit den ständischen Gesellschaftsordnungen des Orients zu haben scheint, in Wirklichkeit aber schon darin eine ganz abweichende Tendenz zeigt, daß sie dem Nährstand keineswegs einen niedrigeren Rang anweist als dem Wehrstand. Auch sonst kommt in Panchäa die Ehre der Arbeit in hohem Maße zur Geltung. Die Vertreter der Künste und Handwerke bilden eine Unterabteilung der ersten Klasse, stehen also in gewisser Beziehung unmittelbar neben den Priestern. Ebenso ist bezeichnenderweise derselben Abteilung, der die Krieger angehören, eine wirtschaftliche Klasse, nämlich die der Hirten zugewiesen, die also gleichfalls eine durchaus geachtete Stellung einnimmt. [10] Näheres über die Organisation und das gegenseitige Verhältnis dieser verschiedenen Volksabteilungen erfahren wir nicht." [11]

Euhemeros hielt "seine Erzählung durchaus frei von allem rein Märchenhaften, Übernatürlichen, Teratologischen, womit sonst die griechische Phantasie gerade den Orient auszuschmücken liebte. Die Menschen, die er schildert, unterscheiden sich durch keinerlei überirdische und geheimnisvolle Kräfte und Eigenschaften von der übrigen Menschheit. Sein Sozialismus mutet ihnen z.B. nicht entfernt eine so weitgehende Entsagung zu wie etwa derjenige Platos. Während eine der Grundbedingungen des platonischen Sozialstaates die möglichste Verminderung aller Bedürfnisse ist, und zu dem Zweck ganze Produktionszweige, wie z.B. der Weinbau, die Kunstgewerbe usw., in ihrer Entwicklung künstlich beschränkt werden, preist Euhemeros an Panchäa gerade seine Ergiebigkeit an Produkten des Weinbaues und anderen Luxuskulturen, den Reichtum seiner Bergwerke an Gold, Silber, Zinn und Erz, dessen Ansammlung und technische Verarbeitung noch dazu durch ein absolutes Ausfuhrverbot gefördert wird [12], die Größe und Pracht der technischen und baulichen Schöpfungen Panchäas, die ganz an die Leistungen der hellenistischen Fürsten und Städte erinnert. Auch von den Institutionen Panchäas kann man nicht sagen, daß sie dem gemeinen Menschenverstand von vorneherein unausführbar erscheinen mußten." [13]


Anmerkungen und Quellen

Einzelverweise:

  1. Red. Anmerkung: Eingedeutscht auch Panchäa
  2. Red. Anmerkung: Das 6. Buch seiner Historischen Bibliothek, in dem ein Teil seiner Bemerkungen zu Panchaia zu finden waren, ist ebenfalls verloren gegangen.
  3. Red. Anmerkung: Erwähnt wird Panchaia, dem Theoi Project zufolge, auch kurz bei Vergil (Georgica II, 139) sowie bei Ovid, (Metamorphosen, 10) Dort heißt es: "Sie [Myrrha, die Mutter des Adonis] durchwanderte die Landschaft, bis sie die von Palmen gesäumten Länder von Arabaes [Arabien] und die reichen Felder Panchaeas hinter sich ließ.". Außerdem bei Claudius Claudianus (The Rape of Proserpine, 2) sowie - laut Wikipedia, und dort ohne nähere Quellenangabe - bei Albius Tibullus.
  4. Anmerkung bei R. von Pöhlmann: Das heutige Yemen, das in Alexanders Zeit jenen, tatsächlich ganz unzutreffenden Namen erhielt, weil sich an diese, für Alexanders Flotten noch unzugänglichen Küsten die alten Vorstellungen von dem glücklichen Land am Südrand der Erde ansetzen konnten, wie E. Schwartz (Griech, Rom. S. 101) richtig bemerkt hat.
  5. Red. Anmerkung: Zur Bevölkerung Panchaias heißt es bei Diodor zudem, sie habe sich aus jenen zusammengestzt "die der dortigen Erde entsprungen" seien und Pankhaioi (Panchaeanier) genannt werden, sowie aus Zugereisten, namentlich Okeanites (Ozeaniten), Indoi (Inder), Skythai (Skythen) und Kretes (Kreter). (Quelle: ISLAND PANKHAIA, bei Theoi Project; abgerufen: 05.09.2013)
  6. Red. Anmerkung: Neben der Metropolis Patara werden im Pannchaiabericht auch noch drei weitere Städte erwähnt, nämlich Hyrakia, Dalis und Okeanis. (Quelle: ISLAND PANKHAIA, bei Theoi Project; abgerufen: 05.09.2013)
  7. Anmerkung bei R. von Pöhlmann: Über diese novellistische Einkleidung s. Rohde S. 220ff. und Schwartz S. 102f.
  8. Anmerkung bei R. von Pöhlmann: Dieselben sind allerdings nur Teilfürsten. Denn die bedeutendste Stadt, Patara, die unmittelbar unter der Schutzhoheit des Zeus Triphylios steht, hat keinen König, sondern drei (jährlich neu erwählte) republikanische Präsidenten, »Archonten« (Diodor V 42). – Wie sich Euhemeros das gegenseitige Verhältnis und die Kompetenzen dieser verschiedenen Gewalten dachte, wird nicht recht klar. Nur von den Archonten Pataras heißt es, daß sie alles selbständig entscheiden, und bloß das Wichtigste, z.B. das Recht über Tod und Leben, den Priestern vorbehalten sei. Über die Stellung der letzteren zu den Königen erfahren wir aus Diodor gar nichts.
  9. Red. Anmerkung: Über die Wehrhaftgkeit der Panchaianer bemerkt Diodorus Siculus: "Die Männer sind streitbar und verwenden in der Schlacht nach altertümlicher Art und Weise Streitwagen. [...] Die Soldaten erhalten einen Sold, der ihnen gleichmäßig zugeteilt wird, und im Gegenzug beschützen sie das Land mit Hilfe von Kastellen und [befestigten] Stellungen, die in Abständen angelegt sind; es gibt nämlich einen Bereich des Landes, der von Räuberbanden heimgesucht wird, welche aus dreisten und gesetzlosen Männern bestehen, die den Bauern auflauern und sie bekriegen." (Quelle: ISLAND PANKHAIA, bei Theoi Project; abgerufen: 05.09.2013; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  10. Anmerkung bei R. von Pöhlmann: Diodor V 45, 3: τὴν δ᾽ ὅλην πολιτείαν ἔχουσι τριμερῆ, καὶ πρῶτον ὑπάρχει μέρος παρ᾽ αὐτοῖς τὸ τῶν ἱερέων, προσκειμένων αὐτοῖς τῶν τεχνιτῶν, δευτέρα δὲ μερὶς ὑπάρχει τῶν γεωργῶν, τρίτη δὲ τῶν στρατιωτῶν, προστιϑεμένων τῶν νομέων.
  11. Quelle: Robert von Pöhlmann, "Die »heilige Chronik« des Euhemeros" in: Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt, München 1925, Bd. 2, S. 293-305. (nach: Zeno.org; abgerufen: 05.09.2013)
  12. Anmerkung: Was den Außenhandel betrifft, vermerkt Euhemeros, die Insel produziere "nichts anderes als Weihrauch, hiervon aber so viel, dass man die ganze Welt damit versorgen kann." (Quelle: Zoltán Biedermann, "Soqotra", Otto Harrassowitz Verlag, 2006, S. 23
  13. Quelle: ebd.

Bild-Quellen:

(1) A Mitologia e a Humanidade, bei: Ensaios Antropológicos

(2) Dilmun, bei: crystalinks.com (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)