Buchbesprechung: Andreas Müller: Deutschlands UFO-Akten

Abb. 1 Andreas Müller
Deutschlands UFO-Akten
Über den politischen Umgang mit dem UFO-Phänomen in Deutschland
…mit Betrachtungen auch zu Österreich und der Schweiz
BoD Norderstedt, 16.11.2021
ISBN: ‎ 978-3754306802
Preis: € 29,99
Taschenbuch, 452 Seiten, 254 z. T. farbige Bilder, Aktenabdrucke und Tabellen, 37 QR-Codes

(rmh) Auf den ersten Blick scheint das Buch etwas teuer, doch beim Lesen merkt man sofort, dass dieser Preis nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig ist, denn in einigen der zahlreichen abgedruckten Akten sind mit farbigen Stiften eingefügte Anmerkungen erkennen, die man auf einer Abbildung in Graustufen nicht hätte entziffern können.

Müller hat die Beiträge einiger prominenter Gastautoren aufzubieten, wie dem Diplom-Informatiker Ralf Bülow, der an zahlreichen Ausstellungen zu den Themen Computer, Weltraumfahrt, Astronomie und Physik beteiligt war und zur Geschichte der Science-Fiction-Genres publiziert hat. Ein weiterer Gastautor ist Dr. Andreas Anton, Soziologe, der zum Thema "Im Schatten des Szientismus" promoviert hat und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg ist. Dr. Michael Schetsche ist Politologe und Soziologie am IGPP und lehr als außerpanmäßiger Professor am Institut für Soziologie und der Universität Freiburg. Er forscht u. a. zu mysteriösen und unheimlichen Phänomenen sowie dem möglichen Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen. Der Vierte im Bunde ist Marius Kettmann, B.A., gelernter Medienberater, Militärhistoriker und aktiv in der UFO-Forschung tätig. Müller selbst ist Kommunikationsdesigner, Kornkreisforscher und Herausgeber der größten grenzwissenschaftlichen Webseite in Deutschland: GrenzWissenschaft.de. Müller ist die erste Person, der es gelang, Einsicht in die kaum bekannte UFO-Akte des BND zu nehmen und darüber exklusiv zu berichten.

Die QR-Codes sind außerordentlich praktisch, denn sie führen uns meist zu im Buch erwähnten und interessanten Videos. Müller sieht das UFO-Phänomen in einem Paradigmenswechsel befindlich, rückt es doch langsam aus dem ohnehin sehr unscharf und schwammig definierten Begriff der Pseudowissenschaft heraus in den Mittelpunkt eines interdisziplinären Forschungsinteresses. Tatsächlich beginnt allem Anschein nach die US-Politik und -Navy sich ernsthaft mit dem Phänomen zu beschäftigen und hat etliche Videos und Berichte von beispielsweise Piloten veröffentlicht, die tatsächlich mit "unidentifizierten fliegenden Objekten" zu tun hatten, deren Ursprung zur Zeit nicht erklärbar ist. Da der Begriff "UFO" mit zahlreichen Missverständnissen behaftet ist, verwendet man häufig lieber den Begriff "UAP", der für "Unidentified Aerial Phaenomena" steht und letztlich nichts anderes als der Begriff "UFO" aussagt. Tatsächlich gab, wie Müller zu berichten weiß, das Pentagon Ende 2020 die Gründung der Unidentified Aerial Phenomena Task Force (UAPTF) bekannt, in der es um die Erforschung der UAPs geht – selbstverständlich mit der Fragestellung, ob sie eine Bedrohung darstellen.

Doch das nur zur Einleitung. Im Buch selbst geht es um die "UFO-Frage" und -akten in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dazu führt Müller etliche Aussagen von bundesdeutschen Politikern an. Hier überrascht vielleicht die (ungewohnt) nüchterne Aussage von Franz-Josef Strauß, der sagte: "Eine staatlich beauftragte Untersuchungsstelle für UFO-Beobachtungen ist vorstellbar, am besten im Zusammenhang mit den Einrichtungen der Luftverteidigung. Selbst die Frage nach dem Vorhandensein von anderen intelligenten Lebewesen im Universum sollte man nicht mit 'nie' beantworten. Man sollte sich aber bei der Erforschung dieser Phänomene um wissenschaftliche gesicherte Ergebnisse bemühen."

