Ein atlantischer 'Außenposten' im Nahen Osten

von R. Cedric Leonard

Ein Cro-Magnon-Siedlungsraum, der aus dem Rahmen fällt

Es scheint, dass sowohl archäologische als auch anthro- pologische Evidenzen auf die mögliche Existenz eines Außenpostens der Atlanter in der Levante, am östlichen Ende des Mittelmeers hindeuten. Neu ist diese Information nicht, sondern sie ist, der Einfachheit halber, meiner ursprünglichen Abhandlung über die atlantische Kultur entnommen (+1). Im allgemeinen präsentiert sich das Problem [der Verbreitung atlantischer bzw. Cro-Magnon-Kulturen; d. Ü.] eindeutig und simpel, doch es gibt da einen Sonderfall.

Es wurde auf den anthropologischen und linguistischen Seiten meiner Homepage demonstriert, dass die Siedlungsgebiete der Menschen vom Cro-Magnon-Typ und das [Verbreitungs-] Muster des berber-ibero-baskischen Sprach-Komplexes beinahe perfekt übereinstimmen. Doch in einem Fall stoßen wir auf eine Anomalie. In diesem Fall, der hier darstellt werden soll, stimmen zwar die fossilen Evidenzen (Skelett-Knochen, Schädel, Zähne, etc.) und die archäologi-schen Evidenzen (Kochgerät, Werkzeuge, Waffen, etc.) überein; meines Wissens gibt es aber keine Evidenzen für eine komplementäre 'Sprachinsel', die unserem atlantischen Sprach-Komplex ähnelt.

Abb. 1 Die Höhle von Ke- bara ist eine von mehreren Fundstätten am Mount Carmel, in der Überreste cromagnoider Menschen entdeckt wurden. (Foto: Prof. Anna Belfer-Cohen, The Hebrew University of Jerusalem)

Daher halte ich diese Kultur, verglichen mit anderen Atlanter-Hinterlassenschaften, aus zwei Gründen für anomal: 1. Ihre 'östliche' Lage in Anbetracht der üblicherweise westlichen Aus-richtung, die wir beobachten konnten [vergl. dazu: Atlantis und der Cromagnon-Mensch von R. Cedric Leonard; d. Red.]; und 2. das Fehlen irgendwelcher Evidenzen für eine lingu-istische Verbindung. Der Werkzeugsatz ist praktisch derselbe; die Schädel und dazugehörigen Skelette sind gleichartig; und die Besiedlungs-Chronologie bewegt sich genau im erwarteten Zeit-Rahmen. Doch aufgrund der erwähnten Anomalien habe ich ihn lediglich als 'Außenposten' klassifiziert.

Die Datierung des Beginns dieser Reihe erscheint etwas problematisch, da er in etwa vor 35 000 Jahren erfolgte: nahe an der Obergrenze der Carbon-Datierung, doch viel zu rezent, um eine Potassium-Argon-Datierung ins Spiel zu bringen. In allen derartigen Fällen arbeiten wir mit Näherungs-Werten. Doch auch in Ermangelung einer exakten Datierung wissen wir, dass diese Leute etwa zur selben Zeit in dem betreffenden Gebiet auftauchten, als der Neandertaler durch den Modernen Menschen ersetzt wurde.


Atlantiker im Nahen Osten: Der 'antelische' bzw. 'atlitische' Außenposten

Auf eine Weise, die den vier Cromagnon-Invasionen der atlantischen Küstengebiete gleicht, scheinen im Gebiet des nördlichen Palästina mehrere aufeinanderfolgende cromagnon-artige Kulturen aufgetaucht zu sein. Obwohl sich diese Kulturen-Reihe [orig.: "cultural series"; d. Ü.] grundsätzlich im selben Zeitrahmen bewegt wie die westlichen Cromagnon-Invasionen, er-scheint ihre räumliche Distanz und Isolation von der korrespondierenden westlichen Reihe etwas überraschend. Diese archäologische Reihe ist keinesfalls von der älteren europäischen 'Neandertal'-Kultur herzuleiten. Wie die Aurignac-Leute im Westen, erscheint sie plötzlich, "fix und fertig", und ist beträchtlich innovativer und dynamischer als andere zeitgenössische In-dustrien in diesem Raum

Abb. 2 Dieses menschliche Cranium, in das von einem Natufien-Künstler oder -Priester ein artifizielles Gesicht eingefügt wurde ('plastered skull'), stammt aus der 'präkeramisch-neolithischen' Fundstätte von Kfar Hahoresh. (Foto: The Hebrew University of Jerusalem)

