Die Anlage der Schächte in der Cheops-Pyramide

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von unserem Gastautor Robert Bauval

Abb. 1 Robert Bauval ist überzeugt: Bei der Planung und Konzeption der soge- nannten "Cheops-Pyrami- de" auf dem Gizeh-Plateau müssen grundlegende Kenntnisse der Geometrie und der beobachtenden Astronomie mit eingeflos- sen sein. (Grafik: tolos.de)

Es ist eine unter Fachleuten anerkannte Tatsache, dass in den Entwurf der Cheops-Pyramide (Abb. 1) - ebenso wie in den anderer Pyramiden, wenngleich in geringerem Masse – grundlegende Kenntnisse der Geometrie und der beobachtenden Astronomie eingegangen sind. Die rein geometrische Form des Bauwerks, seine Proportionen und seine exakte Orientierung an den Himmelsrichtungen schließen jeden Zweifel aus. Viele Kenner, die sich mit dieser Pyramide beschäftigt haben, stimmen darin überein, dass die Wahl der Proportionen und der Winkel sehr harmonisch ist. Und was die Orien- tierung des Bauwerks angeht, so ist man sich darüber allgemein einig, dass bestimmte Sterne anvisiert wurden, eine Methode, die man auch bei der Aus- richtung bestimmter Bauteile im Innern angewendet hat.

Vor allem jedoch kam diesem monumentalen Bauwerk eine zutiefst religiöse Bedeutung zu, da sein kultischer Hauptzweck darin bestand, die Auffahrt des toten Königs in den Himmel zu erleichtern. Mit anderen Worten, die Pyrami- de war ein Grab, dessen Funktion wir in Ermangelung einer geeigneten Ter- minologie als "astrologisch" bezeichnen wollen. Diese weithin geteilte Ansicht findet ihre Bestätigung unter anderem in den Pyramidentexten. Den religiö- sen Vorstellungen und Riten der Pyramidenzeit zufolge wurde der König nach seinem Tod ein Stern, und seine Astralseele wanderte zu den südlichen Sternen im Sternbild des Orion und zum Sirius sowie zu den nördli- chen Sternen der drei zirkumpolaren Sternbilder Ursa Major (Grosser Bär), Ursa Minor (Kleiner Bär) und Draco (Drachen). Die oberste Aufgabe des alten Baumeisters bestand darin, diese Elemente der Him- melsreligion in den Entwurf des Bauwerks aufzunehmen. Letzten Endes diente die Pyramide dem Zweck, die Wiedergeburt des toten Königs zu begünstigen.

Um dieses Ziel zu erreichen, legte der Baumeister seinem Entwurf einfache geometrische Prinzipien zugrunde und benutzte rechte und halbierte Winkel, die er aufgrund einfacher mathematischer Verhältnisse bestimmte. Dennoch darf uns dies nicht zu der Annahme verleiten, elementare Mathematik sei ein wesentlicher Aspekt des Pyramidenkults gewesen; sie war lediglich ein Werkzeug, wenn auch vermutlich ein heiliges Werkzeug, mit dessen Hilfe der Priester-Baumeister sein Vorhaben ins Werk setzen konnte


Mathematische Astronomie oder astronomische Mathematik?

Abb. 2 Wollten die Bau- meister der Cheops-Pyra- mide die Grundsätze der heiligen Mathematik zum Ausdruck zu bringen, oder sollte die Pyramide mit den Mitteln der Mathematik so gestaltet werden, dass in ihr ein Kult vollzogen wer- den konnte, nämlich die Vorbereitung der Auffahrt des toten Königs zu den Sternen? (Grafik: ZDF)

Zunächst müssen wir uns fragen, worin der Auftrag des Baumeisters genau bestand: Sollte er ein Bauwerk entwerfen, um Grundsätze der heiligen Ma- thematik zum Ausdruck zu bringen, oder sollte er mit den Mitteln der Mathe- matik die Pyramide so gestalten, dass in ihr ein Kult vollzogen werden konn- te, nämlich die Vorbereitung der Auffahrt des toten Königs zu den Sternen?

