Unsicherheitsfaktor Radiokarbonmethode

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von unserem Gastautor Reinhard Prahl

Abb. 1 Die "C-14 Methode" zur Datierung von Objekten organischen Ursprungs. Eine sichere Sache? (Graphik: Th. Seilnacht)

Viele Wissenschaftler archäologischer oder historischer Disziplinen verlassen sich heute zur Ermittlung einer absoluten Chronologie auf die sogenannte Radiokarbon- oder C-14 - Methode. Oft werden in Wissenschaftsdokumentationen im TV Artefakte gezeigt und ihr Alter genannt, welches mit der C-14 - Methode ermittelt wurde.

Diese Tatsache vermittelt auch dem interessierten Laien in der Regel den Eindruck, dass man es hier mit einem sicheren Messverfahren zu tun hat. So beziehen sich auch immer mehr Autoren von Fach- oder populärwissenschaftlichen Artikeln auf die vorliegenden Daten für das von ihnen behandelte Thema. Dass diese chemische Methode bei weitem nicht so sicher ist, wie meist angenommen und dass Werte und Daten, die mit der Radiokarbon-Methode erstellt worden sind, nur mit grosser Vorsicht zu verwenden sind, soll der nachfolgende Aufsatz zeigen.


Beschreibung der Radiokarbon- oder C-14 Methode

Es handelt sich hier um ein chemisches Messverfahren für organische Materialien, dass 1947 vom amerikanischen Physiker Willard F. Libby entwickelt wurde. Libby erhielt für seine Arbeit 1960 den Nobelpreis für Chemie.

Das Verfahren beruht auf der Tatsache, dass sich in jedem organischen Material eine geringe Menge radioaktiven Kohlenstoffs, C 14, befindet. Der Ursprung von C 14 liegt in der kosmischen Strahlung, diese Strahlung produziert Neutronen, die in der oberen Atmosphäre die Umwandlung von Stickstoff in radioaktiven Kohlenstoff bewirken. Dieser verbindet sich natürlich mit dem Sauerstoff in unserer Luft, der wiederum Kohlendioxyd hervorbringt. Das Kohlendioxyd wird also mit C14-Atomen angereichert.

Kohlendioxyd wird von Pflanzen zur Photosynthese gebraucht und so gelangt das radioaktive Material in den Organismus von Tieren, die von Pflanzen leben, diese Tiere werden von anderen Tieren gefressen, oder vom Menschen gejagt und verzehrt. Dieser ewige Kreislauf sorgt dafür, dass tatsächlich in jedem Organismus C14 vorhanden ist. Stirbt ein Organismus nun, nimmt er natürlich keinen weiteren radioaktiven Kohlenstoff mehr auf.

Alle radioaktiven Stoffe haben eine sogenannte Halbwertzeit, d.h. die in einem organischen Material vorhandene Menge an C14 halbiert sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, anfangs setzte man ihn auf 5568 Jahre fest, heute geht man von 5730 Jahre aus, dann vermindert sich die Menge um ein Viertel und so weiter. Voraussetzung für die Qualität der Messung sind im Wesentlichen, dass die Aufnahme von C14 konstant geblieben ist. Am besten ist es also, wenn ein zu messendes Artefakt sich möglichst lange unter der Erde befand, um von allen möglichen Fremdeinwirkungen ferngehalten zu werden.

Um ein Material messen zu können, muss zuerst der reine Kohlenstoff herauspräpariert werden. Das geschieht normalerweise durch Verbrennung. Für zwei Messungen (Probe/Gegenprobe) braucht man mindestens 20 Gramm Kohlenstoff, für Holz beispielsweise heisst das, dass man vom zu bewertenden Artefakt etwa 65 g Holz zur Verfügung stellen muss, bei Leinen erhöht sich die Menge auf etwa 200g, für Knochen liegt die zu entnehmende Menge noch höher.

Die Radiokarbon-Methode ist aber ein Messverfahren von ausserordentlicher Sensibilität, dass durch zahlreiche Einflüsse verändert, bzw. verfälscht werden kann.


