Streit um Spanuth: Die so genannten 'Atlantis-Gespräche'

Abb. 1 Schloss Gottorp in Schleswig. Hier fand am 26. Oktober eine skurrile Veranstaltung statt, die als >Atlantis-Gespräche< bekannt wurde, faktisch aber den Charakter eines Inquisitions-Triunals gegen J. Spanuth hatte.

(bb) Nachdem Spanuths Entdeckungen am >Steingrund< im Sommer 1953 (siehe dazu: Spanuths 'Steingrund'-Expeditionen und die Diskussion ihrer Ergebnisse) im Blätterwald der Tagespresse ein höchst kräftiges Rauschen verursacht, und auch einige Fachwissenschaftler (Röschmann, Stokar, Heinz und Rose) sich positiv dazu geäußert hatten, begann sich die akademische Opposition gegen den 'Laienforscher' zu formieren, und wieder war es der Kieler Geologe Karl Gripp, der die Meute anführte. So schrieb G. Gadow 1973: "Gripp galt von Anfang an als Wortführer dieser Gruppen und verstand sich auch selbst so." [1]

Gadow führte zu den Hintergründen weiter aus: "Die Kontroverse um diese Funde im besonderen und Spanuths Atlantistheorie im allgemeinen führte im Spätherbst 1953 zu den >Atlantisgesprächen<. Zuvor hatten Spanuths Kritiker gegen den norddeutschen Pastor einen >Gelehrtenkrieg< entfesselt, bei dem Gutachten und >Gutachten<, Erklärungen und Gegenerklärungen an bis zu 300 verschiedene Zeitungen versandt wurden. Die Öffentlichkeit nahm daher lebhaften Anteil an den Geschehnissen, als Spanuth am 26.10. 1953 zu einem Vortrag im Schleswiger Schloss Gottorp (Abb. 1) erschien." [2]

Spanuth selbst beschrieb die dort inszenierte Schmierenkomödie folgendermaßen: "Als ich am 26. Oktober 1953 um 10 Uhr zur verabredeten Zeit in Schleswig eintraf, wurde ich in den größten Saal des Schlosses Gottorp geführt. Ich sah, daß die Stühle der ersten Reihe für zahlreiche führende Persönlichkeiten des Landes Schleswig-Holstein (Ministerpräsident, Kulturminister, Rektor der Universität usw. usw.) reserviert worden waren. In der zweiten Reihe saß Herr Professor Gripp [...] und die Professoren Weyl, Diller, Otto, Hofmann, Schwantes, Sprockhoff, Jankuhn, Schott, Wetzel, die Dozenten oder Assistenten Schwabedissen, Kagelmann, Bantelmann, Schüttrumpf, Böhnecke.

Ich nahm an, daß man mich in den falschen Raum geführt habe; denn niemand hatte mich vom Aufmarsch dieser Herren unterrichtet. Daher verließ ich den Saal, um den Raum der >Arbeitsgemeinschaft für Landes- und Volkstumsforschung< aufzusuchen. Man erklärte mir aber, daß ich im richtigen Saal gewesen sei. Herr [...] Ingwersen [der Leiter der Veranstaltung, der Spanuth zu einem Vortrag eingeladen hatte; bb] eröffnete sichtlich betreten über seine Irreführung die Versammlung und erklärte, daß ich nicht, wie er mir geschrieben hatte, 1 bis 2 Stunden für meinen Vortrag Zeit hätte, sondern höchstens 10 bis 15 Minuten." [3]

Hier ging es ganz offensichtlich nicht um einen wissenschaftlichen Diskurs oder um die Diskussion von Argumenten, sondern Spanuth sollte offenbar coram publico 'demontiert' werden: "Ich bat, wenigstens alle Dias zeigen zu dürfen, weil sie das wichtigste und eindrucksvollste Beweismaterial darstellten. Da sprang [der Ordinarius für Geologie und Paläontologie an der Universität Kiel] Gripp auf und rief erregt: >Wir haben keine Zeit für diesen Blödsinn!<" [4]