Vielleicht lässt sich diese Frage besser beantworten, wenn wir eine Analogie aus neuerer Zeit heranziehen. Im hohen Mittelalter (und manchmal auch heute noch) wurden Kirchen mit einem kreuzförmigen Grundriss angelegt und im allgemeinen nach Osten ausgerichtet. Der Haupteingang lag an der Westseite, am Fuß des Kreuzes, was bedeutete, dass die Gläubigen, welche die Kirche betraten, sich in östlicher Richtung bewegten, wie Christus bei seiner Auferstehung; Kirchen sind religiöse Monumente, die den Riten der christli- chen Religion dienen, Und diesen Erfordernissen mussten und müssen die Baumeister entsprechen. Dazu bedienen sie sich der Geometrie und der Ma- thematik, um auf symbolische Art die liturgische Funktion des Kults zum Ausdruck zu bringen. Auch die einzelnen Bauelemente der Kirche besitzen von jeher eine tiefe symbolische Bedeutung: Die Kirchenkuppel stellt das Himmelsgewölbe dar, der Altar sym- bolisiert den Kopf des Kreuzes Christi.

Wenn also eine solche Kirche (beispielsweise die Kathedrale von Chartres) Jahrhunderte später von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete untersucht wird, so lassen sich ihrer Anlage und Ausführung zweifellos Elemente der «heiligen» Mathematik und der beobachtenden Astronomie entnehmen. Dennoch wäre die Annahme irreführend, der Baumeister habe hauptsächlich den Zweck verfolgt, mit seinem Bauwerk Grundsätze der Mathematik oder der Astronomie zum Ausdruck zu bringen. Die zutreffende Schlussfolgerung müsste lauten, dass der Architekt sich der symbolischen Mathematik oder der beobachtenden Astronomie le- diglich als eines Mittels bediente, um die liturgische Funktion des Gebäudes auszudrücken.

Dasselbe gilt für die Cheops-Pyramide. Auch hier sind die Prinzipien der geheiligten Geometrie und der beob- achtenden Astronomie lediglich Werkzeuge in der Hand des Architekten und sagen nichts über den Zweck und die Funktion des Monuments aus. Die Aufgabe des Forschers besteht darin, die symbolische Bedeutung eines solchen Entwurfs und seine Verbindung mit der Liturgie des Kults herauszufinden. Diesem Prinzip folgt auch die Untersuchung der vier Schächte der Großen Pyramide.


Ein Bauauftrag auf der Basis einer religiösen Zielsetzung

Abb. 3 Die religiösen Ri- ten, die nach dem Tod eines Pharao vollzogen wurden, hat man auch als Osiris-Riten bezeichnet, da der tote König zu einem Osiris wurde und zum himmlischen Reich dieses Gottes, in das Sternbild des Orion, aufstieg.

Wir wissen aus den Pyramidentexten, dass die Sterne des Nordens ebenso wie die des Südens eine wesentliche Rolle bei den Wiedergeburtsritualen gespielt haben und unmittelbaren Bezug zum Sternenschicksal des verstorbenen Kö- nigs hatten. Nach den bisherigen Untersuchungen ging es dabei um folgende Sternbilder:

a) Der nördliche meridionale Bezirk: die Sterne von Ursa Major, Ursa Minor und Draco. Während der Pyramidenzeit (um 2500 v. Chr.) war der hellste Stern im Sternbild des Drachen, Alpha Draconis, zugleich der Polarstern.

b) Der südliche meridionale Bezirk: die Sternbilder Orion und Canis Major oder Großer Hund (zu dem auch der Sirius gehörte). Hierzu zählte außerdem das Sternbild des Taurus (Stier) samt den Hyaden, das ebenfalls von kulti- scher Bedeutung war.

