II. Fawcett, der Okkultismus, die Indianer und Atlantis
Colonel P.H. Fawcett, "Manoa" und Atlanter in Brasilien, Teil II
(bb) In der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts wandte sich Fawcetts Interesse mehr und mehr okkulten Fragen und Phänomenen zu. Schon seit längerem bewegte ihn zudem die Vorstellung, in den Dschungeln und Gebirgen Südamerikas seien Spuren der alten Zivilisation von Atlantis bzw. von Überlebenden des Untergangs dieses Reiches zu finden. Ein konkretes Indiz für diese Hypothese glaubte der Forscher bereits in Händen zu halten. Der Autor Larry Orcutt, der sich eingehend mit Leben und Wirken des Colonels beschäftigt hat, bemerkt dazu: "In Fawcetts Besitz befand sich ein Idol aus schwarzem Basaltgestein, das ihm kein anderer als Sir H. Rider Haggard gegeben hatte.
Er schrieb, >Ich kann mir nur einen Weg vorstellen, hinter das Geheimnis des Steinabbildes zu kommen, und das wäre mit den Mitteln der Psychometrie - einer Methode, die bei vielen Leuten Verachtung erwecken mag, aber weithin von anderen akzeptiert wird, denen es gelungen ist, ihren Geist vorurteilsfrei zu erhalten.<" [1] Die seltsame Steinfigur soll angeblich elektrischen Strom produziert haben, den man als Kribbeln im Arm spürte, wenn man sie in der Hand hielt. Fawcett nahm später tatsächlich die Hilfe eines Mediums in Anspruch, um hinter das Geheimnis dieses Objekts zu kommen:
"Der Psychotometriker, der das Idol in der Dunkelheit hielt, berichtete Fawcett von >einem großen unregelmäßig geformten Kontinent, der sich von der Nordküste Afrikas bis hinüber nach Südamerika erstreckte ... Dann sehe ich Vulkane mit gewaltigen Eruptionen, feurige Lava strömt ihre Flanken hinab, und das ganze Land erbebt mit mächtigem grollenden Klang... Die Stimme sagt: >Der Richtspruch über Atlanta wird das Los all derer sein, die sich göttliche Macht anmaßen!< Ich kann kein definitives Datum für die Katastrophe angeben, aber sie war lange vor dem Aufstieg Ägyptens, und ist vergessen worden - außer, vielleicht, in den Mythen.< Fawcett erklärte, dass >die Verbindung von Atlantis mit Teilen des heutigen Brasilien nicht voll Geringschätzung abgelehnt werden sollte, und, glauben Sie es ruhig - mit oder ohne wissenschaftliche Bestätigung -, Erklärungen für viele Probleme erlaubt, die ansonsten ungelöste Rätsel bleiben." [2]
Das versunkene Atlantis und seine vermuteten Tochterstädte auf dem südamerikanischen Kontinent ließen Fawcett nun nicht mehr los, wobei er seine "Informationen" offenbar auch weiterhin vor allem aus okkulten Quellen bezog. Dabei zeigte er sich ebenfalls als kritischer Beobachter, der keineswegs 'blind' irgendwelchen esoterischen Einflüsterungen folgte. Dies deuten auch die Aufzeichnungen von Margaret Lumley Brown an, die den Colonel aufgrund ihres gemeinsames Interesse an Atlantis kennengelernt hatte. Einen Teil ihrer Korrespondenz mit Fawcett gab sie in ihrem Buch "Both Sides of the Door: A Psychological Sketch" wieder, das sie 1918 unter dem Pseudonym "Irene Hay" veröffentlichte. Darauf ging Fawcett in einem Brief ein, der auf den 9. September 1924 datiert ist:
"Ihre Anfrage legt nahe, dass Sie Kommunikation erfahren haben, die vermutlich atlantischer Natur ist. So etwas ist nicht unmöglich, da Atlantis gerade jetzt sehr 'in der Luft' liegt. Solche Kommunikation könnte sicherlich durch Sensitive erfolgen; dabei werden sozusagen freigesetzte Wellen von Informationen aufgefangen, oder ein wohldurchdachter Plan wird entwickelt. Bekommen sie zufälligerweise irgendwelche seltsamen Buchstaben? Ich kenne schon eine ganze Menge davon, obgleich ich mir nur der Bedeutung von wenigen bewusst bin.
Solche Evidenzen wären sehr interessant, weitaus mehr als die üblichen Statements. Sollten sie keine haben, versuchen Sie, sie zu bekommen... Der Versuch, durch eine okkulte Gemeinschaft Verbindung zu bekommen, hängt völlig von der Hierarchie der letztgenannten ab und ist sehr unwahrscheinlich. Sie können ohne irgendwelche anderen Beweise niemals ganz sicher sein, dass Sie nicht irregeführt werden. Wie auch immer, es mag vorkommen, falls die Umstände entsprechend sind und damit einem Zweck gedient wird - vermutlich aber nicht aufgrund von reiner Neugier [...]
