Giordano Brunos Erben

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Giordano Brunos (1548-1600) Denkmal auf dem Campo de’ Fiori in Rom

Als im schicksalsträchtigen Jahr 1600, am Übergang von der Renaissance zum Barockzeitalter, der unzähmbare Feuergeist Giordano Bruno in Rom lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde (eine Manifestation der gerne verdrängten finster-dämonischen, unmenschlichen Schattenseite der christlich-abendländischen Kultur), da mochten sich mittelalterlich retardierenden Kräfte innerhalb der Rom-Kirche vielleicht für einen Moment der naiven Illusion hingegeben haben, dass man mit diesem warnenden Exempel, zumindest in ihrem Machtbereich, den Trend zum die Dogmen in Frage stellenden, abweichlerischen Häretikertum auf lange Zeit hinaus gestoppt haben würde.

Dies erwies sich jedoch, wie man hätte voraussagen können, als eine gänzliche Fehlspekulation. Schon 189 Jahre später fegte die Französische Revolution das Ancien Regime hinweg, und die katholische Kirche erlebte eine der schlimmsten Verfolgungen ihrer Geschichte. Bald darauv verleibte Napoleon den Kirchenstaat, und weite Teile Italiens, dem inzwischen entstandenen Kaiserreich Frankreich ein. Mit ideologisch-dogmatischer Sturheit hatte die Kirche sich ein fürchterliches "Eigentor" zugezogen. Indem sie eine allmähliche Anpassung an die Zeitgeist-Archetypen, eine Evolution, verhinderte, provozierte sie selbst eine religionsfeindliche Revolution, und damit eine ungeheure Gefahr für die christlichen Kirchen und Glaubensrichtungen.

Aus gutem Grund kann man, wenn man einen annähernd konkreten Zeitpunkt nennen will, das Jahr 1600 als den Beginn des Barockzeitalters charakterisieren. [1] Und mit einigen Gründen kann man, wie dies des Verfassers Doktorvater J. O. Fleckenstein in seinen Vorlesungen zu tun pflegte, das Barockzeitalter (und nicht etwa Mittelalter und Renaissance) als die eigentliche Geburtsphase der zeitgenössischen westlichen Zivilisation bezeichnen. Seit der "Aufklärung" des 18. Jahrhunderts, Wegbereiter der Französischen Revolution, war allerdings verstärkt eine dem Barockzeitalter per se ursprünglich fremde, jedoch in der Barock-Naturwissenschaft sich schon leise ankündigende, atheistische Materialismus-Komponente hinzugekommen.

Es erscheint als im höchsten Grade symbolträchtig, dass Bruno gerade in jenem Jahr 1600 hingerichtet wurde. Der brennende Scheiterhaufen auf dem Campo dei Fiori steht quasi als Fanal zwischen zwei Zeitaltern.

Hinter ihm liegt, und Brunos Tod auf dem Gewissen hat, die christlich-abendländische Kultur des Mittelalters und der Renaissance, in der es in weltanschaulicher Hinsicht lebensgefährlich war, frei und offen auszusprechen, was man dachte. Dementsprechend bewegten sich, völlig unter der Fuchtel der Kirche stehend, Wissenschaft und Philosophie im allgemeinen, d.h. abgesehen von etlichen für eine gewisse Zeit bestehenden "Oasen" mit begrenzter Gedankenfreiheit wie Schlesien [2], in den Bahnen einer dogmatischen, christlich-aristotelischen (peripatetischen) Scholastik.

Auf der anderen Seite leuchtet dieses Fanal in das Barockzeitalter hinein, mit seiner "Neuen Wissenschaft", der "Scienza Nuova". Die Scholastik lieferte noch eine Zeit lang Rückzugsgefechte, und wird schließlich in die Gerümpelkammer der Weltgeschichte geworfen, die Barock-Naturwissenschaft und ihre "natural philosophers" befreien sich zunehmend von der Fuchtel der Kirche. Zu dieser um 1600 entstehenden neuen, europäisch-internationalen Brüderschaft des Geistes ist als ein prominentes Mitglied Giordano Bruno zu rechnen, neben, um nur die bekanntesten Namen zu nennen Gilbert (De Magnete 1600!), Fra Paolo Sarpi, Kepler, Bacon, Galilei, der Père Mersenne, Peiresc, Sir Kenelm Digby, und Descartes. Bruno und Gilbert übten beispielsweise nachweislich Einfluss auf Kepler und Descartes aus.

Die entstehende Barock-Naturwissenschaft war zunächst sehr offen und verabscheute weltanschauliche Bevormundung. Die ungeheuer zahlreichen "natural philosophers" jener Epoche waren große Individualisten. Man kann sagen, dass nicht zwei von ihnen identische Weltbilder hatten. Was sich auf die Evolution der "Scienza Nuova" sehr fruchtbar auswirkte.

