Die Riesen von Tiriolo
übersetzt und editiert von Ferdinand Speidel
Der nachfolgede Artikel ist die teilweise Übersetzung aus dem italienischen Original eines Artikels, der online unter "Gli scheletri dei giganti di Tiriolo" zu finden ist. Der Artikel selbst stellt einen Auszug aus dem 1973 erschienenen Buch “Catanzaro nella Storia“ von Luigi Marsico dar.
Abb. 1 Ein alter Druck, der den Fund des Skeletts eines Riesen darstellt
Die Skelette der Riesen von Tiriolo
von Luciana Loprete
Im Jahr 1663 erhielt die kleine Stadt Tiriolo (Abb. 1) bei Catanzaro, die schon für einige archäologische Funde bekannt war, noch einmal die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern wegen eines Ereignisses, das fabelhaft erschien.
Auf dem Gebiet wurden einige Grabungen durchgeführt, als sich die Arbeiter vor einem antiken Grab sahen. Ihren Augen bot sich ein makabrer Anblick: In dem geöffneten Grab lag ein Skelett von enormen Ausmaßen auf dem Rücken „in einer beachtlichen Menge von Wachs“. Arme und Beine waren lang, das Becken breit und kräftig, stark die Rippen, der Schädel voluminös. Sie waren erschrocken. Die Nachricht des Ereignisses verbreitete sich; es gab noch keine Zeitungen oder andere Nachrichtenblätter, aber die Nachricht verbreitete sich vom Dorf in die Stadt, von der Stadt in die großen Zentren, die es gab…
Trotz Veränderungen durch mündliche Überlieferung muss der Bericht nahe an der Wahrheit gewesen sein, den der Arzt Giovanbattista Cappucci aus Crotone am 24. Juni 1663 an Marcello Malphighi, jenen großen Mediziner aus Bologna, schickte.
Wer Marcello Malpighi (Abb. 3) war, ist all jenen bekannt, die – auch wenn nur bescheidene – Kenntnisse der Geschichte der Medizin haben. Dieser Mediziner des 16. Jahrhunderts lehrte an den Universitäten von Pisa, Messina, Bologna sowie Rom, und war Leibarzt des Papstes Innozenz XII., und er war auch Mitglied der renomiertesten Akademien der Zeit. Sein Name ist immer noch mit interessanten Entdeckungen auf dem Gebiet der Medizin verbunden.
Auch Giovanni Battista Cappucci war Arzt, von ihm wissen wir nur, dass er ursprünglich Neapolitaner war und in Crotone lebte. Und folgendes schrieb der große Arzt von Bologna zu dem Fund des Riesenskeletts in Tiriolo:
„…Ich hoffe, im nächsten April Material zu haben, um Ihnen einen langen Brief über die Auffindung einer antiken Grabstätte, die in der Gegend von Tiriola geöffnet wurde, darin war das Skelett eines riesigen Körpers in einer beträchtlichen Menge Wachs, wovon ein Muster nach Neapel zu Herrn Tommaso Cornelio unter der Bezeichnung Balsam gebracht wurde; davon sah ich eine Kleinigkeit, die äußerlich den Anschein eines verdichteten und gealterten Harzes machte, die aber unter Feuer einen besseren Geruch als gewöhnliches Harz ausströmte.
Deshalb nahm ich an, dass es eine Mischung von Harz und eines anderen Produktes von besserem Duft war. Auch wurde mir ein Zahn des gleichen Körpers, der nach Aussagen 15 Palmi groß gewesen sein soll, versprochen… [1]
Unser Herr Giovanni Battista Abati, der von Catanzaro aus näher an Tiriolo ist als ich, hätte sich besser informieren können, aber er beurteilte den Bericht als Lüge und das Wachs und die Knochen als Betrug oder Märchen und wollte sich nicht einmischen … um das Falsche vom Richtigen zu trennen, denn wie bei allen Neuigkeiten, gibt es es davon ein gutes Maß bei der Geschichte.“
Dieser Brief, der in der Sammlung von Malpighi gefunden wurde, bedarf einer Bemerkung, um über dieses riesige Skelett, dessen Fund als Fabel erscheinen mag, es aber nicht ist, Klarheit zu bekommen. Bei genauer Betrachtung bestätigt Cappucci, dass „in einer antiken Grabstätte, die bei Tiriolo geöffnet wurde, in einer beträchtlichen Masse Wachs das Skelett eines riesigen Körpers gefunden wurde; das Gerücht besagt, dass es 15 Palmi groß war.“ Die Nachricht kann als Erfindung angesehen werden; der Schreiber war jedoch ein Arzt, also eine Person von Kultur und kein Waldkauz, der jeglichen Tratsch glaubt. Man muss sich auch vor Augen führen, dass dieser Arzt sich nicht hätte hinreißen lassen, einem illustren Vertreter der Wissenschaften, der Malpighi war und von dem er Erleuchtung und Klarheit erwartete, Albernheiten zu berichten.
