J. R. R. Tolkien, Númenor und Atlantis

Einführende Informationen

Abb. 1 J.R.R. Tolkiens Insel Númenor erinnert in mancher Hinsicht an Platons Atlantis - und das ist keineswegs ein Zufall.

(red) Dass der britische Schriftsteller und Philologe John Ronald Reuel Tolkien (Abb. 2) (* 3. Januar 1892 in Bloemfontein, Oranje-Freistaat; † 2. September 1973 in Bournemouth, England) mit seiner 1954 / 1955 erschienenen Roman-Trilogie The Lord of the Rings (deutsche Fassung: Der Herr der Ringe(1969 / 1970) - übrigens eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts - das Genre der modernen Fantasy-Literatur mitbegründete [1], dürfte zum Allgemeinwissen gehören; dass er sich dabei auch von den Werken Homers und von Platons Atlantisbericht inspirieren ließ, ist weit weniger bekannt.

Tolkien, der u.a. auch als Professor für englische Sprache an der Universität Oxford tätig war, hatte seit seiner Jugend an einem umfangreichen Rahmenwerk [2] für seine opulente Phantasie-Welt Mittelerde gearbeitet, das mit eigens konstruierten Sprachen operierte und eine eigene Mythologie aufwies, in Buchform allerdings erst posthum mit dem Titel Das Silmarillion veröffentlicht wurde. [3] Mit Mitte zwanzig arbeite er, wie der Atlantologie-Enzyklopädist Tony O’Connell berichtet, "an einem Buch, das >Numenor< heißen sollte und auf dem Atlantisbericht beruhte [4]. Unglücklicherweise musste er um 1916, dem Jahr, in welchem die Fotographie zur Rechten (Abb. 2) aufgenommen wurde, diese Unternehmung fallenlassen, da er das Gefühl hatte, dass [das Buch] >zu düster< werde." [5] Obwohl dieses Werk, das die Geschichte der Insel Númenor (Abb. 1) und ihren durch ihre (unter Saurons Einfluss arrogant und kriegslüstern gewordenen) Bewohner verschuldeten Untergang [6] erzählen sollte, nie als Buch erschien, sind die Insel und nicht wenige Informationen über sie [7] in den schriftlich fixierten Wissens-Pool zu Tolkiens Welt eingeflossen. Zu finden sind sie z.B. im Akallabêth, dem vierten Teil von Das Silmarillion. [8]

Die fiktive Insel Númenor

(Abb. 2) J.R.R. Tolkien im Jahr 1916, also etwa zu jener Zeit, als er die Arbeit an seinem geplanten Buch ' Númenor' abbrach.

Bei Ardapedia, der offenen Tolkien-Enzyklopädie heißt es über sie: "Die Insel Númenor (auch Andor oder Westernis) wurde Anfang des Zweiten Zeitalters von Osse aus dem Meer gehoben. Es war ein Geschenk an die Edain, die den Eldar im Kampf gegen Morgoth beigestanden hatten. Deswegen hieß die Insel Andor, das Land der Gabe. Doch da es das westlichste aller sterblichen Lande war, wurde die Insel Westernis (in Quenya Númenóre) genannt." [9]

Und zur Geographie der Insel finden sich dort u.a. folgende Informationen: "Númenor gehört weder zu Mittelerde noch zu Aman, liegt jedoch näher an Letzterem. Es hat die Form eines Sterns und misst ca. 104.000 Quadratkilometer (genau 104.388 Quadratkilometer). Im Zentrum der Insel steht der 14.000 Fuß hohe Vulkan Meneltarma. Von ihm aus erstrecken sich fünf Bergketten (die "Tarmasundar") zu den fünf 'Stern-spitzen' Númenors.

Die Landschaft ist ansonsten bestimmt von grasbedeckten Hügelland-schaften und flachen Gebieten. Die Küsten im Norden sind geprägt von Klippen. Die größten Städte waren Armenelos am Fuße des Meneltarma und Rómenna an der Ostküste. In den Tagen der Freundschaft mit den Eldar war die Bevölkerung an den westlichen Küsten ebenfalls noch sehr zahlreich, besonders in Eldalonde und Andúnië. Dort wohnte auch lange Zeit Elendil und seine Familie, bevor sie gezwungen wurde nach Rómenna umzusiedeln. Viele andere Númenórer zogen bereits vorher aus Abneigung gegen die Eldar in ihre goldene Hauptstadt Armenelos, wo auch das Heiligtum der Valar und später das von Morgoth lag." [10]

Tolkiens Atlantis-Bezug

Abb. 3 Der Untergang von Númenor (Gemälde von Darrell Sweet)