Im Gefolge von Aufklärung, Französischer Revolution und napoleonischem Zeitalter mutierte die "Neue Wissenschaft" des Barockzeitalters aber rasch zu einer Art neuer Scholastik. Aus den individualistischen "natural philosophers" wurde eine verbeamtete Establishment-Scholastik, eine Neo-Scholastik, die immer weniger offen wurde, und die bald ebenso ausgrenzerisch auf ihre Dogmen (Paradigmata, Lehrmeinungen) fixiert war wie ihre Vorgängerin. Während viele der "natural philosophers" das Universum noch, im Sinne der hermetisch-alchemistischen Weltsicht, als ein lebendes, beseeltes, letztlich rätselhaftes, numinoses Etwas gesehen hatten, degenerierten die Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert in eine simplistisch-materialistische, mechanische Art der Naturbetrachtung, die für Grundphänomene wie "Leben" oder "Bewusstsein" nur wissenschaftsphilosophisch höchst unbefriedigende (ebenfalls simplistisch-materialistische) Pseudo-Erklärungen anzubieten hatte.

Bruno wäre über diese Wendung der Dinge zweifellos bestürzt gewesen! Erstens war sein Weltbild das eben charakterisierte hermetische Weltbild, geradezu die Antithese des derzeitigen schul-naturwissenschaftlichen Weltbildes. Und zweitens waren ja eben gerade professorale, intellektuelle Ego-Aufgeblähtheit, Arroganz und, letztlich auf wissenschaftsphilosophischer Unbedarftheit beruhende, Dogmen-Verhaftung stets Gegenstand seines Spottes und seiner Polemik.

Hätte er ein paar Jahrhunderte in die Zukunft sehen können, wäre ihm rasch klar geworden, dass er die neue, auf so höchst merkwürdige Weise aus der "Scienza Nuova" entstandene, simplistisch-materialistische Neo-Scholastik ebenso würde bekämpfen müssen wie die einstige peripatetische Scholastik. Beides wären in Brunos Sicht eher Zerrbilder wahrer Wissenschaft gewesen.

Als die wahren geistigen Erben Giordano Brunos in unserer Zeit sind all diejenigen anzusehen, die in seinem Sinne der zeitgenössischen Establishment-Scholastik in all ihren Manifestationen entgegenarbeiten, ihre "Windigkeit" bloßstellen und insbesondere mithelfen, die materialistische schul-naturwissenschaftliche Weltanschauung, die unsere ganze Zivilisation schon fast in den Abgrund gestürzt hat, aus unseren Universitäten zu vertreiben. Diese Weltanschauung wird sonst triumphieren und uns vernichten!

Mögen also alle, die dazu in der Lage sind, daran mithelfen, diese "Vertreibung der triumphierenden Bestie" (um es in den Worten des Titels eines Brunoschen Dialogs zu sagen: "Spaccio de la bestia triofante") zu erreichen! Die zeitgenössische, besonders schul-naturwissenschaftliche Neo-Scholastik scheint zu ahnen, dass ihr von einem Wieder-aktuell-Werden der Brunoschen Gedankenwelt große Gefahr droht.

Jochen Kirchhoff sagt dazu in seiner exzellenten kleinen Bruno-Biographie [3]: "Die Haltung der Naturwissenschaftler gegenüber Giordano Bruno ist eine merkwürdige Mischung aus Geringschätzung, geflissentlichem Ignorieren und dem Bestreben, ihn zum phantasievollen oder dichterischen Verkünder einer spekulativen Weltsicht zu machen, dem nichts ferner gelegen habe als das Prinzip der empirischen Naturwissenschaft" (S. 11) Und an anderer Stelle: "Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den modernen Wissenschaftsbegriff und seine potentiell zerstörerischen Auswirkungen wird der Name jenes Mannes fast nie genannt ... Naturwissenschaftlern und Philosophen kann ein durchaus 'gestörtes Verhältnis' zu Giordano Bruno attestiert werden ... Und fast niemand scheint bewusst, dass die Auseinandersetzung mit dem Naturphilosophen Giordano Bruno, dem großen Zeitgenossen Galileis, geeignet ist, uns heute am Ende einer langen Entwicklung wichtige Impulse und Denkanstöße in Richtung auf jene existentiell bedeutsame schöpferische Alternative zu geben" (S. 8-9).

Kirchhoff betont auch die Affinitäten zwischen der Naturphilosophie Giordano Brunos und den östlichen Weisheitslehren (Advaita--Vedanta-Hinduismus, Mahayana-Buddhismus, Taoismus). Nach Bruno ist das Universum eine Manifestation allgegenwärtigen Lebens, alles ist beseelt und hat Bewusstsein. Mit einem Wort: Brunos Gedankenwelt passt hervorragend in unsere Zeit!


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich © wurde erstmals veröffentlicht in 'Mitteilungen der Giordano Bruno Gesellschaft', Nr. 2/2000 (S.17/18). Bei Atlantisforschung.de erscheint er 2009 in einer, in Zusammenarbeit mit dem Verfasser bearbeiteten, Online-Fassung.

  1. Anmerkung: Etwa bei Carl Joachim Friedrich, "The Age of the Baroque", New York 1952. Auch das Duden Universal-Wörterbuch gibt etwa 1600 als Beginn des Barockzeitalters an.
  2. Anmerkung: Hierzu ausgezeichnet etwa von Manfred P. Fleischer, Späthumanismus in Schlesien, München 1984
  3. Siehe: Jochen Kirchhoff, "Giordano Bruno", Reinbek b. Hamburg 1980 [auch: Band 50285 von Rowohlts monographien - 1997; d. Red.]


Bild-Quellen

(1) Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: File:Giordano Bruno Campo dei Fiori.jpg