Existierte in Afrika ein altertümliches Fluss-System?

von Richard A. Kerr (Science, 1986)

Abb. 1 Das Shuttle Imaging Radar der NASA ist in der Lage, die oberflächlichen Sandformationen zu durchdringen. Sie enthüllen Teile eines 4500 Kilometer langen Drainage-Systems. Hervorstechend auf diesem Bild sind besonders ein Steilhang (A) und ein früheres, 20 Kilometer breites, Tal (B). (Aufnahme: J.F. McCauley et al./SIR-A)

Einer neuen Hypothese zufolge überzog einst ein Fluss-System von amazonischen Außmaßen den afrikanischen Kontinent. Es begann im Gebiet des heutigen Roten Meeres, querte den Weg des heutigen Nil, verlief dann durch die östliche Wüste Sahara, wo heute nur ein Millimeter Regen pro Jahr fällt, durch Zentral-Afrika mit seinen sich auftürmenden Bergen hindurch, und, 4500 Kilometer von seinen Quellen entfernt, in den Atlantik. Heute liegt diese alte Route in isolierte Stücke zerteilt da - ihre Wasser von anderen Flüssen geraubt, blockiert von neuen Bergen, oder vom Boden verdunstet - was die vielfältigen Arten illustriert, wie Flüsse, auch die mächtigsten, sterben können.

Das lange verblichene trans-afrikanische Fluss-System wird von John McCauley und seinen Kollegen am US Geological Survey in Flagstaff und von anderen Institutionen auf der Grundlage jüngster Fern-Abtastungen durch Satelliten, den neuesten Ansichten dazu, wie die Platten-Tektonik Afrika geformt hat, und den Enthüllungen durch einen nahe der ägyptisch-sudanesischen Grenze betriebenen Tieflöffelbagger vorgeschlagen.

Fern-Abtastungen durch das Shuttle Imaging Radar (SIR) erbrachten ein Missing Link im System und den Ansporn zu weiteren Studien, als sie 1981 ein zuvor unbeobachtetes Netzwerk von Fluss-Tälern unter dem trockensten Teil der Sahara, wo Libyen, Ägypten und der Sudan aneinander grenzen, enthüllten. Aufgefüllt von, vom Winde getriebenen, Sedimenten, und von einigen Metern Sand bedeckt, war die Existenz solcher Täler lediglich hie und da aufgrund verstreuter Flecken von, durch Wasser verwittertem, Kies und von Zufalls-Entdeckungen bei Öl-Bohrungen vermutet worden.

Doch die SIR-Signale durchdrangen die ein oder zwei Meter verhüllenden Sand und wurden in unterschiedlichem Grad vom Füll-Material des Tals [orig.: "valley fill"; d.Ü.], dem darunter liegendem Felsgestein und zementiertem Sediment reflektiert, wobei ans Licht kam, dass das Gebiet, welches man einst für ein vom Wind erodiertes Flachland ohne größere Ströme gehalten hatte, stattdessen von 10 bis 30 Kilometer breiten und hunderte von Kilometern langen Strömen durchzogen wurde. Radar-Bilder des heutigen Niltals, etwa 300 Kilometer im Osten, weisen eine starke Ähnlichkeit mit diesen begrabenen Tälern auf.

Abb. 2 Diese Aufnahme des Landscape-Satellitensystems zeigt das selbe Gebiet wie auf Abbildung 1. Im Gegensatz zum SIR erfasst dieses System jedoch nur die Oberflächen-Topographie und dringt nicht durch dort abgelagerten Sandmassen. (Aufnahme: J.F. McCauley et al./SIR-A)

Doch wo die Quelle dieser Flüsse und des dazugehörigen Kanal-Systems lag, oder wo sie verliefen, ging aus den Radar-Bildern nicht hervor. Glücklicher Weise ermöglichte den Forschern der Vergleich mit Landsat-Bildern, die Fluss-Verläufe auszumachen, indem sie subtilen Nuancen in der Topographie, Farbe und Textur folgten. Geleitet von den Landsat-Bildern und einem Satelliten-Navigations-System, fanden McCauley und seine Kollegen der Arbeitsgruppe SIR-B Egypt die Kanäle [...] und gruben sich hinein, wobei sie unter einer desolaten sandigen Oberfläche die Überreste von Süßwasser-Muscheln und aquatilen Schnecken, Abdrücke von Gras-Wurzeln sowie Handäxte mit einem Alter von einer Viertel-Million Jahren und entsprechend alte Lagerplätze freilegten. Die Flüsse hatten das Gebiet eindeutig ein ganzes Stück lebensfreundlicher gemacht als es heute ist.