Folglich muss in dem Brief ein gewisser Wahrheitsgehalt stecken, und tatsächlich wird der Fund der Skelette von Riesen in Grabstätten in Tiriolo von anderen Autoren bestätigt; der erste davon ist der Historiker und Kapuziner Giovanni Fiore, der in seiner „Calabria Illustrata“ (Abb. 5) Tiriolo als sehr alte Ansiedlung definiert. Zur Bestätigung des antiken Ursprungs spricht er nicht nur von „zerfallenen Mauern, aus denen man viele Schätze antiker Münzen herausgrub“, sondern er bezieht sich klar und deutlich auf „viele Grabstätten vorzeitlicher Riesen, die täglich hervorkamen.“
Dem Padre Fiore muss Glaube geschenkt werden, denn er ist nicht nur ein Historiker des Ortes, sondern er lebte auch in der gleichen Zeit, in der die erwähnten Funde gemacht wurden. Er wurde 1622 in Cropani geboren und starb dort 1686; außer seiner Tätigkeit für die Konvente in Kalabrien war er der Hausvater der Kapuziner in Catanzaro. Ihm gingen alle Berichte der verschiedenen Funde von Riesenskeletten direkt zu. Auch in Tiriolo gab es Konvente, die Entfernung der beiden Orte ist gering, deshalb kann ohne weiteres angenommen werden, dass ihm solche Neuigkeiten von den örtlichen Brüdern zugetragen wurden.
Was hier jedoch mehr präzisiert werden sollte, ist die Tatsache, dass der Kapuziner-Historiker von „vielen Grabstätten“ sprach, für den in Crotone lebenden Kapuziner folglich ein einmaliges Ereignis , für Padre Fiore dagegen, der näher am Ort des Fundes und besser informiert war, ein Ereignis, das sich mehrere Male wiederholte. Mit anderen Worten viele Grabstätten mit Skeletten riesenhafter Proportionen wurden in Tiriolo gefunden, was vermuten lässt, dass es sich um eine altertümliche Nekropolis handelte, die per Zufall nach und nach ans Licht kam, denn zu jener Zeit gab es keine archäologischen Ausgrabungen. …
Aber der Padre Fiore war nicht der Einzige, der von riesenhaften Skeletten sprach, sie werden auch in einer kleinen Chronik unter dem Titel „Kurze Beschreibung des Gebietes von Tiriolo“ erwähnt, die von einem zeitgenössischen Autor der Gegend, dem Priester Giovambattista Ursano herausgegeben wurde.
Aufgrund der Bedeutung dieser Chronik sollte darüber ein Wort gesagt werden. Sie besteht aus acht handgeschriebenen Seiten und datiert auf das Jahr 1688, das Orignal existiert nicht mehr. Ihre Authentizität kann nicht bezweifelt werden, sie wurde von Personen des Ortes, die an den heimischen Ereignissen interessiert waren, von Generation zu Generation weitergegeben. Der Franzose [2] Craufurd Tait Ramage hatte sie 1829 in den Händen als er Tiriolo besuchte.
Er schrieb darüber in seinem Buch „Reise ins Reich der beiden Sizilien“, dass während er an dem Ort war, „ein Herr die Freundlichkeit hatte, ihm ein Manuskript über die Geschichte von Tiriolo zu zeigen, das Auskunft über all die Antiquitäten gab, die in der Umgebung gefunden wurden. Das Manuskript war das Werk eines Pfarrers und war ein Beispiel an Fleiß…“ Wenn wir auch in dieser kleinen Chronik nicht alles erwarten können, so erweist sie sich doch als wertvoll, wenn sie über die „entdeckten Antiquitäten der Umgebung“ spricht, da sie von einem Zeitgenossen geschrieben wurde.
Als Giovambattista Ursano 1660 in seiner Chronik über den Fund des „Senatus Consultum de Baccanalibus“ bei Ausgrabungen für das Fundament des Palazzo Cigala in Tiriolo schreibt, erwähnt er, dass „ein Waffenarsenal zahlreicher verrosteter Eisen verschiedener Arten und in der Nähe eine großartige Grabstätte gefunden wurden; zwischen verbrannten Knochen war ein übergroßer Schädel eines Menschen mit Spießen und Speeren und Gläser gefüllt mit Wachs. In diesen Gläsern, die nach Neapel geschickt wurden, entdeckte man, dass das Wachs gegen verschiedene Krankheiten half, wie Herr Francesco Conelio, ein ausgezeichneter Arzt im Journal der Gelehrten sagte…“ Es ist hervorzuheben, dass auch Ursano bestätigt, dass in Tiriolo 1640, d.h. 23 Jahre vor dem Fund, über den Cappucci berichtet, eine großartige Grabstätte gefunden wurden, in der verbrannte Knochen mit „einem übergroßen Schädel eines Menschen“ waren. ….
