ABORA-Schulungs-Törn endet mit kleiner schifffahrthistorischer Sensation

Geiseltalsee ist neues Trainings-Revier des ABORA-Teams -'Steinzeitsegler' Dominique Görlitz zieht ein positives Fazit

Abb. 1 Der Geiseltalsee in Sachsen-Anhalt hat sich für die 'Steinzeitsegler' des ABORA-Teams als ideales Trainings-Gewässer erwiesen. Der Verein für experimentelle Archäologie e.V. wird hier auch künftig seine Tests und Schulungen durchführen.

(red) Ein überaus positives Resümee des diesjährigen Schulungs- und Trainingslagers des ABORA-Teams, das vom 4. bis zum 11. August - zum ersten, aber nicht zum letzten mal - am und auf dem sachsen-anhaltinischen Geiseltalsee stattfand, zieht jetzt Dr. Dominique Görlitz vom Verein für experimentelle Archäologie e.V.: "Der Geiseltalsee hat sich als ideales Gewässer für unsere Test- und Übungsfahrten erwiesen und unsere Anforderungen als neues Segel- und Übungsrevier mehr als erfüllt.", erklärt Görlitz. "Mit seiner zur zeit etwa 9 km² freigegebenen Segelfläche um Braunsbedra sowie mit seinen z.T. kräftigen Winden und durchaus ansehnlichem Wellengang bietet er ausgezeichnete Voraussetzungen, um uns unter anderem weiter auf die kommende Schwarzmeer-Expedition [1] der ABORA IV vorzubereiten."

Besonders freut sich der Privatforscher zudem über die enorme Resonanz des Events beim Publikum: "So viele Menschen haben die zahlreichen Presse- und TV-Berichte [2] wahrgenommen und vor allem die Scharen von Besuchern vor Ort haben uns gezeigt, auf welches große Interesse unsere Arbeit stößt. Das motiviert natürlich ungemein und wir freuen uns schon jetzt auf unser nächstes Traininmgs-Programm vom 15. bis 17. September 2017. Dann werden wir uns erneut am Geiseltalsee treffen, um die neu erworbenen Segelfähigkeiten weiter zu festigen. Ich bin überzeugt, dass wir dort in den nächsten Jahren noch viele wichtige Erfahrungen sammeln werden."

Trainingsprogramm mit einem "Paukenschlag" abgeschlossen: Eines der Rätsel prähistorischer Seefahrt darf als gelöst gelten!

Abb. 2 Ein großer Moment: Die Crew der DILMUN S manövriert das Boot ohne Ruder auf dem Geiseltalsee.

Ihren Abschluss fanden die Test- und Trainingsfahrten am Geiseltalsee am vergangenen Freitag mit einer seefahrthistorisch bedeutsamen Entdeckung. Görlitz erklärt dazu: „Nachdem wir erstmals übergroßer Ruderbretter im Heck angebaut, getestet und die Versuchsfahrten ausgewertet hatten, wagte ich es zum ersten Mal in der fast 30jährigen ABORA-Projektgeschichte, ein Floßfahrzeug ganz ohne jegliches Ruderanlage zu fahren.“ Das Ergebnis war nicht nur erstaunlich, sondern im wahrsten Sinne des Wortes »phänomenal«: Während sich "die übergroßen Ruder nach altägyptischer Bauart erwartungsgemäß positiv beim Halsen, aber spürbar bremsend beim Wenden auswirkten, löste das fehlende Doppelheckruder ein gewaltiges Drehmoment ins Luv aus. Mit anderen Worten: Das Floß drehte sich buchstäblich wie auf einer Drehscheibe durch den Wind. Ebenso bedeutsam waren unsere Beobachtungen, dass sowohl eine stabile Geradeausfahrt am Wind als auch ein Halsemanöver (übers Heck) trotz fehlender Ruderunterstützung durch zusätzliches Stecken der Heckschwerter problemlos möglich war."

Die Ergebnisse dieser wohl bedeutsamsten Testfahrt der DILMUN S stützen somit massiv die Aussagen Alexander von Humboldts (1769-1859), der große Inka-Flöße beschrieb, welche ganz ohne Ruder über den Pazifik kreuzten. Seine Beschreibungen motivierten wiederum Thor Heyerdahl, 1946/47 mit der KON TIKI den Pazifischen Ozean zu überqueren. Ihm gelang es aber nicht, die Schwerter effizient genug einzusetzen. Deshalb wurden nicht nur seine, sondern auch Humboldts Beschreibungen immer wieder von Experten angezweifelt. Heute, 70 Jahre nach KON TIKI, konnte das ABORA-Team das Vermächtnis beider Wissenschaftler erfüllen.

Abb. 3 Skizze steinzeitlicher Felsbilder aus Oberägypten. Solche prähistorischen Darstellungen bilden eine wesentliche Grundlage für den möglichst authentischen Bau der ABORA-Schilfboote.

Ihre praktische Bestätigung finden nun auch die Interpretationen weit prähistorischer Felsbildfunde aus Oberägypten durch Görlitz und seine Mitstreiter sowie die nachfolgenden Messexperimente an der Fachhochschule Kiel aus dem Jahr 1999. Die Analysen an vordynastischen Felsbildern der so genannten Negade-Kultur (ca. 3.800-3.000 v.Chr.) ergaben, dass kiellose Schilfflöße durch Schwerter (einfache Bretter) an Bug und Heck voll manövierfähig waren. Setzt man die Schwerter am Bug, verschieben sie den Lateraldruckpunkt nach vorn und das Fahrzeug wird luvgierig. D.h. es dreht auch ohne Motorkraft mit dem Bug in den Wind. Setzt man umgekehrt mehr Schwert im Heck, wird das Floß leegierig, d.h. der Bug wird ins Lee gedreht. Durch gezielten Einsatz der Schwerter an beiden Schiffspositionen kann man, wie mit einer modernen Yacht, gezielt Wenden durch den Wind oder Halsen, also übers Heck segeln.

Die Expeditionen mit ABORA II & III haben zudem belegt, dass man mit dieser Takelage und leichter Strömungsunterstützung sogar aufkreuzen kann. "Damit ist", wie Görlitz kommentiert, "das experimentelle Fundament zur Beweisführung gelegt, dass vor- und frühgeschichtliche Seefahrer nicht nur entlang der gefährlichen Küsten, sondern auch über das freie Meer navigieren konnten. Diesen Nachweis blieb der große norwegische Forscher Thor Heyerdahl zeitlebens schuldig, und auch deshalb fand er in der Wissenschaft nicht immer die verdiente Anerkennung. Das ABORA-Projekt kann nun aber mit Bestimmtheit aufzeigen, dass Heyerdahl bereits damals auf der richtigen Spur war. Nur hatte er die Felsbildbefunde nicht richtig erkannt und umgesetzt."


Externum

DILMUN-Geiseltal-Video.jpg

NuoViso TV: "Sensation auf dem Geiseltalsee" (Video, 10:17 Min.)


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

Bild-Quelle:

1-3) Bild-Archiv Dr. Dominique Görlitz