Riesen- und Zwergensagen aus der Gegend von Rathenow

... und aus anderen Orten der Mark Brandenburg

Abb. 1 Die Stadt Rathenow im Havelland auf einem Stich aus dem Jahr 1800. Auch dort sollen vormals Riesen und Zwerge gehaust haben, wie die Chronik "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild" zu berichten weiß.

(bb) Die meisten volkstümlichen Erinnerungen an vorzeitliche sowie frühgeschichtliche Riesengeschlechter und 'Kleine Leute' in Deutschland [1] dürften inzwischen völlig dem Vergessen anheim gefallen sein, sofern sie nicht in ihrer 'mythisierten' und sagenhaften Spätform - in vergleichsweise jüngerer Zeit - von Historikern und Chronisten schriftlich festgehalten wurden. So berichten etwa die Herausgeber der Chronik "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild" (Abb. 2) aus dem Jahr 1900 im Kapitel Volkssagen aus der Umgebung Rathenows (leider nur sehr kurz gefasst) über sagenhafte Überlieferungen zu Riesen und Zwergen im Havelland. Nachfolgend zitieren wir zwei der diesbezüglichen kurzen Verweise, die wir in besagter Chronik gefunden haben:

Der Riesenberg bei Kotzen

Abb. 2 Das Front-Cover der Chronik "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild" aus dem Jahr 1900

"Zwischen Kotzen und Landin liegt ein kleiner Hügel, welcher der Riesenberg heißt. Ein Riese wollte einst den in der Nähe befindlichen kleinen See, der ihm unbequem war, zudämmen und trug dazu Erde in seiner Schürze herbei. Als er aber zwischen die beiden Dörfer kommt, reißt ihm das Schürzenband, und alle Erde fällt zu Boden. Er rafft jedoch, was er konnte, wieder zusammen, und nur ein kleines Häufchen, das seinen Fingern zu klein war, so daß er's nicht zwischen die Spitzen nehmen konnte, blieb liegen; das ist der Riesenberg." [2]

Die Zwerge in Liepe

"Außer den Riesen hat es vordem auch Zwerge auf Erden gegeben. In Liepe bei Rathenow (Abb. 1) erzählt man, dieselben seien so klein gewesen, daß ihrer neun in einem Backofen haben dreschen können. In Liepe haben sie unter der Rüster am Hause des Küsters ihren Ein- und Ausgang gehabt, und von ihrem gewöhnlichen Aufenthalte unter der Erde nennt man sie allgemein die Unterirdischen.

Sie verkehrten meist freundlich und hilfreich mit den Menschen; bisweilen aber neckten sie auch, und besonders gern stahlen sie ungetaufte Kinder und schoben dafür ihre Wechselbälger unter. Deshalb lässt man auch noch immer auf dem Lande ein Licht des Nachts in der Stube brennen, bis das Kind getauft ist. Mit der Zeit sind die Unterirdischen seltener geworden; besonders als die Landleute nicht mehr mit den Eggen die Furchen lang zogen, sondern in der Runde und dann über Kreuz, ist ihnen das Land verleidet worden, und sie sind ganz abgezogen; denn das Machen des Kreuzes können die Zwerge ebensowenig ertragen, wie die Hexen." [3] [4]

Addendum

Abb. 3 Felix Adalbert K. Kuhn (1812-2881)

Als Nachtrag zu den beiden oben genannten Volkssagen, hier noch zwei weitere solche Überlieferungen aus dem Buch "Märkische Sagen und Märchen..." des deutschen Sagenforschers Felix Adalbert K. Kuhn (Abb. 3) (* 19. Nov. 1812; † 05. Mai 1881), auf dessen Ausführungen man offenbar auch in der Chronik "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild" zurückgriff (siehe Fußnote 1). Bei ihm heißt es hinsichtlich der Sagen über Riesen und Zwerge in der Mark Brandenburg:

Riesengebeine

"In der Stadt Jerichow hängt an einem Hause ein gewaltiges Schulterblatt, das soll von einem Riesen herrühren. Ein gleiches hängt in der Kirche zu Werben und soll ebenfalls einem Riesen angehören, den man dort gefangen und erschlagen hat." [5]

Die Riesensteine

"An vielen Orten der Altmark finden sich große, mächtige Steinblöcke, die sind gewöhnlich in Vierecken an einander gereiht und in der Mitte liegen dann die größesten Blöcke, doch oft liegen sie auch ungeordnet und wild durcheinander. Von diesen Steinen erzählt man an mehreren Orten, daß es vor Zeiten gewaltige Riesen gegeben, die einander damit warfen. Solche Steine liegen in der Gegend von Oebisfelde und Wassensdorf, die haben die Riesen über den Drömling herüber geworfen; andere liegen bei Köbbelitz, die warfen die Riesen vom Papenberg zwischen Immekath und Klötze nach Wentze, sie zielten aber nicht recht, da fielen sie an dieser Stelle nieder. Auch in der Gegend von Steinfeld und Schinne, zwischen Stendal und Bismark liegen viele derselben, mit denen sich die Riesen beider Orte, als ein Krieg zwischen ihnen ausbrach, zu Tode warfen." [6]


Anmerkungen und Quellen

Fußnote:

  1. Anmerkung: Zu Funden 'riesenhafter' Humanrelikte in Deutschland und zur Problematik der hierzulande kaum vorhandenen Dokumentation solcher Fälle siehe: Bernhard Beier, "Riesen im deutschsprachigen Raum - Eine gigantologische »Baustelle«"
  2. Red. Anmerkung: Zumindest diesen kurzen Abschnitt der Chronik "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild" könnte man, da dort der Name des eigentlichen Autors nicht genannt wird, durchaus als Plagiat bezeichnen, denn er findet sich - fast textidentisch - bereits bei: Felix Adalbert K. Kuhn, in: "Märkische Sagen und Märchen", Berlin 1843. Siehe: literurport.de, unter: "Der Riesenberg bei Kotzen" (abgerufen: 04. Januar 2018)
  3. Quelle: Pestalozzi-Verein der Provinz Brandenburg (Hrsg.). "Die Provinz Brandenburg in Wort und Bild", Berlin (Verlag von Julius Klinkhardt), 1900, S. 189 (Unveränderter Nachdruck von Weltbild Verlag, Augsburg 2000)
  4. Anmerkung: Vergleiche zu 'Nachbarn' der Zwerge Brandenburgs' bei Atlanntisforschung.de: Heinrich Bauer, "Ludki - Die Zwerge der Niederlausitz" (1954)
  5. Quelle: Adalbert Kuhn, "Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben", Berlin, 1843, S. 54 (online bei Zeno.org; abgerufen: 04. Januar 2018)
  6. Quelle: Derselbe, op. cit., S. 25 (online bei Zeno.org; abgerufen: 04. Januar 2018)

Bild-Quellen:

1) Iwan Solodownikoff (Uploader) bei Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: Datei:Rathenow um 1800.jpg
2) ZVAB.com, unter: die provinz brandenburg die von hrsg (dort nicht mehr online. Link bei Google.de: die provinz brandenburg die von hrsg...)
3) literaturport.de, unter: Felix Adalbert K. Kuhn