Elia D´Amato bekräftigt in seiner „Pantapologia Calabra“, veröffentlicht 1725, obwohl ihm Ursano unbekannt war, was dieser sagt, als er schreibt, dass Tiriolo „gigantum relliquiis frustulisque per colonos effossis antiquitate celebre“, dass also die kleine Stadt bekannt sei für Reliquien und die Reste von riesenhaften Menschen, ausgegraben von seinen Mitbürgern, und für ihr Alter bekannt sei.
Tommaso Aceti, der die Wiederauflage des geschichtlichen Werkes von Barrio „De qntiquitate et situ Calabriae“ überarbeitete, bestätigte in einer von vielen Anmerkungen folgendes: "hic quoque passim in ruderibus inveniuntur monumenta atque ossa gigantum". Um die Glaubwürdigkeit dessen, was Cappucci schrieb und was die Historiker und Chronisten in verschiedener Weise bestätigen, zu unterstreichen, ist festzustellen, dass der Fund von Grabstätten mit Skeletten und menschlichen Knochen im Gebiet von Tiriolo kein Einzelfall war, sondern eine Tatsache, die sich in den folgenden Jahrhunderten wiederholte.
Der Abt Dr. Francesco Sacco schreibt in seinem „Dizionario Geografico-Istorico-Fisico del Regno di Napoli“ (Abb. 6), das 1796 veröffentlicht wurde, unter Tiriolo, dass „…dieser Boden uralt ist, denn dies wird durch viele antike Grabstätten, die täglich hervortreten, gezeigt“; dieses „täglich“ ist zu unterstreichen, denn es bedeutet, dass auch im 18. Jahrhundert bei mehreren Gelegenheit Grabstätten und Skelette ans Licht kamen.
Und auch die beiden Paläontologen [Giuseppe] Foderaro und [Domenico] Lovisato stießen bei ihren Untersuchungen und Grabungen oft auf Grabstätten, die menschlichen Reste enthielten. … Foderaro war Straßen- und Brückenbauingenieur, aber seine Leidenschaft galt der Archäologie. In zahlreichen Grabungen in der Provinz Catanzaro förderte er eine große Sammlung von Steinzeitobjekten wie Äxte, Hämmer, Keile zutage und auch aus der Metallzeit Dinge wie Messer, Lanzen, Fibeln, Ringe, Schmuckketten. Diese wertvollen Gegenstände überließ er in seinem Testament dem Provinzialmuseum von Catanzaro, wo sie sich jetzt befinden.
In dieser bedeutenden Sammlung wurden viele Gegenstände der Stein- und Metallzeit in Tiriolo (Campo Monaci und Donnopietro) zusammen mit Knochen und Skeletten in einigen Gräbern gefunden… Auch Lovisato erforschte zahlreiche Höhlen, um Spuren prähistorischer Menschen zu finden und sammelte in unserer Gegend Objekte der Stein- und Metallzeit, die er dem Nazionalmuseum in Neapel vermachte. Um 1878 erforschte er die Höhle des Berges von Tiriolo und einige andere Orte dort; auch er fand Spuren von Gräbern und menschlichen Knochen.
Abb. 7 Ein Panorama der Gemeinde Tiriolo
Der Ruf von Tiriolo bezüglich der diversen Funde von riesenhaften Skeletten dauerte auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Der Engländer [3] Norman Douglas, der die Region zweimal besuchte, schrieb in seinem 1915 veröffentlichten Buch „Vecchia Calabria“ (Old Calabria): „Ich besuchte wieder Tiriolo, einst berühmt für die Grabstätten von Riesen (griechische Gräber), und in jüngerer Zeit für antike Funde von großem Wert“.
Es könnten noch weitere Funde und Autoren angeführt werden…. Aber ein Ereignis sollte auf jeden Fall noch erwähnt werden. Von dem damaligen Bürgermeister Tommaso Paone und den Arbeitern Antonio Grande, Domenico Corapi, Leopoldo Martino und Antonio Puccio wurde folgende Geschichte bekannt: Im Dezember 1967 wurden im Ortsteil Imbarro von Tiriolo Straßenarbeiten durchgeführt. Beim Erdaushub stießen die Arbeiter in ein unterirdisches Loch, das einem Ofen ähnelte, in dem Raum lag ein überdurchschnittlich großes Skelett auf dem Rücken. Ein Bei des Skeletts war an einer Eisenkette, die aus dicken Ringen gefertigt war, befestigt. Diese Kette, die die Forscher jener Zeit aus der Nähe untersuchen konnten, wurde im Rathaus von Tiriolo ausgestellt und für jedermann zugänglich.
