William Maurice Ewing

Ein posthum 'weichgezeichneter' Ausnahmewissenschaftler mit Mut zu unbequemen Aussagen

Einleitung

Abb. 1 William Maurice Ewing (1906-1974) war ein Wissenschaftler mit Charakter, der auch 'sperrige Daten' publizierte, die ihm und seinen Kollegen gar nicht ins Konzept passten. Bisweilen verfocht er auch Positionen und Modelle, die in der Fachwelt ansonsten als 'no go areas' galten und noch heute gelten. Von alldem wird man allerdings in den allgemein zugänglichen Veröffentlichungen über Ewings Leben und Werk nichts lesen.

(bb) William Maurice "Doc" Ewing (Abb. 1) (* 12. Mai 1906 in Lockney, Texas - † 4. Mai 1974 in Galveston, Texas) war ein US-amerikanischer Geophysiker, und er gilt als einer der bedeutendsten Ozeanographen seiner Zeit. Obwohl er selber keineswegs ein Anhänger oder Freund der 'klassischen' Atlantis-Theorie war, lieferte er den Verfechtern eines Atlantis im Atlantik mit der Veröffentlichung 'sperriger Daten', die auf den rezenten Untergang von Landstrecken im Mittelatlantik hinweisen, gewissermaßen 'Schützenhilfe'. Allgemein fast unbekannt ist zudem die Tatsache, dass Ewing auch eine Theorie zur geographischen Verschiebung der Erdpole als Auslöser von Eiszeiten vertrat.


Professionelle Karriere

Über Maurice Ewings höchst erfolgreiche berufliche Laufbahn heißt es bei der Wikipedia: "Ewing war von 1944 bis 1949 Associate Professor, von 1947 bis 1959 Professor und von 1959 bis 1972 Higgins Professor of Geology an der Columbia University. Auf seine Anregung hin wurde 1949 das Lamont-Doherty Earth Observatory gegründet. Ewing leistete wichtige Beiträge zur Geophysik. Insbesondere untersuchte er die Vorgänge bei der Ablagerung am Meeresboden und an Land. Ewing arbeitete auch zu Themen der Seismologie, der Erdbebenforschung und leistete Beiträge für den Nachweis unterirdischer Explosionen, zur Unterwasserakustik sowie zur Sedimentologie und Tektonik.

Ewing analysierte und deutete einen großen Teil des seismischen Spektrums von Erdbebenwellen, die sogenannte Coda. Er untersuchte die freien Schwingungen des Erdkörpers, den Geräuschkanal der Ozeane und die Dispersion von Schall in Meereswasser. Ewing schlug die Nutzung des SOFAR-Kanals zur Ortung von über dem Meer abgestürzten Piloten vor. Er verbesserte oder konstruierte unter anderem den Bathythermographen, das Sonar, Hydrophone, Geräte zur Gravimetrie sowie Unterwasserkameras.

William Maurice Ewing wurde 1957 für seine herausragende Forschungsarbeit mit der höchsten Auszeichnung der American Geophysical Union, der William Bowie Medal, geehrt. Außerdem erhielt er u.a. 1964 die Goldmedaille der Royal Astronomical Society, 1965 die Vega-Medaille der Schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geographie, 1973 die National Medal of Science und 1974 die Penrose-Medaille der Geological Society of America. Nach ihm selbst ist die Maurice Ewing Medal benannt, die seit 1976 von der American Geophysical Union verliehen wird. Ewing starb am 4. Mai 1974 in Galveston, Texas, und wurde in Palisades, Bundesstaat New York, bestattet." [1]


Ewing, Anomalien am Grunde des Atlantiks und die Atlantisdebatte

Abb. 2 Das amerikanische Forschungsschiff Atlantis, mit dem Maurice Ewing 1948 und 1949 den Mittelatlantischen Rücken untersuchte.

