Das Geheimnis des Cargo-Kultes

Vortrag auf dem One-day-Meeting der A.A.S. in Fulda, vom 30. Oktober 2004

von Walter-Jörg Langbein


Meine sehr geehrte Damen und Herren!

Abb. 1 Cargo-Kult

Während meines Studiums der evangelischen Theologie in Erlangen wurde das Thema »Cargo-Kult« nur einmal kurz angeschnitten – und zwar als Negativbeispiel für eine primitive Form der Religion. Im Zentrum eines jeden »Cargo-Kults« steht – so hieß es – ein Messias. Die Anhänger glauben an seine Wiederkehr und an großen materiellen Reichtum, der dann ausbricht. Somit sei der Cargo-Kult im eigentlichen Sinne gar keine wirkliche Religion. In einer »anständigen Religion« geht es um Höheres, nicht um profanen, schnöden Mammon.

Ein typisches Beispiel für die starke materialistische Betonung eines Messiasglaubens sei genannt. Da erkundigen sich die engsten Anhänger eines Messias nach ihrer Zukunft. Haben sie nicht alles aufgegeben, um ihrem Messias dienen zu können? Steht ihnen da nicht reiche Belohnung zu? Ihr Sektenführer prophezeit angesichts der in der Frage deutlich mitschwingenden Zweifel recht reiche und profane Belohnungen – und zwar nicht für den fernen, nicht näher bestimmbaren »Sankt Nimmerleinstag«, sondern für die unmittelbar bevorstehende Zukunft. Wer Familie, Haus und Äcker aufgibt, um sich ihm anzuschließen, der wird noch zu Lebzeiten »hundertfach empfangen ... Häuser, Brüder, Schwestern und Mütter und Äcker«, später als Zugabe noch »das ewige Leben«.

Materielle Belohnung für Anhänger des »richtigen Messias« gibt den vielfältigen Formen eines vermeintlich primitiven Aberglaubens den Namen: »Cargo« – zu Deutsch Fracht – steht für irdischen Reichtum, den die Anhänger angeblich erwarten dürfen. Anhänger von »Cargo-Kulten« hoffen also auf materielle Entlohnung für ihren Glauben.

Das eingangs beschriebene Beispiel stammt aber nicht aus einem »primitiven Cargo-Kult« der Südsee, sondern aus dem uns nur zu wenig vertrauten »Neuen Testament«. Es ist immerhin Petrus, der Jesus fragt, was denn sie, seine treuen Jünger, erwarten dürften. Haben sie nicht alles aufgegeben, um Jesu Jünger werden zu können? Jesus prophezeit bei den Evangelisten Markus und Lukas (1) fast wortgleich recht reiche und profane Belohnungen – und zwar nicht für den fernen, nicht näher bestimmbaren »Sankt Nimmerleinstag«, sondern für die unmittelbar bevorstehende Zukunft. Wer Familie, Haus und Äcker aufgibt, um sich Jesus anzuschließen, der wird noch zu Lebzeiten »hundertfach empfangen ... Häuser, Brüder, Schwestern und Mütter und Äcker«, später als Zugabe noch »das ewige Leben«.(2)

Man sieht also: Überheblichkeit gegenüber so genannten »primitiven Cargo-Kulten« ist überhaupt nicht angebracht. Hoffnung auf materielle Güter machten sich die Jünger des christlichen Messias wie die Anhänger des John-Frum-Kults.

In der Bibel gibt es einen Begriff von zentraler Bedeutung: »Messias«. Im Judentum des »Alten Testaments« war der Messias eine durchaus irdische Gestalt. So wie einst Moses das Volk Israel aus der Gefangenschaft Ägyptens in die Freiheit führte, so hoffte man im ersten Jahrhundert auf einen Befreier, der die römische Besatzungsmacht aus dem Heiligen Land vertreiben würde. Im Neuen Testament wird der Messias zu einer wahren Lichtgestalt, verbunden mit der Vorstellung von der »Wiederkehr«. In der jungen christlichen Gemeinde glaubte man daran, dass Jesus zum jüngsten Gericht als Messias wieder zurückkehren werde. Die Hoffnung auf den Heil bringenden, wiederkehrenden Messias ist der Kern der »Cargo Kulte«.

Kapitän James Cook erreichte am 13. April 1769 mit der »Endeavour« Tahiti. Bei sei­ner Ankunft wurde er von den Einheimischen für den zurückkehrenden Gott Rongo gehalten, der einst in einem Wolkenschiff die Erde verlassen hatte. Dem Schöpfergott Rongo entsprach die Südsee-Gottheit Karaperamun. Jegliches Leben führte man auf Karaperamun zurück. So wie es für die Einwohner Tahitis selbstverständlich war, dass ihr Hauptgott einst wieder kommen würde, so hegten auch die Bewohner keinen Zweifel über die Wiederkehr Karaperamuns. So wie die Bewohner Tahitis James Cook für den zurückgekehrten Gott Rongo hielten, so setzten die bereits christlich missionierten Bewohner Tannas – mehr oder minder heimlich – auf einen Neuanfang mit Gott Karaperamun.