In meinem Buch Quest for Atlantis schrieb ich: "Ein sogenannter 'Aurignac'-Außenposten kön-nte in Palästina existiert haben. Letzterer, als Antelien bekannt, existierte zur gleichen Zeit wie die Aurignac-Kultur im Westen und wies eine Anzahl von Aurignac-Charakteristika auf." Zwei-fellos datiert dieser isolierte 'Außenposten' mehr als 30 000 Jahre zurück. Diese Kultur wird als "intrusiv" betrachtet, da sie starke Affinitäten zum Aurignac in Europa aufweist (Coon, 1954; Bordes, 1968; Pfeiffer, 1969, et al.). Darüber hinaus sind die physischen Charakteristika dieser Leute so gut wie identisch mit den west-europischen 'Invasoren', mit denen wir uns beschäftigt haben. (+2)

Als eine gemeinsame britisch-amerikanische Expedition in der 'Höhle der Kinder' bei Mugharet el Wad in Israel grub, stieß man auf einen der großen Funde der Anthropologie. Diese Höhle in der Nähe des Mount Carmel (Abb. 1) beinhaltete zehn beerdigte Skelette, die in einer dicht ze-mentierten Matrix eingebettet waren. Dieses Volk unterschied sich von den Neandertalern, die das Gebiet früher bewohnt hatten; doch sie glichen auch nicht dem 'östlichen' Modernen Menschen-Typen - kurz gesagt, waren sie 'robuster'.

Dem verstorbenen William W. Howells (1967) zufolge, Professor für Anthropologie an der Harvard University, glichen sie dem Modernen Menschen. Er beschreibt sie jedoch als groß, kräftig gebaut und mit geraden Gliedmaßen, die nur einen leichten Anflug von "Neandertaler"-Charak-teristika aufweisen. Ihre Hirnschale entspricht sowohl in Größe als auch Form der unseren; hoch, flachseitig und rund, ohne 'neanderthaloide' Wölbung auf der Rückseite. Einige Schädel weisen eine leicht abfallende Stirn auf, während andere von respektabler Höhe sind (eine nor-male Variation innerhalb von Populationen).

Abb. 3 Ein weiteres Beispiel für die künstlerische Ausdrucks-Stärke und Ästhetik der Natufien-Kultur, die sich vom Süden der Turkei bis zum Sinai erstreckte: Diese Tier-Skulptur aus Kalkstein wurde in der Judäischen Wüste entdeckt und sehr vage auf ein Alter zwischen 12 500 und 10 300 v. Chr. datiert.

Die Brauen-Rücken sind betont, doch nicht schwer oder knollenförmig wie beim Neandertaler. Der Kiefer weist einen abrupten Winkel auf, der wiederum nicht zum Neandertaler passt. Und besonders wichtig ist, dass sie ein vorspringendes Kinn hatten! Der Neandertaler war dagegen praktisch kinnlos. Howells kommentiert: "Es ist schwer, diese Leute akkurat einzuschätzen." (Howells, 1967)

Der Anthropologe Carleton Coon beschreibt die Cromagnon-Menschen als große, stark-knochi-ge, muskulöse Leute mit großen Köpfen und kräftigen Kiefern; und er erklärt, dass dieser Typ sich gut durch "die Skelette" illustrieren lässt, "die einer Reihe von Höhlen in Palästina und dem Libanon entnommen wurden, insbesondere der 'Höhle der Kinder' (Mugharet es-Skhul) nahe dem Mount Carmel, die 1926 und 1927 von einer anglo-amerikanischen Expedition aus-gegraben wurde." (Coon, 1954)

Bei den älteren Exemplaren dieser palästiniensischen Serie (einige Datierungen konzentrieren sich um etwa 35 000 v.Chr. - der Zeitpunkt, an dem der Neandertaler verschwand) sollte man voraussetzen, dass sie ein wenig "robuster" gewesen seien als ihre späteren, den Magdaleniern ähnlichen, Abkömmlinge, welche die Kultur des Atlitiens bildeten. Doch allgemein beschreiben die Anthropologen sie als den "westlichen" Cromagnon-Typen in Europa ähnlich.

