Das ar(kt)ische Ur-Atlantis des Hermann Wirth

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Abb. 1 Dr. Herman Wirth (1885-1981)

(bb) Ein wesentliches, aber durchaus differenziert zu betrachtendes, Beispiel für ideologisch motivierte, zumindest tendentiell dem Ario-Atlantismus zuzurechnende, Atlantis-Adaptionen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellen die Arbeiten des Philologen und Ahnenforschers Herman Wirth (Abb. 1) (1885-1981) dar. Zu seinen Publikationen gehören so vielsagende Titel, wie "Aufgang der Menschheit" (1928), "Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse" (1928), "Die Heilige Urschrift der Menschheit" (1931-36) und "Vom Ursprung und Sinn des Hakenkreuzes" (1933). Im gleichen Jahr übersetzte er zudem die so genannte Oera-Linda-Chronik aus dem Altfriesischen (?) ins Deutsche und veröffentlichte sie, worauf wir später in diesem Beitrag noch ausführlicher eingehen werden.

Geboren wurde Herman Wirth (auch: Herman Wirth Roeper Bosch, Herman Felix Wirth oder Hermann Wirth) am 6. Mai 1885 als Sohn eines Gymnasiallehrers im niederländischen Utrecht. Dort und in Leipzig studierte er niederländische Philologie, Germanistik, Geschichte sowie Musikwissenschaft, und promovierte 1910 frühzeitig über den "Untergang des niederländischen Volksliedes" bei dem Volkskundler John Meier, und unterrichtete danach zunächst niederländische Philologie an der Universität Bern.

Bei Michael H. Kater heißt es: "Schon damals hatte sich der nicht unbegabte junge Gelehrte eine national-romantische Weltanschauung gebildet, als deren Kern deutsch-völkische Werte und Thesen von einem ganz Europa umspannenden Pan-Germanentum erschienen." [1] Diese deutsch-völkische Grundhaltung sollte auch für Wirths späteren Lebensweg sowie für seinen Umgang mit dem Atlantis-Problem charakteristisch sein.



http://books.google.de/books?id=VoCHA6npCHkC&pg=PA63&lpg=PA63&dq=Herman+Wirth+Bio&source=bl&ots=0nox4XiyQq&sig=JALzt0b_t3SMTvv0QfLV9vrS-d4&hl=de&ei=q_dOS5LuKZa8mwP-mfGbCg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=6&ved=0CBoQ6AEwBQ#v=onepage&q=&f=false


Halten wir zunächst fest, dass bei einer Wirth während des 'Dritten Reichs' bis 1937 Präsident, danach Ehrenpräsident der 'Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe', die organisatorisch Heinrich Himmler, dem "Reichsführer SS", unterstellt war. Bereits 1935 hatte Wirth als Protegé Himmlers in Marburg die Stelle des Leiters der 'Pflegestätte für Schrift- und Sinnbildkunde' angetreten, "aus der er aber bereits 1938 wieder wegen Mittelverschwendung, organisatorischer und fachlicher Unzulänglichkeit sowie menschlicher Schwächen ausgebootet wurde." [2] Was die Gründe für Wirths wenig triumphalen Abgang aus dem Ahnenerbe angeht, herrscht - jedenfalls in den frei zugänglichen Quellen - allerdings eine ziemliche Konfusion, wobei, wie in dem gerade zitierten Online-Artikel häufig das eifrige Bestreben durchklingt, Wirth in jeder Hinsicht (menschlich, fachlich und weltanschaulich) zu diskreditieren, was zwar das augenscheinliche Bedürfnis der betreffenden AutorInnen nach political correctness befriedigen mag, aber aus wissenschafts-geschichtlichem oder atlantologie-historischem Blickwinkel kaum dem Erkenntnis-Gewinn dienen dürfte.

So heißt es in dem gerade zitierten Artikel weiter: "Wirth wurde von Himmler gefeuert, aber nicht, weil er, wie von den Wirth-Verehrern fälschlicherweise behauptet wird, ein Verfolgter des Naziregimes war. Im Gegenteil, Wirth wurde wegen seines unwissenschaftlichen Übereifers sogar Himmler suspekt!" [3] Und noch eifriger im Bemühen, Wirth als spinnerten Dilettanten zu brandmarken, ist man bei kritiknetz.de: "Selbst Himmler konnte den Pseudo-Gelehrten nicht halten, ohne sich lächerlich zu machen..." [4]

Abb. 2 Das (sub)polare Mythen-Reich von Thule in einer modernen, phantasievollen Darstellung.