Gadow zu damaligen Pressestimmen: "Andere reagierten weniger ironisch als vielmehr verärgert. So schrieb die SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE TAGESPOST am 30. 10. 53, das Schleswiger Rundgespräch, das eine >fatale Ähnlichkeit mit einer Gerichtssitzung ohne Verteidiger< gehabt habe, habe nicht >nachhaltig genug gewirkt, um zu überzeugen.< Auch die KIELER NACHRICHTEN vom 27. 10. 53 hoben die >auffallende Einmütigkeit< der im Schloss Gottorp versammelten Fachwissenschaftler hervor, >die ihre ganze Kraft< darauf verwendet hätten, Spanuth >offensichtlich herabzusetzen.<

Abb. 2 An der Universität Kiel machten bereits zu Beginn der 1950er Jahre Wissenschaftler unter Federführung von Prof. Karl Gripp Front gegen Spanuth und seine Forschungen; Bild: Wiedereröffnung der im Krieg ausgebombten Universität im November 1945 (Foto: Stadtarchiv Kiel)

Andere Zeitungen bezeichneten das Schleswiger >Atlantisgespräch< als >Schauprozeß< oder >Scherbengericht<. Die Wiener KLEINE ZEITUNG (vom 31. 10. 53) meinte sogar, in Schleswig hätten sich >Vertreter der Wissenschaft in ihrer unpopulärsten und unerfreulichsten Haltung gezeigt, nämlich als heftige Kritiker einer Entdeckung, die von einem Manne außerhalb ihrer Reihen gemacht wurde<. Den Wortführer der Spanuth-Gegner, den Kieler Geologen Gripp, nannte dieselbe Zeitung in diesem Zusammenhang einen >wilden Fanatiker< der nur seine eigene Überzeugung gelten lassen wolle." [5]

Der Zeitzeuge R. Schneidermann, der, wie Gadow berichtet, 1954 "eine umfangreiche Arbeit mit dem Titel 'Wissenschaft mißbraucht?' zu diesem Abschnitt des Atlantisstreits verfaßt hat, erinnerte daran, daß Professor Gripp zunächst auch die Entdeckung späteiszeitlicher Siedlungsplätze in Norddeutschland durch Alfred Rust (der ursprünglich Elektromeister war) als >Hirngespinst< bezeichnet hatte. [6] Über die Formulierungen in den gegen Spanuth gerichteten Polemiken urteilte Schneidermann, sie klängen wie ein Protokollauszug aus einem wissenschaftlichen Verbrecheralbum<." [7]

Schneidermann schrieb damals: "Spanuths Leistung ernstzunehmen und seinen Versuch, ein altes Problem neu zu lösen, ernsthaft zu erwägen wäre man verpflichtet gewesen ... Stattdessen hat eine uns unverständliche Verblendung es vorgezogen, Spanuth sogar den Rang eines Laienforschers abzusprechen und das Zerrbild eines phantasievollen Narren zu entwerfen, der >unter der Zwangsherrschaft einer Idee steht<, sich nicht >mit den Methoden wissenschaftlicher Forschung vertraut< gemacht hat, dessen Ausführungen daher völlig >willkürlich< sind." [8] Schneidermanns Fazit in dieser Angelegenheit fasst Gadow folgendermaßen zusammen: "Nach einer ausführlichen Bestandsaufnahme der gegen Spanuth vorgebrachten Angriffe kommt Schneidermann zu dem Ergebnis, Spanuth habe zwar >Fehler gemacht<, nichtsdestotrotz aber ein >in seiner Grundkonzeption geniales Buch< geschrieben." [9]

In ähnlichem Sinne äußerte sich auch Prof. B. Kummer [10] in einem Aufsatz zur Kontroverse um den 'Atlantis-Pastor': "Warum mußte man so unsachlich daherreden, das Gewicht seines Wissenschaftsamtes derart in die Waagschale werfen? ... Ist das eine gute, getreue Unterrichtung unseres Volkes? Wo ist der Leser dieses Buches [Das enträtselte Atlantis], der sagen könnte, daß die wissenschaftlich mühevolle und ernste Gedankenführung Spanuths >ein guter Roman< sei? Hat man geurteilt, ohne das Buch gelesen zu haben? [Zumindest im Fall von Spanuths 'Intimfeind' Gripp kennen wir die Antwort auf Kummer´s Frage bereits!; bb]

