Nan Madol - Das achte Weltwunder - Teil II

von unsrem Gastautor Walter-Jörg Langbein

Transportprobleme und die Standortfrage

Abb. 1 Der Wasserweg stellte die einzige Reise- und Transportmöglichkeit für die Bewohner des Archipels dar. Dies galt für die Lebenden ebenso wie für die Verstorbenen.

Kanus waren das einzige Transportmittel, das die einzelnen Inseln miteinander verband. Auf speziellen Kanus wurden auch die Verstorbenen von Nan Madol auf die letzte Reise gebracht. Nach streng reglementiertem Zeremoniell trat jeder Tote seinen letzten Weg an. Spezialisten salbten und ölten ihn, parfümierten ihn mit Kokosnussöl. Schließlich wurde er, mit einigen persönlichen Dingen ausgestattet, in eine kunstvoll geflochtene Matte gehüllt.. Bevor er auf einer der Inseln bestattet wurde, wurde seine sterbliche Hülle nochmals auf den Kanälen des steinzeitlichen Venedigs der Südsee zu jeder Insel gefahren. Auf Kohnderek fanden dann die heiligen Totenzeremonien statt. Sakrale Tänze wurden zu Ehren des Toten aufgeführt. Er sollte gebührend von seinem irdischen Zuhause verabschiedet werden, in der Hoffnung, dass ein besseres Jenseits auf ihn warten möge.

Gefährdet war das irdische Leben der Bewohner von Nan Madol durch die Gewalten des Meeres. Deswegen wurde mit kaum nachvollziehbarem Aufwand ein riesiges steinernes Bollwerk geschaffen, das die Meeresfluten abhalten sollte: Nan Mwoluhsei, zu Deutsch: "Wo die Reise endet". Die allem Anschein nach für die Ewigkeit gebaute Mauer ist heute noch 860 Meter lang. Sie ist erdbebensicher erstellt worden.

Immer wieder muss die wichtige Frage gestellt werden: Warum wurde Nan Madol im Südosten der Hauptinsel Temuen gebaut? Denn dieser Platz scheint alles andere als günstig gewählt zu sein. Er liegt nämlich dort, wo die Gefährdung durch das Meer am größten ist. Und wo potenzielle angreifende feindliche Truppen am schwersten abgewiesen werden konnten!

Im Nordwesten der Hauptinsel indes wären die Voraussetzungen geradezu ideal gewesen. Feindliche Flotten hätten nicht direkt attackieren können. Sie hätten vielmehr das Eiland erst einmal umschiffen müssen. Dabei wäre die Gefahr, wegen der häufig auftretenden Untiefen auf Grund zu laufen, eine beachtliche gewesen. Auf alle Fälle wären aber die so anrückenden Feinde rechtzeitig entdeckt worden. Von kriegerischen Gefahren zur Bedrohung durch die Natur! Eine Schutzmauer gegen die anstürmenden Meeresfluten wäre auch nicht nötig gewesen. Denn dann läge ja Nan Madol auf der dem Meer abgewandten Seite. Insel Temuen hätte einen natürlichen Schutzwall gebildet, ein künstlicher hätte nicht mehr mühsam aufgebaut werden müssen.

Abb. 2 Faszinierend, wie die Mauern in den Ecken zusammengefügt wurden

Schließlich wären dann Transportprobleme erst gar nicht entstanden. Denn dann wäre der Weg von den Steinbrüchen zu den Baustellen der künstlichen Inseln der denkbar kürzeste gewesen.

Anstatt die einfachste Variante zu wählen, entschied man sich für die aufwändigste. Das fällt dem Forscher in der Studierstube fern vom Ort des Geschehens in der Südsee allerdings gar nicht auf. Auf der Landkarte ist Temuen nur ein kleines Inselchen, für die Arbeiter vor Ort aber, die tonnenschwere Steinlasten zu befördern haben, ist es ein unüberbrückbares Hindernis!

Das Eiland ist nämlich alles andere als eben! Da türmen sich auf engstem Raum bis zu 800 Meter hohe Berge, erloschene Vulkane. Temuen ist zerklüftet, für den gut konditionierten Kletterer eine Herausforderung, für Trupps mit gigantischen Steinriesen im Gepäck ein unüberwindbares Hindernis. Dazu kommt noch, dass seit Menschengedenken fast täglich wahre sintflutartige Regenfälle auf die Insel herniederprasseln und den Boden in eine Schlammwüste verwandeln. Wären findige Arbeitertrupps auf gewaltigen Umwegen den Bergen ausgewichen, sie wären mit ihren Lasten im Schlamm stecken geblieben.

