Streu-Impakt

Definition

Abb. 1 Das wohl bekannteste Beispiel für einen Streu-Impakt: Die Kollision der Fragmente des durch die Gravitaton des Planeten zerbrochenen Kometen Shoemaker Levi 9 mit dem Jupiter im Juli 1994. Diese Infrarot-Bildsequenz hält den Moment des Einschlags eines Kometen-Fragments fest. Ein anderes Bruchstück ist bereits mit Jupiter kollidiert und explodiert (der helle Fleck in seiner südlichen Hemisphäre), während sich ein weiteres dem Planeten annähert. (Aufnahme: Max Planck Institut für Astronomie)

(red) Unter einem Streu-Impakt, bisweilen auch plakativ als "kosmischer Schrotschuss" bezeichnet [1], versteht man multiple Einschläge von Fragmenten eines vergleichsweise kleineren kosmischen Körpers (Asteroid, Planetoid, Meteoroid, oder Kometenkern), auf einem Planeten oder in dessen Gashülle. Die Fragmentierung des Impaktors ist entweder das Resultat der Belastung seiner Struktur durch die Gravitationskräfte des betreffenden Planeten, oder sie ereignet sich erst relativ spät, bei seinem Eintritt in dessen Atmosphäre, u.a. als Reaktion auf die dabei entstehende Reibungshitze.

Beispiele

Als das allgemein bekannteste Beispiel für einen Streu-Impakt darf wohl die Einschlags-Serie großer Trümmer (Abb. 2) des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf dem Planeten Jupiter gelten, die zwischen dem 16. und dem 22. Juli 1994 auf den Gasriesen stürzten und explodierten. (Abb. 1). Die Energie, die bei dieser Impakt-Serie insgesamt freigesetzt wurde, entspricht der einer Detonation von 650 Gigatonnen TNT, dem Äquivalent zur Zündung von etwa 50 Millionen Hiroshima-Bomben!

Shoemaker-Levy 9 on 1994-05-17.png
Abb. 2 Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, schossen die insgesamt 21 Fragmente
zwischen 50 und 1000 m Größe auf Jupiter zu. Insofern könnte man hier auch
von einer 'Impaktoren-Salve' sprechen. (Aufnahme: NASA, Hubble Space Telescope)

Es "war das erste Mal, daß Wissenschaftler auf der Erde die Möglichkeit hatten, Zeugnisse einer Kollision außerirdischer Körper zu erhalten. [...] Die Nachwirkungen der Einschläge waren fast ein Jahr lang nach den Ereignissen an Jupiters Oberfläche zu erkennen." [2]

Abb. 3 Links: Ein Luftbild des Tüttensees, des größten der bisher identifizierten Einschagkraters des Chiemgauer Streu-impakts (Foto: Gerhard Benske); rechts: Besichtigung eines 'Zwergkraters' des Streufelds mit nur ca. 11 m Durchmesser

Noch immer heiß diskutiert [3] wird der so genannte Chiemgau-Impakt. Nach der Theorie seiner Verfechter [4] [5] schlugen in der Ära der bronezeitlichen oder bereits eisenzeitlichen [6] Kelten die Trümmer eines kometaren Körpers oder eines Asteroiden - jedenfalls eines Objekts mit sehr geringer Dichte - in Südbayern ein, wobei dieser protohistorische Streu-Impakt die regionale Kultur der damaligen Bewohner auslöschte. Das Streufeld dieses Impakts, der in geo-mythologischer Hinsicht mit der Phaéthon-Legende in Verbindung gebracht wurde [7], ist weitgehend auf den Bereich des Chiemgaus begrenzt. Dies spricht dafür, dass der ursprüngliche Kollisions-Körper erst nach dem Eindringen in die Erdatmosphäre explodiert ist bzw. in zahlreiche Bruchstücke zerrissen wurde. Die Größe der Einschlagkrater variiert vom größten identifizierten Exemplar, dem heutigen Tüttensee (Abb. 3, links) bei Grabenstätt und Vachendorf, bis hin zu 'Mini-Kratern' mit einem Durchmesser von nur ca. 10 m (Abb. 3, rechts).

Abb. 4 Der vermutete endpleistozäne Streu-Impakt nach Alexander und Edith Tollmann (1993)

Einen endpleistozänen Streu-Impakt von wahrhaft kataklysmischem Ausmaß vermuteten - weitgehend umabhängig voneinander - das österreichische Geologen-Ehepaar Alexander und Edith Tollmann (1993) [8] sowie einige Jahre später (1998) ihr Landsmann, der Naturwissenschaftler und Historiker Heinrich P. Koch [9] Bei leicht voneinander abweichenden Datierungen des Geschehens [10] stimmten sie in der geo-mythologischen Kernthese überein, dass dieser Streu-Impakt die Grundlage der weltweiten Sintflut-Überlieferungen gewesen sei. Zum Modell der Tollmanns heißt es in der Original-Bildunterschrift zur hier reproduzierten Illustration (Abb. 4):