Medien ["Psychics"] mögen sehr authentische Informationen liefern, aber sie müssen sorgfältig gesichtet werden, da es so viele Gegenströmungen gibt, vor allem, wenn sie nicht in Trance sind, eine Zeit, über die sie natürlich nichts wissen. In der Tat ist sie Gegenstand von Akzeleration [Beschleunigung; d.Ü.] und Verzögerung durch Gesetzmäßigkeiten, von denen sie nichts verstehen. Ich werde vermutlich bald in London sein und falls Sie in in Verbindung mit igendetwas Atlantischem stehen, bin ich möglicherweise in der Lage Ihnen zu helfen." [3]
In einem anderen Brief an Lumley Brown vom 12. Oktober 1924 schrieb er: "Zweifellos hat sich die atlantische Kleidung recht stark verändert, wie es auch die Nationaltrachten Europas tun und sich häufig [...] geändert haben. Während der Zeit, die man post-katastrophische Periode nennen könnte, trugen die Männer eine Art kurzer [...] Knickerbockers, Sandalen, einen Hut, ganz ähnlich einer Biretta und waren von der Taille aufwärts nackt. Natürlich gestattete dies das Klima. Das Haar war ein langer dicker Schopf und reichte bis zu den Schultern.
Frauen trugen eine Robe ähnlich dem griechischen Stil, die von den Schultern herabhing, Sandalen, sehr langes Haar, das von einer Filette - für gewöhnlich aus Gold - zusammengehalten wurde und ein Halsband von quadratisch geschnittenen Steinen unterschiedlicher Art, aber üblicherweise blau bei den oberen Klassen - ein Stein, von dem ich bezweifle, das wir ihn heute kennen. Es könnte aber auch blauer Diamant gewesen sein (der nicht so selten war), da er äußerst feurig war. Relikte dieser Menschen existieren noch heute und Statuen und einige gut erhaltene Reliefs zeigen sehr deutlich diese Bekleidung. Die Farbe der Kleider war beige, gelb oder weiß und die Textur war extrem seidig. Es war jedoch wder Baumwolle noch Seide von der Seidenraupe." [4] Leider läßt Fawcett uns nicht wissen, wo die genannten Statuen und Reliefs zu finden sind - diese Relikte wären, wenn es sie denn gäbe, mit Sicherheit für einen jahrzehntelangen Gelehrtenstreit gut.
Wesentliche Eindrücke und Informationen (oder auch Fehlinformationen), die seine alternativ-historische Vorstellungen zu postatlantischen Kulturen und Kolonien im heutigen Lateinamerika prägten, erhielt der Colonel allerdings nicht auf übersinnlichem Wege, sondern über seinen 'guten Draht' zu den Indianern. Tatsächlich war Percy Harrison Fawcett nämlich keineswegs der klischeehaft bornierte, rassistische und gefühlskalte Kolonaloffizier, für den oberflächliche Betrachter ihn vielleicht halten mögen.
So berichtet er z.B. voller Abscheu über Vernichtungsaktionen der Weißen und Mestizen von den Kautschuk-Plantagen gegen die 'lästigen Wilden' in den Wäldern: "Unverzüglich fand ein Überfall statt und jene [Indianer], die man nicht tötete, wurden [als Sklaven] zum Beni [ein Sumpfgebiet; d. Ü.] fortgeschafft. Eine Frau, die ein neugeborenes Kind trug, wurde in den Knöchel geschossen und, weil sie nicht gehen konnte, zum Fluss geschleift, wo sie im Wasser hinter der Barkasse an ein Floß gebunden wurde.
