Scientismus: Unterschied zwischen den Versionen

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([[bb]]/[[rmh]]) Wissenschaftshistorisch basierend „''auf dem Wissenschaftsglauben im newtensch-kartesischen Sinne''“, einer Geisteshaltung, die „''auf strikt linearem Denken und geschlossenen Systemen beruht''“ (Turek) (+1), stellt der '''Scientismus''' (auch: '''Szientismus''' oder '''Scientizismus'''; von lat.: „scientia“ = Gelehrsamkeit, Wissenschaft) eine moderne, im 20. Jahrhundert entstandene, ideologische Form  der Wissenschaftsgläubigkeit dar.
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[[Bild:Karl Popper.jpg|thumb|'''Abb. 1''' Sir Karl Popper erklärte 1982: "''Der Szientismus zeichnet sich vor allem durch den Glauben an die Wissenschaft aus. Diejenigen, die der Wissenschaftsgläubigkeit anhängen, sind keine Wissenschaftler.''"]]
  
Als [http://de.wikipedia.org/wiki/Terminus_technicus Terminus technicus] 1911 von dem französischen Biologen [http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Dantec,+Le,+F%C3%A9lix Félix Le Dantec] eingeführter Begriff „''für die Auffassung, dass sich mit naturwissenschaftlichen Methoden alle sinnvollen Fragen beantworten lassen''“ (+2) – tritt der '''Szientismus''' heute im wesentlichen in zwei, typologisch durchaus verwandten, Erscheinungformen auf:
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([[bb]]/[[rmh]]) Der Begriff '''Scientismus''' (auch: '''Szientismus''' oder '''Scientizismus'''; von lat.: "''scientia''" = Gelehrsamkeit, Wissenschaft) stellt in seiner popularisierten Bedeutung mehr oder weniger ein Synonym zum deutschsprchigen Ausdruck "Wissenschaftsgläubigkeit" dar, und charakterisiert eine ideologische - und somit letztlich ''unwissenschaftliche'' - Form von Wissenschafts-Verständnis. <ref>Anmerkung: 'Wissenschaftsgläubigkeit' als zentrales Element des '''Scientismus''' hob auch der Wissenschaftsphilosoph und -theoretiker [http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper Sir Karl Popper] (1902-1994) hervor: "''Der Szientismus zeichnet sich vor allem durch den Glauben an die Wissenschaft aus. Diejenigen, die der Wissenschaftsgläubigkeit anhängen, sind keine Wissenschaftler. Der wahre Wissenschaftler darf an seine eigene Theorie nicht glauben. Er muß ihr gegenüber eine kritische Haltung einnehmen, er muß wissen, daß jeder sich irren kann und daß infolgedessen seine Theorie irrig sein kann. Deshalb gibt es in Wirklichkeit einen Gegensatz zwischen der Wissenschaft und der Wissenschaftsgläubigkeit. Ein Szientist zu sein, das bedeutet, daß man die Wissenschaft nicht versteht.''" Quelle: [http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper Sir Karl Popper] in einem Interview der französischen Wochenzeitschrift [http://de.wikipedia.org/wiki/L%E2%80%99Express L’Express], Feb. 1982. Zit. nach: [http://www.astro.uni-bonn.de/~willerd/popper.html Die Wege der Wahrheit - Zum Tode von Karl Popper; aus: Aufklärung und Kritik 2/1994 (S. 38 ff.)]</ref>
  
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Obwohl '''Scientismus''' als [http://de.wikipedia.org/wiki/Terminus_technicus Terminus technicus] offenbar erst 1911 von dem französischen Biologen [http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Dantec,+Le,+F%C3%A9lix Félix Le Dantec] als Begriff "''für die Auffassung''" eingeführt wurde, "''dass sich mit naturwissenschaftlichen Methoden alle sinnvollen Fragen beantworten lassen''" <ref>Quelle: [http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite Wikipedia – Die freie Enzyklopädie], Stichwort: [http://de.wikipedia.org/wiki/Szientismus Szientismus]; dort nimmt man Bezug auf: Félix le Dantec in La Grande Revue (1911): „''Je crois à l'avenir de la Science: je crois que la Science et la Science seule résoudra toutes les questions qui ont un sens; je crois qu'elle pénétrera jusqu'aux arcanes de notre vie sentimentale et qu'elle m'expliquera même l'origine et la structure du mysticisme héréditaire anti-scientifique qui cohabite chez moi avec le scientisme le plus absolu. Mais je suis convaincu aussi que les hommes se posent bien des questions qui ne signifient rien. Ces questions, la Science montrera leur absurdité en n'y répondant pas, ce qui prouvera qu'elles ne comportent pas de réponse.''“ Wikipedia verweist auch auf:  Françoise Balibar: "Le scientisme, Lacan, Freud et Le Dantec", Alliage 52 (2002)</ref>, reichen seine Wurzeln ideengeschichtlich vermutlich bis ins 'Zeitalter der Aufklärung' zurück <ref>Siehe: '''Werner Turek''', „Wachsende Störanfälligkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt - Herausforderungen für die Politik von morgen“, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), online unter: http://www.cap-lmu.de/aktuell/pressespiegel/2000/zukuenfte.php</ref>, und er erreichte als weltanschauliche Auffassung einen historischen Höhepunkt im 19. Jahrhundert.
  
