Theopompus´ Bericht von Anostos: Unterschied zwischen den Versionen
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Einsmals, sagt [[Silenus|Silen]], machten sie einen Versuch auf unsere Inseln, seɮten zehn Millionen stark über den Ocean, und kamen bis zu den Hyperboräern. Als sie aber hier erfuhren, das dieses Volk unter denen die zu uns gehören, das glücklichste sey: so verachteten sie daßelbe als ein armseliges und elendes Volk, und gaben sich nicht die Mühe weiter vorzurücken. | Einsmals, sagt [[Silenus|Silen]], machten sie einen Versuch auf unsere Inseln, seɮten zehn Millionen stark über den Ocean, und kamen bis zu den Hyperboräern. Als sie aber hier erfuhren, das dieses Volk unter denen die zu uns gehören, das glücklichste sey: so verachteten sie daßelbe als ein armseliges und elendes Volk, und gaben sich nicht die Mühe weiter vorzurücken. | ||
− | Das abentheuerligste was er hinzusetzte, was dieses. Es bewohnten, sagte er, bey ihnen Menschen, die Meropes hießen, viele und große Städte. An der Gränze ihres Gebiets läge ein Ort, der Anostos <ref>Anmerkung des Übersetzers: Woher Niemand zurückkehrt</ref> genennt würde, und einer Kluft gliche, darin es weder helle noch finster wäre, sondern die von einer dunkelrothen Luft erfüllt würde. Ferner flößen zween Ströhme durch diesen Ort. Der eine hieße der Freudenfluß der andere der Trauerfluß. Beyde wären mit Bäumen in der Größe eines hohen [http://de.wikipedia.org/wiki/Platanen Platanus] bepflanzt, und diese trügen Früchte, und zwar die Bäume am Trauerfluße, Früchte von einer solchen Eigenschaft, daß der, der sie genöße, eine so große Menge Thränen vergießen müße, daß er verginge, sein ganzes Leben verweinte, und zulezt in diesem Zustande den Geist aufgäbe. | + | Das abentheuerligste was er hinzusetzte, was dieses. Es bewohnten, sagte er, bey ihnen Menschen, die [[Meropen|Meropes]] hießen, viele und große Städte. An der Gränze ihres Gebiets läge ein Ort, der [[Anostos]] <ref>Anmerkung des Übersetzers: Woher Niemand zurückkehrt</ref> genennt würde, und einer Kluft gliche, darin es weder helle noch finster wäre, sondern die von einer dunkelrothen Luft erfüllt würde. Ferner flößen zween Ströhme durch diesen Ort. Der eine hieße der Freudenfluß der andere der Trauerfluß. Beyde wären mit Bäumen in der Größe eines hohen [http://de.wikipedia.org/wiki/Platanen Platanus] bepflanzt, und diese trügen Früchte, und zwar die Bäume am Trauerfluße, Früchte von einer solchen Eigenschaft, daß der, der sie genöße, eine so große Menge Thränen vergießen müße, daß er verginge, sein ganzes Leben verweinte, und zulezt in diesem Zustande den Geist aufgäbe. |
Eine entgegegengesetzte Wirkung hingegen hätten die Früchte der am Freudenfluße wachsenden Bäume. Wer diese kostete, den verließen sogleich seine ehemaligen Leidenschaften; er vergäße das, was er vormals geliebt hätte, würde nach und nach jünger, und ginge in seine vorigen bereits verfloßenen Jahre wieder zurück. Aus einem Greise würde er wieder ein Mann, alsdenn ein Jüngling, nach dem Jünglingsalter ein Knabe, dann ein Kind, und hiermit endigte sich sein Leben. | Eine entgegegengesetzte Wirkung hingegen hätten die Früchte der am Freudenfluße wachsenden Bäume. Wer diese kostete, den verließen sogleich seine ehemaligen Leidenschaften; er vergäße das, was er vormals geliebt hätte, würde nach und nach jünger, und ginge in seine vorigen bereits verfloßenen Jahre wieder zurück. Aus einem Greise würde er wieder ein Mann, alsdenn ein Jüngling, nach dem Jünglingsalter ein Knabe, dann ein Kind, und hiermit endigte sich sein Leben. | ||
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Dieser Beitrag stellt eine textlich originalgetreue Transkription eines Auszuges (S. 144 - 148) aus der ersten Übersetzung der "[http://books.google.de/books?id=cCoTAAAAQAAJ&printsec=frontcover&dq=Varia+Historia&cd=1#v=onepage&q&f=false Varia Historia]" des [[Claudius Aelianus]] ins Deutsche dar, die von ''J. H. F. Meineke'' ("''Rector am Fürstl. Gymnasio zu Quedlinburg''") erstellt wurde und 1787 ("''Neue Auflage''") unter dem Titel "[http://books.google.de/books?id=UFg-AAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Claudius+Aelianus%22&lr=&cd=42#v=onepage&q&f=false Des Claudius Aelianus vermischte Erzählungen. Aus dem Griechischen überseɮt und mit Anmerkungen versehen]" in Quedlinburg ("''bey Friedrich Joseph