Spanuths 'Steingrund'-Expeditionen und die Diskussion ihrer Ergebnisse
(bb) Jürgen Spanuth wusste natürlich, dass er seine Atlantis-Lokalisierung auch 'im Feld' belegen musste, und dazu waren Tauch-Expeditionen notwendig. Zur Vorgeschichte seiner unterwasserarchäologischen Forschungen berichtete er: "Im Jahre 1948 war mir nach langen und eingehenden Studien klargeworden, daß der Atlantisbericht eine im wesentlichen zuverlässige historische Quelle sei und Basilieia, die Königsinsel der Atlanter, 50 Stadien ostwärts von Helgoland gesucht werden müsse. Ich hatte damals wenig Hoffnung, daß die Nordsee noch irgendwelche erkennbaren Siedlungsspuren übriggelassen haben könnte.
Dennoch besorgte ich mit eine Seekarte, um nachzuprüfen, ob an der fraglichen Stelle vielleicht doch die Reste eines Hügels oder auffallende Steinansammlungen eingezeichnet seien. Ich werde den Augenblick nie vergessen, in dem ich die Seekarte aufrollte. Auf den ersten Blick sah ich genau an der fraglichen Stelle einen >allseits niedrigen Hügel< und umfangreiche Steinansammlungen. Diese Steine hatten dem unterseeischen Hügel, der dort auf dem sonst flachen Meeresgrund aufragte den Namen Steingrund eingetragen." [1]
Im Jahr 1950 unternahm Spanuth mit seinem Team den ersten Versuch einer Tauch-Expedition vor der heutigen Ostküste Helgolands, um unter Wasser nach archäologischen Spuren der Atlanter-Hauptstadt zu suchen. Der erste Anlauf scheiterte allerdings an ungünstigen Wetterbedingungen in der Deutschen Bucht. Mehr Erfolg zeitigte ein zweiter Versuch im Jahr 1952, bei dem es gelang, einen Taucher auf den 'Steingrund' herabzulassen, nach dessen Angaben sich dort unten "umfangreiche Wallanlagen" und andere Anzeichen einer früheren Besiedlung durch den Menschen befanden.
Dieser Taucher, Herbert Beelte, gab dazu Ende 1952 einen bemerkenswerten Bericht ab. Darin hieß es unter anderem: "Die Erwartungen, mit denen wir an das Problem herangingen, waren [...] nicht sehr hochgespannt. Im Scherz hatten wir uns ein Schlagwort geprägt: Wenn wir nur zwei Steine in der Reihe finden würden, würden wir zufrieden sein. Wir waren uns darüber im klaren, daß wir oberhalb des Treibsandes wohl gar keine Siedlungsspuren finden würden. Unser Plan sah deshalb vor, bei wesentlichen Steinanhäufungen mit einem Spülgerät die alte Kulturschicht freizulegen; übrigens in so kleinen Verhältnissen, wie es die unsrigen waren, für den Taucher eine unerhört schwere Arbeit. [...]
Am 31. Juli [1952] war es endlich soweit. Bei Windstärke 3 - wir trafen es auch später niemals günstiger - liefen wir den >Steingrund< an. Wir loteten uns an eine Steinhäufung heran, und ich ging ins Wasser. Die Strömung setzte sehr stark ein und erschwerte das Tauchen sehr. Was mich jedoch viel mehr enttäuschte, war die durch Diatomeen begrenzte Sicht. Diese pflanzlichen Absonderungen, Kieselalgen genannt, durchschwebten das Wasser in ungezählten kleinen Flocken. Vorbei war es nun mit dem Plan, von oben her, unter dem Schiff hängend zunächst das ganze Gebiet zu betrachten. Vorbei waren aber auch die kühnsten Träume des Unterwasserphotographen.
An einem Grundtau ließ ich mich dann hinab und fand mich zwischen Steinen wieder. Der Anblick, der sich mir bot, war unbeschreiblich schön. Die Steine waren mit vielfarbigen Aktinien besetzt, zwischen denen Fische standen und Krebse sich tummelten. Hin und wieder ließ sich auch ein Hummer sehen. Seesterne und Seeigel waren in unübersehbaren Mengen vorhanden. Letztere kollerten seltsam schwerelos durch das Wasser, wenn ich sie anstieß. Durch die Diatomeenverschleierung wurde der Reiz dieses >Paradiesgartens< noch erhöht. (Wenn in verschiedenen Zeitungen erzählt wird, ich hätte Tausende von Hummern gesehen, oder Fangarme hätten nach mir aus Höhlen gegriffen, als ich durch die Ruinenstadt schritt, dann entsprangen diese Übertreibungen der Phantasie abenteuerhungriger Reporter.)