Ein interessanter Punkt ist der Blick auf historische Dokumente aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. So berichtet Müller exemplarisch ausführlich über das "Basler Flugblatt" aus dem Jahr 1566, auf dem merkwürdige Phänomene im Luftraum abgebildet und beschrieben sind. Schon im Hinblick auf Sichtungen im deutschsprachigen Raum (s. auch die UFOs-Sichtung von Johann Wolfgang von Goethe) fällt die Ansicht auch deutscher Sprecher von privaten UFO-Vereinen, nach denen das UFO-Phänomen erst 1947 begann, wie ein Kartenhaus zusammen. Deutschlands älteste und erste "UFO-Akte" ist leider verschollen, aus der Sekundärliteratur ist allerdings zu entnehmen, dass sie sich 1826 im Saarland, Müllers und meinem eigenen Wohngebiet, ereignete.

Müller beschäftigt sich auch ausführlich mit dem "Dauerthema: UFOs und das Dritte Reich" und kann keine Hinweise für die ehemalige Existenz der sagenumwobenen Reichsflugscheiben finden. Ralf Bülow bekräftigt diese Ansicht in einem kurzen Kapitel zum Thema "Die UFO-Akten der US-Army über die Brüder Horten".

Auch die sogenannten Foo-Fighter, die im Zweiten Weltkrieg gesehen wurden, sind ein Thema für Müller. Hierzu erklärt er: "Bisher ist unklar, was den Kampffliegern im Zweiten Weltkrieg begegnet ist." Erst mit der Suche nach einem Memo nach "Fliegenden Scheiben" der Militärregierung für Bayern von 1948 stößt Müller langsam ins "zulässige" UFO-Zeitalter vor und berichtet darüber, dass in den berüchtigten "Blue-Book-Akten" auch deutsche UFO-Sichtungsfälle erklärt werden. In einer Randnotiz berichtet Müller über die Sichtung des Gemini-Astronauten Gordon Cooper in Bayern. Hier findet man kopfschüttelnd typische "Skeptiker –" oder sollte man besser sagen "Pseudo-Skeptiker-Erklärungen" wie "Hochfliegende Samen", die mit UFOS verwechselt worden sein sollen …

Die UFO-Akte der BRD von 1954 ist für Müller ein wichtiges Thema. Hierzu druckt er seitenweise Akten ab.

Als "Randnotiz" wird ein Beitrag von Rolf Bülow über die äußerst interessante "Begegnung der 3. Art" des DDR-Flüchtlings Oskar Linke berichtet. Lange wurde geglaubt, die Sichtung sei erfunden, bis die Existenz Linkes bewiesen werden konnte. Bülow sprach mit seiner Tochter, hält sie für glaubwürdig behält aber eine kritische Distanz, da seiner Meinung nach "nur zwei Augen- und Ohrenzeugen nicht für als Beweis für eine extraterrestrische Herkunft ausreichen".

Abb. 2: Der Autor Andreas Müller

Ralf Bülow befasst sich ausführlich mit der UFO-Presseakte der Bundeswehr und Müller mit der UN-Resolution zur UFO-Forschung in den Akten des Auswärtigen Amtes – auch hier wieder unter Abdruck der Akten selbst.

Ein weiteres Thema ist sind die begleitenden Untersuchungen zu polizeilichen Ermittlungen über unidentifizierbare Lichterscheinungen in Bayern 1979-1980. Ein diesbezüglicher Bericht wurde ursprünglich 1981 erstveröffentlicht unter der Schriftenreihe MUFON-CES-Bericht vom damaligen Leiter der MUFON-CES Illobrand von Ludwiger. Dieser Bericht wird in verkleinerter Form vollständig im Buch reproduziert.