Und wieder kommentiert Prof. Howells: "Letztere können sich kaum in gerade einmal zehn-tausand Jahren aus den Tabun-Neandertalern entwickelt haben [hervor gegangen sein; R.C.L.] und nach Europe gewandert sein. Somit erscheint die Vorstellung einer Ablösung [orig.: "re-placement"; d.Ü.] und Absorption ansprechender . . . Eine solche Interpretation bedeutet, dass der Homo sapiens bereits irgendwo existiert haben muss . . . Sie erfordert zudem, dass er sich an einem Ort außerhalb Europas und des Nahen Ostens entwickelte." (Howells, 1967)

Die relativ schwache und kurzlebige Solutréen-Kultur im Westen hatte, soweit ich weiß, keine palästinensische Entsprechung. Warum das so ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Mag sein, dass die Solutréener einfach nicht mächtig genug waren, oder die nötige Initiative vermissen ließen, die ältere antelische Kolonie zu verdrängen. Ob es nun aus diesen oder aus anderen Gründen sei: bis zum plötzlichen Auftreten der Atlitier um 14 000 v. Chr. finden wir keine neue "intrusive" Kultur, die sich in Palästina niederläßt. Um eine Vorstellung von der Übereinstim-mung zwischen den wesentlichen Cromagnon-Intrusionen und der Sequenz in Palästina zu bekommen, betrachten Sie die unten abgebildete Tafel. (Abb. 4)

So wurde die Antelien-Kultur plötzlich und unerklärlich durch die des Atlitien ersetzt. In selbi-gem Kapitel schrieb ich kurz vorher: "Das Atlitien existierte in Palästina, erneut als isolierte Kultur, in befremdlicher Entsprechung zu einer westlichen Cromagnon-Kultur, diesmal mit dem Magdalenien" (Leonard, 1979). Die Kultur des Atlitien ist als "das östliche Äquivalent des Mag-dalenien in West-Europa" bezeichnet worden (Dr. Robert Bell, Privat-Korrespondenz), und wur-de als "rar und rätselhaft" betrachtet.

Einen bestimmten Schädel betreffend, schreibt Carleton Coon: "Der Schädel Nr. 6 von Jabel Qafza erscheint moderner als alle anderen Schädel-Spezimen [von dort]. Im wesntlichen ist er wie die ober-paläolithischen Schädel aus West-Europa . . ." (Coon, 1962) Dieser Schädel kön-nte einem Respräsentanten der späteren Kultur des Atlitien gehört haben - in als 'Friedhöfe' genutzten Höhlen wurden die Knochen manchmal von dem archeäologischen Kontext getrennt, in den sie gehören. (+3)

Abb. 4 Tafel zum Vergleich der Cromagnon-'Invasionen' im Westen und im Cromagnon-"Außenposten" des Nahen Ostens nach Leonard. Die von ihm eingeführten Bezeichnungen zur atlantologischen Klassifizierung (Atlantean I-IV) wurden zur Vermeidung von Missverständnissen im englischen Original belassen.

Die atlitische Kultur währte ohne signifikante Veränderungen ungefähr viertausend Jahre, bis schließlich irgendetwas geschah. Ich denke, es ist nicht bedeutungslos, dass sie zirka 10 000 v. Chr. abrupt endete - eine Datierung, die sich dem Verschwinden von Atlantis annähert - tatsächlich hat man einen Knochen-Kalender aus dem Natufien gefunden, der ca. 10 000 v. Chr. beginnt (Marshack, 1972). Wir sehen somit, dass unmittelbar auf das Atlitien eine noch höher entwickelte und innovativere Kultur folgt, die des Natufien. Chronologisch stimmt das Natufien mit dem Azilien in West-Europa überein - mit beiden beginnt im eigentlichen Sinne das Zeitalter des Mesolithikum.

Die Kultur des Natufien war für eine mesolithische Kultur beachtlich weit entwickelt, und die meisten Anthropologen meinen, dass in ihr mit der Domestizierung von Tieren und der Land-wirtschaft begonnen wurde - wogegen ich an anderer Stelle [siehe: Urzeitliche Landwirt-schaft - eine atlantische Innovation] gezeigt habe, dass beide schon früher bei den Cro-magnon-Menschen praktiziert wurden. Man hat Werkzeuge für die Ernte und zum Mahlen von Getreide-Körnern zutage gefördert, sowie eine breite Palette von von Mikrolithen. Sie glauben auch, dass die Natufier die Töpferei mit Ton erfunden und den Hund domestiziert haben (Dr. Bell, Privat-Korrespondenz).

