Totenstadt (Hypogäum)

Auf Malta nach Atlantis reisen, Kap. 7

von Dr. Christiane Dittmann

Abb. 1 Der Archäologe Temi Zammit erwarb sich große Verdienste um die Wieder-Entdeckung der Megalthkultur von Malta.

Frauen standen beim Megalithvolk in hohem Ansehen. Die patriarchalische Interpretation der Funde stößt deshalb an ihre Grenzen.

Im Jahr 1899 wollten Malteser in Tarxien ein Haus bauen. Aber beim Graben der Fundamente brachen die Arbeiter in eine Höhle ein. So ein Pech! Aber man konnte den Müll hineinwerfen. Drei Jahre später erkennt und sichert der Archäologe Themistocles Żammit (Abb. 1) dieses einzigartige, rätselhafte Bauwerk unter der Erde und nennt es Hypogäum. Es besteht aus drei Tiefgeschossen und ist vor über 5000 Jahren vollständig von Menschen in den weichen, goldgelben Globigerina-Kalk geschlagen worden. Man muss noch einmal daran erinnern, dass es keine Metalle, nur Feuerstein- und Obsidian-Werkzeug gab. Die Anlage ist von oben nach unten gebaut und diente als Begräbnisstätte, aber (fast) nur für Frauen. Um die Toten vor Räubern zu schützen, knickt die Treppe ins unterste Geschoss nach rechts ab, so dass jeder Fremde abstürzt und sich den Hals bricht. Nur wenige Skelette fand man in Körperform. Die meisten Knochen waren wie im mittelalterlichen Beinhaus nach Art und Größe gestapelt.

Bei der Ausgrabung lagen sie plötzlich in einer riesigen Blutlache. Der Rötel, mit dem sie bestreut waren, hatte sich durch einsickerndes Wasser aufgelöst. Ein Massengrab also? Nicht ganz. Denn die Räume bilden die oberirdische Tempelarchitektur authentisch nach. Man sieht das Tempeltor, das aus drei Steinquadern besteht (Trilithon), das Orakelloch, das Kraggewölbe, nicht einmal Rollsteine fehlen, die man hier unten wirklich nicht braucht (vgl. Kap. 4: Obelix). Die Wände sind mit roten Girlanden bemalt, der Farbe, die in vielen Kulturen das Leben symbolisiert. Weil Rußspuren fehlen, haben die Menschen dort womöglich in der Dunkelheit gearbeitet. Aber auch hier endet die Bautätigkeit schlagartig um 2500 v. Chr. Das tiefste Geschoss ist unfertig.

Abb. 2 Handelt es sich ber der 'Schlummernden' um die Abbildung einer Priesterin der Megalithiker von Malta?

Die schönsten Erotika aus dieser Zeit, kleine weibliche Tonfiguren, die im Archäologischen Museum in Valletta zu sehen sind, fand man hier. Das berühmteste Stück ist die "Schlummernde" (Abb. 2), eine üppige, leicht bekleidete Dame, die auf einem Bett schläft. Sie erinnert an Riten aus Mesopotamien, die Herodot beschreibt. Eine jungfräuliche Priesterin schläft immer allein, denn nur Gott kommt zu ihr. Die Figuren werden als Opfergaben bei Fruchtbarkeitsriten interpretiert.

Die Wissenschaftler verstehen nicht, warum die Grabstätte eine Tempelanlage nachbildet. Doch der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist weit verbreitet. Grabbeigaben für Verstorbene waren früher eine Selbstverständlichkeit. Damit das Jenseits auch komfortabel ist, wurden bisweilen sogar die Ehefrau, Diener und Pferde eines verstorbenen Herrschers getötet und mit ihm beerdigt. Das besonders religiöse Megalithvolk baute dagegen für die Toten einen Tempel, denn das ewige Leben ist ohne die Verehrung der Götter nicht denkbar.

Aber wo wurden dann die Männer bestattet? Gab es für Männer eine andere Beerdigungsform, vielleicht die Verbrennung der Leichen? Es wurden nur wenige männliche Skelette gefunden. Ist die Trennung der Geschlechter im ewigen Leben ein Hinweis darauf, dass die Leute auch im Diesseits meist verschiedene Wege gingen? Das Hypogäum liegt in der Nähe der Tarxien-Tempel, dem Hauptheiligtum der Insel. Auch auf Gozo, bei Ggantija fand man vor wenigen Jahren eine viel kleinere, aber vergleichbare Anlage, Xaghra-Steinkreis genannt (vgl. Kap. 14: Beute). Von dort stammen kleine Kalksteinfiguren, die wie der Priester aus Tarxien aussehen, und phallusartige Miniaturen. Sie sind auf Gozo im Museum Casa Bondi zu sehen. Weil das Männliche also durchaus geschätzt wurde, gibt es auch Tempelmodelle, bei denen die Säulen als erigierte Phalli gestaltet sind.

Das Hypogäum war wegen Renovierung sehr viele Jahre geschlossen. Damit die feuchte Atemluft keine Schäden durch Pilz- oder Algenbefall verursacht, dürfen pro Stunde nur zehn Menschen hinein. Die massiven Metallstege beeinträchtigen jedoch sehr stark die Atmosphäre.


Fortsetzung: Grundwasser (Kap. 8)


Bild-Quelle

(1) Wikimedia Commons, unter: File:Temi Zammit.jpg

(2) Wikimedia Commons, unter: File:Sleeping Lady Hypogeum Hal Saflieni.jpg