Im restlichen Teil von Gli scheletri dei giganti di Tiriolo befasst sich der Artikel mit Überlegungen zum Grad des Wahrheitsgehaltes der dargebotenen Informationen, möglichem Alter der Fossilien, der Art des gefundenen Harzes, Fragen, die jedoch nicht beantwortet werden können.
Auf Tiriolo Cz: Lo scheletro del Gigante del Corace – Calabria Misteriosa, der Webseite einer lokalen Tourismusorganisation, erhalten wir zusätzlich noch folgenden Informationen: „Es ist tatsächlich so, auch Kalabrien hat seine Geheimnisse, und es ist an mir, den Reisenden des 21. Jahrhunderts in das Geheimnis, das sich mit Tiriolo verbindet, einzuweihen.
In unserem Kalabrien gibt es am nördlichen Hang der Hügel, genauer gesagt in den Gebieten von Tozzina und Santa Catarina eine wahrhaftige Nekropolis mit einem Alter von 5.000 bis 6.000 Jahren, folglich aus einer Zeit vor der Ankunft der Griechen (etwa 800 v.Chr.). Von dieser Nekropolis berichtet Don Emilio Prioglio, der Eigentümer eines Teils von Tozzina.
Die Angelegenheit, die übertrieben erschien, aber dennoch in einem Bericht an die Altertumsoberaufsicht der Region Kalabrien (gerichtet an De Franciscis) publik gemacht wurde, besagte, dass besagter Prioglio von >Gräbern von Riesen< sprach. >Ein Schienbein, das in einem dieser Gräber gefunden wurde<, sagte Don Emilio, >reichte mir sogar bis zur Mitte des Oberschenkels<, war demnach also von ungewöhnlicher Länge, besonders unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Emilio Prioglio, ein Piemontese, groß war.
Ein Arbeiter, Peppino Paparo, sagte, dass ein Skelett tatsächlich etwa 2,60 m lang war. Es wurde ganzer Schädel mit kompletten Ober- und Unterkiefer gefunden, in denen alle Zähne waren, und sie erschienen sehr groß.
Der Schädel wurde Dr. Ferrari, dem örtlichen Arzt, gezeigt, der sich nach Tozzina begab und alles, was im Grab war, filmte. Die Kiefer wurden Dank Dario Leone di Nicastro, einem Anthropologen, zuerst an die Altertums-Oberaufsicht von Reggio, an Prof. Tiné, geschickt; von dort wurden sie an das Institut für menschliche Paläontologie in Rom, Via Giulio Caccini, und schließlich von dort zu weiteren Untersuchungen nach Florenz – Institut für Anthropologie – weitergeleitet, wo sie Prof. Massari anvertraut wurden.
All das geschah in Tiriolo, Agrarzentrum des Sila Piccola, nördlich der Landenge von Catanzaro auf einem Hügel, einer Wasserscheide zwischen den Flüssen Amato, zum tyrrhenischen Hang hin, und Corace, hin zum ionischen Hang. Der nordöstliche Teil der Siedlung liegt an den Felswänden eines Kalkfelsens."
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Anmerkungen und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Anmerkung: Die Maßeinheit Palmo hatte in Italien unterschiedliche Längen zwischen 22 und 29 cm, in Neapel war ein Palmo 263,64 mm, demnach hätte das Skelett eine Größe von 3,95 m gehabt). Es ist auch anzunehmen, dass der Brief nicht von Malpighi stammte, sondern von Cappucci an ihn geschickt wurde, wie aus dem folgenden Text hervorgeht.
- ↑ Red. Anmerkung: Craufurd Tait Ramage (1803–1878) war keineswegs Franzose, sondern vielmehr Schotte!
- ↑ Red. Anmerkung: Tatsächlich war auch Norman Douglas (1868-1952) kein Engländer, sondern ebenfalls Schotte.
Bild-Quellen:
- 1) Luciana Loprete, Gli scheletri dei giganti di Tiriolo
- 2) Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: Tiriolo
- 3) Luciana Loprete, op. cit.
- 4) Luciana Loprete, op. cit.
- 5) Bildarchiv Atlantisforschung.de
- 6) Bildarchiv Atlantisforschung.de
- 7) I giganti di Calabria, bei: silaro.net