Solche Aussagen sind schlichtweg unhistorisch und vernebeln vielmehr die tatsächlichen Vorgänge. Himmler, der das Ahnenerbe initiiert hatte und von Anfang an kontrollierte, konnte dort nach dem "Führerprinzip" schalten und walten wie ein absoluter Monarch. Er allein bestimmte, in welchen Bereichen geforscht wurde, und welche Mittel dafür zur Verfügung standen. Aufträge dazu erteilte er nach Gutdünken, und zog sie ebenso auch wieder zurück, wenn die von ihm gewünschten Ergebnisse nicht erzielt wurden, wie das Beispiel der "Hexenkarthotek" [5] deutlich macht.


dessen Hang zum Okkultismus unter Historikern unstrittig ist, und der Ariosophischem Gedankengut nahe


http://books.google.de/books?id=qis5-w2_bygC&pg=PA79&lpg=PA79&dq=Himmler+Wissenschaftsverst%C3%A4ndnis&source=bl&ots=lobYeCwDfX&sig=VmYW9haCCiFwWfT6_N-FiipCpsk&hl=de&ei=hNhOS-vgMIH5_Ab2wa2rCg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=2&ved=0CAkQ6AEwAQ#v=onepage&q=Himmler%20Wissenschaftsverst%C3%A4ndnis&f=false


Wissenschaftlich korrekter - und dem Kern der Sache schon näher kommend, heißt es bei Wikipedia unter Berufung auf Eva-Maria Ziege, dass Wirth aus dem Ahnenerbe "auf Grund ideologischer Differenzen mit Himmler, der Wirths Matriarchatsvorstellungen nicht teilte, 1938 ausschied: >Da sich Wirths nicht nur akademisch kaum anerkannte Forschungen selbst den immer noch ziemlich heterogenen NS-Organisationen nicht einfügten, wurde er 1938 aus dem Ahnenerbe verdrängt, erhielt aber bis 1944/45 Forschungsbeihilfen.<" [6]



Gemeinsam mit dem rassistischen Anthropologen Guido von List entwickelte er eine pseudowissenschaftliche Lehre, die "Ariosophie", die dem Nationalsozialismus als explizit religiöser Bestandteil dienen sollte: "Die katholische Dreieinigkeit wurde zum germanischen Urgespann Wodan-Wili-We, die Bergpredigt zu einem nordisch-buddistischen Dokument und die minderwertigen dunklen Mischlinge wurden zum monotheistischen Juden zuammengekürzt, den es zum Wohle der Spiritualität herauszukreuzen galt. Atlantis wurde zu Thule, dem Schoß der Germanen, deren Weisheit in den Runen liegt. Zur Rettung der Rasse gab es verschiedenste Vorschläge, manche übertrugen Darwin auf den Menschen, andere veröffentlichten Bücher über die Züchtung (quasi Zurückzüchtung) von Ariern und wieder andere meinten, man müsse die Minderwertigen >verschneiden und entfruchten< (Liebenfels in >Theozoologie<). Die düstere, verderbliche Rasse ist Schuld am Untergang Atlantis´, der Vertreibung aus dem germanischen Paradies." [7]

Abb. 2 Die Thule-Gesellschaft gehörte als Vorläufer-Organisation der NSDAP zu den "Schmieden" der Nazi-Ideologie

Walther Wüst, prominenter NS-Propagandist und ab 1939 Wirths Nachfolger als Kurator des 'Ahnenerbe' (ab 1941 war er Rektor der Münchner Universität), "publizierte 1942 für die Anhänger der NS-Religion das Indogermanische Bekenntnis, ähnlich den zehn Geboten der christlichen Religion." Dies alles "war elementarer Bestandteil der religiösen Überzeugungen der Nationalsozialisten. Es diente zudem als wissenschaftliche Legitimation der Realpolitik im Dritten Reich. Und es war die Begründung, um Volksschädlinge zu bekämpfen, denn Wirths Gedanken enthielten schon 1928 auch eine wissenschaftliche Absicherung der Morde an Artfremden, die er mit dem erschreckenden Wort Verfallskulturen belegt." [8]

Das 'germanische' Atlantis, das war für Wirth und seine Gesinnungsfreunde klar, musste natürlich 'nordisch' gewesen sein. "Die Idee eines Atlantis hoch im Norden wurde bereits von Rudbeck im 17. und von Bailly im 18. Jahrhundert lanciert. Herman Wirth versetzte seinen versunkenen Kontinent vor noch nicht allzu langer Zeit in die Arktis und nannte ihn 'Thule', nach der Insel, von der Pytheas auf seinen Reisen hörte. Wie Churchward, so nahm auch Wirth an, er habe den Schlüssel zu den zutiefst psychologischen geheiligten Symbolen [9] der primitiven Menschheit gefunden und könne, indem er ihnen weltweit nachginge, die Vorgeschichte der Menschheit rekonstruieren.