Ernst''") erschienen ist. Die Abweichungen von heutigen Schreibweisen wurden bewusst beibehalten. Verwendet wurde von uns die digitalisierte Fassung, auf welche online bei [http://books.google.de/ Google Bücher] zugegriffen werden kann. Redaktionelle Bearbeitung (zusätzliche Absätze, Anmerkungen und Illustration) durch ''Atlantisforschung.de'' (2010). | Dieser Beitrag stellt eine textlich originalgetreue Transkription eines Auszuges (S. 144 - 148) aus der ersten Übersetzung der "[http://books.google.de/books?id=cCoTAAAAQAAJ&printsec=frontcover&dq=Varia+Historia&cd=1#v=onepage&q&f=false Varia Historia]" des [[Claudius Aelianus]] ins Deutsche dar, die von ''J. H. F. Meineke'' ("''Rector am Fürstl. Gymnasio zu Quedlinburg''") erstellt wurde und 1787 ("''Neue Auflage''") unter dem Titel "[http://books.google.de/books?id=UFg-AAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=inauthor:%22Claudius+Aelianus%22&lr=&cd=42#v=onepage&q&f=false Des Claudius Aelianus vermischte Erzählungen. Aus dem Griechischen überseɮt und mit Anmerkungen versehen]" in Quedlinburg ("''bey Friedrich Joseph Ernst''") erschienen ist. Die Abweichungen von heutigen Schreibweisen wurden bewusst beibehalten. Verwendet wurde von uns die digitalisierte Fassung, auf welche online bei [http://books.google.de/ Google Bücher] zugegriffen werden kann. Redaktionelle Bearbeitung (zusätzliche Absätze, Anmerkungen und Illustration) durch ''Atlantisforschung.de'' (2010). | ||
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− | + | * [http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Shakko Shakko], bei [http://commons.wikimedia.org/wiki/Main_Page Wikimedia Commons], unter: [http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Silenus_pushkin01.JPG File:Silenus pushkin01.JPG] | |
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Aktuelle Version vom 27. April 2015, 16:41 Uhr
Von der Unterredung des Midas aus Phrygien mit dem Silen, und den von Silen erzählten Fabeln
übersetzt von J. H. F. Meineke (um 1787)
Theopompus erzählt [1] von einer Unterredung des Phrygier Midas [2] mit dem Silen. Dieser Silen war der Sohn einer Nymphe, seiner Natur nach geringer als ein Gott, aber vollkommener als ein Mensch, und unsterblich. Unter vielen andern Dingen wovon sie sich unterredeten, erzählte Silen dem Midas auch folgendes:
Europa, Asia und Libyen wären Inseln, die rund umher der Ocean umschlöße. Das einzige feste Land läge außerhalb dieser Welt. Es wäre von einem unermeßlichen Umfange, und nur große Thiere hielten sich darin auf; ja sogar die Menschen daselbst wären noch einmal so groß, als die Bewohner der Erde. Es gäbe darin viele sehr große Städte, in welchen eine ganz eigene Lebensart, und Gesetzte herrschten, die den unsrigen ganz entgegen wären. Zwo Städte aber wären gegen andere von vorzüglicher Größe, hätten aber übrigens nichts miteinander gemein. Die eine hieße die Kriegerische ["Machimus"; d. Red.]; die andere die Friedliche ["Eusebes"; d. Red.]. Die Bewohner der leɮten lebten in Ruhe und in dem größten Ueberfluße. Sie genößen die Früchte des Landes ohne Pflug und Qchsen, und ohne ihre Länder zu bauen oder zu besäen. Von Krankheiten, setzte Silen hinzu, wissen sie nichts, und ihr ganzes Leben verfließt unter Scherz und Freude. Sie leben ohne Zwietracht in einer solchen Unschuld, daß sie oft von den Göttern eines Zuspruchs gewürdiget werden.
Die Einwohner der kriegerischen Stadt hingegen sind im höchsten Grade streitbar; die Waffen werden ihnen angebohren; und suchen, beständig in Kriege verwickelt, sich ihre Nachbarn zu unterwerfen, so daß diese einzige Stadt Beherrscherinn vieler Völker ist. Die Anzahl ihrer Bewohner ist nicht geringer als zwo Millionen. Einige sterben, wiewohl selten, an Krankheiten, weil sie mehrentheils alle im Kriege und an den Wunden bleiben, die sie von den Steinen oder Knütteln empfangen haben, da sie vom Stahl nicht verwundet werden können. Gold und Silber haben sie im Überfluße, so daß das Gold bey ihnen fast weniger als bey uns das Eisen gilt.
Einsmals, sagt Silen, machten sie einen Versuch auf unsere Inseln, seɮten zehn Millionen stark über den Ocean, und kamen bis zu den Hyperboräern. Als sie aber hier erfuhren, das dieses Volk unter denen die zu uns gehören, das glücklichste sey: so verachteten sie daßelbe als ein armseliges und elendes Volk, und gaben sich nicht die Mühe weiter vorzurücken.
