Señor Kon-Tiki - Teil 15

Zweiter Durchgang

von Andreas Delor

Abb. 1 Ein Luftbild der abgeschiedenen Osterinsel, auf der Thor Heyerdahl von 1986 bis 1988 weitere Ausgrabungen vornahm.

Der Rest von Thor Heyerdahls Leben ist befestigendes Vertiefen. Fast alle Stationen seiner früheren Forschungen sucht er noch einmal auf, um Ausgrabungen oder Experimente zu machen (allerdings keine Ozeanüberquerungen mehr). Seit seiner Osterinsel-Expedition hat er sich einen Ruf als äußerst sorgfältig und gründlich arbeitender Ausgräber und Ethnologe geschaffen, den er im Folgenden immer mehr ausbaut. Dabei fängt er noch einmal von vorne an und vollzieht zum zweiten Mal den Dreischritt von der Südsee über Peru in die Alte Welt:

Von 1986 bis 1988 macht er erneut Ausgrabungen aus der frühesten Epoche der Osterinsel. Er lässt (zusammen mit dem tschechischen Ingenieur Pavel Pavel) eine Statue diesmal aufgerichtet über die Insel ziehen, weil sie nach der Insel-Überlieferung von selber aufrecht wackelnd gingen. Und er spielt mit den Insulanern den „Vogelmenschen-Kultus“ nach. 1987 besucht er auch die Marquesas-Inseln, darunter Fatu Hiva.

1988 beginnt er mit der Leitung von Ausgrabungen im nordperuanischen Tucumé im Lambayeque-Tal (er lässt sich dort auch nieder), wo sich das größte Pyramidenfeld und die größten Adobe-Pyramiden der Welt befinden – ein Ort, der seltsamerweise damals archäologisch noch jungfräulich ist – und findet dort die Vogelmenschen der Osterinsel wieder sowie ausgedehnte maritime Handelsbeziehungen der alten Peruaner nach Nord und Süd. Obgleich er bei den Indianern äußerst beliebt ist, lässt ihm die „kriminelle Durchseuchung“ dieses Gebietes keine Möglichkeit, hier länger zu bleiben.

Abb. 2 Thor konnte bei seinen Grabungen auf Teneriffa auf der Vorarbeit von Harald Braem et al. aufbauen.

1990 auf Urlaub in Güimar auf Teneriffa (an welcher Insel er immerhin mit der „Ra“ vorbeigesegelt war), lernt er hier seine dritte Frau (Abb. 3) kennen und stößt gleichzeitig auf mexikanisch aussehende Stufenpyramiden (Abb. 2), die er ab 1994 – mit 80 Jahren! – freilegt (auf Grundlage der Vorarbeit von Harald Braem), für ihn eine Zwischenstation der Schilfbootfahrer vom Mittelmeer nach Amerika. Wie gesagt, entgegen allen Unkenrufen stammen diese rätselhaften Pyramiden tatsächlich aus der Zeit der vorspanischen „Guanchen“ (s. Vorrede).

Und mittlerweile wurden ähnlich aussehende Stufenpyramiden [1] auch auf Sardinien, Korsika, Sizilien und La Palma (und seit neuestem in Mauritius, das liegt aber im Indischen Ozean!) entdeckt, davon einige auf knapp 3000 v. Chr. datiert (ca. 300 Jahre früher als in Ägypten, 500 Jahre früher als in Sumer!). Eine ganz neue Kultur kommt hier zum Vorschein, eine mögliche Brücke zwischen den Hochkulturen der Alten und Neuen Welt, deren Bedeutung noch nicht im Entferntesten abzuschätzen ist.

Abb. 3 Thor Heyerdahl mit seiner dritten Ehefrau Jaqueline (Foto: Azer.com)

Thor Heyerdahls schnell populär werdenden Pyramiden-Ausgrabungen tragen nicht unwesentlich – wenngleich lange nicht als einziger Faktor – zur Bildung der Guanchen-Bewegung auf den Kanarischen Inseln bei. Die ursprünglich blonden [2] Guanchen sind für Heyerdahl sehr verdächtige Kandidaten für die frühen Amerikafahrer. – Ebenfalls in diese letzte Station gehört seine Entdeckung marokkanischer Sahara-Felsbilder von Schilfbooten.

In seinem Buch „Lasst sie endlich sprechen“ (1992) kommt Heyerdahl, dessen Natur-Liebe von Anfang an mit einer ausgesprochenen Liebe zu allen Naturvölkern korrespondiert, nicht umhin, eine bittere Anklage gegen seine eigene Rasse, die Weißen, zu formulieren, welche die Indianer in bestialischer Weise gefoltert, vergewaltigt, versklavt und abgeschlachtet haben. Ebenso wie von der Umwelt-Zerstörung ist er, der ähnlich wie Paul Gauguin, Béla Bartók oder Laurens van der Post von der Naturverbundenheit und Natur-Weisheit der Eingeborenen zu lernen sucht, zutiefst schockiert von der brutalen Ausrottungspolitik der „zivilisierten” Menschheit allen indigenen Völkern und Kulturen gegenüber – die bis heute ungebrochen weitergeht.

Thor Heyerdahl tomb.jpg
Abb. 4 Thor Heyerdahls Geabmal bei Colla Micheri in Ligurien, Italien

Nach einem ungeheuer reichen und konsequent geführten, aber in tragischer Weise trotz aller Popularität nicht wirklich anerkannten Forscherleben stirbt Thor Heyerdahl am 18. April 2002 an Alterskrebs. Zum Sterben zieht er sich – zum zweiten Mal – vor dem Medienrummel in sein einsames Heim in Colla Micheri (Italien) zurück.


Fortsetzung: Heyerdahls Erben (Señor Kon-Tiki - Teil 16)

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Anmerkungen und Quellen

  1. Siehe: Dominique Görlitz, „Schilfboot Abora - Segeln gegen den Wind”, Hamburg 2000
  2. Red. Anmerkung: Ob die Guanchen tatsächlich alle blondhaarig waren, möchten wir gerade vor dem Hintergrund des bei ihnen zu vermutenden transatlantisch-polyetnischen Charakters und der nach wie vor ungeklärten Frage nach ihrem eigentlichen Ursprung dahingestellt sein lassen.

Bild-Quellen:

1) Antonsusi et al. bei Wikimedia Commons, unter: File:Luftbild Osterinsel.jpg
2) Roosterfan bei Wikimedia Commons, unter: File:Pyramiden Guimar1.JPG (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)
3) Azerbaijan International, unter: Thor Heyerdahl in Baku Norwegian Archeologist Identifies Azerbaijan as Early Cradle of Civilization
4) Nick Michael und W. bei Wikimedia Commons, unter: File:Thor Heyerdahl tomb.jpg