"Die Einschlagsgebiete der sieben Hauptfragmente des Sintflut-Kometen und der große Festlandtreffer bei Köfels in Österreich aufgrund der Gesamtheit der geologischen und mythologischen Indizien. Die im ersten Moment verblüffend weite, noch über eine Hemisphäre hinausreichende Streu wird bei Berücksichtigung der Erdrotation verständlich, da größere zeitliche Verzögerungen zwischen den Einzeleinschlagstellen auftraten (siehe S. 128f.). Darauf weisen auch Mythen der Alten Welt (z.B. Perser) und der Indianer (ihr pazifischer Haupteinschlag) hin." [11]

Auch wenn die Modelle gewaltiger Streu-Impakte - mit multiplen Mega-Einschlägen in die Erdkruste - der Tollmanns und Kochs heute in dieser Form nicht mehr haltbar erscheinen, sind ihre Arbeiten aus den 1990er Jahren keineswegs wertlos geworden, sondern sollten im Licht jüngerer Erkenntnisse [12] überarbeitet und mit diesen amalgamiert werden. Was den Diskurs zu Streu-Impakten im Verlauf der jüngsten erdgeschichtlichen Vergangenheit betrifft, sollte aber auch die - zumindest außerhalb des universitären Bezirks - anhaltende Debatte um die Entstehung der Carolina Bays nicht außer Acht gelassen werden.


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Siehe z.B.: Eckhard Grimmel, "Kreisläufe der Erde: eine Einführung in die Geographie", Münster (LIT Verlag), 2006, S. 35
  2. Quelle: Bill Arnett (Autor) / Michael Wapp (Übersetzer, Webmaster), Neun Planeten.de, unter: "Der Komet Shoemaker-Levy 9" (abgerufen: 05. März 2017)
  3. Siehe zum Charakter dieser Diskussion u.a: Dr. Horst Friedrich, "Neo-Scholastik, "wissenschaftliche" Ferndiagnosen, intellektuelle Überheblichkeit", 2009
  4. Siehe dazu einführend online das Video: "Der Chiemgau Komet - Stunde Null im Keltenreich" (43:18 Min.)
  5. Zur weiterführenden Lektüre empfohlen: Kord Ernstson, "Der Chiemgau-Impakt (Teil I): Ein bayerisches Meteoritenkraterfeld", Chiemgau Impakt e.V., 2010; sowie: Derselbe, "Der Chiemgau-Impakt. Ein bayerisches Meteoritenkraterfeld – Teil 2", Chiemgau Impakt e.V., 2015
  6. Zur Problematik der Datierung dieses Impakts siehe: chiemgau-impakt.de, unter: Wann stürzte der Himmel ein? Die Datierung des Chiemgau-Impakts" (online als PF-Datei; abgerufen: 07. März 2017)
  7. Siehe: Barbara Rappenglück, Michael A. Rappenglück, Kord Ernstson, Werner Mayer, Andreas Neumair, Dirk Sudhaus und Ioannis Liritzis, "The fall of Phaethon: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (south-east Germany)2, in: Antiquity, Volume 84 (2010), Seiten 428–439
  8. Siehe: Alexander und Edith Tollmann, "Und die Sintflut gab es doch - Vom Mythos zur historischen Wirklichkeit", München (Droemer Knaur), 1993
  9. Siehe: Heinrich P. Koch, "Der Sintflut-Impakt: die Flutkatastrophe vor 10,000 Jahren als Folge eines Kometeneinschlags", Verlag Peter Lang, 1998
  10. Anmerkung: Die Tollmanns datierten das von ihnen postulierte Impakt-Ereignis auf etwa 9545 v.d.G., Koch auf ca. 10.000 v.d.G..
  11. Quelle: Alexander und Edith Tollmann, op. cit. (München, 1993), Abb. 36, Bildunterschrift; zit. nach: Wilhelm Pilgram, "Die Kometensplitter", 2011
  12. Siehe z.B.: "Neue Beweise für einen gravierenden Impakt vor ca. 12.800 Jahren" (University of California, Santa Barbara, Mai 2013)

Bild-Quellen:

1) Max Planck Institut für Astronomie und NASA bei Wikimedia Commons, unter: File:Max Planck Institute Shoemaker–Levy 9.gif
2) NASA, ESA sowie H. Weaver und E. Smith (Space Telescope Science Institute - STScI) bei Wikimedia Commons, unter: File:Shoemaker-Levy 9 on 1994-05-17.png
3) Links: Gerhard Benske, nach: "Der Tüttensee – bisher größter Krater im Streufeld", bei Der Chiemgau-Impakt
3) Rechts: Kord Ernstson bei Wikimedia Commons, unter: File:Cirt-crater 004.jpg
4) Alexander und Edith Tollmann, "Und die Sintflut gab es doch - Vom Mythos zur historischen Wirklichkeit", München (Droemer Knaur), 1993, Abb. 36