So sollten zum Beispiel zwei Kreise, einer über den anderern gesetzt und durch die kürzeste Linie miteinander verbunden, das Jahr repräsentieren. Wirth war des Glaubens, daß die letzten Überlebenden der arktischen Zivilisation die inzwischen ausgestorbenen Sadlermiut-Eskimos waren, Nachkommen der Thule-Bewohner, die ihre Blütezeit zwischen 25 000 und 12 000 v. Chr. hatten und Zeitgenossen der Cro-Magnon-Menschen waren. Ihre Kultur, obgleich sie ein höheres Niveau besaß, kannte nicht die Metallverarbeitung. Sie hätten sich über Europa, Asien und Amerika verbreitet und die Rassetypen gebildet, die wir heute kennen. Sogar bis Neusee-land seien sie gekommen." [10]

Abb. 3 Die Sadlermiut-Eskimos betrachtete Wirth als direkte Nachfahren der arktischen Thule-Zivilisation

Wirth war davon überzeugt, auch "Stonehenge sei von dessen Einwohnern erbaut worden. Wirth untersuchte in diesem Zusammenhang die schwedischen Felsbilder und war zugleich mit seinen Einfärbungen und Gipsabgüssen einer der ersten Zerstörer dieser Bilder. Die an Ort und Stelle angefertigten Abgüsse germanischer Felssymbole nahm er zur späteren Auswertung mit nach Berlin in sein wissenschaftliches Studio." [11]

Auch nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes blieb Wirth 'linientreu' und gründete in den fünfziger Jahren mit Gleichgesinnten den Verein Ur-Europa e.V.« (Untertitel: »Gemeinnützige Gesellschaft für prähistorische Geschichte, Kultur und Religion«). "Der von Wirth 1954 gegründete Verein knüpft an die Forschungen des »Deutschen Ahnenerbes« an.

In der Selbstdarstellung des bis vor einigen Jahren noch unter dem Namen »Gesellschaft für europäische Urgemeinschaftskunde« firmierenden Vereins heißt es über den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Wirth: »In unserer Ära, da das Leben und Überleben auf diesem Erdball durch eine irrige Weltschau gefährdet ist, brachte uns Hermann Wirth die Kunde von der Urgemeinschaft, von der Menschlichkeit des Mutterzeitalters und des atlantischen Europas der Urvergangenheit, das weltweit ausstrahlend, die alten Kulturen befruchtete«. Veröffentlichungen des Vereins wurden über viele Jahre in der neofaschistischen Theoriezeitschrift »Deutschland in Geschichte und Gegenwart« abgedruckt." [12]


http://univis.uni-bamberg.de/formbot/dsc_3Danew_2Fresrep_view_26rprojs_3Dguk_2Fdenkmal_2Flehrst_2Fherman_26dir_3Dguk_2Fdenkmal_2Flehrst_26ref_3Dresrep


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Michael H. Kater, "Das' Ahnenerbe' der SS 1935- 1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik des dritten Reiches", Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2006 (Orig.: Deutsche Verlags-Anstalt, 1974), S. 11
  2. Quelle: http://members.aon.at/anisa/felsbildmuseum%20index.htm (nicht mehr online)
  3. Quelle: http://members.aon.at/anisa/felsbildmuseum%20index.htm (nicht mehr online)
  4. Quelle: "Ausstellung: Religion der Reinheit" (PDF-File, 713,49 KB), bei: kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft
  5. Siehe dazu etwa: Harald Maihold, Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, hg. v. Lorenz, Sönke/Bauer, Dieter R./Behringer, Wolfgang/Schmidt, Jürgen Michael in Zusammenarbeit mit dem Institut für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen (= Hexenforschung 4), 2. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2000. X, 197 S.
  6. Quelle: Eva-Maria Ziege, "Die Bedeutung des Antisemitismus in der Rezeption der Mutterrechtstheorie. In: A.G.GENDER-KILLER (Hrsg.): Antisemitismus und Geschlecht. Von „effeminierten Juden“, „maskulinisierten Jüdinnen“ und anderen Geschlechterbildern"; zit. nach: Wikipedia
  7. Quelle: debil, unter: http://www.club-debil.com/aktuell/thule2.htm (Seite nicht mehr online)
  8. Quelle: http://members.aon.at/anisa/felsbildmuseum%20index.htm (nicht mehr online)
  9. Anmerkung: "Herman Wirth stützte sich auf die sogenannte Ur-Symbolik und germanische Überlieferungen der Menschheit. Wirths Werke lebten von Behauptungen, die er unbewiesen ließ. [...] Viele der von ihm verwendeten Symbole stammen aus suspekten Quellen des 19. Jahrhunderts und wurden von ihm in verschiedene Varianten zerteilt und abgeändert zusammengefügt. Die Pseudowissenschaft der sogenannten Sinnbildkunde wurde zum Tummelplatz von Dilettanten, Phantasten und Scharlatanen." Quelle: http://members.aon.at/anisa/felsbildmuseum%20index.htm (nicht mehr online)
  10. Quelle: Lyon Sprague de Camp, "Versunkene Kontinente", Heyne 1977, Seite 96 (erstveröffentlicht unter dem Titel "Lost Continents" 1955 in den USA)
  11. Quelle: http://members.aon.at/anisa/felsbildmuseum%20index.htm (nicht mehr online)
  12. Quelle: hma, »Ur-Europäer« tagen im Erzgebirge, in: Antifaschistische Nachrichten, Nr. 02 / 1999


Bild-Quellen

(1) Ausstellung: Religion der Reinheit, (PDF-File, 713,49 KB), S. 19; bei: [kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft

(2) http://www.geofictie.nl/geos/thule.jpg (nicht mehr online)

(2) 1918 THULE - GESELLSCHAFT

(3) http://www.crystalinks.com/atlantisthule.html