Ich bin also nicht durch grandiose Ruinenstädte gewandelt, wie ich lesen konnte, SONDERN FAND EINEN DOPPELTEN STEINWALL [2], der etwa zwei Meter aus dem Treibsand herausragt ... Bei meinem ersten Tauchversuch gelang es mir, diesen doppelten Steinwall im Querschnitt aufzunehmen und ihn 80 m weit abzugehen. Dabei erkannte ich den unbedingten Gleichlauf der beiden Wallkuppen und erkannte weiter, daß nicht die Natur sondern MENSCHENHAND diese Wälle errichtet hatte.
Bei weiteren Tauchversuchen - sie fielen leider des schlechten Wetters wegen sehr spärlich aus - fand ich an verschiedenen Stellen den GLEICHEN QUERSCHNITT wieder. Es gelang mir somit, Richtung und Ausdehnung des Doppelwalls in die Karte einzutragen. Die sich an der Meeresoberfläche abzeichnende Strömungskante und die Aussagen der Hummerfischer von Helgoland bedeuteten für uns wichtige Hinweise. Um für die entfallenden Unterwasseraufnahmen einen dokumentarischen Ersatz zu bekommen, nahmen wir abschließend echographische Messungen vor. Und das ist die Überraschung bzw. der Erfolg dieser Expedition, daß wir erkannten, WIE SICH DIE ABMESSUNGEN DES VON UNS GEFUNDENEN DOPPELTEN STEINWALLES ... GENAU MIT DENEN DES PLATONISCHEN ATLANTISBERICHTES DECKEN." [3]
Nach diesem mehr als ermutigenden Ergebnis folgte im Oktober 1953 Spanuths nächste Expedition zum 'Steingrund'. Mit von der Partie waren diesmal der Taucher Eberhard Fries aus Siegen und dessen Frau Käthe. Unterstützt wurden sie u.a. durch die Marine, die ihnen ein Schiff zur Verfügung stellte, und durch die Lübecker Dräger-Werke, die sie mit einem damals neuartigen "Pressluftatmer" versorgten, einem Gerät, an dessen Entwicklung Fries maßgeblich beteiligt gewesen war. Der Taucher erklärte später: „Ich sah einen Wall. Ich fand bearbeitete Steine. Die waren nicht von der Natur fein und säuberlich aneinander gelegt worden. Das waren menschliche Siedlungsspuren. [...] Wir haben auch Steine gefunden, die vom Meeresgrund geborgen wurden. Sie sind rechteckig." [4]
Auch diesmal waren die Sichtverhältnisse unter Wasser sehr schlecht, sodass erneut keine fotographischen Aufnahmen gemacht werden können. Daher ließ Spanuth mehrere der rechteckigen Steinplatten (Abb. 3) bergen, die anscheinend als Straßen-Belag gedient hatten, wie David Hatcher Childress (1996) bemerkt: "Spanuth gab in seinem Buch [5] an, dass die Straßen der Nordsee-Stadt mit bearbeiteten Feuerstein-Platten gepflastert waren, und dass es beträchtliche Evidenzen dafür gäbe, dass ihre vergessenen Bewohner die Kunst gemeistert hatten, Erz zu schmelzen." [6]
Ob der atlantisbegeisterte 'Gottesmann' bei seinen frühen 'Steingrund'-Expeditionen auf archäologische Indizien oder Evidenzen für die hier angesprochene Metallbearbeitung stieß, lässt sich durch den Verfasser derzeit nicht feststellen; Exemplare der erwähnten Steinplatten ließ Spanuth jedenfalls bereits 1953 umgehend von mehreren Fachwissenschaftlern untersuchen, die zu einem einhelligen Ergebnis kamen. So bezeichnete, wie Gadow notiert, der Vorgeschichtler Röschmann diese Platten als "sicherlich von Menschenhand bearbeitet", eine fachliche Meinung, "der sich der Prähistoriker Professor Stokar, Koblenz, sowie die Geologen Heinz, Leipzig, und Rose, Hamburg, anschlossen." [7]
Eigentlich sollte man angesichts der Fülle der von Spanuth et al. präsentierten, jederzeit überprüfbaren Evidenzen annehmen, im Lager universitärer Fachwissenschaftler müsse nun eine wachsende Bereitschaft zur ernsthaften Auseinandersetzung mit Spanuths viel versprechender Außenseiter-These die Folge gewesen sein, und Gadow merkt in diesem Zusammenhang an, "daß für archäologische Lehrmeinungen häufig nur ein Bruchteil solchen Materials zur Verfügung steht (und als hinreichend empfunden wird)." [8] Und tatsächlich findet Spanuth zunächst bei einer ganzen Reihe professoraler Fachleute begeisterte Zustimmung.