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Damals war er, wie ''Stephan Strasser'' 1964 feststellte, "''bezeichnend für eine Epoche, in der sich der >wissenschaftliche< Sozialismus eines Karl Marx berufen fühlte, die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme der gesamten Menschheit definitiv zu lösen; in der [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Meumann Ernst Meumann] den Anspruch erhob, mit seiner >wissenschaftlichen< Pädagogik alle die Erziehung betreffenden Fragen auf experimenteller Basis zu beantworten. Ein gelehrter Biologie wie [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Haeckel Ernst Haeckel] ''<ref>Red. Anmerkung: Zu diesem siehe bei ''Atlantisforschung.de'' auch: '''Hugo C. Jüngst''', [[Ernst Haeckel - 'Baron Münchhausen' des Darwinismus]] (1910</ref>'' glaubte damals im Ernst, DIE Rätsel des Universums im Rahmen einiger [[Populärwissenschaft|populär-wissenschaftlicher]] Betrachtungen gelöst zu haben. Von seinen >Welträtseln< ''<ref>Siehe: [http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Haeckel Ernst Haeckel], "[http://books.google.de/books?id=Lm_3PQAACAAJ&dq=Die+Weltr%C3%A4tsel.+Gemeinverst%C3%A4ndliche+Studien+%C3%BCber+monistische+Philosophie Die Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie]", 1. Druck Bonn 1899</ref>'' wurden seinerzeit im deutschen Sprachgebiet 400 000 Exemplare verkauft, während auch zahlreiche Übersetzungen erschienen. Die Überzeugungung, daß es für einen Naturforscher, der sich wichtiger wissenschaftlicher Entdeckungen rühmen dürfte, keine Geheimnisse mehr gebe, herrschte offenbar in weiten Kreisen.''" <ref>'''Stephan Strasser''', "[http://books.google.de/books?id=48hJ1GaZKh8C&pg=PA176&lpg=PA176&dq=Scientismus&source=bl&ots=vfFHBsEyYJ&sig=tQr65T-BoLfyb23XKExP5OpgqFo&hl=de&ei=hd3DStG9Bs2ksAbA1IyiBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=5&ved=0CBgQ6AEwBA#v=onepage&q=Scientismus&f=false Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit - Band 5 von ''Phänomenologisch-psychologische Forschungen Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit'']", Walter de Gruyter, 1964, S. 176</ref>
  
  
Als ideologisierende, quasi fundamentalistische,  Ausdeutung von Wissenschaft findet der '''Scientismus''' seinen „''Gegenpol''“ nicht in der „Antiwissenschaftlichkeit“, sondern in einer kritisch-reflektiven, „''in sich sehr differenzierte''[n]'' Argumentations- und Wissenskultur''“ und einem tatsächlich „scientischen“ (wissenschaftlichen) Denken innerhalb und außerhalb des 'Real existierenden Wissenschaftsbetriebs'.
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Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, tritt der '''Szientismus''' im wesentlichen in drei unterscheidbaren, aber typologisch nicht völlig voneinander zu trennenden Erscheinungformen auf:
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I. Als quasi 'klassischer' '''Scientismus'''. In diesem Sinne stellt er nach Stephan Strasser eine Überzeugung dar, "''der zufolge die wissenschaftliche theoria imstande sein sollte, alle Rätsel der menschlichen Existenz zu lösen und eine Praxis zu ermöglichen, die zu unbeschränkter Herrschaft des Menschen über die Natur führt.''"
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Wie Strasser erläuternd anfügte, stellt diese Überzeugung "''keinen charakteristischen Zug ernster wissenschaftlicher Gesinnung dar. Sie kann auch nicht als ein Merkmal der wissenschaftlichen Aufklärung betrachtet werden. Männern wie [http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Kepler Kepler], [http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Linn%C3%A9 Linnaeus], [http://de.wikipedia.org/wiki/Isaac_Newton Newton] war sie fremd. ''<ref>Anmerkung: '''Werner Turek''' betont dagegen, der klassische '''Scientismus''' baue "''auf dem Wissenschaftsglauben im newtensch-kartesischen Sinne''" auf, einer Geisteshaltung, die "''auf strikt linearem Denken und geschlossenen Systemen beruht''". Quelle: '''W. Turek''', „Wachsende Störanfälligkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt - Herausforderungen für die Politik von morgen“, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), online unter: http://www.cap-lmu.de/aktuell/pressespiegel/2000/zukuenfte.php</ref>'' Auch unter hervorragenden Gelehrten unserer Zeit - oder gerade unter ihnen - findet man viele, die die scientistische Haltung ablehnen. Der Scientismus gehört daher nicht zum Wesen der wissenschaftlichen Aufklärung. er stellt eine Entartungserscheinung dar.''" <ref>Quelle: '''Stephan Strasser''', "[http://books.google.de/books?id=48hJ1GaZKh8C&pg=PA176&lpg=PA176&dq=Scientismus&source=bl&ots=vfFHBsEyYJ&sig=tQr65T-BoLfyb23XKExP5OpgqFo&hl=de&ei=hd3DStG9Bs2ksAbA1IyiBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=5&ved=0CBgQ6AEwBA#v=onepage&q=Scientismus&f=false Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit - Band 5 von ''Phänomenologisch-psychologische Forschungen Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit'']", Walter de Gruyter, 1964, S. 176</ref> 
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II. Als ''''Naturwissenschaftlicher Scientismus'''. Wissenschafsgeschichtlich auf den '''Scientismus'''-Begriff [http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Dantec,+Le,+F%C3%A9lix Félix Le Dantecs] zurückführbar und im Kontext des Wissenschaftsverständnis im angelsächsischen Raum, wo unter "Wissenschaften" ("sciences") lediglich , unterstellt der   
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"''Scientismus ist die naturwissenschaftliche Interpretation der Welt ohne Kenntnis der Möglichkeiten und Grenzen der nat.-wiss. Methodik.''" Quelle: '''Hans-Joachim Heyer''', [http://www.hanjoheyer.de/Wissenschaft2.html Physik - Modell oder Realität? - Diskussion mit einem Physiker - von Hans-Joachim Heyer - geschr. ab 1.7.08]
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http://die-zeit.blog.de/
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http://www.nida-ruemelin.de/docs/wiss_aufsaetze/Die%20Modelle%20der%20wissenschaftlichen%20Theorie%20und%20die%20Einheit%85.pdf
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http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1959/1959-06-a-333.pdf
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III. Als '[[Neo-Scholastik|Neo-scholastischer]]' '''Scientismus'''. Diese Ausformung '''scientistischen''' Wissenschafts-Verständnisses lässt sich durch ihren Glauben an die institutionalisierte, quasi "verbeamtete" Wissenschaft charakterisieren. Aus 
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Als Beispiel mag die Definition der Begriffe "Wissenschaft" und "Forschung" bei Wikipedia ()
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So gehört es zu den Charakteristika dieses schulwissenschafts-fixierten '''Scientismus''', die Existenz außeruniversitärer [[Populärwissenschaft]] zu leugnen oder zumindest zu ignorieren
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Der Wissenschaftshistoriker [[Dr. Horst Friedrich]] sieht die Auswirkung dieses [[Neo-Scholastik|neo-scholastischen]] '''Scientismus''' auf gesamtgesellschsftlicher Ebene in einer, selbst "''unter intelligenten Laien mit einiger Allgemeinbildung, ja sogar bei den Wissenschafts-Redaktionen unserer Tageszeitungen, nicht selten zu findende Tendenz, Verlautbarungen unserer Establishment-Wissenschaft zu diesem oder jenem allzu unkritisch Glauben zu schenken, und sie fortan - als handle es sich dabei um die gesichertste Sache der Welt - völlig unhinterfragt als >Wissen< weiterzugeben. Wissenschaftsgläubige >wissen< dann eben, daß es >UFOs<, Gedankenübertragung, >Yetis<, Geistheilung, Rutengehen, ein Loch Ness Monster, Hellsehen, Teleportation, >[[Atlantis]]< etc. >nicht geben könne< und vertreten dann diese Meinung auch jedermann gegenüber.''" <ref>Quelle: [[Dr. Horst Friedrich]], "[http://books.google.de/books?id=fMg8AAAACAAJ&dq=Einer+neuen+Wissenschaft+den+Weg+bahnen Einer neuen Wissenschaft den Weg bahnen]", Greiz 2006, S. 19</ref>
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Als ideologisierende, quasi fundamentalistische,  Ausdeutung von Wissenschaft findet der '''Scientismus''' seinen „''Gegenpol''“ nicht in der „Antiwissenschaftlichkeit“, sondern in einer kritisch-reflektiven, „''in sich sehr differenzierte''[n]'' Argumentations- und Wissenskultur''“ und einem tatsächlich 'scientischen' (wissenschaftlichen) Denken innerhalb und außerhalb des 'Real existierenden Wissenschaftsbetriebs'.
  
  
 
===Anmerkungen und Quellen===
 
===Anmerkungen und Quellen===
  
(+1) Quelle: '''Werner Turek''', „Wachsende Störanfälligkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt -
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<references />
Herausforderungen für die Politik von morgen“, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), online unter: http://www.cap-lmu.de/aktuell/pressespiegel/2000/zukuenfte.php
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===Bild-Quelle===
  
(+2) Quelle: [http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite Wikipedia – Die freie Enzyklopädie], Stichwort: [http://de.wikipedia.org/wiki/Szientismus Szientismus]; dort nimmt man Bezug auf: Félix le Dantec in La Grande Revue (1911): „''Je crois à l'avenir de la Science: je crois que la Science et la Science seule résoudra toutes les questions qui ont un sens; je crois qu'elle pénétrera jusqu'aux arcanes de notre vie sentimentale et qu'elle m'expliquera même l'origine et la structure du mysticisme héréditaire anti-scientifique qui cohabite chez moi avec le scientisme le plus absolu. Mais je suis convaincu aussi que les hommes se posent bien des questions qui ne signifient rien. Ces questions, la Science montrera leur absurdité en n'y répondant pas, ce qui prouvera qu'elles ne comportent pas de réponse.''“ Wikipedia verweist auch auf:  Françoise Balibar: "Le scientisme, Lacan, Freud et Le Dantec", Alliage 52 (2002) .
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(1) [http://www.anu.edu.au/index.html The Australian National University (ANU)], unter: [http://arts.anu.edu.au/sss/pols3017/theorists.htm IR Theorists and Thinkers]

Version vom 1. Oktober 2009, 04:40 Uhr

Noch in Arbeit!

Definition

Abb. 1 Sir Karl Popper erklärte 1982: "Der Szientismus zeichnet sich vor allem durch den Glauben an die Wissenschaft aus. Diejenigen, die der Wissenschaftsgläubigkeit anhängen, sind keine Wissenschaftler."

(bb/rmh) Der Begriff Scientismus (auch: Szientismus oder Scientizismus; von lat.: "scientia" = Gelehrsamkeit, Wissenschaft) stellt in seiner popularisierten Bedeutung mehr oder weniger ein Synonym zum deutschsprchigen Ausdruck "Wissenschaftsgläubigkeit" dar, und charakterisiert eine ideologische - und somit letztlich unwissenschaftliche - Form von Wissenschafts-Verständnis. [1]

Obwohl Scientismus als Terminus technicus offenbar erst 1911 von dem französischen Biologen Félix Le Dantec als Begriff "für die Auffassung" eingeführt wurde, "dass sich mit naturwissenschaftlichen Methoden alle sinnvollen Fragen beantworten lassen" [2], reichen seine Wurzeln ideengeschichtlich vermutlich bis ins 'Zeitalter der Aufklärung' zurück [3], und er erreichte als weltanschauliche Auffassung einen historischen Höhepunkt im 19. Jahrhundert.

Damals war er, wie Stephan Strasser 1964 feststellte, "bezeichnend für eine Epoche, in der sich der >wissenschaftliche< Sozialismus eines Karl Marx berufen fühlte, die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme der gesamten Menschheit definitiv zu lösen; in der Ernst Meumann den Anspruch erhob, mit seiner >wissenschaftlichen< Pädagogik alle die Erziehung betreffenden Fragen auf experimenteller Basis zu beantworten. Ein gelehrter Biologie wie Ernst Haeckel [4] glaubte damals im Ernst, DIE Rätsel des Universums im Rahmen einiger populär-wissenschaftlicher Betrachtungen gelöst zu haben. Von seinen >Welträtseln< [5] wurden seinerzeit im deutschen Sprachgebiet 400 000 Exemplare verkauft, während auch zahlreiche Übersetzungen erschienen. Die Überzeugungung, daß es für einen Naturforscher, der sich wichtiger wissenschaftlicher Entdeckungen rühmen dürfte, keine Geheimnisse mehr gebe, herrschte offenbar in weiten Kreisen." [6]


Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, tritt der Szientismus im wesentlichen in drei unterscheidbaren, aber typologisch nicht völlig voneinander zu trennenden Erscheinungformen auf:

I. Als quasi 'klassischer' Scientismus. In diesem Sinne stellt er nach Stephan Strasser eine Überzeugung dar, "der zufolge die wissenschaftliche theoria imstande sein sollte, alle Rätsel der menschlichen Existenz zu lösen und eine Praxis zu ermöglichen, die zu unbeschränkter Herrschaft des Menschen über die Natur führt."

Wie Strasser erläuternd anfügte, stellt diese Überzeugung "keinen charakteristischen Zug ernster wissenschaftlicher Gesinnung dar. Sie kann auch nicht als ein Merkmal der wissenschaftlichen Aufklärung betrachtet werden. Männern wie Kepler, Linnaeus, Newton war sie fremd. [7] Auch unter hervorragenden Gelehrten unserer Zeit - oder gerade unter ihnen - findet man viele, die die scientistische Haltung ablehnen. Der Scientismus gehört daher nicht zum Wesen der wissenschaftlichen Aufklärung. er stellt eine Entartungserscheinung dar." [8]


II. Als 'Naturwissenschaftlicher Scientismus. Wissenschafsgeschichtlich auf den Scientismus-Begriff Félix Le Dantecs zurückführbar und im Kontext des Wissenschaftsverständnis im angelsächsischen Raum, wo unter "Wissenschaften" ("sciences") lediglich , unterstellt der


"Scientismus ist die naturwissenschaftliche Interpretation der Welt ohne Kenntnis der Möglichkeiten und Grenzen der nat.-wiss. Methodik." Quelle: Hans-Joachim Heyer, Physik - Modell oder Realität? - Diskussion mit einem Physiker - von Hans-Joachim Heyer - geschr. ab 1.7.08


http://die-zeit.blog.de/

http://www.nida-ruemelin.de/docs/wiss_aufsaetze/Die%20Modelle%20der%20wissenschaftlichen%20Theorie%20und%20die%20Einheit%85.pdf

http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1959/1959-06-a-333.pdf



III. Als 'Neo-scholastischer' Scientismus. Diese Ausformung scientistischen Wissenschafts-Verständnisses lässt sich durch ihren Glauben an die institutionalisierte, quasi "verbeamtete" Wissenschaft charakterisieren. Aus

Als Beispiel mag die Definition der Begriffe "Wissenschaft" und "Forschung" bei Wikipedia ()

So gehört es zu den Charakteristika dieses schulwissenschafts-fixierten Scientismus, die Existenz außeruniversitärer Populärwissenschaft zu leugnen oder zumindest zu ignorieren


Der Wissenschaftshistoriker Dr. Horst Friedrich sieht die Auswirkung dieses neo-scholastischen Scientismus auf gesamtgesellschsftlicher Ebene in einer, selbst "unter intelligenten Laien mit einiger Allgemeinbildung, ja sogar bei den Wissenschafts-Redaktionen unserer Tageszeitungen, nicht selten zu findende Tendenz, Verlautbarungen unserer Establishment-Wissenschaft zu diesem oder jenem allzu unkritisch Glauben zu schenken, und sie fortan - als handle es sich dabei um die gesichertste Sache der Welt - völlig unhinterfragt als >Wissen< weiterzugeben. Wissenschaftsgläubige >wissen< dann eben, daß es >UFOs<, Gedankenübertragung, >Yetis<, Geistheilung, Rutengehen, ein Loch Ness Monster, Hellsehen, Teleportation, >Atlantis< etc. >nicht geben könne< und vertreten dann diese Meinung auch jedermann gegenüber." [9]



Als ideologisierende, quasi fundamentalistische, Ausdeutung von Wissenschaft findet der Scientismus seinen „Gegenpol“ nicht in der „Antiwissenschaftlichkeit“, sondern in einer kritisch-reflektiven, „in sich sehr differenzierte[n] Argumentations- und Wissenskultur“ und einem tatsächlich 'scientischen' (wissenschaftlichen) Denken innerhalb und außerhalb des 'Real existierenden Wissenschaftsbetriebs'.