Von den über 50 ozeanographischen Expeditionen, die Maurice Ewing im Verlauf seine Berufslebens leitete, waren diejenigen, die er 1948 und 1949 für die Woods Hole Oceanographic Institution zur Untersuchung des Mittelatlantischen Rückens unternnahm, sicherlich die bekanntesten. Auch wenn das Forschungsschiff (Abb. 2) , das dabei zum Einsatz kam, den bedeutungsvollen Namen 'Atlantis' trug, ist festzuhalten, dass Ewing anscheinend alles andere als ein Sympathisant der Atlantis-Theorie einer im Atlantik versunkenen Großinsel war.

So bemmerkte der Geophysiker z.B. 1948: "Romantiker [sic; d.Red.] verbinden unweigerlich den Rücken mit der Legende des verlorenen Kontinents, der laut Platon, an einem einzigen Tag und in einer schrecklichen Nacht’ in den Fluten versank. Obwohl unser Schiff Atlantis hieß, hatten wir keine Illusionen, die alte Mystery-Story zu lösen." [2] Und 1949 betonte er hinsichtlich der Spitzen und Stufen des Mittelatlantischen Rückens: "Es gibt keinen Grund zu glauben, dass diese mächtigen Unterwassermassen von Bergen in irgendeiner Weise etwas mit dem legendären verlorenen Atlantis zu tun haben, das Platon als unter den Wellen versunken beschreibt." [3]

Dass Maurice Ewing damals so betont auf Distanz zu Atlantis und letztlich auch zur Atlantisforschung ging, mag durchaus auch seinem Selbstschutz in einer zeitgenössischen scientific community gedient haben, in der bereits eine ergebnisoffene Beschäftigung mit dem Atlantis-Problem für Fachwissenschaftler der involvierten Disziplinen die Gefahr eines 'Karriere-Knicks' mit sich brachte - und Ewing war zu dieser Zeit ja noch keineswegs der (quasi 'unantastbare') Spitzen-Wissenschaftler, als der er später gefeiert wurde. Tatsächlich erbrachten die erwähnten, von ihm geleiteten Expeditionen zum Mittelatlantischen Rücken eine ganze Reihe unerwarteter 'anomaler' Befunde, und diverse vom Forschungs-Team der Atlantis ermittelten Daten legen nahe, dass zumindest Teile des Rückens noch während rezenter gelologischer Perioden - d.h. in jüngster erdgeschichtlicher Vergangenheit - oberhalb des Meeresspiegels gelegen haben.

So stieß bereits die erste Woods Hole-Expedition von 1948 in mehreren Kilometern Tiefe am Meeresboden auf typisches Kontinental-Gestein, vermutliche alte Strand-Formationen und deutlich identifizierbaren Strandsand. [4] Dies aber bereitete Ewing, zumal diese Entdeckungen - die mit ähnlichen Funden der schwedischen 'Albatross-Expedition' in Übereinstimmung standen - im Verlauf seiner nachfolgenden Forschungsfahrt des Jahres 1949 bestätigt wurden, einiges Kopfzerbrechen. Ihn quälte regelrecht die "radikale Spekulation, diese ebenen Terrassen mehr als zwei Meilen [3,2 Kilometer] unter der Meeresoberfläche als frühere Strände zu identifizieren. Solch eine Theorie würde die deutlichen, aber geradezu unglaublichen Schlüsse erfordern, dass das Land hier zwei Meilen abgesackt oder aber die See um diese Höhe angestiegen ist.[5] Umso mehr ehrt es ihn als Wissenschaftler, dass er die betreffenden Daten und Ergebnisse nicht einfach 'in der Schublade' verschwinden ließ, sondern trotz aller Bedenken publizierte.


Polverlagerungen und Eiszeiten

Abb. 3 Diese flächentreue Projektion demonstriert die Regionen kontinentaler Vereisung während des späten Pleistozäns (nach Donn, Farrand und Ewing, 1961). Sie illustrierte das Polwanderungs-Papier von Ewing und Dunn aus dem Jahr 1963.
(Zur Vergrößerung bitte das Bild anklicken!)