Spätestens bei einer Betrachtung der Umstände des Untergangs von Númenor (Abb. 3) [11] sowie bei einem Vergleich von Númenoriern und Atlantiern werden die massiven Parallelen zwischen der von Platon überlieferten Atlantislegende und Tolkiens Kunst-Mythos deutlich, wobei Dr. Philip Irving Mitchell von der Dallas Baptist University feststellt, die Atlantiserzählung - bei Mitchell: der "Atlantis-Mythos" - habe "eine offensichtliche persönliche Bedeutung" [12] für den britischen Erfolgsautor gehabt. Tolkien selber bemerkte dazu im Rahmen seiner Korrespondenz, dass sein Zugang zu Platons Atlantida "...nicht auf Spezialwissen beruht, sondern auf einem besonderen persönlichen Interesse an dieser Überlieferung der kulturtragenden Männer des Meeres, die so tiefgehend die Phantasie der Völker an Europas westlichen Ufern beeinflusst" hat. [13]

Und in einem anderen Brief äußerte er sich recht offenherzig über seine eigene Befindlichkeit hinsichtlich der Atlantis-Katastrophe: "Diese Legende oder [dieser] Mythos oder eine dunkle Erinnerung an eine alte Geschichte hat mich immer beunruhigt. Im Schlaf hatte ich den schrecklichen Traum von der unausweichlichen Welle, die entweder aus der ruhigen See herankam oder sich auftürmend den grünen Inseln näherte. Das passiert noch immer gelegentlich, obwohl es nun dadurch exorziert wird, dass ich darüber schreibe. Es endet immer mit dem sich [ins Schicksal; d.Ü.] Ergeben, und ich wache aus tiefem Wasser heraus nach Luft schnappend auf. Ich habe es gezeichnet oder schlechte Gedichte darüber geschrieben." [14]

J.R.R. Tolkien, für den die Atlantiserzählung, welche er augenscheinlich für zumindest in wesentlichen Teilen als historischen Bericht betrachtete, in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht zudem "eine Verkörperung bestimmter europäischer Sehnsüchte" [15] darstellte, schuf mit seiner eigenen unvollendeten Erzählung über Númenor, wie Dr. Mitchell ausführt, "einen Mythos, um das historische Puzzle zu erklären. Aber er stellte auch seine tiefen Meditationen über die Natur des menschlichen Bösen und Stolzes dar. Wie bewegt sich eine Zivilisation von großer kultureller Leistung zu Tyrannei und endgültiger kataklysmischer Zerstörung?" [16]



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Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "J. R. R. Tolkien" (abgerufen: 24. September 2017)
  2. Siehe dazu: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: "Tolkien's legendarium" (abgerufen: 24. September 2017)
  3. Quelle: ebd.
  4. Red. Anmerkung: Man sollte wohl präziser sagen: "...und sich in wesentlichen Punkten an den Atlantisbericht anlehnte".
  5. Quelle: Tony O’Connell, "Tolkien, John Ronald Reuel", 12. Juni 2010, bei Atlantipedia.ie (abgerufen: 24. September 2017)
  6. Siehe: Der Herr der Ringe Wiki, unter: "Númenor" (abgerufen: 24. September 2017)
  7. Anmerkung: So z.B., dass nach Mittelerde entkommene Überlebende der Zerstörung von Númenor in ihrer neuen Heimat die Reiche Gondor und Arnor gründeten...
  8. Anmerkung: Zwei weitere Abhandlungen Tolkiens zur Geschichte vom Númenor sind: "The Fall of Númenor" (ca. 1936 und in einer später - vor 1942 - überarbeiteten Version); sowie: "The Drowning of Andûnê" aus dem Jahr 1946. (Quelle)
  9. Quelle: Ardapedia, die offene Tolkien-Enzyklopädie, unter: "Númenor" (abgerufen: 24. September 2017)
  10. Quelle: ebd.
  11. Siehe für umfassende Informationen dazu: Tolkien Gateway, unter: "Downfall of Númenor" (abgerufen: 24. September 2017)
  12. Quelle: Dr. Philip Irving Mitchell, "Tolkien & the Atlantis Myth", bei Dallas Baptist University ((abgerufen: 24. September 2017; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  13. Quelle: J.R.R. Tolkien, Brief an Mrs. E.C. Ossen Drijver, 5. Januar 1961; Übersetzung ins Deutsche - nach Dr. Philip Irving Mitchell, op. cit. - durch Atlantisforschung.de
  14. Quelle: J.R.R. Tolkien, Brief an Christopher Bretherton, 16. Juli 1964; Übersetzung ins Deutsche - nach Dr. Philip Irving Mitchell, op. cit. - durch Atlantisforschung.de
  15. Quelle: Dr. Philip Irving Mitchell, op. cit
  16. Quelle: ebd.

Bild-Quellen:

1) Hill (it.wiki), deutsche Bearbeitung: Lindriel (Ardapedia), bei Ardapedia.de, unter: Datei:Numenor Karte2.jpg (Lizenz: Creative Commons Attribution/Share-Alike)
2) Geraldstiehler~commonswiki et al. bei Wikimedia Commons, unter: File:Tolkien 1916.jpg
3) Darrell Sweet (Urheber / ©); nach: TolkienGateway.net, unter: File:Darrell Sweet - The Fall of Numenor.jpg