Als die Gesellschaft in der Barkasse dessen müde war, schnitt man sie los, auf das sie abtriebe und das Ufer erreiche, sofern sie das irgendwie vermochte. Die Betreiber dieses gräßlichen Geschäfts brüsteten sich öffentlich ihrer Taten - voller Stolz über ihren 'Sieg'! Sie erzählten, wie Kinder bei den Beinen genommen und gegen Bäume geschlagen wurden, um sie zu töten. Es besteht kein Zweifel an diesen Scheußlichkeiten, und es ist meinerseits keine Übertreibung." [5]
Man spürt in diesen Zeilen förmlich die persönliche Anteilnahme und fassungslose Wut Fawcetts angesichts solcher Bestialität. Schließlich hatte er auf seinen Reisen lange genug unter Indianern gelebt, um eine direkte Beziehung zu ihnen und ihrer Kultur aufzubauen. Besonders die Tapuya, einer der mysteriösen "weißen" Stämme Brasiliens, hatten es ihm angetan. In ihnen sah er späte Nachfahren der alten Atlanter: "Die Tapuya sind hellhäutig wie Engländer. Sie haben kleine und zierliche Hände und Füße. Man findet sie im Osten Brasiliens. Ihre Gestalt ist von großer Schönheit und sie haben weißes, goldenes und rotbraunes Haar. Ihre Kenntnisse in der Bearbeitung von Gold und dem Schneiden von Gemmen sind auf einem hohen Standard. Sie trugen Diamanten und Jade-Ornamente." [6]
Irgendwo da draußen - davon war der Colonel überzeugt -, verborgen im üppig wuchernden Regenwald (Abb. 7), mussten sie liegen: Die Ruinen der Städte, welche die Ahnen der Tapuya (entweder vor oder nach dem Untergang von Atlantis) im heutigen Brasilien errichtet hatten. In Rio de Janeiro hatte er ein altes Dokument aus dem Jahr 1753 aufgestöbert, in dem es um eine "verborgene und großartige altertümliche Stadt ohne Bewohner" ging, die damals im Amazonasgebiet in einer Gegend namens Serra do Roncador, am Rio Xingu im Nordosten Brasiliens, entdeckt worden sein soll.
"Fawcett hörte von dieser bestimmten alten Megalith-Stadt auch durch einen Häuptling oder Kaziken der Nhambiquaras, der sagte, die Stadt läge in der nähe des Rio Xingu auf einer Ebene, umgeben von dichtem Dschungel und umschlossen von blauen Bergen. In der Stadt gäbe es Wassergräben, Statuen, Chausseen und gepflasterte Straßen. Ein wilder Indianer-Stamm, als Suya [7] bekannt, bewache sie.
Sichtungen riesiger unbekannter Tiere, die an Dinosaurier erinnerten, wurden in den nahegelegenen Seen gemacht, und über einen Riesenaffen von zwölf Fuß Höhe mit menschenähnlichen Händen wurde ebenfalls berichtet. Der Häuptling gab Fawcett einen kleinen und uralten Stein aus dieser Region, mit dem gravierten Bild eines Mannes, der scheinbar eine römische Toga und Sandalen trug." [8]
Und dann waren da noch diese Berichte über mysteriöse, kalte Lichtquellen in verfallenen Bauten, mitten im Dschungel der Mato Grosso-Region von Cuyaba. Von ihnen erzählten die Indianer, sie "hatten ununterbrochen und ohne Beaufsichtigung viele Generationen lang in den Ruinen der toten Städte geleuchtet. Man sagte, dass auch Fawcett selber diese Lichter gesehen habe. Es wird angenommen, dass diese ewige Energie kalten Lichts auch in alten römischen und ägyptischen Grabmalen und in Gegenden von Tibet und Indien gefunden wurde. Die Produktion solch einen ewigen kalten Lichts liegt jenseits unserer Technologie und bleibt für die moderne Wissenschaft ein Rätsel." [9]
Dem rastlosen Fawcett, der all diesen Rätseln auf die Spur kommen wollte, war klar, dass er dabei nicht auf seine alten Auftraggeber von der Royal Geographical Society zählen konnte. Doch obwohl er kein ausgesprochen armer Mann war, überstiegen die Kosten für eine weitere Expedition zum Mato Grosso doch eindeutig seine Möglichkeiten. So vergingen nach seiner erfolglosen Expedition von 1921 wiederum fast vier lange Jahre, in denen er 'festsaß' und Pläne schmieden, aber nicht umsetzen konnte.
Fortsetzung:
Anmerkungen und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Quelle: Larry Orcutt, "The Continuing Chronicles of Colonel Fawcett - Factual and Fabulous", online unter: http://home.earthlink.net/~larryorcutt/fawcett.html
- ↑ Quelle: P.H. Fawcett, "Lost Trails, Lost Cities", S. 15-17, nach L. Orcutt (op. cit.)
- ↑ Quelle: L. Orcutt (op. cit.)
- ↑ Quelle: ebd.
- ↑ Quelle: Anonymus, "Spider Cañon", unter http://www.spidercanyon.com/backiss/books4.html (nicht mehr online)
- ↑ Quelle: Susan C. Millar, In Search of Manoa - Colonel Percy Fawcett, online unter http://www.stangrist.com/Fawcett.htm
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Anmerkung: Als "Suyá" verden vermutl. alle Stämme Ostbrasiliens bezeichnet, denen die gleichnamige Sprache gemeinsam ist. Foto: Aufnahme eines Suyá-Indianers (vermutl. aus dem Großraum des Rio-Xingu) mit dem für diverse indigene Völkerschaften Brasiliens charakteristischen Unterlippen-Schmuck. (Bild-Quelle: Lengua Suyá) - ↑ Quelle: ebd.
- ↑ Quelle: ebd.
Bild-Quellen: