Präludium zu einer neuen Betrachtung des Atlantis-Problems
von Egerton Sykes (1966)
Meine überarbeite Auflage von Donnellys Buch über Atlantis (+1)[1] [wurde 1949 in New York und London veröffentlicht]. In späteren Jahren ist jedenfalls vieles entdeckt worden, viele neue Ideen sind vorgestellt worden, und nach zwanzig Jahren Korrespondenz mit jedem, der auch nur entfernt an diesem Thema interessiert ist, habe ich einiges in Erfahrung gebracht, was mir damals nicht bekannt war. Dadurch war es mir möglich, eine Theorie des Atlantis-Problems zu entwickeln, welche in vernünftiger Übereinstimmung mit moderner wissenschaftlicher Forschung steht, und die durchaus innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne einen Weg zur Lösung des Problems weisen könnte. [...]
Abb. 1: Egerton Sykes: "Es git keine valide Basis für die Vermutung, dass das Atlantis-Desaster durch Menschen
verursacht wurde, welche die Götter durch die Entdeckung der Kernspaltung beleidigt haben..."
Das Atlantis-Problem ist durch die Tatsache kompliziert worden, dass Atlantis von uns nicht durch einen Abgrund, sondern vielmehr durch eine Reihe von post-atlantischen Kulturen getrennt ist, welche die meisten Lücken zwischen 10 000 v. Chr. und der frühgeschichtlichen Periode von 5000 v. Chr. auffüllten. Im Verlauf des Sortierens all dieser Kulturen wird jetzt akzeptiert, dass ein gewisser Teil der Evidenzen, von denen man angenommen hatte, sie bezögen sich auf Atlantis, als diesen späteren Kulturen zugehörig betrachtet wird. Das ist an sich nicht von großer Bedeutung, abgesehen davon, dass es die Kontinuität historischer Aufzeich-nungen bestätigt. Atlantis muss, aus einer vernünftigen Perspektive, als vermutlich früheste Manifestation von Kultur betrachtet werden, die der Westlichen Welt bekannt ist, und die als solche die Wurzel bildet, aus der nahezu alles in dieser Westlichen Welt entsprungen ist. Um dies deutlich zu machen, müssen wir eine ganze Reihe von falschen Annahmen ausrangieren, die zur Konfusion in dieser Angelegenheit beigetragen haben.
Es gibt zum Beispiel nicht den geringsten Beweis dafür, dass die atlantidische Kultur jener der Griechen in irgendeiner Weise überlegen war. Es gibt auch keinen Grund für die Annahme, dass das Verhalten der Atlantiden in irgendeiner Weise besser oder schlechter als dasjenige anderer historischerGruppen war. Schließlich gibt es keine valide Basis für die Vermutung, dass das Atlantis-Desaster durch Menschen verursacht wurde, welche die Götter durch die Entdeckung der Kernspaltung beleidigt haben, denn wenn dies geschehen wäre, so müsste man auch noch nach 13 000 Jahren Spuren der Explosion auffinden können. Diese Neigung zu einem Versuch der Transmutation heutiger Ängste in die Vergangenheit hinein mag von einem gelinden pathologischen Interesse sein, hat jedoch keinen Bezug zur Geschichte.
Atlantis ging aufgrund einer Naturkatastrophe unter. Die gigantischen Meteoriten-Krater in Süd-Afrika], Australien und Kanada, von denen jeder ausreichend gewesen wäre, um sie zu verursachen, sind sichtbare Manifestationen von Geschehnissen, die sich viele Male in der Geschichte unseres Planeten ereignet haben [vergl.: Atlantis - Die Theorie vom Meteoriten-Impakt von Egerton Sykes; d. Red.]. Die Ursachen für die Unwilligkeit vieler Menschen, das Konzept von Atlantis zu akzeptieren, sind schwer zu ergründen. Zugegebener Maßen erfordert es, die Uhr der Geschichte einige tausend Jahre zurück zu drehen, doch dies ist bereits [ander-weitig] geschehen, und sowohl die Archäologie als auch die Urgeschichts-Forschung haben diesen Prozess ohne Kratzer überstanden.
Die Perspektive ist durch die Annahmen verschiedener quasi-religiöser Gruppen getrübt worden, die nicht immer mit dem Hintergrund faktischen Wissens zusammen passen. [...] Es muss akzeptiert werden, dass Atlantis kein wundersames Ereignis darstellte, sondern dass es schlicht und einfach Teil unserer frühen Geschichte war, und dass, auch wenn sein Verschwinden aufgrund einer Natur-Katastrophe ungewöhnlich war, das gleiche dem Minoischen Kreta widerfuhr, das der Santorin 1400 v. Chr. vernichtete. Hier hatte das Ereignis ein geringeres Ausmaß, war aber keineswegs weniger effektiv. Dies muss festgestellt werden, um hervorzu-heben, dass Atlantis in ein normales historisches Muster fällt, ebenso wie die ägyptischen, babylonischen oder chinesischen Kulturen. Die Tatsache, dass dies einige tausend Jahre früher geschah, bedeutet nicht, dass irgendwelche bestürzenden Unterschiede im menschlichen Verhalten anzunehmen seien.
Die Entwicklungs-Muster sind seit dem Auftreten der ersten Steinwerkzeuge, die vor einer Million Jahren von Primaten verwendet wurden, stets konsistent gewesen, und Atlantis und seine Kultur passen dort ziemlich komfortabel hinein. [vergl. dazu: Atlantis im Kontext der Menschheitsgeschichte von Egerton Sykes; d. Red.] Atlantis ist deshalb jedoch nicht weniger interessant. Es ist die früheste Kultur, über die wir irgendwelche Aufzeichnungen besitzen. Die kürzliche Entdeckung einer Dorf-Fundstelle nahe dem Tell Mureybat am Euphrat durch Dr. Maurits van Loon, welche auf 7500 v. Chr. datiert wurde, zeigt jedenfalls, dass die Lücke zwischen offiziellen Aufzeichnungen und dem Atlantis-Konzept (+2)[2] jetzt auf 2000 Jahre zusammengeschrumpft ist, im Vergleich zu den 6000 Jahren, die es noch am Ende des jüngsten Krieges [II. Weltkrieg; d. Red.] waren.
Dass dieser Hiatus in der nahen Zukunft überbrückt werden wird, ist offensichtlich (+3)[3], doch dies stellt keinen Grund dafür dar, in unseren Bemühungen nachzulassen, so viele Evidenzen wie möglich zu erbringen, um diesen Prozess zu beschleunigen. Während meines jüngsten Besuches in [Atlantis-Lokalisierungen, Diffusionismus und die Spuren prädiluvialer Kulturen in Amerika Amerika] ließen mich die intensiven Fragen, die mir gestellt wurden, erkennen, dass sich die Situation der Atlantis-Forschung, dank der Fülle neuer Ideen und Entdeckungen, die zu meiner Kenntnis gelangt sind, im Verlauf der vergangenen siebzehn Jahre bemerkenswert verändert hat. (Diese Notizen wurden der Einleitung einer aktuellen Einschätzung des Atlantis-Problems entnommen, welche sich derzeit in Vorbereitung befindet und die in diesem Sommer [1966; d. Red] fertiggestellt sein soll.)
=Anmerkungen und Quellen:
Dieser Beitrag von Egerton Syles erschien erstmals im Jahr 1966 (vermutl. in Atlantis, London) unter dem Titel "A prelude to a restatement of the question". Er verdeutlicht u.a., welch rasante Entwicklung die nonkonformistische Atlantologie während des 20. Jahrhunderts im 'Kielwasser' schulwissenschaftlicher Vor- und Frühgeschichtsforschung durchlebt hat. Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de nach http://kengarman.tripod.com/thelegendofatlantis/id6.html
(+1)
(+2)
(+3)
Bild-Quelle:
(1) http://www.mindspring.com/~jamoyers/kdem/screenshots/atom.gif
- ↑ Redaktionelle Anmerkung: Eine spätere Ausgabe von Sykes´ Donnelly-Überarbeitung erschien 1970: Ignatius Donnelly, "[Atlantis - The ante diluvian world]", A new and revised Edition by Egerton Sykes, Sidwig and Jackson LTD, London 1970
- ↑ Redaktionelle Anmerkung: Gemeint ist die 'klassische" Atlantis-Theorie in der Tradition A. Kirchers und I. Donnellys, nach welcher vor mehr als 10 000 Jahren tatsächlich ein historisches Vorbild für Platons Atlantis in den Fluten des Atlantischen Ozeans versunken ist. Die Hochkultur der Atlanter hat danach beiderseits des Meeres ihre Spuren hinterlassen und für alle großen Hochkulturen Amerikas und Afro-Europas die Rolle einer 'Mutterkultur' gespielt.
- ↑ Redaktionelle Anmerkung: Wie wir heute wissen, hat sich Sykes´ Voraussage bereits bewahrheitet. Spätestens mit der Entdeckung der sogenannten PPN-Kulturen ("pre-pottery neolithic", "päkeramisch-neolithisch") Ober-Mesopotamiens, der Levante und Keinasiens darf auch diese letzte zivilisationsgeschichtliche Lücke als geschlossen betrachtet werden. (Vergl. dazu: Göbekli Tepe - Heiligtum der Superlative von Luc Bürgin; sowie: [[Göbekli Tepe, Eden und die Heimat der 'Wächter' - Ein Interview mit Andrew Collins von Adriano Forgione, HERA-Magazine.
Darüber hinaus gibt es deutliche Hinweise darauf, dass das Entstehen dieser angeblich "neolithischen" (tatsächlich: mesolithischen bis end-paläolithischen) Kulturen in direktem Zusammenhang mit spät-paläolithischen Zuwanderungen cromagnoider Immigranten aus dem atlantischen Westen stand. (Vergleiche dazu: Ein atlantischer 'Außenposten' im Nahen Osten sowie: Atlantis und der Cromagnon-Mensch von R. Cedric Leonard)