Die Gruppe hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass die alten Radar-Flüsse in das Bodélé- und Tschad-Becken abflossen, die tiefsten Punkte der südlichen Zentral-Sahara, die heute einen einzelnen flachen See, den Tschad-See, beinhalten, der gelegentlich in das [...] angrenzende Bassin abfließt. Diese Annahme ist zwar nicht vom Tisch [orig.: "held up"; d.Ü.], wie die Gruppe glaubt, doch sie präferiert als höchst wahrscheinliches Quellgebiet die Hügel des Roten Meers im weit nordöstlichen Afrika zwischen dem Roten Meer und dem heutigen Nil.

Die Hügel vom Roten Meer erhoben vor etwa 40 Millionen Jahren als Graben, der Afrika von Arabien abtrennte, wobei er das Rote Meer bildete. Durch die mit dem Radar entdeckten Flüsse [orig.: "radar rivers"; d.Ü.] als missing link hätte das Wasser von den Hügeln des Roten Meeres im hohen Nordosten Afrikas hinab zum 4500 Kilometer entfernten Atlantik hin fließen können, durch das Tschad-Becken hindurch, und dann durch den Benue Trough, eine lineare Einbuchtung, die sich am Fuße der westafrikanischen Wölbung bildete, als die Öffnung des Südatlantik eine Kluft öffnete, sie aber nicht offen halten konnte.

Wenn man auf eine heutige Karte schaut, erscheint diese Route unwahrscheinlich. Die Erklärung besteht darin, dass die ersichtlichen Hürden jünger als das vorgeschlagene transafrikanische Kanal-System sind. Ihre Entwicklung zerstückelte das transafrikanische Drainage-System, aber, wie aus dem Vorschlag hervorgeht, erst, nachdem es 10 Millionen, ja vielleicht sogar mehr als 20 Millionen Jahre durchflossen worden war. Vor fünfzehn Millionen Jahren begannen Aufwölbungen der Kruste, Lava-Austritte und Umwälzungen von der Sorte, die Graben-Bildung vorausgeht, das eine große Drainage-Becken in mehrere Bassins aufzuteilen.

Vor sechs Millionen Jahren trocknete das Mittelmeer-Becken aus [1], was dem urtümlichen Nil erlaubte, südwärts ein Tal vom Ausmaß des Grand Canyon auszuwaschen. In der farbigen Sprache der Geologen 'enthauptete' [orig. "beheaded"; d.Ü.] dieser 'Piraten-Strom' das ältere, zum Atlantik fließende, System, wobei es seine Quell-Gewässer zugunsten des Mittelmeers stahl. Der letzte Streich sei vor nur zwei Millionen Jahren erfolgt, als die progressiv voranschreitende Trockenheit die mittleren und oberen Bereiche des Systems erfasste; üppige Vegetation hatte zuvor allgemein das Gebiet bedeckt.

Gelegentliche Neubildung [orig.: "Occasional rejuvenation"; d.Ü.] von Kanälen in dem Füll-Material der mit dem Radar ausgemachten Flüsse trieb frühe Menschen an ihre Ufer, doch [...] sind die Menschen dort nur durchgezogen, wobei sie möglicherweise unbewusst [sic!; d.Ü.] dem harten, begehbaren Füll-Material der alten Täler folgten, die darunter verborgen waren. Was in ferner Zukunft mit dem Weg geschieht, dem das Fluss-System einst folgte, kann niemand sagen, doch wenn man die Vergangenheit als Hinweis nimmt, wird es interessant werden - bevor es dort die mit Süßwasser gefüllten Kanäle gab, wurde der Kontinent nämlich von einem breiten Meeresarm zweigeteilt.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Richard A. Kerr © erschien erstmalig in Science (Vol. 233 / 1986). Übersetzung ins Deutsche und redaktionelle Bearbeitung durch Atlantisforschung.de (2005)

Fußnote:

  1. Red. Anmerkung: Nach Ansicht nonkonformistlischer Geologen, Zoologen sowie alternativer Prähistoriker fiel das Mittelmeer auch viel später noch einmal weitgehend trocken. Diese rezente Austrocknung soll im Verlauf der jüngsten Eiszeit, vor ca. 50 000 Jahren erfolgt sein. Danach sei dass mediterrane Becken erst vor ca. 12 000 - 11 000 Jahren, oder sogar erst vor 6000 bis 5000 Jahren wieder geflutet worden. Vergl. dazu: "Spurensuche im Mittelmeerraum: Historische Zoo-Geographie im Einsatz"; sowie: "Malta im Focus der Atlantisforschung"

Bild-Quelle:

1) Science, Vol 233, 1986
2) ebd.