Über 'atlantische Archäologie' (Atlantisforschung)

Aus dem Vorwort zu 'The History of Atlantis' (1926)

von Lewis Spence

Abb. 1 Der schottische Privatgelehrte Lewis Spence (1874-1955) war davon überzeugt, dass sich die Historizität von Atlantis mittels geeigneter Methoden auch ohne physische Evidenzen nachweisen lässt. In dem hier vorgelegten Auszug aus dem Vorwort zu seinem Buch 'History of Atlantis' präsentiert er Atlantisforschung als eine (wie wir heute sagen) Protowissenschaft.

Die bloße Vorstellung einer Atlantis, wie Plato sie beschrieben hat, ist von Generationen von Archäologen mit Spott bedacht worden, und zwar einfach deshalb, weil kein dokumentarischer Beweis bezüglich ihrer Existenz erhalten geblieben ist. Doch darf man vernünftigerweise irgendeinen direkten dokumentarischen Beweis für die Existenz einer Zivilisation erwarten, die vor mehr als elftausend Jahren völlig verschwunden ist? Es ist offensichtlich, dass man sich auf eine andere, nicht-dokumentarische Form des Beweises stützen muss, um die Existenz einer solchen Kultur zu begründen. Finden wir in den Ländern, welche in der Nachbarschaft von Atlantis lagen, die Spuren einer solchen Zivilisation, wie Plato sie nur allzu kurz umrissen hat?

Abb. 2 Hier das Titelblatt der Erstausgabe von The History of Atlantis (1926)

Es ist der Zweck dieses Buches, den Versuch eines Beweises zu unternehmen, dass wir dies können. Im letzten Kapitel wird gezeigt werden, dass das, was der Verfasser als 'atlantidischen Komplex' bezeichnet hat, einen Verbund von Riten, Bräuchen und Überlieferungen darstellt, der, was sein Amalgam besonderer Konditionen betrifft, in keinem anderen Teil der Welt als in jenem aufzuweisen ist, welcher sich zwischen den Küsten Westeuropas und Ostamerikas erstreckt. In den Küsten-Gebieten dieser Länder und auf ihren insularen Außenposten kann ein kultureller Komplex aufgespürt werden, dessen eigenständige Existenz deutlich demonstriert, dass er von einem Gebiet im Atlantik ausgegangen sein muss, welches heute nicht mehr existiert. Mittels einer derartigen Betrachtung der Atlantis-Überlieferung wird sich, davon ist der Verfasser überzeugt, ihre Wahrheit herausstellen.

Die Atlantis-Theorie hat durch die ungezügelten Behauptungen von Enthusiasten, ja womöglich auch durch die bisweilen von Begeisterung getragenen Anstrengungen des Verfassers selbst, beträchtlichen Schaden erlitten. Doch sie, oder sagen wir einmal die Fragestellungen zur Prähistorie, so zu behandeln wie es bestimme Archäologen tun, bedeutet, eine Methode zu übernehmen, die außerordentlich eitel und nutzlos ist, da ein Problem von solcher Besonderheit und derart außerordentlicher Komplexität, wie bereits gesagt wurde, nur mit Hilfe von Vorstellungskraft und inspirativen Prozessen enträtselt werden kann. Große archäologische Entdeckungen sind häufig zurch Zufall gemacht worden, wie im Fall der epochalen Funde von Crô-Magnon und Mas-d'Azil. Doch auf das Meer zu warten, damit es es seine Geheimnisse offenbart, bedeutet, in alle Ewigkeit zu warten.

[...] Kein Wissenschaftler spottet heute über das, was als verrückte Methoden erscheinen mag, mit welchen Generationen von Alchemisten die Wissenschaft der Chemie aufgebaut und in den sicheren Hafen inmitten der exakten Wissenschaften gesteuert haben, und es wird freimütig eingestanden, dass wir uns noch in einem 'alchemischen' Stadium atlantischer Archäologie [1] befinden. Der professionelle Archäologe mag in dieser Geschichte [dem Buch 'History of Atlantis'; d.Ü.] hundert Dingen begegnen, die er ablehnt und in seiner [eigenen] Geschichte missachtet. Er kann - und wird sie vermutlich auch - im Namen der Wissenschaft bestreiten. Wenn er dies tut, so werde ich überhaupt nicht enttäuscht sein, weil ich davon überzeugt bin, dass, wenn man sich mit Tiefgründigem [orig: "profundities"; d.Ü.] befasst, die wildeste Behauptung dem Ziel oft ebenso nahe kommen wie das vorsichtigste Statement.

Nicht, dass ich die planlosen Methoden in einem bestimmten Milieu atlantischer Archäologie vermehren oder fördern möchte, aber ich hege große Sympathie für jenen Freund Edisons, der, als ihm der Erfinder mitteilte, es gebe kein Lösungsmittel für Harnsäure, in sein Labor zurückkehrte, alle dort vorrätigen Substanzen mit dem widerwärtigen Gift mischte - und herausfand, dass tatsächlich elf von ihren es lösten! So viel zu den Methoden.


Anmerkungen und Quellen

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Dieser Beitrag von Lewis Spence (1874-1955) wurde dem Reprint (Abb. 3) seines 1926 erstveröffentlichten Werkes "The History of Atlantis" entnommen (Vorwort, S. 5-6), das im Verlag Adventures Unlimitef Press erschienen ist. Übersetzung ins Deutsche und redaktionelle Bearbeitung des Textes durch Atlantisforschung.de.

Fußnote:

  1. Red. Anmerkung: Es erscheint durchaus interessant, dass Spence, der selbst ja einen eher kulturhistorischen und mythologischen Forschungsansatz verfolgte, die Atlantisforschung damals als "atlantische Archäologie" bezeichnete (der Terminus 'Atlantology' / 'Atlantologie' wurde erst ca. 30 Jahre später eingeführt). Der von ihm geprägte Begriff stellt die vermutlich erste Eigenbezeichnung für dieses außenseitereische Forschungsgebiet dar.

Bild-Quellen:

1) abovetopsecret.com (Forum), 20. Mai 2016, unter: Plato's Atlantis a aincent human breeding program
2) Archive.org , unter: The history of Atlantis
3) Adventures Unlimited Press / Bild-Archiv Atlantisforschung.de