Unterwelt

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aus dem Damen Conversations Lexikon (1838)

Abb. 1 Die Unterwelt als ein in dämmeriges Zwielicht getauchtes Totenreich, in dem die Geister der Verstorbenen ein schattenhaftes Dasein fristen. (Bild: die Sibylle von Cumae führt Aeneas in die Unterwelt; Gemälde von Claude Lorrain, ca. 1763)

Unterwelt (Mythologie), einer der tiefbedeutsamsten Begriffe, welcher das Nachdenken aller Nationen, die sich nur irgend dem rohen Naturzustand entrangen, seit vielen Jahrtausenden beschäftigt hat. Eben so innig mit kosmischen und tellurischen Verhältnissen zusammenhängend, als mit dem Glauben an die Fortdauer nach dem irdischen Tode verwachsen, war und ist der Begriff einer Unterwelt allverbreitet, aber stets verschieden ausgeprägt, je nachdem ein Nationalglaube vor dem andern ausgebildet erscheint.

Es ist zunächst bei diesem Begriff eine dreifache Sonderung wahrzunehmen und festzuhalten. Einmal wird unter Unterwelt, auch im mythologischen Sinn, nur das verstanden, was zur heiteren, sich im Licht sonnenden Oberwelt im Gegensatz steht, das Unterirdische, mit Gebilden und Wesen bevölkert, welche teils der Phantasie, theils der Wirklichkeit angehören; andernteils wird die Unterwelt als ein Aufenthaltsort der abgeschiedenen Menschenseelen betrachtet, als ein Schattenreich voll freudenloser Einsamkeiten; endlich als Läuterungs- und Strafort, als Ort der Sühne für fleckenvolles und lasterhaftes Leben, nach einigen Mythen mit Hoffnung auf Erlösung, nach andern ohne Hoffnung. Wenn wir nun bei diesem in das innerste Wesen der Mythe, wie der Religion eingreifenden Gegenstand betrachtend verweilen wollen, so erscheint es wohlgetan, die verschiedenen Nationen zu betrachten, bei denen der Begriff der Unterwelt sich bestimmt, wenn auch noch so verschieden, feststellte.

Abb. 2 Die Erde und die darunter liegenden sieben Ebenen der Unterwelt (Patala) auf den Beinen der mächtigen Hindu-Gottheit Vishnu dargestellt, die den gesamten Kosmos repräsentiert

Das älteste Volk der Erde, die Inder, dachten sich ein unterirdisches Reich, einen Abgrund, Onderah, in welchen die bösen Genien, Moisasur und seine Genossen, von Brahma gestürzt wurden, und worin sie menschenfeindlich walten. Diese Geister fielen aus Hochmut, und die dunkele Überlieferung dieses Falles drang bis nach Vorderasien, wo sie Grundton der jüdisch-christlichen Mythe vom Satan und seinen Engeln wurde. Dergleichen Verstoßung in den Abgrund verfällt nach dem Hinduglauben derjenige, welcher einen Brahmanen ermordet, das unerhörteste und unsühnbare Verbrechen. Ansonsten gehen die Seelen der Verstorbenen ihren Gang aufwärts, nicht abwärts, und schreiten von Stufe zu Stufe der Läuterung zum Götterhimmel empor, nur die stets aufs Neue Sündigenden büßen in tierischen Leibern.

Die Bekenner der Lehren des Konfuzius und Fo glauben wohl auch an Lohn und Strafe nach diesem Leben, doch ist in ihrer Lehre der Begriff der Unterwelt minder bestimmt ausgesprochen. Die Schamanen glauben an ein künftiges Fortleben der Seelen in der Unterwelt, unter der Erde, ähnlich dem früher geführten, nur trübe und traurig, dem Einfluß der Erdgeister unterworfen, welche Macht haben, die Toten zu quälen. In der Religion der alten Parsen waltete auch im Glauben an die Unterwelt der bekannte Dualismus zwischen Ormuzd und Ahriman, Licht und Dunkel, vor. Ahriman beherrschte das unterweltliche Reich der Finsternis, Ormuzd den reinen Himmel. Die von Letzterem geschaffene Erde wurde Kampfschauplatz beider Gewalten. Unter einem zum Himmel ragenden Berge lag der Höllenabgrund. In diesen kamen zu langer Buße die Gottlosen; der Name jener altpersischen Hölle ist Duzakh. Sie war ein Turpatorium [?; d. Red.], aus welchem Gebete und gute Taten der Frommen die büßenden Seelen erlösen konnten.

Abb. 3 Pluto (gr. Hades), der römische Gott der Unterwelt, mit seiner Gattin Persephone und dem Höllenhund Kerberos (Statuen im Archäologischen Museum von Heraklion)

Die aufmerksame Leserin sieht, wie sehr diese Idee schon sich jener jüdischen, später christlichen, nähert, und wie das Meiste selbst unserer geoffenbarten Religion in den Mythen des Orients wurzelt. Auch dort erscheint am Ende der Tage der Lichtgott Ormuzd als Weltrichter. Die Juden nahmen, wie aus dem Gesagten erhellt, vieles aus dem Glauben ihrer Nachbarvölker an, namentlich den an Engel, und so auch den an ein furchtbares Reich der Verdammnis, die Gehenna (Gehinnam), die ihre talmudischen Bücher schrecklich genug schildern. Vom Lehrbegriff der Juden ging nun der Glaube an ein unterirdisches Reich der Qualen in den Christianismus über, an einen Ort der Verdammnis voll Feuer und Qualen, Heulen und Schreien und Zähneklappern, wo nicht nur vor dem Weltgericht die Sünder leiden, sondern auch nach diesem ewige, nie sühnbare, Pein erdulden. Mit Benutzung der Mythen des Orients, der Lehren der Juden und Christen bildete später auch die feurige Phantasie Muhammeds die Hölle Gehennem, in deren Beschreibung er das Vorgefundene noch zu überbieten strebte.