Im Kapitel "UFOs und die Polizei" stellt Müller fest, dass UFO-Meldungen, die ernsthaft an die Polizei herangetragen werden, auch ernsthaft untersucht werden. In einer weiteren "Randnotiz", die diesem Kapitel folgt geht es um eine UFO-Sichtung, die Anfang 2014 durch die Polizei selbst und den Tower des Flughafens gemacht wurde und zur Lahmlegung des Flughafens führte. Der Fall wird ausführlich geschildert, und letztendlich sieht Müller keinen "Konsens zwischen UFO-Enthusiasten, -Forschern und -Skeptikern darüber, was damals kurzzeitig zum UFO-Lockdown des Bremer Flughafens geführt hat". Einig seien sich "die meisten Beobachter darin, dass sich schlussendlich verschiedene Sichtungen zu dem Bremen-UFO vereinigt haben. Ob darunter auch ein Objekt exotischer Herkunft und Natur war, lässt sich auf heute zugänglicher Datengrundlage nicht mehr ermitteln."

Weiter geht es um UFOs im Kalten Krieg inklusive von DDR-Behörden angelegten Akten zum UFO-Thema. Die daraus resultierende jetzt vorliegende UFO-Akte des bundesdeutschen Auslandsgeheimdienstes schildert auch Fälle, die von UFO-Forschern als sogenannte Good UFOs bezeichnet würden – Fälle, die selbst von Beamten trotz gründlicher Untersuchung nicht erklärt werden konnten.

Andreas Anton trägt einen sehr interessanten und ausführlichen Beitrag zum Thema "'Die UFOs, die haben doch nicht den Sozialismus gemieden!' - Das UFO-Thema in der DDR" bei und stellt fest, dass UFO-Sichtungen in der DDR zu öffentlich Unsagbaren gehörten und es gelingt ihm glaubwürdig zum Schluss zu kommen, dass die UFOs nicht die DDR gemieden haben, sondern der Sozialismus in der DDR die UFOs. …

Abb. 3 Auszug der Akte Ausarbeitung: Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen, nach Müller 2021, S. 3443-44f

An eine UFO-Sichtungswelle in Bremen aus dem Jahr 1980, die Müller – wieder in einer Randnotiz – ausgräbt, kann ich mich noch sehr genau erinnern. Als Auslöser dieser Sichtungswelle, in der beispielsweise ein großes, leuchtend helles Objekt fliegendes Objekt in "Zigarrenform" gesehen wurde, wurde schlicht der Stern Sirius ausgemacht, während andere von einem Flugzeug sprachen, das hell von der Morgensonne angestrahlt wurde. Der Erfindungsreichtum weiterer angeblicher Verursacher wurde aber nicht geringer. So wurde auch von einer Spiegelung des Nordlichts gesprochen. Dazu gesellt sich der Planet Jupiter als weiterer Erklärungsversuch. Die Beobachtung einer leuchtenden und funkensprühenden Scheibe, die in hundert Meter Höhe über einem Gebäude stand, kann mit derartigen Ideen aber wohl kaum erklärt werden. Müller jedenfalls bleibt auch hier salomonisch und stellt fest, dass heute nicht mehr festgestellt werden kann, ob es sich bei dem Gesehenen, das zu UFO-Alarm bei der Polizei, Flugaufsicht bis hin zu US-Armee und dem Aufsteigen einer NATO-Alarmrotte führte, möglicherweise um eine Kombination erklärbarer und exotischer Natur handelte, "heute vermutlich nicht mehr einvernehmlich zu entscheiden" sei.

In einer weiteren Randnotiz beschäftigt sich Marius Kettmann mit dem heute vielleicht bekanntesten deutschen UFO-Vorfall in Greifswald, der oft als "Leuchtmunition" gedeutet wird und in der deutschen "UFO-Szene" seit seinem Geschehen zu ausgiebigem intensiven Meinungsaustausch geführt hat. Kettmann befasst sich ausführlich mit den Hintergründen und kommt unter Verweis auf den Umstand, dass gezielte Anfragen noch andauern, die Aktensuche noch nicht abgeschlossen sei. Der Hinweis auf ein unveröffentlichtes Manuskript aus Kettmanns Feder in seinen Quellen lässt darauf schließen, dass zu diesem Fall noch einiges an Neuem und Ausführlicherem zu erwarten ist.