Anmerkungen und Quellen

  1. Anmerkung: 'Wissenschaftsgläubigkeit' als zentrales Element des Scientismus hob auch der Wissenschaftsphilosoph und -theoretiker Sir Karl Popper (1902-1994) hervor: "Der Szientismus zeichnet sich vor allem durch den Glauben an die Wissenschaft aus. Diejenigen, die der Wissenschaftsgläubigkeit anhängen, sind keine Wissenschaftler. Der wahre Wissenschaftler darf an seine eigene Theorie nicht glauben. Er muß ihr gegenüber eine kritische Haltung einnehmen, er muß wissen, daß jeder sich irren kann und daß infolgedessen seine Theorie irrig sein kann. Deshalb gibt es in Wirklichkeit einen Gegensatz zwischen der Wissenschaft und der Wissenschaftsgläubigkeit. Ein Szientist zu sein, das bedeutet, daß man die Wissenschaft nicht versteht." Quelle: Sir Karl Popper in einem Interview der französischen Wochenzeitschrift L’Express, Feb. 1982. Zit. nach: Die Wege der Wahrheit - Zum Tode von Karl Popper; aus: Aufklärung und Kritik 2/1994 (S. 38 ff.)
  2. Quelle: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Szientismus; dort nimmt man Bezug auf: Félix le Dantec in La Grande Revue (1911): „Je crois à l'avenir de la Science: je crois que la Science et la Science seule résoudra toutes les questions qui ont un sens; je crois qu'elle pénétrera jusqu'aux arcanes de notre vie sentimentale et qu'elle m'expliquera même l'origine et la structure du mysticisme héréditaire anti-scientifique qui cohabite chez moi avec le scientisme le plus absolu. Mais je suis convaincu aussi que les hommes se posent bien des questions qui ne signifient rien. Ces questions, la Science montrera leur absurdité en n'y répondant pas, ce qui prouvera qu'elles ne comportent pas de réponse.“ Wikipedia verweist auch auf: Françoise Balibar: "Le scientisme, Lacan, Freud et Le Dantec", Alliage 52 (2002)
  3. Siehe: Werner Turek, „Wachsende Störanfälligkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt - Herausforderungen für die Politik von morgen“, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), online unter: http://www.cap-lmu.de/aktuell/pressespiegel/2000/zukuenfte.php
  4. Red. Anmerkung: Zu diesem siehe bei Atlantisforschung.de auch: Hugo C. Jüngst, Ernst Haeckel - 'Baron Münchhausen' des Darwinismus (1910
  5. Siehe: Ernst Haeckel, "Die Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie", 1. Druck Bonn 1899
  6. Stephan Strasser, "Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit - Band 5 von Phänomenologisch-psychologische Forschungen Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit", Walter de Gruyter, 1964, S. 176
  7. Anmerkung: Werner Turek betont dagegen, der klassische Scientismus baue "auf dem Wissenschaftsglauben im newtensch-kartesischen Sinne" auf, einer Geisteshaltung, die "auf strikt linearem Denken und geschlossenen Systemen beruht". Quelle: W. Turek, „Wachsende Störanfälligkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt - Herausforderungen für die Politik von morgen“, Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), online unter: http://www.cap-lmu.de/aktuell/pressespiegel/2000/zukuenfte.php
  8. Quelle: Stephan Strasser, "Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit - Band 5 von Phänomenologisch-psychologische Forschungen Phänomenologie und Erfahrungswissenschaft vom Menschen: Grundgedanken zu einem neuen Ideal der Wissenschaftlichkeit", Walter de Gruyter, 1964, S. 176
  9. Quelle: Dr. Horst Friedrich, "Einer neuen Wissenschaft den Weg bahnen", Greiz 2006, S. 19


Bild-Quelle

(1) The Australian National University (ANU), unter: IR Theorists and Thinkers