Hatte der 'Doc', wie seine Freunde und Mitarbeiter Maurice Ewing zu nennen pflegten, sich Ende der 1940er Jahre noch sehr zurückhaltend und diplomatisch verhalten, was seine kontra-paradigmatischen Befunde vom Mittelatlantischen Rücken betraf, so ging er schon wenige Jahre später recht energisch in Hinsicht auf ein anderes Thema auf Konfrontations-Kurs mit dem Mainstream seiner wissenschaftlichen Kollegenschaft. Gemeinsam mit seinem Freund und Forschungspartner, dem Geologen William L. Donn, begann er ab Mitte der 1950er die unter Geowissenschaftlern damals wie heute als unsinnig verschriene und als eine Art Ketzerei betrachtete, neokatastrophistische Annahme zu propagieren, dass sich in der jüngeren Erdgeschichte mehrfach massive 'Wanderungen' der geographischen Pole unseres Planeten ereignet haben, was zu dramatischen Veränderungen des globalen Klimas führte.

Insbesondere verfochten er und Donn ab 1956 [6] in mehreren Papieren die These, das Einsetzen von Eiszeiten sei eine Folge solcher Verlagerungen der geographischen Pole gewesen. [7] So heißt es im Abstract zu einem Papier von ihnen aus dem Jahr 1963: "Eine Fülle von Evidenzen aus vielen Fachgebieten weist sehr stark darauf hin, dass der Arktische Ozean während der Phase des Wisconsin-Glazials eisfrei war, und es wird postuliert, dass der eisfreie Zustand des Ozeans direkt verantwortlich für die glaziale Phase war. [...] Der Übergang vom Klima des frühen Tertiärs zu jenem des Pleistozäns, der durch die Abkühlung des westlichen Nordamerika typisiert wird, welche in der Epoche des Oliogozäns begann, ist zurückzuführen auf eine Verlagerung der geographischen Pole von ozeanischen Positionen hin zu ihren heutigen, thermal isolierten Positionen. Diese Verlagerung wird vor dem Hintergrund paläomagnetischer und paläobiologischer Daten diskutiert." [8]

Auch wenn hervorzuheben ist, dass im Modell von Ewing und Donn nicht von einem plötzlichen, kataklysmischen Polsprung, sondern von einer eher 'gemächlichen' Polwanderung die Rede ist, dass es zudem "ohne Rückgriff auf außerirdische Ursachen" [9] auskommt, und nicht in Bezug zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit steht, so stellte es doch für Fachwissenschaftler geradezu eine Häresie dar. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass Ewings 'Fehltritt' später regelrecht totgeschwiegen wurde. Ebenso wie über seine unerwünschten Entdeckungen am Mittelatlantischen Rücken findet sich auch in Hinsicht auf seine Polverschiebungs-Theorie praktisch nichts in Nachrufen, Würdigungen und populärwissenschaftlichen Berichten über sein Werk.


Ein wissenschaftsgeschichtliches Nachwort

Abb. 4 Was missliebige Funde und Forschungen herausragender Spitzen-Wissenschaftler wie Maurice Ewing betrifft, so neigt man offenbar in Kreisen institutioneller Monopolwissenschaft dazu, sie aus den Annalen der offiziell dargestellten Wissenschaftsgeschichte zu löschen.

Ähnlich wie auch bei anderen vielgerühmten 'Vorzeige-Wissenschaftlern', z.B. Cesare Emiliani und Gordon F. Ekholm, versuchte man wohl auch bei Ewing alles unter den sprichwörtlichen Teppich zu kehren, was nicht ins gewünschte Gesamtbild passt. Dies bedeutete zunächst einmal, das Bild der betreffenden Forscherpersönlichkeiten 'weichzuzeichnen', indem ihre Beschäftigung mit - und ihre Akzeptanz von - als außenseiterisch bzw. wissenschaftlich unstatthaft empfundenen Themen oder Positionen geflissentlich ausgeblendet wurde.

Letztlich diente und dient diese Vorgehensweise allerdings nicht, wie man vielleicht denken möchte, dem Schutz des guten Rufs jener 'Ikonen' des Wissenschaftsbetriebs. Vielmehr erscheint sie als Bestandteil einer Strategie des Divide et impera (teile und herrsche), um dem Bedürfnis der institutionalisierten Monopolwissenschaft Rechnung zu tragen, jedwede nicht in ihrem restriktiven Normenkatalog akzeptierte Forschung als 'unwissenschaftlich' oder gar 'pseudowissenschaftlich' ausgrenzen zu können.

