Die sieben Weisen von Edfu

von unserem Gastautor Stefan Erdmann (2001)

Abb. 1 Eine Rekonstruktion des Tempels von Edfu, wie er sich in der hellenistischen Periode präsentierte (aus: Pierers Konversationslexikon, 7. Auflage, 1891)

Hinweise auf die Urzeit finden wir unter anderem an den Wänden des Tempels in Edfu
(Abb. 1), der sich zwischen Luxor und Assuan in Oberägypten befindet. Der Tempel in Edfu, wie wir ihn heute vorfinden, wurde etwa zwischen 237 und 57 v.Chr. errichtet. Teile der inneren und äußeren westlichen Umfriedungsmauer weisen heute noch auf ältere Bauwerke hin, die um Jahrtausende - bis in die Pyramidenzeit - zurück reichen.

Die Texte an den Tempelwänden (Abb. 2) liefern uns zahlreiche Hinweise auf die Urzeit und werden von den heutigen Gelehrten als die einzigen erhalten gebliebenen Bruchstücke eineer weitaus älteren, umfassenderen Kosmogonie (Lehre von der Entstehung des Kosmos) angesehen. In den Texten werden die Horusdiener mit anderen "mythischen" Wesen gleichgesetzt und verschmolzen, die manchmal göttlicher, dann wieder menschlicher Natur sind und stets als Überbringer und Hüter von Wissen über die Jahrhunderte dargestellt werden.

E.A.E. Reymond von der Universität Manchester hat dargelegt, daß die Texte versteckte Hinweise enthalten "auf bestimmte mythische Ereignisse [...], wobei die Grundsteinlegung, der Bau und die Nutzung des historischen Tempels in ein mythisches Zeitalter verlegt wurden. Der historische Tempel wird als Werk der Götter selbst und als Gebilde von mythischem Charakter gedeutet. Das [...] läßt darauf schließen, daß den damaligen Glaubensvorstellungen zufolge der historische Tempel unmittelbare Fortsetzung, Projektion und Widerspieglung eins mythischen Tempels war, der zu Anbeginn der Welt ins Dasein trat."

Der "Anbeginn der Welt" dürfte gleichbedeutend mit der "ersten Zeit" sein, die die alten Ägypter Zep Tepi nannten. In dieser "ersten Zeit", so erfahren wir, wurden die Worte der Weisen von Thoth (Abb. 3), dem Gott der Schreibkunst, in ein Buch niedergeschrieben, das die Lage bestimmter "heiliger Hügel" entlang des Nils beschrieb. Der Titel dieses verschollenen Buches lautet den Inschriften zufolge: "Beschreibungen der Hügel der Urzeit".

Abb. 2 Die Texte an den Wänden des Tempels von Edfu liefern zahlreiche Hinweise auf die Urzeit. Sie stellen die einzigen erhalten gebliebenen Bruchstücke eineer weitaus älteren, umfassenderen Kosmogonie dar.

Der "Urhügel" wird von vielen Experten mit der natürlichen Felsgruppe gleichgesetzt, auf der sich die Pyramiden von Gizeh befinden. Ein weiterer Ort, der mit dem sogenannten "Urhügel" oft in Verbindung gebracht wird, ist Heliopolis. Dort gab es einen heiligen Berg oder Hügel, auf dem der "erste Sonnenaufgang" stattgefunden haben soll. Die alten Inschriften des Tempels von Edfu beziehen sich auf eine Gruppe von sieben Weisen. Das besondere dieser Weisen war, daß sie "die einzigen göttlichen Wesen waren, die wußten, wie die Tempel und heiligen Städte angelegt werden mußten". Sie waren es, die die Bauarbeitenn auf dem "Urhügel" in die Wege leiteten. Diese Arbeiten, an denen sich auch Thoth beteiligte, umfaßten die Anlage und die Errichtung des ursprünglichen mythischen Tempels der Urzeit. Wenn also der "Urhügel" mit dem Gizeh-Plateau gleichzusetzen ist, können wir aus der Inschrift deuten, daß die Cheops-Pyramide einer der Tempel der Urzeit (Zep Tepi) ist, der von den Weisen unter Mithilfe des Thoth (!) errichtet wurde. [...]

Die heutigen Ägyptologen haben sich wenig mit den Hinweisen auf die sieben Weisen und deren Identität auseinandergesetzt. Sie haben lediglich festgestellt, daß sie (die sieben Weisen) anscheeinend eine Rolle innerhalb "einer viel umfassenderen uund allgemeineren Theorie über die Ursprünge heiliger Bezirke und ihrer Tempel" gespielt haben.