Andererseits hatte Spanuth mit seinen Expeditionen und Veröffentlichungen zu diesem Zeitpunkt bereits 'schlafende Hunde' geweckt, denn seine Ergebnisse widersprachen zu vielen althergebrachten und lieb gewonnenen Lehrmeinungen über die Welt der Bronzezeit in Nordwesteuropa, als dass sie sich ohne Widerstand hätten durchsetzen lassen. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich irgend ein Repräsentant des akademischen Establishments bemüßigt sehen musste, dem häretischem Treiben des dreisten Außenseiters aus Friesland ein Ende zu bereiten. Den Mann, der sich zu dieser Aufgabe berufen fühlte, haben wir bereits kennengelernt: es ist der Kieler Geologe Prof. Karl Gripp, der in den folgenden Jahren seinen, leider nur zu erfolgreichen, 'Privatkrieg' gegen Spanuth führte.
Natürlich versäumten es Prof. Gripp und dessen Mitarbeiter auch nicht, Spanuths Fund-Meldungen vom 'Steingrund' in Frage zu stellen. Dazu heißt es bei Gadow: "In der gegen Spanuth gerichteten Broschüre >Atlantis enträtselt?< [vergl. dazu auch: Streit um Spanuth: Die so genannten 'Atlantis-Gespräche'; d. Red.] lieferte Gripp die groteskesten Deutungen. Einerseits dekretierte er mit Blick auf Spanuths >Steingrund<-Expeditionen: Die von den Tauchern [Beelte, Fries und Bender; bb] gemeldeten kreisförmigen Wallanlagen, Straßen usw. sind nicht vorhanden.< [9] Andererseits fühlte er sich genötigt, diese Ruinenreste, die es nicht gab, zu erklären, und zwar - man liest es voller Staunen - als N a t u r produkte.
Gripps Assistent Professor Wetzel jedenfalls behauptete, rechteckige Feuersteinfliesen von gleichem Aussehen wie die Spanuths in Nordjütland gefunden zu haben. Einige dieser nordjütischen Steine, die auf natürliche Weise entstanden sein sollen, müßten demnach vor über hunderttausend Jahren völlig unbeschädigt von Eiszeitgletschern ins Gebiet des >Steingrunds< transportiert worden sein. Die Entstehung seiner nordjütischen Naturfliesen, die Wetzel auch nach mehrfacher Aufforderung nicht vorlegte, soll folgendermaßen vor sich gegangen sein:
>Nun wird auch die rechteckige Umgrenzung der plattigen Feuersteine VERSTÄNDLICH [10] Denn man erkennt in den nordjütischen Kreideschichten deutlich das Vorherrschen starker vertikaler Durchklüftung längs zweier zueinander ± rechtwinkliger Kluftsysteme. Diese sind eine Folge tektonischer Beanspruchung der Kreideschichten und haben auch die dortigen Feuersteinbänke so glatt durchspalten, wie es von Menschenhand niemals zu bewirken wäre<." [11]
Als Krönung behauptete Gripp dann auch noch, die obskuren, von Nordjütland nach Helgoland transportierten, Naturquader seien dort schließlich "durch die >Brandung< der Nordsee >zu einer Art Pflaster verzahnt< worden." [12] Diese völlig absurde Vorstellung beflügelte wiederum Spanuth zu einer köstlichen Polemik: "Das ist eine volkswirtschaftlich überaus wertvolle Neuentdeckung Gripps. Bisher kannte man nur eine Brandung, die Fliesenflächen zerstörte und die einzelnen Platten zu rolligen Gebilden zerschlug. Nunmehr hat Gripp eine Brandung entdeckt, die rechteckige, gleichgroße Platten auf dem Meeresboden sortiert, dieselben dann vorsichtig transportiert und >zu einer Art Pflaster verzahnt<. Wenn es gelingen sollte, diese neu-artige Brandung für die Bepflasterung der Außendeiche heranzuziehen, könnten ungeheure Geldmittel eingespart werden." [13]
Die 'Gripp´sche Brandung' mag fiktiver Natur und ein lehrbuchreifes Beispiel dafür sein, zu welchen kreativen Höchstleistungen das Hirn eines Homo academicus simplex zur Aufrechterhaltung seiner Erkenntnis-Resistenz in der Lage ist; letztlich erwiesen sie bzw. ihr Erfinder und dessen Anhang sich für Spanuth und seine Forschungs-Ergebnisse als genauso zerstörerisch wie die langsam aber unerbittlich wirkenden, höchst realen Gezeiten der Nordsee für die Insel Helgoland. In der Scientific community, also dort, wo man in aller Regel mehr auf akademische Grade und eingefahrene Lehrmeinungen als auf Evidenzen Rücksicht zu nehmen pflegt, hatten es diese 'Meinungsmacher' keineswegs nötig, Spanuths Entdeckungen vom 'Steingrund' tatsächlich zu widerlegen.