In diesem Sinne kritisierte der Wissenschaftshistoriker Dr. Horst Friedrich bereits 2003 die, aus wissenschaftsphilosophischer Sicht "simplistische schulwissenschaftliche Betrachtung von >Wissenschaft< und >Pseudowissenschaft<", in deren Rahmen man sich diese beiden Phänomene quasi als "zwei nebeneinander im Raum schwebende Planeten" vorzustellen habe. Auf "dem einen leben die Personen, die >Wissenschaft< (= Schulwissenschaft) betreiben, getrennt davon auf dem anderen jene, die sich mit >Pseudowissenschaftlichem< (= Unwissenschaftlichem) befassen. Es handelt sich gewissermaßen um zwei Welten." [10]

Somit wird nachvollziehbar, warum solche Forscher, die man in der scientific community als 'strahlende Helden' ihrer hehren schulwissenschaftlichen Welt darzustellen bzw. zu instrumentalisieren wünscht, keinesfalls mit Themen und Gegenständen in Verbindung gebracht werden dürfen, deren Behandlung man quasi als Alleinstellungsmerkmale jener 'Spinner' oder 'Crackpots' zu etablieren trachtet, welche auf dem 'dunklen Planeten' der Unwissenschaftlichkeit hausen. Und so wurden eben die vermeinlichen 'Sündenfälle' eines Maurice Ewing (Polverschiebungen), Cesare Emiliani (Atlantis im Atlantik) und Gordon F. Ekholm (präkolumbische transpazifische kulturelle Diffusion) aus der offiziellen Wissenschafts-Geschichtsschreibung gelöscht. Glücklicherweise bleiben auf der 'Festplatte' der Wissenschaftsgeschichte trotz aller derartiger Bemühungen häufig noch genügend Spuren zurück, um diese Form szientistischer Geschichtsklitterung aufzudecken und gewissermaßen zu revertieren.


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Maurice Ewing" (abgerufen: 22. Mai 2010)
  2. Quelle: M. Ewing, "Exploring the Mid-Atlantic-Ridge", in: The National Geographic Magazine, September 1948, S. 275 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  3. Quelle: M. Ewing, "New Discoveries on the Mid-Atlantic Ridge", in: The National Geographic Magazine, November 1949, S. 612 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  4. Siehe dazu bei Atlantisforschung.de ausführlicher: Roland M. Horn, "Die Fakten sprechen FÜR Atlantis", 2009; sowie: R. Cedric Leonard, "Geologische und ozeanographische Evidenzen für Atlantis" (Veröffentl. in deutscher Sprache: 2009)
  5. Quelle: M. Ewing, "Exploring the Mid-Atlantic-Ridge", in: The National Geographic Magazine, September 1948, S. 228 (Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  6. Siehe: M. Ewing und W. Donn, "A Theory of Ice Ages", in: Science v 123 1061 1066 (1956)
  7. Siehe: Maurice Ewing und William L. Donn, "A New Theory of Ice Ages", in: Science, Juni 1956 und Mai 1958
  8. Maurice Ewing und William L. Donn, "Polar Wandering and Climate" (DOI: 10.2110/pec.63.01.0094), in: SPECIAL PUBLICATIONS der Society for Sedimentary Geology, Vol. 10, 1963
  9. Quelle: Maurice Ewing und William L. Donn, op. cit. (1963), S. 98
  10. Quelle: Dr. Horst Friedrich, "Schulwissenschaft - Parawissenschaft - Pseudowissenschaft", 2003

Bild-Quellen:

1) Tony O’Connell, "Ewing, William Maurice", 18. April 2011, bei Atlantipedia.ie (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
2) Kjordahl / MECU bei Wikimedia Commons, unter: File:RVAtlantis.jpg
3) Maurice Ewing und William L. Donn, "Polar Wandering and Climate" (DOI: 10.2110/pec.63.01.0094), in: SPECIAL PUBLICATIONS der Society for Sedimentary Geology, Vol. 10, 1963, S. 97 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
4) Christian Jansky (Tschaensky) bei Wikimedia Commons, unter: File:Entfernen-Taste.jpg