Auch wenn die Zivilisations-Forscher [orig.: "cultural scientists"; d. Ü.] nicht feststellen kon-nten, über was für eine Art von Schiffen sie verfügt haben könnten, so müssen wir doch ir-gendeine Form von Seefahrt annehmen, welche die Armeen der Insel Atlantis in die Lage ver-setzte, in die etablierten Kulturen des Festlands von Europa und Afrika einzudringen.

Wenn man die geographische Kluft zwischen den Cromagnon-Kulturen West-Europas und -Afrikas sowie der 'östlichen' Kolonie in der Levante betrachtet, dann ist anzunehmen, dass während des Oberen Paläolithikum eine Gruppierung (eigentlich waren es im Lauf der Zeit mehrere) von Atlantern bis zum äußersten Ende des Mittelmeers nach Osten gesegelt ist und dort eine Art Außenposten errichtet hat. Ob sie nach wertvollen Mineralien oder schlicht nach fruchtbarem Land suchten, ist bisher unklar; doch was auch immer der Grund war, so scheint es, dass dieser Außenposten, der mit dem Antelien begann, zehntausende von Jahren überdauerte.

Warum man sich mit diesem obskuren und 'weitab vom Schuss' [orig.: "out-of-the-way"; d. Ü.] liegenden Außenposten herumschlagen soll? Ich bin überzeugt davon, dass die Atlanter-Zivilisation, zumindest als es auf ihr Ende zuging, ein Imperium war. Aus den bisher gefunde-nen Evidenzen lässt sich schließen, dass es Außenposten nicht nur in der Levante, sondern auch an der Atlantik-Küsten Afrikas, auf den Kanarischen Inseln, im nördlichen Frankreich, in Ägypten, den Bahama-Inseln, in Peru sowie Bolivien, und möglicherweise sogar in der Antarktis gab.

Besonders wichtig erscheint jedoch, dass der hier diskutierte Außenposten nicht weit von der in Ruinen liegenden Akropolis von Baalbek, im Libanon (+4) entfernt war. Es gibt jüngere ar-chäologische Evidenzen, dass sich dieser kleine palästinensiche Außenposten schließlich bis in den südlichen Negev Palästinas hinein erstreckte (Goring-Morris, 1987). In dieser Gegend wartet noch jede Menge Arbeit.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von R. Cedric Leonard © wurde seinen Webseiten "www.atlantisquest.com" entnommen (Vers. 1.7, 27. März 2006). Übersetzung ins Deutsche und redaktionelle Bearbeitung durch atlantisforschung.de (2006) nach http://www.atlantisquest.com/Outpost.html

(+1) Red. Anmerkung: R. Cedric Leonard , "Quest for Atlantis" , Manor Books Inc., New York, 1979.

(+2) Anmerkung des Autors: Der renommierte Anthropologe Carleton S. Coon steht nicht allein, wenn er (1954) feststellt, dass die Aurignac-Menschen in Europa "eine Invasion durchführten".

(+3) Red. Anmerkung: Dies gilt natürlich nicht nur für Höhlen. Vergl. dazu z.B.: Das Laguna-Mädchen von C.W. Ceram

(+4) Siehe dazu: R. Cedric Leonard, ARCHEOLOGICAL PERSPECTIVES, online unter: http://www.atlantisquest.com/Archeology.html>


Bild-Quellen

(1) http://archaeology.huji.ac.il/depart/prehistoric/annab/photo.html

(2) http://archaeology.huji.ac.il/depart/prehistoric.html

(3) www.accd.edu/.../arts1303/Neolith1.htm

(4) atlantisforschung.de (nach R. Cedric Leonard)


Verwendete Literatur

Bell, Robert, Professor of Prehistoric Archeology, University of Oklahoma, 1974. Bordes, Francois, "The Old Stone Age," World University Library, McGraw-Hill, New York, 1968.

Coon, Carleton, "The Story of Man," Alfred A. Knopf, Inc., New York, 1954.

Coon, Carleton, "The Origin of Races," Alfred A. Knopf, Inc., New York, 1962.

Goring-Morris, A. N., "At the Edge: Terminal Pleistocene Hunter-Gatherers in the Negev and Sinai", Biblical Archaeological Review, Int. Series 361, Oxford, 1987.

Howells, William W., "Mankind in the Making," Doubleday & Co., Garden City, 1967.

Leonard, R. Cedric, "Quest for Atlantis," Manor House Publ., New York, 1979.

Marshack, Alexander, "Roots of Civilization," McGraw-Hill & Co., New York, 1972.

Pfeiffer, John E., "The Emergence of Man," Harper & Row Publ., New York & London, 1969.