Die religiösen Riten, die nach dem Tod des Königs vollzogen wurden, waren im wesentlichen die einer Wiedergeburt. Manche haben sie als Osiris-Riten bezeichnet, da der tote König zu einem Osiris (Abb. 3) wurde und zum himmlischen Reich dieses Gottes, in das Sternbild des Orion, aufstieg. Zuvor mussten jedoch verschiedene Kulthandlungen vorgenommen werden. Die wichtigste von ihnen war die sogenannte Mundöffnung, bei der der «Horus» und «seine vier Söhne» dem verstorbenen König mit zeremoniellen Schneid- werkzeugen den Mund öffneten, um ihm die Wiedergeburt zu ermöglichen. Auch diese Zeremonie hatte einen starken Bezug zu den Sternen, diesmal Öl jedoch zu denen im Umkreis das Polarsterns. Nach gängiger Meinung waren die beiden zur Mundöffnung verwendeten Instrumente nach dem Bild von Ursa Minor oder Ursa Major geformt. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Rituals war die symbolische Geburt eines neuen Horus (des neuen Königs), der ebenfalls einen Bezug zu den Sternen hatte, wie sich aus den Pyramidentexten («Horus, der in der Sothis (Sirius) ist» [PT 632 d] ergibt.

Wir dürfen somit den Schluss ziehen, dass der Baumeister der Cheops-Pyramide den Auftrag hatte, bei der Anlage der Wiedergeburtskammern bauliche Elemente vorzusehen, die das wichtige Ritual der Mundöffnung ebenso ermöglichten wie die Geburt des «Horus, der in der Sothis (Sirius) ist», und schließlich die Auffahrt der Seele in das himmlische Reich des Osiris/Orion. Ich habe an anderer Stelle dargelegt, dass die beiden südli- chen Schächte der Pyramide auf den Oriongürtel und Mal den Sirius, mythologisch gesprochen also auf Osiris und Isis, ausgerichtet wurden. Die beiden nördlichen Schächte waren auf den Polarstern Alpha Draconis und den Kopf von Ursa Minor, die himmlische Dechsel des Horus orientiert, die auch die «Dechsel des UPUAUT» genannt wird. Unter Berücksichtigung der Präzession der Erdachse lässt sich errechnen, dass die erwähnten Orientierungen der vier Schächte auf vier verschiedene Sterne mit einem Fehlerspielraum von +25 Jahren al- lesamt für den Sternenhimmel des Jahres 2450 v.Chr. gelten.


Werkzeuge und Techniken des Bauentwurfs

Wenn wir die Techniken des Bauentwurfs erörtern, müssen wir auch den umfassenderen historischen Kontext berücksichtigen. Zu jener Zeit (um 2450 v.Chr.) waren die beiden Pyramiden von Dahschur und die in Meidum im Auftrag von König Snofru, dem Vater von Cheops, bereits fertiggestellt. Dabei wurden offenbar bereits gewisse Erfahrungen beim Pyramidenbau gesammelt. Wenn wir davon ausgehen dass der Baumeister der Cheops-Pyramide sich beim Entwurf und der Anlage seines Bauwerks grundlegender geome- trischer und astronomischer Kenntnisse bediente, dann können wir annehmen, dass diese Kenntnisse auch in den Bau der Pyramiden von Dahschur und Medum eingegangen sind und dass der Architekt überdies eine in- nere Vorstellung von der Totenstadt Gizeh insgesamt gehabt hat. Alle diese Elemente mussten in einem ein- heitlichen Gesamtplan im Hinblick auf den Bau und die Anlage der Pyramiden in Dahschur und Gizeh und letztlich auf den Bau der Cheops-Pyramide zusammengefasst werden.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Robert Bauval © wurde erstmalig auf den Webseiten "GIZEH UND ORION" unter http://www.science-explorer.de/gizeh_orion.htm veröffentlicht. Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer redaktionell bearbeiteten und illustrierten Neufassung.


Bild-Quellen

(1) http://www.tolos.de/CHEOPS.gif

(2) http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/9/0,1872,2021961,00.html

(3) http://www.egiptologia.net/seshat/osiris.jpg