Das abentheuerligste was er hinzusetzte, was dieses. Es bewohnten, sagte er, bey ihnen Menschen, die Meropes hießen, viele und große Städte. An der Gränze ihres Gebiets läge ein Ort, der Anostos [3] genennt würde, und einer Kluft gliche, darin es weder helle noch finster wäre, sondern die von einer dunkelrothen Luft erfüllt würde. Ferner flößen zween Ströhme durch diesen Ort. Der eine hieße der Freudenfluß der andere der Trauerfluß. Beyde wären mit Bäumen in der Größe eines hohen Platanus bepflanzt, und diese trügen Früchte, und zwar die Bäume am Trauerfluße, Früchte von einer solchen Eigenschaft, daß der, der sie genöße, eine so große Menge Thränen vergießen müße, daß er verginge, sein ganzes Leben verweinte, und zulezt in diesem Zustande den Geist aufgäbe.
Eine entgegegengesetzte Wirkung hingegen hätten die Früchte der am Freudenfluße wachsenden Bäume. Wer diese kostete, den verließen sogleich seine ehemaligen Leidenschaften; er vergäße das, was er vormals geliebt hätte, würde nach und nach jünger, und ginge in seine vorigen bereits verfloßenen Jahre wieder zurück. Aus einem Greise würde er wieder ein Mann, alsdenn ein Jüngling, nach dem Jünglingsalter ein Knabe, dann ein Kind, und hiermit endigte sich sein Leben.
Wer den Theopomp für einen glaubwürdigen Gewährsmann halten will, der mag dieses Mährchen für wahr annehmen. Meinem Urtheile nach ist dieser Chier, so wie in andern Erzählungen, also auch bey dieser, ein starker Dichter. [4]
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag stellt eine textlich originalgetreue Transkription eines Auszuges (S. 144 - 148) aus der ersten Übersetzung der "Varia Historia" des Claudius Aelianus ins Deutsche dar, die von J. H. F. Meineke ("Rector am Fürstl. Gymnasio zu Quedlinburg") erstellt wurde und 1787 ("Neue Auflage") unter dem Titel "Des Claudius Aelianus vermischte Erzählungen. Aus dem Griechischen überseɮt und mit Anmerkungen versehen" in Quedlinburg ("bey Friedrich Joseph Ernst") erschienen ist. Die Abweichungen von heutigen Schreibweisen wurden bewusst beibehalten. Verwendet wurde von uns die digitalisierte Fassung, auf welche online bei Google Bücher zugegriffen werden kann. Redaktionelle Bearbeitung (zusätzliche Absätze, Anmerkungen und Illustration) durch Atlantisforschung.de (2010).
Fußnoten:
- ↑ Anmerkung des Übersetzers: In einem Buche, dem er den Titel Thaumasia, oder von Wunderdingen gegeben hatte. Man hat neuere Erfindungen von einem Ähnlichen Schlage, Z. E. Golbergs unterirdische Reise, u.a. Theopompus selbst war ein Chier von Geburt, und ein Schüler des Isokrates. Er hat, außer dem angeführten Buche, noch eine Geschichte seiner Zeit, und der Thaten Philipps des Großen geschrieben, welche Schriften wir aber nur aus dem Athenäus, und Dionysius von Halikarnaßus kennen.
- ↑ Anmerkung des Übersetzers: Midas wird von einigen für einen Thracischen Prinzen und einen Schüler des Orpheus gehalten, der Phrygien erobert habe. Herodot B. 1 p. 16. nennt nennt ihn einen Sohn des Gordius, Königs dieses Landes. Er soll sich Mühe gegeben haben, gewiße Religionsgebräuche bei den Phrygiern einzuführen, und in dieser Absicht den Umgang mit dem Halbgotte Silen, so wie mit Numa mit der Nymphe Egeria, vorgegeben haben. Die Griechen haben verschiedene Fabeln von ihm ausgesprengt, die man zusammen im 3ten Bande der Götterl. der Banier p. 686. erläutert findet. Von den Silenen werde ich unten, bey dem 40ten Cap. zu reden Gelegenheit haben.
- ↑ Anmerkung des Übersetzers: Woher Niemand zurückkehrt
- ↑ Anmerkung des Übersetzers: Diese und dergleichen Erzählungen haben, wie Perizonius in einer weitläufigen und sehr gelehrten Anmerkung gezeigt hat, ihren Ursprung in den sehr dunkeln Nachrichten, die die Griechen von einem andern Lande auf dieser Erde, außer den drey ihnen bekannten Welttheilen, entweder aus alten Überlieferungen, oder aus Muthmaßungen hatten. Sie setzten die Lage dieses Landes auf das Atlantische Meer, weil sich dasselbe da anfängt, wo sich Europa und Africa endigen. Die Dichter bildeten sich nachher dieses Land, ein jeder nach seinem Gefallen. Sie nannten es die glückseligen Inseln, und hielten dieselben für das Elysium, oder für den Aufenthalt der Seeligen, und diese Meynung fand in der Folge noch mehr Beyfall, da man wirklich sehr fruchtbare Inseln auf dem Atlantischen Meere entdeckte.
Bild-Quelle:
- Shakko, bei Wikimedia Commons, unter: File:Silenus pushkin01.JPG