Probleme konventioneller Experimental-Archäologie

Experimentelle Archäologie aus grenzwissenschaftlicher Sicht, Teil II

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Abb. 3 Links: Wrack NZ 43, Grabungsbefund 1979 (aus: Van de Moortel 1991). Mitte: Wrack Skuldelev 3, Ausgrabung 1962 (aus Crumlin-Pedersen 1986a). Rechts: Der Kyrenia-Nachbau auf hoher See.

(bb) Man könnte sagen, dass in vorausgegangenen Zitat (Coates et al., 1995) definiert wird, wann "historischer Modellbau" aus Sicht des Archäologen als wissenschaftliches Experiment zu definieren ist, und wann nicht. Eine solche Definition erscheint, wie wir auch bei Weski nachlesen können, durchaus notwendig, da längst nicht alles, was auf dem weiten Feld professioneller Archäologie (vor allem in den Museen) versuchsweise unternommen wird, einem solchen Anspruch gerecht wird: "Das Versuchsniveau reicht dabei vom streng wissenschaftlichen Projekt, über die museumspädagogische Spielerei bis hin zum folkloristischen Medienspektakel, wobei die Übergänge mehr als fließend sind; manches Vorhaben, das ursprünglich als Wissenschaft begann, endete nach mehreren Jahren auf der Stufe einer Volkstanzgruppe." [1]

Tatsächlich müssen wir erkennen, dass die Rekonstruktions-Fixierung Experimenteller Archäologen und ihr Hang zum "Modellbau" weitgehend 'profane' Ursachen hat, und dass nur wenige Gründe dafür explizit wissenschaftlicher Natur sind. So zitiert Weski zur Beantwortung der Frage, "warum weiterhin Rekonstruktionen gebaut werden", seinen Kollegen Godburn (1993), welcher feststellt, dies geschehe:

1. "um frühen Boots- und Schiffbau zu erforschen. Dabei geht es sowohl um die Überprüfung von speziellen Fragestellungen als auch um andere Bereiche wie den Arbeitsaufwand, das handwerkliche Können oder die Waldnutzung, die Voraussetzungen zum Bau früher Wasserfahrzeuge sind.

2. um Tragfähigkeit, Geschwindigkeit, Seeverhalten, Handhabung und Takelung früher Wasserfahrzeug[e] unter den verschiedensten Aspekten zu untersuchen, wobei dazu auch maßstabsgerecht verkleinerte Nachbauten benutzt werden können.

3. um dreidimensionale, bewegliche oder ortfeste Ausstellungstücke zu erhalten, um so auch mittels Videos und Publikationen einer breiten Öffentlichkeit auf pädagogische und gleichzeitig unterhaltsame Weise das nautische Erbe näher zu bringen.

4. um Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten für Bootsbauer, Archäologen und andere zu schaffen.

5. um Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Zu erwähnen wären beispielsweise Filmrechte, Eintrittspreise oder Vermietungen. Dies betrifft nicht nur Museen oder lokale Körperschaften, sondern auch Einrichtungen, die sich um den Schutz, die Förderung und die Unterstützung der seefahrenden Vergangenheit bemühen.

6. um praktische Ausbildungsmöglichkeiten hinsichtlich früher Technologien für Studenten, Wissenschaftler und andere zu schaffen, um so den Standard von Dokumentation und Forschung im Bereich der Unterwasserarchäologie zu heben.

7. um gesunde und angenehme Möglichkeiten der Erholung und Übung für Leute zu schaffen, die sich für Unterwasserarchäologie interessieren." [2]

Experimentelle Archäologie als Entertainment, Geldquelle und Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme? Sofern als eigentliches Ziel der EA der Erkenntnis-Gewinn betrachtet wird, muss bei ernsthaften Forschern (ungeachtet ihres fachlichen Hintergrunds) ein gewisses Unbehagen angesichts einer derartigen Praxis aufkommen. Weski jedenfalls scheint der EA allgemein weniger einen wissenschaftlichen als einen Unterhaltungs-Wert beizumessen, wenn er schlussfolgert: "Zusammenfassend muß noch einmal festgestellt werden, daß die Grenzen zwischen wissenschaftlichem Experiment und Disneyland bei allen Versuchen fließend sind. Dieses etwas negative Urteil bedeutet aber nicht, daß der Nachbau und die Erprobung von historischen Booten und Schiffen den Beteiligten keinen Spaß und Freude [sic!; bb] bereiten kann." [3]

Abb. 4 Das Museumsdorf Cloppenburg, Bether Straße (Niedersächsisches Freilichtmuseum), ist eine von diversen Einrichtungen dieser Art, in denen Geschichte auch für Laien 'begreifbar' gemacht werden soll.