Sieht man nicht, daß Spanuth, ehe er zu seinen Funden auf Helgoland kam, einen Weg durch die Wissenschaft zurückgelegt hat ... Die Hörer dieser Diskussion [am 4.11. 53 in Kiel], die doch eigentlich keine war, wissen ihrerseits, daß hier einer gegen viele stand und sich gut verteidigt hat, ein Außenseiter, der wohl doch noch nicht ganz widerlegt ist ... Es schadet einer echten Wissenschaft am meisten die Enge des Blicks und die ungerechtfertigte Grenzziehung zwischen den amtlichen Wirkungsstätten und den denkenden Menschen draußen." [11]

Erwähnenswert ist auch das Urteil des Vorgeschichtlers Prof. W. Stokar [12], der in einem Brief an seinen Kollegen Jacob-Friesen [13] vom 2.5. 1954 peinlich berührt über eine 'Streitschrift' der Kieler Spanuth-Kritiker feststellt: "Diese Broschüre ist keine sachlich begründete Widerlegung, sondern eine Blamage! Das sind alles keine wissenschaftlichen, gut fundierten Entgegnungen, sondern Palaver aufgeschreckter Hühner mit erschütternd tiefem Niveau! ... Mein Gott, haben es die Kieler Spanuth leicht gemacht, sie zu widerlegen, und zwar zur furchtbaren Blamage für Kiel ... Wie gesagt, ich bin entsetzt! Die Broschüre >Atlantis enträtselt?< von Weyl leugnet einfach alles, was in den letzten 20 Jahren erforscht worden ist." [14]

Im Verlauf der gegen ihn geführten 'Schlamm-Schlacht' sah sich Spanuth nach Veröffentlichung besagten Pamphlets gezwungen, zu seiner Ehrenrettung juristische Schritte einzuleiten, und so können wir hier über das Kuriosum berichten, dass eine wissenschaftliche Streitfrage anscheinend von Juristen vor einem Landgericht diskutiert wurde. Dazu hieß es in der Frankfurter Rundschau vom 2. Dezember 1960: "Seine [Spanuths] Ausführungen fanden den Widerspruch einiger Wissenschaftler. Man versuchte Spanuth in die Gruppe der Phantasten abzuschieben. Zehn Professoren der Kieler Universität nahmen in einer Gegenschrift Stellung, obwohl nicht wenige Fachleute Spanuths Ergebnisse für sehr überzeugend gefunden hatten. Wegen Unhaltbarkeit ihrer Gegenthesen zogen nach einer Verhandlung vor dem Landgericht Flensburg die zehn Professoren ihre Schrift selbst zurück, ein wahrhaft nicht alltägliches Ereignis im Bereich der deutschen Wissenschaft!" [15]

Wir haben nun zur Genüge die Qualität der "wissenschaftlichen Kritik" kennengelernt, der sich Jürgen Spanuth Anfang der 1950er Jahre ausgesetzt sah, und deren 'Nachwehen' noch heute das Bild mitbestimmen, das man sich von ihm und seinen Forschungen allgemein macht. Beginnen wir nun lieber damit, uns ein eigenes Urteil zu bilden. Betrachten wir dazu zunächst seine unterwasser-archäologische Arbeit vor Helgolands Küsten, deren bemerkenswerte Resultate inzwischen kaum noch jemand zu kennen scheint - oder zur Kenntnis nehmen möchte.

So heißt es etwa bei Wikipedia: "Das völlige Fehlen [sic!; bb] archäologischer Funde vom sogenannten Steingrund vor Helgoland ist auch ein deutliches Indiz gegen die Existenz eines Hochkulturzentrums an diesem Ort. Solche Funde wären zu erwarten, da bereits seit Jahren Taucher den Steingrund regelmäßig besuchen und es gelegentlich sogar schon touristische Tauchexkursionen zum Steingrund gibt (z.B. >Nordsee Wracktour um Helgoland< der Firma OFFCON GmbH im Jahre 2004), obwohl wegen dem Naturschutzgebiet Tauchgenehmigungen nicht einfach zu bekommen sind." [16] Hat Spanuth dort tatsächlich nichts gefunden? Betrachten wir dazu zum Abschluss dieser atlantologie-historischen Untersuchung des 'Phänomens Spanuth' doch einmal...