Die Probleme bei der Messung

Als Libby 1947 sein neues Verfahren vorstellte, waren zahlreiche Archäologen der altamerikanistischen und ägyptologischen Zunft vertreten. Es wurden bei diesem ersten offiziellen Versuch 216 Proben getestet. Unter den Proben waren Holzkohlestücke, Mumienteile, eine Sandale aus einem Indianergrab, ein Mammutzahn u.ä. unterschiedliche Artefakte. Schon von Anfang an gab es ungenaue Messungen, ein Stück Akazienholz aus dem Grab des Pharao Djoser (Abb. 2) z.B. wurde von Libby auf 2000 v.Chr. +/- 200 Jahre (eine gewisse Unsicherheitsrate von ca. 10% wurde vom Entwickler von Anfang an angenommen) datiert. Dieser Pharao soll aber nach traditioneller Chronologie um 2700 v.Chr., in der 3. Dynastie regiert haben. Andererseits wurden 1954 Proben erstellt, die allesamt jünger datiert wurden, als zuvor ermittelt.

Abb. 2 Ein Stück Akazienholz aus dem Grab des Pharao Djoser (Bild) wurde von Libby auf ein Alter von 2000 v.Chr. +/- 200 Jahre datiert. Dieser Pharao soll aber nach traditioneller Chronologie um 2700 v. Chr., in der 3. Dynastie regiert haben. Bei anderen Proben ergaben sich 1954 weit jüngere Daten.

Diese und weitere Ungenauigkeiten in der Folgezeit führte in den späten 70er Jahren zur „Korrigierung“ der C14-Daten mit Hilfe von Kalibrationskurven, die man aus den Jahresringen von Grannenkiefern aus den U.S.A., die Jahrtausende alt waren, errechnete. 1976 wurden die veröffentlichen neu kalibrierten Radiokarbondaten von R.D. Long untersucht und für unzureichend befunden. Es scheint also so zu sein, dass die Jahresringe von amerikanischen Bäumen nicht für altägyptische Daten anwendbar sind. Heute verwendet man Daten, die mit Hilfe europäischer Eichen errechnet wurden. 1977 erschien die Arbeit „Radiocarbon Dating of Palestine in the EB Age“,( BASOR 225) von J Callaway und J. Weinstein, in dem eine Chronologie für das Palästina der frühen Bronzezeit zu finden ist, die auf veröffentlichten „korrigierten“ C14-Daten basierte. Allerdings erwies sich, dass 45% der Daten als falsch zurückgewiesen werden mussten, was die ganze Chronologie unhaltbar werden liess.

Frank Hole schrieb 1987 in seinem Aufsatz „Issues in Near Eastern Chronology“, erschienen in: „Chronologies in the Near East, British Archaeological Report“, Teil 2 über die Probleme der Datierung mittels Radiokarbon-Methode in der Frühzeit: „In Anbetracht der Tatsache, daß wir kaum Fundstätten besitzen, die dieser Phase zugeschrieben werden, ganz zu schweigen vom Fehlen stratigraphischer Belege für eine beträchtliche Zeit, können wir mit der Situation kaum zufrieden sein: Wir haben eine chronologische `Verwerfung, die auf beiden Seiten genügend Fundstätten aufweist, für deren tatsächlichen Verlauf aber so gut wie keine Belege vorhanden sind. Die Kalibration der Daten hat zwar einige Schwierigkeiten beseitigt, aber auch ein enormes Problem geschaffen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, es zu lösen: (1) Die Kalibrationskurve ist falsch, (2) die Datierung nach historischen schriftlichen Quellen ist falsch (3) die archäologische Aufnahme der Schichten ist völlig falsch gedeutet worden (4) die Region war für 1000 Jahre menschenleer oder (5) die Keramik, die in dieser Zeit benutzt wurde, ist nicht signifikant. Da keine dieser Erklärungen akzeptabel scheint, bleibt das Problem ungeklärt.“1 [1]

Abb. 3 Die Ungenauigkeiten bei C-14-Messungen führten in den späten 70er Jahren zur „Korrigierung“ der C14-Daten mit Hilfe von Kalibrationskurven, die man aus den Jahresringen (Bild) von Grannenkiefern aus den U.S.A., die Jahrtausende alt waren, errechnete.