Vor diesem beinahe real-satirischen Hintergrund konstatiert Weski mehrere grundsätzliche Probleme in der gegenwärtigen Praxis Experimenteller Archäologie (in ihrer konventionellen Form). Das erste Problem resultiert aus dem notwendigen Bemühen des Rekonstrukteurs um historische Authentizität, das aufgrund der genannten Rahmenbedingungen an seine Grenzen stößt: "Im Grunde genommen sollte jeder Versuch so authentisch wie möglich durchgeführt werden, allerdings treten immer wieder Gründe auf, die ein Abweichen von dieser Regel erfordern. Dabei muß man sich jedesmal die Frage stellen, ob dadurch und wenn ja in welchem Umfang das Endergebnis verfälscht wird. Geht es beispielsweise nur um das fertige Endprodukt, so ist gegen den Einsatz von modernen Maschinen oder Geräten, etwa wie Elektrobohrer, nichts einzuwenden. Anders sieht es dagegen aus, wenn an Stelle von Spaltbohlen gesägte Bretter verwendet werden." [4]

Wie "authentisch" im Einzelfall gearbeitet werden kann, hängt jedoch nicht nur "von der jeweiligen Fragestellung, sondern - leider auch - von den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln ab. Hinzu kommen noch [im Bereich der Museums-Archäologie; bb] moderne Sicherheitsvorschriften, die es z.B. aus Brandschutzgründen erfordern, das Reet auf der Dachkonstruktion mit Draht zu befestigen, sofern das Gebäude später dem Publikumsverkehr geöffnet sein soll. Aus dem Fehlen von geeigneten Rohmaterialien, z.B. vierhundert Jahre alte Eichen, ergeben sich ebenfalls ungewollte Beschränkungen. So müssen bei fast jedem Experiment Kompromisse eingegangen werden, die sich aus solchen Zwängen ergeben."

Erschwert wird eine wirklich authentische Rekonstruktion alter Artefakte, gerade wenn es um um proto- und prähistorische Technologien geht, jedoch vor allem durch mangelhaftes, nur vermeintlich "gesichertes", Wissen [5] zum handwerklichen, werkstoff- und werkzeugtechnischen Entwicklungsstand der jeweiligen Kultur und Periode, wozu Weski schreibt: "Ein weiteres Problem der Experimentellen Archäologie ist eine Selbstzensur, die sich jeder auferlegen muß: Probleme dürfen nicht mit dem heutigen Ingenieurswissen gelöst werden, sondern mit dem früherer Zeiten; doch dieses läßt sich bestenfalls nur erahnen." [6]

Der konventionelle Experimental-Archäologe ist also tendenziell dazu angehalten, jeweils die simpelste aller denkbaren Lösungen vorauszusetzen - und wieder einmal sehen wir matt die rostige Klinge von Ockhams Rasiermesser aufschimmern, das durch zu häufigen und unsachgemäßen Gebrauch längst stumpf geworden ist! Selbst einem streng schulwissenschaftlich orientierten Forscher wie Weski erscheint solche Selbstbeschränkung problematisch und er kritisiert zu Recht: "Diese Selbstzensur verhindert auch den kreativen Umgang mit technischen Fragen: Eine einmal gefundene Lösung gilt als die einzig richtige und alle anderen werden als »historisch« falsch abgelehnt. Dabei existieren sehr oft verschiedene Möglichkeiten nebeneinander. Es sei nur an den Bau von Fachwerkhäusern erinnert, bei denen entweder gegenüberliegende Pfosten- bzw. Ständerpaare oder aber die Hölzer einer Seitenwand jeweils zusammen errichtet werden." [7]


Fortsetzung:

III. Experimentelle Archäologie im grenzwissenschaftlichen Umfeld


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm
  2. Quelle: Goodburn 1993, 200; zit. und übersetzt durch T. Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997
  3. Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm
  4. Quelle: ebd.
  5. Anmerkung: Als Fallbeispiel führt Weski dazu an: "Ein gutes Beispiel für diese mangelhafte Kenntnis bietet der Nachbau eines bandkeramischen Hauses, bei dem alle Bauteile durch Zurrungen nach Vorschriften des Technischen Hilfswerks miteinander verbunden wurden (Böhm u.a. 1990, 27). Zwar ist nichts über das Aufgehende bandkeramischer Häuser bekannt, aber mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen ließen sich ohne weiteres einfache Steck- oder Zapfverbindungen herstellen." (Quelle: ebd.)
  6. Quelle: Dr. Timm Weski, "Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie", DEGUWA Rundbrief 12, Februar 1997, online unter http://www.abc.se/~m10354/bld/expbeisp.htm
  7. Quelle: ebd.


Bild-Quellen

(3) Dr. Timm Weski, Experimentelle Archäologie - Ausgewählte Beispiele experimenteller Archäologie aus dem Bereich der Unterwasserarchäologie

(4) Stadt Cloppenburg, unter: http://www.cloppenburg.de/bildung_382.php (Bild dort nicht mehr online)