Man veranstaltete stattdessen - solange ein öffentliches Interesse an der Sache bestand - ein propagandistisches Trommelfeuer ('etwas bleibt immer hängen') gegen ihn, um die Probleme [14], vor die der unbequeme Pastor die Gelehrten gestellt hatte, später in aller Ruhe aussitzen zu können. (Im vorigen Abschnitt unserer Spanuth-Betrachtung haben wir uns bereits ausführlich mit diesem vorgeblich "wissenschaftlichen" Diskurs - Mitte der 1950er Jahre - um Spanuths Theorien beschäftigt, dessen Charakter und Ausgang bis heute seine Wahrnehmung bei Forschern und in der Allgemeinheit entscheidend mitbestimmt.)
ENDE
Anmerkungen und Quellen
- ↑ Quelle: J. Spanuth, "Das enträtselte Atlantis", 1953, S. 203
- ↑ Anmerkung: Alle Hervorhebungen in diesem Zitat entsprechen dem Original-Text.
- ↑ Quelle: H. Beelte, nach: Gerhard Gadow, "Der Atlantis Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Fischer Taschenbuch Verlag, Juli 1973, S. 139-141
- ↑ Quelle: K. Brüning, "Geschichte" [Helgolands], 2001, online unter http://www.knieper.de/body_geschichte.html
- ↑ Anmerkung: Hatcher Childress bezieht sich auf: Jurgen Spanuth, "Atlantis of the North", Van Nostrand Reinhold Co., New York, 1979
- ↑ Quelle: David Hatcher Childress, "Lost Cities of Atlantis, Ancient Europe & the Mediterranean", Adventures Unlimited Press, Illnois (USA), 1996, S. 324
- ↑ Quelle: Gerhard Gadow, "Der Atlantis Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Fischer Taschenbuch Verlag, Juli 1973, S. 138
- ↑ Quelle: ebd., S. 141
- ↑ Quelle: K. Gripp bei Richard Weyl (Hrsg.), 1954 , "Atlantis enträtselt? - Wissenschaftler nehmen Stellung zu Jürgen Spanuths Atlantis-Theorie" (mit 17 Beiträgen), Kiel, 1954, S. 77 [nach Gadow, 1973, S. 58, 59]
- ↑ Anmerkung: Die - angesichts des nun folgenden p s e u d o-fachchinesischen Kauderwelschs zweifellos ironisch gemeinte - Hervorhebung des Wortes "verständlich" stammt offenbar von Gadow.
- ↑ Quelle: Wetzel bei Weyl, 1954, S. 74; nach Gadow, 1973, S. 60
- ↑ Quelle: Gerhard Gadow, "Der Atlantis Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Fischer Taschenbuch Verlag, Juli 1973, S. 60
- ↑ Quelle: J. Spanuth, "Und doch: Atlantis enträtselt!", Stuttgart, 1955, S. 130 [nach Gadow, S. 60]
- ↑ Anmerkung: Im wesentlichen handelt es sich hier um ZWEI Probleme, die noch heute einer sachlichen, hieb- und stichfesten Klärung harren. Zum einen ist dies die (atlantologische) Frage, ob am Steingrund tatsächlich die Ruinen der Metropolis von Platons versunkenem Inselreich liegen (auch wenn der Verfasser hier fachlich eine andere Meinung als Spanuth vertritt, betrachtet er den Diskurs dazu durchaus als offen). Zum anderen geht es - unabhängig vom Atlantis-Problem - um die grundsätzliche Frage, ob dort tatsächlich eine bronzezeitliche Stadt, mithin der Sitz einer Hochkultur, unter den Wellen der heutigen Nordsee ruht.
Bild-Quellen
(1) http://home.planet.nl/~zeven230/geo.5a.atlantis.htm
(2) http://www.violations.dabsol.co.uk/search/searchpart1.htm
(3) G. Gadow, "Der Atlantis-Streit", 1973, S. 59
(4) ebd., S. 145