Insgesamt gibt es eine ganze Menge Punkte, die die Datierung mittels Radiokarbon-Methode ungenau werden lassen kann: 1) Die Stratigraphie wurde nicht sorgfältig aufgenommen, so dass man Stücke zusendet, die nicht aus der angegebenen Schicht stammen 2) Ein zu datierendes Artefakt, welches aus einem Gebäude oder Stadt stammt, kann aus einer wesentlich späteren Neubesiedlung stammen, oder aus früherer Zeit.

3) verschiedene Materialien können verschiedene Grundwerte an C14 aufweisen, so ist beispielsweise dem Buch „Der erste Amerikaner“, von C.W. Ceram zu entnehmen, dass „Fleisch von gewissen Wassertieren weniger Spuren radioaktiver Substanz zeigt, als die Schale.[2] 4) die kosmische Strahlung ist aufgrund der Sonneneinwirkung und anderer Faktoren nicht konstant 5) Abgase können den Kohlenstoffgehalt der Luft verändern 6) die Kalibrationskurve ist ungenau.

Insgesamt liegt der Sachverhalt so, dass je älter ein zu messendes Artefakt ist, je grösser ist die Unsicherheitsrate der Messung. So liess sich zum Beispiel für ein Artefakt, dass etwa aus der Zeit um 4420 v.Chr. stammte, zwischen der Dendrochronologie (Datenermittlung mittels Vergleich von Baumringen verschiedenen Alters und Herkunft, Anm. vom Autor) und der Radiokarbonmethode bereits eine Abweichung von + 630 (!) Jahren feststellen [3] während für 2580 v.Chr. „nur noch“ eine Abweichung von etwa 470 Jahren festgestellt werden konnte.

Wenn man bedenkt, dass die Grenzen der Messungsmöglichkeit von Anfangs 20000 Jahren auf erst 70000 Jahren (wg. d. Umwandlung von C14 in Azetylen, Anm. vom Autor), inzwischen bis auf über 1 750 000 Jahre (durch Zuhilfenahme anderer radioaktiver Elemente, etwa Uran 235 u. 238, Anm. vom Autor) ausgedehnt wurde [4], kann man sich leicht vorstellen, wie weit sich die Unsicherheitsrate erhöhen kann. Es soll aber erwähnt werden, dass trotz alledem gerade für die früheste Erdgeschichte die C14-Methode schon wertvolle Dienste geleistet hat, schließlich kommt es bei einem Zeitrahmen von 1 750 000 Jahren nicht mehr auf ein paar hundert oder tausend Jahre an. Hier erscheint eine Anwendung also durchaus sinnvoll.

Abschließend muss noch erwähnt werden, dass die ermittelten C14-Daten mittels der oben bereits erwähnten Dendrochronologie bestätigt werden. Dies ist allerdings auch nicht genauer, denn wie gesagt, wurde die Radiokarbon-Methode ja unter Zuhilfenahme der Dendrochronologie kalibriert, was die Ungenauigkeit nicht verhindern konnte.

Desweiteren kann die Methode für sich genommen auch nicht als genau bewertet werden. Hierfür zeichnen mehrere Faktoren verantwortlich, diese alle auszuführen, würde hier zu weit führen. Es soll aber angemerkt werden, dass ein Vergleich von Veränderungen der Jahresringe zweier Bäume verschiedener Regionen natürlich auch vom Klima, Mikroklima und anderen Faktoren abhängig ist. Desweiteren spielen die sogenannte t-Werte eine Rolle, diese werden auf Basis einer statistischen Analyse der Übereinstimmung zweier Holzstücke ermittelt. Die statistische Bewertung wird mit Hilfe eines Computers erstellt. Werte über 3 werden als gute, geringere Werte als weniger gute bewertet. Nun haben aber des öfteren bereits Messungen verschiedener Stücke eines Holzstückes verschiedene t-Werte ergeben, die für ein Stadttor in Tille Höyük [5] die Jahre 1258, 1140 und 981 v.Chr. ergaben. Kann man also eine als unsicher anzusehende Datierung mit einer anderen unsicheren Datierung bestätigen?


Ergebnis

Da die Radiokarbon-Methode als ungenau zu bezeichnen ist, sollte sie auch nicht zur Bestätigung einer Theorie oder Datierung eingesetzt werden. Es gibt eine ganze Reihe von Fachleuten, die mit den Radiokarbonwerten eine Art Auswahlverfahren betreiben: Passt der ermittelte Wert in die gewünschte Zeit, wird der akzeptiert, wenn nicht, lässt man ihn beiseite.

Viele Ägyptologen und Historiker anderer Disziplinen erkennen aber diesen Umstand inzwischen auch an. So schreibt z.B. David Rohl: „Man muß sich also für alles oder nichts entscheiden: Entweder man akzeptiert die Radiokarbonmethode zur Datierung mit allen ihren Konsequenzen oder man lehnt sie auch dort ab, wo die Daten mit der historischen Chronologie übereinstimmt.[6] In „Fischer Weltgeschichte Bd. 1“ ist zu lesen: „In Wirklichkeit ist die mit Hilfe von 14C vorgenommene Datierung noch lange nicht in Ordnung. Die Messungen stellen sich als viel schwieriger heraus, als man anfänglich gedacht hatte, und alle Ursachen für einen Irrtum sind vielleicht noch nicht ausgemerzt.

Zuletzt möchte ich noch einen Ägyptologen zitierten, der sich hauptsächlich mit der Chronologie Ägyptens beschäftigt und 1997 ein Werk herausbrachte, was seitdem als Standardwerk bezeichnet wird: „Aus dem alten Ägypten schienen namentlich die Gräber eine Fülle von Untersuchungsmaterial zu bieten. Es was allerdings von vornherein klar, daß für die späteren Epochen (Mittleres und Neues Reich, Spätzeit), die durch schriftliche Quellen einigermaßen sicher datiert werden können, die Zeitspannen, innerhalb derer die Untersuchungsergebnisse nach Radiocarbon C 14 liegen, zu ungenau sind. Andere Unsicherheitsfaktoren resultieren bei dieser Methode aus dem nicht immer eindeutigen Zusammenhang der untersuchten Gegenstände mit der Zeit (Regierung, Dynastie), aus der sie stammen sollen (...).“ „(...) Es ist also, was die geschichtliche Zeit Altägptens betrifft, Zurückhaltung bei der Auswertung dieser Daten für die Zeitbestimmung geboten.“



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Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Callaway, J. & Weinstein, J.: Radiocarbon Dating of Palestine in the EB Age, Basor 225, 1977
  2. Quelle: Ceram, C.W.: Der erste Amerikaner, Stuttgart/Hamburg/München, 1972, Deutscher Bücherbund
  3. Quelle: Diverse: Weltbild - Weltgeschichte Bd. 1, hier: Kapitel A: „Archäologie: Technik und Geschichte“, übers. von Dr. Pfister, Rudolf, 2000, Weltbild-Verlag
  4. Quelle: Rohl, David: Pharaonen und Propheten, genehm. Lizensausg. Augsburg 1999, Weltbild-Verlag
  5. Quelle: von Beckerath, Jürgen: Chronologie des pharaonischen Ägypten, MÄS Bd. 46, 1997, Ph. von Zabern
  6. Quelle: Heinsohn, Gunnar, Illig, Heribert: Wann lebten die Pharaonen?, Frankfurt/Main 1990 Vito von Eichborn-Verlag

Verwendete Abkürzungen:

  • BASOR = Bulletin of the American Schools of Oriental Research
  • MÄS = Münchener Ägyptologische Studien

Bild-Quellen:

1) http://www.seilnacht.tuttlingen.com/Lexikon/Hoehlen.htm
2) http://www.home.netspeed.com.au/derek.allan/djoser.jpg
3) http://www.arts.cornell.edu/dendro/oaksecz.jpg