Fortsetzung:

Spanuths 'Steingrund'-Expeditionen und die Diskussion ihrer Ergebnisse (bb)


Anmerkungen und Quellen

  1. Quelle: Gerhard Gadow, "Der Atlantis-Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Frankfurt/Main (Fischer Taschenbuch Verlag), Juli 1973, S. 139
  2. Quelle: ebd., S. 47
  3. Quelle: ebd., S. 47-48
  4. Quelle: ebd., S. 48
  5. Quelle: ebd., S. 49
  6. Siehe: R. Schneidermann, "Wissenschaft mißbraucht?" unveröffentliches Manuskript, 1954, S. 23
  7. Quelle: G. Gadow, op. cit., S. 60
  8. Siehe: R. Schneidermann, op. cit., S. 24
  9. Quelle: ebd., S. 60-61
  10. Anmerkung: Wie auch Prof. W. Stokar (siehe Anm. 12) war Bernhard Kummer (1897–1962) ein akdemischer Karrierist der NS-Zeit. Siehe dazu: Volker Gallé, "Otto Höfler & Bernhard Kummer - Nibelungenforscher im NS-System", bei: Nibelungenlied Gesellschaft. Aus dieser Feststellung sollte jedoch nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, Spanuth habe bereits in den 1950er Jahren vorwiegend 'Rückendeckung' bei 'Alten Nazis' gefunden, wobei bezüglich des "Atlantis-Streits" insbesondere die Implikation vermieden werden sollte, seine akademischen Widersacher seien in dieser Hinsicht als unbelastet zu betrachten. So besteht z.B. nach Ansicht des Verfassers durchaus wissenschaftsgeschichtlicher Klärungsbedarf zur Frage nach den Aktivitäten von Spanuths Widersacher Prof. Karl Gripp zwischen 1933 und 1945. (Vergl. dazu: Atlantisforscher oder Atlantist? Zur typologischen Einordnung von Spanuths Werk)
  11. Quelle: ebd., S. 61 --- Anmerkung: Gadow bezieht sich dabei auf: Bernhard Kummer, "Atlantis zwischen Kanzel und Katheder", in: Der Quell, München, 23.11. 1953, S. 1035 f.
  12. Anmerkung: Walter Stokar von Neuforn (1901-1959), Universität Köln, war, was die Zeit des Nationalsozialismus angeht, durchaus vorbelastet. Siehe dazu etwa: Joachim Lerchenmueller und Gerd Simon: "Symboltötungen - Der Fall Schwerte-Schneider und neue hilflose Antifaschismen" --- Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau: "Griff nach dem Westen: die "Westforschung" der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960)", S. 867 --- Michael Schwab: "Walter von Stokar – Neuforn (1901-1959). Biographie eines Prähistorikers" (nicht gedruckte Magisterarbeit, Universität Bonn, 2007). Insofern ist natürlich eine gewisse Vorsicht angebracht, wenn Stokar sich - wie oben folgt - 1954 über die Ur- und Frühgeschichts-Forschung der "letzten 20" Jahre äußert. Trotzdem erscheint dem Verfasser das folgende Zitat aufschlussreich genug, um es hier wiederzugeben.
  13. Anmerkung: Mit einiger Sicherheit handelte es sich hierbei um den Urgeschichtler und Germanen-Fachmann Prof. Dr. K. H. Jacob-Friesen, der zwischen 1924 und 1953 Direktor des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover war.
  14. Quelle: G. Gadow, op. cit., S. 61-62
  15. Quelle: FR, 2.12. 1960, zit. nach G. Gadow, op. cit., S. 62
  16. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, Stichwort: Jürgen Spanuth (Abschnitt: "Kritik"), 2007


Bild-Quellen

(1) FFW Dannewerk, unter: http://www.fw-dannewerk.de/gottorf.htm (Bild nicht mehr online)

(2) Kieler Stadtarchiv, Kieler Erinnerungstage: 27. November 1945