Ein weiteres Thema des Buches ist die UFO-Ausarbeitung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Hier heißt es u. a.: "Die Aussage, dass 'der Bundesregierung … keine Erkenntnisse vorliegen, die eine zuverlässige Einschätzung der Wahrscheinlichkeit extraterrestrischen Lebens erlauben würden (und) eine Landung Außerirdischer auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland … nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand für ausgeschlossen (hält)', besagt nichts darüber, ob in der Vergangenheit nicht doch entsprechende Untersuchungen gemacht wurden." Ein anderes von vielen anderen Themen ist die Frage nach UFOs als Thema in deutschen Universitäten, mit der sich Müller ausgiebig beschäftigt.

In einer weiteren "Randnotiz" gibt Müller den Artikel aus der Fachzeitschrift einer skeptischen UFO-Gruppe wieder, demzufolge ein UFO den Fast-Absturz eines Hubschraubers der Luftwaffe verursacht hatte. Obwohl der Fall sehr interessant ist, sieht der UFO-Skeptiker (Hans Werner Peiniger) keinen Grund, "exotischere Theorien, Zeitreisende, Projektionen aus einer anderen Dimension. o. ä. zu berücksichtigen als ein "gemeinsames natürliches Phänomen, dessen Natur wir noch nicht genau kennen und beschreiben können." Er liebäugelt mit der Kugelblitzerklärung, sieht aber ein, dass diese Deutung nicht so recht passt, und so lässt er das Phänomen (anscheinend eher etwas widerwillig) als "ungeklärt" stehen.

Eine Kernfrage, die Müller stellt ist "Stand 2021: Warum gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz keine staatlich militärische UFO-Forschung?". Dieser Frage geht Müller ausführlich nach.

Im Anhang listet Müller u. a. zivile Anlaufstellen für UFO-Forschung in Deutschland auf, doch da ergibt sich ein enttäuschendes Bild: Da gibt es drei Skeptikergruppen, eine Gruppe aus der die Elite ausgetreten ist, um eine Interdisziplinäre Gesellschaft zur Analyse anormaler Phänomene zu gründen, die aber bei der Mitgliederwahl sehr selektiv vorgeht und auf Erklärungen, die nur im Rahmen einer erweiterten Physik verstanden werden dürfen, besteht, sowie eine zwar durchweg empfehlenswerte Stelle die NARCAP Deutschland, die aber vorrangig vertrauliche Meldungen von Piloten etc. entgegennimmt, eine Plattform, die sich auf die ETH-These eingeschossen hat und vorwiegend Videos präsentiert, sowie eine Gruppe, die faktisch tot ist und den Vorsitzenden offensichtlich nur als verkaufsfördernde Möglichkeit für grenzwissenschaftliche Bücher aus ihrem eigenen Kleinstverlag dient (zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen ist die Homepage dieser Gruppe nicht mehr online), sowie einer Gruppe aus Österreich – ursprünglich Teil einer deutschsprachigen Gruppe, deren letzter Eintrag auf der Homepage auf 2018 datiert – und einem Institut für technische UFO-Forschung, deren Homepage in den letzten Jahren allerdings ebenfalls recht übersichtlich geworden ist, um es höflich auszudrücken und Müllers eigenem Portal. Der Kontext erweckt den Anschein, an ob auch hier UFO-Sichtungen gemeldet werden könnten.

Das Buch ist kurzweilig geschrieben – gerade so viel wie notwendig, aber so kurz wie möglich – und möglicherweise das beste und wichtigste Buch zum UFO-Thema im deutschsprachigen Raum, ganz sicher aber das wichtigste Buch zum Thema UFO-Akten und -Forschung in Deutschland.