Tepumerene und Pedra Pintada

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Pedra Pintada (Roraima/Brasilien)

Am 6. April 1800 bekam, den Orinoko aufwärts reisend, der große Naturforscher Alexander von Humboldt auf seiner »Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents« [1] die Bergkette von Encaramada zu Gesicht. Er erwähnt Legenden der dortigen Indios, bei einer Art Sintflut hätten einst die Wellen des Meeres die Felsen von Encaramada bespült. Er besucht auch den berühmten Tepumerene: "Ein paar Meilen von Encaramada steht mitten in der Savanne ein Fels, der sogenannte Tepumerene, der gemalte Fels. Man sieht darauf Tierbilder und symbolische Zeichen ... Häufig sind die hieroglyphischen Figuren sehr hoch oben in Felswände eingehauen, wohin man nur mittels sehr hoher Gerüste gelangen könnte. Fragt man nun die Eingeborenen, wie es möglich sei, die Bilder einzuhauen, so erwidern sie lächelnd, als sprächen sie eine Tatsache aus, mit der nur ein Weißer nicht bekannt sein kann, 'zur Zeit des gros-sen Wassers seien ihre Väter so hoch im Kanoe gefahren<".

Der Tepumerene liegt am nordwestlichen Rand des Orinoko-Guayana-Berglandes. Einhundertfünfzig Jahre später näherte sich ebendiesem Massiv von Süden her der große Außenseiter-Forscher Marcel Homet [2] und kam dort zu einem ganz ähnlichen Monument, das die gleiche Art von geologisch-prähistorischem Rätsel aufgibt, wie der Tepumerene. Diese »Pedra Pintada« ist ein imposanter, ellipsoider Felsblock, hundert Meter lang und dreißig Meter hoch, ebenfalls isoliert mitten in einer ungeheuren Ebene liegend, bei dem es sich offensichtlich um eine prähistorische Kultstätte handelt. Auch dort die Felszeichnungen teilweise »so hoch angebracht, dass die Schöpfer dieses Kunstwerkes ein geradezu gigantisches Gerüst verwendet haben müssen«, wie Homet (op.cit., S. 16) meint.

Abb. 2 Die brasilianische Amazonasregion um Pedra Pintada (Skizze: Dr. Horst Friedrich)

Die realistischeren Indios am Tepumerene hielten, wie wir sahen, von solchen hypothetischen »gigantischen Gerüsten« gar nichts. Nur am Rande sei hier vermerkt, dass Homet an der Pedra Pintada - die übrigens schon von vorangegangenen Expeditionen [3] besucht worden war - zahlreiche Parallelen zu den prähistorischen alteuropäisch-mediterranen Kulturen entdeckte.

Der Verfasser ist geneigt, die indianischen Legenden ernst zu nehmen. Sowohl der Tepumerene wie die Pedra Pintada liegen heute - meinen Atlanten zufolge - knapp unterhalb der 200-Meter-Höhenlinie über dem Meeresspiegel. Sollten sie einst bis zu etwa 2/3 ihrer Höhe im Wasser gelegen haben, so dass die Vorfahren der heutigen Indios von ihren Booten aus ihre Felsbilder anbringen konnten, so würde dies bedeuten, dass damals - für eine gewisse Zeit - das ganze Amazonastiefland bis zu den Anden (!) und die Llanos des Orinoko Schelfmeere, Teil des Atlantischen Ozeans, gewesen wären. Peru wäre damals also vom Atlantischen Ozean her erreichbar gewesen!

Die gleiche These vertritt übrigens - aus ganz anderen, tier- und pflanzengeographischen Gründen - der große, nonkonformistische Naturforscher Ivan Sanderson [4], Er geht davon aus, dass das Amazonas-Tiefland in spät-prähistorischer/protohistorischer Zeit wiederholt ein Nebenmeer des Atlantischen Ozeans war, und dass dies zum letzten Mal um -1200 der Fall war. Er konstatiert, dass das Amazonas-Tiefland erst in allerjüngster Zeit (!) durch die Tier- und Pflanzenwelt zurückerobert worden sein kann, und zwar in mehreren Strömen, die von jenen umgebenden quasi-kontinentalen Landblöcken ausgingen (Orinoko-Guayana-Massiv etc.), die von den Meerestransgressionen unberührt geblieben waren.

Der Atlantische Ozean wäre also damals - in der Gegend der heutigen peruanisch-ekuadorianischen Grenze - nur noch 300 Kilometer vom Pazifik entfernt gewesen. Bedenkt man, dass die Anden teilweise offenbar erst durch die letzten Kataklysmen empor gewuchtet wurden, so will der Gedanke gar nicht so ganz von der Hand zu weisen sein, ob es nicht damals dort eine Passage zwischen den beiden Weltmeeren gegeben haben könnte. Eine solche würde ganz neue, qualifizierte Spekulationen über spät-prähistorische/protohistorische maritime, interkontinentale »Transfusionen« zwischen den verschiedenen Hochkulturen möglich machen!


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde erstmals veröffentlicht in EFODON-SYNESIS Nr. 13/1996. Online erschien er zunächst unter http://www.efodon.de/html/archiv/wissenschaft/friedrich/tepu.htm - bei Atlantisforschung.de 2010 im Dr. Horst Friedrich Archiv

  1. Anmerkung: So der Titel der von Humboldt autorisierten Übersetzung (Stuttgart 1859-1860) seines Originalwerkes »Voyage aux régions équinoctiales du Nouveau Continent« (Paris 1808-1834). Das Zitat stammt aus der deutschen Bearbeitung »Vom Orinoko zum Amazonas« (Wiesbaden 1958), S. 223.
  2. Siehe: Marcel F. Homet: »Die Söhne der Sonne«, Olten/Freiburg 1958, S. 11-31.
  3. Siehe Hierzu etwa: Theodor Koch-Grünberg: »Vom Roroima zum Orinoco«, Berlin 1916.
  4. Siehe z.B.: Ivan T. Sanderson: »Abominable Snowmen - Legend Come to Life«, Philadelphia/New York 1961, S. 155-156.


Bild-Quellen

(1) http://www.efodon.de/html/archiv/wissenschaft/friedrich/tepu.htm

(2) ebd.