Ist die Astrologie eine Wissenschaft?

Zur Diskussion um: Joachim Hueg: Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Astrologie, in: Zeitschrift für Anomalistik 2 (2002), S. 131-148

von Dr. Horst Friedrich

Abb. 1 Astrologischer Kalender, Johannes Regiomontanus, 1512

Der Beitrag von Joachim Hueg ist sehr zu begrüßen, und auch die Kommentare zu seinem Beitrag enthalten Bedenkenswertes. Allerdings muss ich Einspruch einlegen, wenn er gleich im ersten Satz „Wissenschaft“ und „Astrologie“ zu zwei verschiedenen Unternehmen erklärt. Eine solche Formulierung würde auf ein nur eingeschränktes Verständnis dessen, was mit „Wissenschaft“ gemeint ist, hindeuten, etwa in dem Sinne, dass man unter „Wissenschaft“ nur die Schul-Naturwissenschaft, den naturwissenschaftlichen „Establishment-Mainstream“, verstünde.

Persönlich schätze ich am meisten die geradezu geniale – und genial knappe – einschlägige Definition aus dem Duden-Universalwörterbuch: „Wissenschaft“ ist demnach „argumentativ gestütztes Wissen hervorbringende forschende Tätigkeit in einem bestimmten Bereich“. Ich meine, aus epistemologischer Sicht ist dem nichts hinzuzufügen, und kann davon auch nichts weggelassen werden. Man beachte, dass hier weise nicht von „gesichertem Wissen“ (lediglich von „argumentativ gestütztem Wissen“) und, vollkommen richtig, nicht ausschließlich von universitären Wissenschaften gesprochen wird.

Zu „Wissen“ bevorzuge ich hingegen die Definition aus dem englischen Gegenstück des Duden-Wörterbuchs, dem Collins Dictionary of the English Language, wo „knowledge“, also „Wissen“, definiert ist als „erudition or informed learning“, was sich in Deutsch knapp mit dem Wort „Gelehrtheit“ wiedergeben lässt. Selbstredend ist aus wissenschaftsphilosophischer und erkenntnistheoretischer Sicht klar, dass „Gelehrtheit“ nicht mit dem Besitz von (vermeintlich) „gesichertem Wissen“ identisch ist. Gelehrte haben sich schon oft geirrt, sind schon oft, teilweise über lange Zeit hinweg, einem später als falsch erkannten „Paradigma“ nachgelaufen.

Es kann also meines Erachtens, wenn man sich auf einen solcherart epistemologisch gesicherten Standpunkt stellt, der Astrologie (wie übrigens auch der mit ihr überlappenden Alchemie als weiterem Sub-Gebiet der „hermetischen Wissenschaft“ von einst) die Bezeichnung als Wissenschaft nicht gut vorenthalten werden.

Dass sie eine Wissenschaft nicht ausschließlich im Sinne unserer universitären Wissenschaften ist, sie in „devianten“ Zusammenhängen und Kategorien denkt, dass sie von Vollkommenheit, perfektem Durchblick und letzter Zuverlässigkeit noch weit entfernt ist (dies trifft auch für jede universitäre Wissenschaft zu), und dass ihre theoretischen Vertreter und Praktizierenden sehr unterschiedliche Qualifikations-Niveaus haben: alles dies kann meines Erachtens ihren Anspruch auf den Titel einer Wissenschaft nicht schmälern.

Die Einordnung Kanitscheiders, in seinem Kommentar zu Hueg, der Astrologie als eine (vermeintliche) „Parawissenschaft“ kann ich aus einer solchen Sicht der Dinge also keinesfalls nachvollziehen. Ich tendiere sogar zu der Meinung, dass es aus epistemologischer Sicht, strikt gesprochen, so etwas wie „Parawissenschaften“ gar nicht gibt, eher wohl nachvollziehbares und nicht-nachvollziehbares wissenschaftliches Argumentieren. Eine nachvollziehbare Abgrenzung, wo „Wissenschaft“ in (vermeintliche) „Pseudowissenschaft“ übergeht, gehört in meinem Verständnis zu den allerschwierigsten epistemologischen Problemen. Ich persönlich halte eine solche nachvollziehbare Abgrenzung für unmöglich.

Zwar ist es wahr: die Astrologie hat unleugbar einen „esoterisch“-transmateriellen Aspekt, den unsere nicht-devianten universitären Wissenschaften nicht haben. Aber den hat beispielsweise ganz genau ebenso die Transpersonale Psychologie, und die hat schon längst erste „Brückenköpfe“ an unseren Universitäten erobert.

Andererseits könnte die Astrologie durchaus von sich behaupten, dass sie weit mehr eine „exakte“ Wissenschaft sei als die Mehrzahl unserer universitären Wissenschaften (Meteorologie, Medizin, Psychologie etc.) dies je von sich erhoffen können: denn sie hat ja einen („exakten“) mathematisierten und einen (umstrittenen) empirischen Teil.

Ich meine, das ganze Gerede und Argumentieren um vermeintlich „Unwissenschaftliches“, „Parawissenschaft“, vermeintliche „Pseudowissenschaftlichkeit“ und „Kriterien von Wissenschaftlichkeit“ hat aus epistemologischer Sicht nur sehr begrenzten Sinn. Ich möchte es fast für überflüssig halten. Obwohl ich selbstredend von quasi-wissenschaftlichem Tun auch nicht allzu begeistert bin.

Im übrigen fällt mir auch bei Huegs verdienstvollem Beitrag und den ihm gewidmeten ebenfalls ernstzunehmenden Kommentaren wieder einmal auf, dass bei dergleichen Diskussionen zur „Wissenschaftlichkeit“ der Astrologie von letzterer meist nur bestimmte Teilgebiete betrachtet, hingegen andere, mindestens ebenso wichtige, überhaupt nicht mit ins Kalkül gezogen werden. Die Astrologie ist, gerade auch wegen ihrem Überlappen mit der Alchemie und der Kabbalistik, ein sehr weites Gebiet. Bei Diskussionen zu ihrer „Wissenschaftlichkeit“ kann man sich nicht lediglich auf ein paar Teilgebiete beschränken. Die Astrologie besteht nicht nur aus der Deutung von Nativitäten oder Solarhoroskopen. Die Labor-Alchemie behauptet beispielsweise, dass bestimmte Vorgänge je nach Planetenständen unterschiedlich ablaufen. Die medizinisch-pharmazeutische Wirkung von Heilpflanzen soll je nach den astrologisch-kabbalistischen „Planetenstunden“ (die mit Horoskopie überhaupt nichts mehr zu tun haben und naturwissenschaftlich nicht nachvollziehbar sind) eine andere sein. Kurzum, ohne alles im Detail auswalzen zu wollen: mir scheint, dass noch allerhand auf breiter Basis durchgeführte, nachvollziehbare wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich wären, ehe man von einer hinreichenden Voraussetzung sprechen könnte, eine einigermaßen gesicherte Beurteilung zur „Wissenschaftlichkeit“ der Astrologie abzugeben.


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift für Anomalistik Band 2 (2002), S. 318-319. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dr. Horst Friedrich Archiv in einer redaktionell bearbeiten Fassung nach der Online-Version bei Anomalistik.de, unter: Fortgesetzte Diskussionen zu früheren Beiträgen (PDF-Datei - 86,45 IKB)

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