Die Insel Tanna ist im Südpazifik gelegen. Sie gehört zu Vanuatu (früher: Neue Hebriden), einem Inselreich von insgesamt rund 80 Eilanden. Alle Jahre wieder wird am 15. Februar auf Tanna das John-Frum-Fest gefeiert. Wer aber ist der als Messias verehrte John Frum? Die Spurensuche erweist sich als schwierig.

James Nicol, ein gebürtiger Engländer, residierte von 1916 an als amtlicher »Verwalter« auf Tanna. Am 27. November 1940 leitete er eine offizielle Untersuchung. Es ging eigentlich um eine Lapalie...um den Diebstahl einiger Ziegen. Mehreren Mitgliedern der örtlichen Adventisten-Gemeinde waren einige Ziegen entwendet worden. Sie wurden, wie die Nachforschungen rasch ergaben, von den Anhängern einer sektenartigen Gemeinschaft gestohlen und bei nächtlichen Zusammenkünften im Erdofen gebraten und anschließend verzehrt. Im Zentrum der mysteriösen Bewegung stand ein Messias, dessen Rückkehr von seinen Anhängern sehnsüchtig erwartet wurde: John Frum.

Im Mai 1941 geschah – sehr zum Erstaunen der christlichen Missionare – Seltsames: Zahllose Eingeborene verließen die kargen Dörfer und zogen sich in unwegsame Waldgegenden zurück. Warum? John Frum habe sie gerufen, erfuhren die verärgerten Missionare. John Frum habe ihnen ein Leben in Reichtum versprochen. Wozu benötigten sie dann noch ihre karge Habe? Würden sie nicht bald im paradiesischen Überfluss leben, dank der Güter, die ihnen John Frum bescheren würde? Also verschenkten sie, was ihnen gehörte. Bald würde John Frum ihnen Cargo im Übermaß bringen: Cargo, Ware, Fracht, Reichtum.

Und siehe da: Schließlich erschienen 1942 Flugboote und Flugzeugträger. Soldaten betraten die Insel. Wie erwartet beschenkten sie die Einheimischen – mit Süßigkeiten, aber auch mit praktischen Werkzeugen und Gerätschaften. Sonderlich dankbar waren die Menschen von Tanna ihren Gönnern aber nicht. Erhielten sie doch lediglich, was ihnen zustand, nämlich Cargo. Aber stand ihnen nicht viel mehr zu, als sie erhielten? Gab es nicht riesige Schiffe und künstliche Vögel, die doch gewiss viel mehr Cargo bringen konnten? Warum erhielten dann die Menschen von Tanna nur die Brotsamen, während vermutlich andere in den Genuss von Reichtümern kamen?

Ein gewisser Neloiag wusste angeblich die Antwort. Der Insulaner gab sich als »Wiedergeburt von John Frum« aus. Man müsse die eisernen Vögel mit den reichen Gaben im Bauch nur besser anlocken. Man müsse ihnen echte Möglichkeiten bieten, vom Himmel herab zu kommen. Unter Neroiags Anleitung wurden lange und breite »Wege« für die Himmelsvögel gebaut...primitive Landepisten für Flugzeuge

Am 15. Februar 2004 studierte ich vor Ort ein seltsames Phänomen: Vor 1940 besuchte vermutlich ein Amerikaner Tanna. Später erschienen US-Soldaten auf dem Eiland. John Frum reiste wieder ab. Die Soldaten zogen wieder in die Heimat zurück. Und es entstand ein Kult: John Frum wurde zum Messias erhoben, auf dessen Wiederkehr man heute noch hofft. Die US-Truppen wurden in den Kult integriert. Sie werden heute noch imitiert: Die John-Frum-Anhänger marschieren mit geschulterten Holzgewehren im Gleichschritt auf und ab. Sie hissen Flaggen und salutieren. Und der Kult verändert sich weiter. In unseren Tagen wird er zusehends christianisiert. So verwandelt sich der erwartete Messias John Frum in Jesus. Noch gibt es strikte Puristen, die nach alter Väter Sitte den John-Frum-Kult zelebrieren. Aber schon wird auf dem John-Frum-Jahresfest auch Jesus als Messias herbeigesehnt. Meiner Meinung nach ist es eine Frage der Zeit, bis aus dem John-Frum-Glauben eine christliche Sekte wird.

Wir stellen uns heute die Frage, wie es möglich ist, dass Soldaten offenbar von friedlichen Insulanern fernab der „Zivilisation“ als göttliche Wesen gesehen wurden. In einem Zeitungsbericht über eine Fotoausstellung von Ingeborg Diekmann über unsere Studienreise zum John-Frum-Fest heißt es (3): „Sie tragen Fliegermontur. Ihre Sonnenbrillen blitzten in der gleißenden Sonne. Für die Einheimischen müssen sie wie Götter erscheinen, die Hilfsgüter bringen und versprechen, wieder zu kommen und sodann mit ihren Flugmaschinen wieder verschwinden. Die Eingeborenen warten bis heute auf die Wiederkehr der Besucher aus einer für sie ganz anderen Welt.“

Der John-Frum-Kult von Tanna ist wichtig für die Prä-Astronautik. Warum? Er verdeutlicht in nachvollziehbarer Weise, dass Besucher aus einer technisch weiter entwickelten Welt in einer so genannten „primitiven Welt“ als göttliche Wesen angesehen werden.