Abb. 3 Thoth, der - häufig ibisköpfig dargestellte - Gott des Mondes, der Magie und Wissenschaften, der Weisheit, Schreibkunst und der Kalenderkunde

Es gibt noch etwas Besonderes in dem Kontext, in dem die Weisen beschrieben werden. Dieser ist gekennzeichnet durch das Überwiegen von "Flutbildern", in denen die "Urwasser" , aus denen der Urhügel aufstieg, langsam zurückwichen. Das erinnert uns natürlich an Noahs Arche auf dem Berg nach der Sintflut. Die sieben Weisen finden wir im übrigen auch in anderen Überlieferungen. In der altbabylonischen Überlieferung wird uns berichtet, daß sie "vor der großen Flut" gelebt und die Mauern der heiligen Stadt Uruk errichtet haben. Nach den sumerischen Königslisten war Enmeduranna der siebente König vor der Sintflut unnd regierte in Sippar [ca. 43.200 Jahre lang], bevor er Hohepriester wurde und den Namen Enmeduranki erhielt.

Im Henochbuch war es der Erzengel Uriel, der Henoch die Geheimnisse der Sonne und die "Gesetze des Mondes" sowie die zwölf Sternbilder, "das gesamte Funktionieren des Himmels", zeigte. Am Ende der Unterweisung gab Uriel Henoch "Himmelstafeln" und befahl ihm, sie sorgfältig zu studieren und "jede Einzelheit" darin zu beachten. Nach seiner Rückkehr gab Henoch dieses Wissen dann an Methusalem, seinen ältesten Sohn, weiter.

Im Briefwechsel eines assyrischen Königs erfahren wir von einem König, er übertreffe an Wissen "alle die Weisen der Unterwelt", weil er ein Nachkomme des "Weisen Adapa" sei. Bei einem anderen, einem babylonischen König, behauptet dieser, er besitze eine "Weisheit, die ei weitem sogar das überstieg, was in den von Adapa zusammengestellten Schriften enthalten war". Dbei bezogen sie sich auf Adapa, den Weisen von Eridu (Enkis Zentrum in Sumer), den Enki ein umfangreiches Wissen, ein "breites Verstehen" des "Baus der Erde", das heißt die Geheimnisse der Erdwissenschaften, gelehrt hatte. Es ist also nicht auszuschließen, daß Adapa wie Emmeduranki und Henoch ebenfalls der siebte in einer Reihe von Weisen war, nämlich der Weisen von Eridu, und daß auf diese Weise eine weitere Version der sumerischen Erinnerungen in der biblischen Geschichte von Henoch nachklingt.

Auch in der indischen Überlieferung treffen wir auf die sieben Weisen. Hier werden sie Rishis genannt. Sie haben die Sintflut überlebt und den Auftrag erhalten, die Weisheit der alten Welt vor der Sintflut an küntige Generationen weiterzugeben. Wo immer die sieben Weisen in den alten Mythen auftreten, erscheinen sie als erleuchtete Überlebende einer Katastrophe, der fast die ganze Erde zum Opfer fiel, die anschließend einen Neuanfang in einem neuen Zeitalter (im alten Ägypten der "ersten Zeit") machten. Die Inschriften von Edfu berichten zudem, daß die sieben Weisen von einer Insel kamen, der "Heimat der ersten Menschen". Die Texte berichten, daß diese Insel von einer Flut vernichtet wurde. Die Zerstörung erfolgte plötzlich, und die meisten ihrer "göttlichen Bewohner" ertranken. Nachdem die wenigen Überlebenden in Ägypten angekommen waren, wurden sie "die Erbauer-Götter, die in der Urzeit wirkten ... die die Nachkommenschaft der Götter und Menschen großzogen". [1]

Waren die Weisen möglicherweise die Horusdiener, von denen auch die ägyptischen Königslisten berichten, auf denen erst [später] die dynastischen Könige folgten? Vieles spricht dafür, insbesondere auch der sagenumwobene Thoth (Henoch), der uns weiter begleiten wird. Einen weiteren Hinweis liefert uns übrigens auch der Tempel von Dendra, der nördlich von Edfu liegt. Dort verraten uns Bauinschriften, daß der "große Plan", dem seine Erbauer folgten, "in alten Schriften aufgezeichnet [war], die [ihnen] die Horusdiener übergeben haben." [2]


Anmerkungen und Quellen

Den Göttern auf der Spur.jpg
Dieser Beitrag von Stefan Erdmann (©) wurde seinem im Jahr 2001 veröffentlichten Buch "Den Göttern auf der Spur" (Abb. 4) entnommen (S. 286-289). Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dezember 2015 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiteten Online-Fassung.

Fußnoten:

  1. Quelle: Robert Bauval und Graham Hancock, "Der Schlüssel zur Sphinx", München, 1996
  2. Quelle: ebd.

Bild-Quellen:

1) Immanuel Giel bei Wikimedia Commons, unter: File:Edfu.jpg
2) Ellie Crystal, "Zep Tepi", bei Crystalinks.com
3) Jeff Dahl bei Wikimedia Commons, unter: File:Thoth.svg; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International (GFDL)
4) Bild-Archiv Atlantisforschung.de