Abb. 4 Der Weltenbaum Yggdrasil verbindet in der altnordischen Mythologie den Himmel und die Erde mit der Unterwelt. (Moderne Darstellung aus dem Jahr 1847)

Am ausgebildetsten, gegliedert, gesondert, förmlich systematisirt, finden wir das Reich der Unterwelt bei den Griechen und Römern. Als Hades war überhaupt das unterirdische Totenreich gedacht, im allgemeinen Sinn, ohne Bezug auf Qual und Vergeltung abzubüßender Vergehen, während am gleichbedeutenden Worte Orkus schon mehr der Begriff eines Strafreiches haftet, der im Tartarus völlig klar ausgesprochen ist. Hier, wo Tod und Hunger, Furien und Ungeheuer heimisch waren, litten die mythischen Sünder, die so unvorsichtig oder so kühn gewesen, den Unsterblichen in Liebe, Haß oder Trotz allzunahe zu treten. Dort strömten langsame träge Höllenflüsse, schlammige oder glühende Fluten, dort herrschte der Höllengott, tronten die Höllenrichter, wachte der Höllenhund. Am Ende der Welt war der Eingang, und ungestraft betrat selten ein Lebender den Schauerort. Charon führte auf zerbrechlichem Fahrzeug die Gestorbenen über den Totenfluß. Aber nicht der ganze Hades war ein Ort der Pein, wenn Kokytos Schlamm, Pyriphlegeton Feuer und Schwefel flutete, Styx neunmal das Schattenreich umkreiste, tranken aus Lethes Naß die Seelen der Guten süßes Vergessen, und traten in Elysium, ein Land des Friedens, heiterer Ruhe und stiller Seligkeit ein, das ebenfalls im Hades, sollich unterirdisch, gedacht ward.

Im Norden Europas, in Skandinavien, bildete sich frühzeitig der Glaube an ein unterweltliches Reich aus, von Zwergen bewohnt und bevölkert; hier ist keine Rede von einem Hinabsteigen der Seelen, nur die Zwerge, Gnome, Kobolde, und dergleichen trieben ihr Wesen in den Bergen, kunstreich rührig, hilfreich, tückisch, mitleidig und schadenfroh. Dieser Glaube setzte sich allmälig auch in südlichern Ländern fest, verbreitete sich über einen großen Teil Deutschlands, wurde Volksaberglaube, und pflanzte sich traditionell fort in einer Menge der anziehendsten Sagen. Hierher gehören auch die Sagen von der Frau Venus. Im slavischen Mythos, wo der in Böses und Gutes streng zerfallende Götterdualismus vorherrscht, wohnen in der Unterwelt die Schwarzgötter.

Werfen wir, um nicht allzu weitläufig zu werden, und Völkerschaften zu erwähnen, deren früherer Kult und Glaube gar nicht klar erkannt und nur fabelhaft überliefert wurde, nur noch einen Blick auf die beiden berühmtesten Hauptländer Amerikas, Mexiko und Peru. Wenn neuere Vermutungen sich bestätigen sollten, daß die Altmexikaner jüdischer Abkunft gewesen, da sehr vieles in ihren Mythen an hebräisch-phönizischen Ursprung erinnert, so darf es nicht befremden, daß auch bei ihnen der Glaube an eine Unterwelt vorgefunden wurde, wenn auch nicht nach den Begriffen der spätern jüdischen Theologen. In die Unterwelt kamen die Seelen der an Krankheit Gestorbenen; sie war finster und traurig. Bei dem heiteren Sonnendienst der Peruaner fand sich hingegen der Glaube an eine Unterwelt nicht vor. Besser auch ist es, empor zu blicken zu den lichten Räumen, und den Glauben vertrauend im Herzen zu hegen, dass vom Vater des Lichtes vom Geber alles Guten, auch die Zukunft der Geister dahin bestimmt sei, daß alle dauernd dereinst in seinem Lichte wandeln.



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Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag beruht auf dem Stichwort "Unterwelt (Mythologie)" im: "Damen Conversations Lexikon, Band 10, o.O., 1838, S. 272-275. Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer, auf der Online-Version bei Zeno.org basierenden, redaktionell bearbeiteten und durch uns weitgehend dem heutigen Sprachgebrauch angepassten Fassung.

Bild-Quellen:

1) Claude Lorrain (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Deiphobe and Aeneas in the Underworld by Claude Gellee.jpg
2) Redtigerxyz bei Wikimedia Commons, unter: File:Patala.jpg
3) Jebulon (Urheber der Aufnahme) bei Wikimedia Commons, unter: File:Pluto Serapis and Persephone Isis Heraklion museum.jpg
4) Oluf Olufsen Bagge (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Yggdrasil.jpg