Der John-Frum-Kult ist wichtig für die Prä-Astronautik, weil er uns in nachvollziehbarer Weise verdeutlicht, dass die von ihm propagierten Messiaserwartungen nicht auf Fantasie, sondern auf Fakten beruhen. Die Erstkontakte mit den heute noch erwarteten „Messiassen“ hat es real gegeben. Dabei ist der John-Frum-Kult nur einer von vielen. Der deutsche Theologe Dr. Friedrich Steinbauer schrieb eine Doktorarbeit zu eben diesem Thema, die auch als Buch erschien (4): „Melanesische Cargo-Kulte“. Der Theologe weist 185 ähnliche Kulte nach.

Der John-Frum-Kult ist wichtig für die Prä-Astronautik, weil er uns zeigt, wie wohl außerirdische Besucher vor Jahrtausenden verstanden wurden – nämlich ob ihrer scheinbaren Allmacht als Götter.

Wir wissen: Militärs mit Flugzeugen führten um 1940 zum Entstehen eines religiösen Kults. Technische Realitäten wurden religiös verbrämt. Wenn nun in der uralten Mythologie Mikronesiens über den Ursprung des Königtums von Ponape von „fliegenden Schiffen“ die Rede ist...wenn es heißt, die Besatzung dieser „fliegenden Schiffe“ habe den Urkönig eingesetzt...darf man dann von frommer Fantasie sprechen? Oder belegt die alte Sage, dass in grauer Vorzeit Außerirdische an Bord von „fliegenden Schiffen“ die Südsee besuchten?

Der John-Frim-Kult ist interessant für die Prä-Astronautik, weil er Rückschlüsse zulässt: Besucher mit unbegreiflicher Technologie werden von so genannten „primitiven“ Völkern „vergöttlicht“. Das geschah nachweislich vor wenigen Jahrzehnten in der Südsee. Warum soll es sich nicht vor Jahrtausenden in ähnlicher Form zugetragen haben? Außerirdische Besucher wurden zu „Göttern“ erklärt!

Der John-Frum-Kult ist aus einem zweiten Grund interessant für die Prä-Astronautik! Warum nahmen es die Bewohner von Tanna als selbstverständlich hin, dass sie im 20. Jahrhundert von „göttlichen Wesen“ besucht wurden? Weil man davon überzeugt war, dass bereits in „grauer Vorzeit“ himmlische Besucher aufs paradiesische Eiland gekommen waren: John Frum wurde als wiedergekehrter Gott Karaperamun betrachtet!

Das John-Frum-Phänomen existiert weltweit. Ein Beispiel soll das belegen: Der Indiostamm Pemon, Venezuela, ist davon überzeugt, dass die Vorfahren von Gott Chiricavai besucht wurden. Er versprach, dereinst wieder zu kommen. Wo hält sich der Kulturbringer-Gott nach Ansicht der Chiricavai auf? Als die fern der Zivilisation lebenden Eingeborenen um 1960 auf Umwegen über Missionare von den Anfängen der Raumfahrt hörten, erstaunte sie das überhaupt nicht. Offensichtlich versuchten die Weisen, ihrem Gott Chiricavai Nachrichten zukommen zu lassen. Die Pemon baten nun, wie die Ethnologin Barcelo eruierte, ihren Missionar, er möge via Himmelsfahrzeug einen Brief an Gott Chiricavai übermitteln lassen. Man bat ihn um materielle Güter – und: „Chiricavai, komm herunter auf die Erde nach Hause zu deinen Verwandten.“

Der John-Frum-Kult ist wichtig für die Prä-Astronautik, weil er Material bietet, das erforschen lässt, wie so genannte „Primotive“ auf Kontakte mit einer technisch hoch stehenden Zivilisation reagieren. Leider werden auch heute noch amtliche Dokumente über den John-Frum-Kult von 1940 bis 1957 auf Tanna verfasst, unter Verschluss gehalten.(5) Warum eigentlich?


Fußnoten:

1. Das Evangelium nach Markus Kapitel 10, Verse 29 und 30 und das Evangelium nach Lukas Kapitel 18, Verse 28-30

2. Siehe hierzu Langbein, Walter-Jörg: Lexikon der Irrtümer des Neuen Testaments, München 2004, Kapitel „Prophetenworte: Auch Jesus irrte“, S. 195-200

3. Bahr, Albrecht-Joachim: Papayas zwischen Mauern aus Basalt, Die Norddeutsche, 16.10.2004

4. Steinbauer, Dr. Friedrich: Melianesische Cargo-Kulte/ Neureligiöse Heilsbewegungen in der Südsee, München 1971

5. Lindstrim, Lamont: Cargo Cult, Hawaii 1993, S. 81 ff.