Theoretisch bietet sich dann als Alternative zum Land- der Seeweg an. Aber schon ein Blick auf die Landkarte genügt, um auch diese Antwort als unwahrscheinlich erkennen zu lassen. Die wackeren Arbeiter hätten zunächst die Basaltsäulen fällen, dann an den Strand schleppen und verladen müssen. Nehmen wir an, die Einheimischen von damals wären dazu in der Lage gewesen. Nehmen wir weiter an, sie hätten es geschafft, das Riff zu überwinden, sie wären auf die hohe See hinausgelangt. Spätestens bei der Annäherung an den Bestimmungsort Nan Madol wären sie stecken geblieben. Ist doch im weiten Umkreis um die künstlichen Inseln das Meer selbst bei Flut so seicht, dass schwer beladene Kähne, Kanus oder Flöße zwangsläufig auf Grund gelaufen wären!

Fazit: Nan Madol liegt an der völlig falschen Stelle, wenn man von bautechnischen Gesichtspunkten ausgeht. Warum wurden aber die künstlichen Inseln dort geschaffen, wo wir sie heute noch finden? Als Fundamente für riesenhafte steinerne Anlagen? Aufschluss gibt vielleicht die zyklopenhafte Wallanlage Nan Mwoluhsei.


Wo die Reise endet - für die fliegenden Götter!

Nan Mwoluhsei, die gewaltige Wallanlage vor der Seeseite von Nan Madol heißt - wie erwähnt - "wo die Reise endet". Für wen? Für die Insulaner, die mit ihren Booten nach Nan Madol kamen? Vor Ort erfuhr ich eine andere Erklärung: für die himmlischen Wesen, die einst aus den Tiefen des Alls zur Erde kamen. Deshalb lautet der älteste Name von Nan Madol "Soun Nan-leng", zu Deutsch "das himmlische Riff". Warum? Weil dort die Götter vom Himmel zur Erde herabstiegen und auch wieder von dort aus gen Himmel entschwanden. Nan Madol war für die Götter der Ort, wo ihre Reise endete. Wo sie zur Erde herabkamen, da war das "himmlische Riff". Sie waren nicht von dieser Welt. Ihre eigentliche Heimat lag im Himmel.

Abb. 3 Rekonstruktion der Anlage - so könnte sie einst ausgesehen haben

Dabei dachte man keineswegs an überirdische Gefilde im religiösen Sinne. Man verstand darunter nicht einen paradiesischen Ort, an dem die seligen Geister von Verstorbenen auf Wolken sitzend Manna verspeisen und zu lieblichen Lautenklängen frommes Liedgut singen. In "Polynesiean Mythology" wird dieser Himmel als ein recht ungastlicher Ort beschrieben. Aus dem Munde einer Himmlischen, die zur Erde herabgekommen war, erfahren wir, dass ihr unsere Erde sehr gut gefällt. Und das im Gegensatz zum "Himmel":

"Ich liebe diese Welt.
Sie ist nicht kalt und leer wie
der hohe Raum dort oben."

Seltsam, wie exakt diese Beschreibung des Weltalls den Erkenntnissen entspricht, wie wir Menschen des 20. Jahrhunderts sie der Raumfahrt verdanken!

Auch für die Götter aus dem All war unser blauer Planet "himmlischer" als das kalte, leere All. Wenn also davon die Rede ist, dass die Götter vom "Himmel" zur Erde kamen, dann ist damit eben nicht ein über den Wolken vermutetes Paradies im Gegensatz zur harten Realität auf der Erde gedacht! Lassen wir den legendären Gott der Südsee Pourangahua zu Wort kommen. Er frohlockt geradezu über seine Ankunft auf der Erde:

"Ich komme, und eine unbekannte Erde liegt unter meinen Füßen. Ich komme, und ein neuer Himmel dreht (sich) über mir. Ich komme auf diese Erde und sie ist ein friedlicher Rastplatz für mich. O Geist des Planeten!"

Hier spricht kein körperloses Geistwesen aus einem Himmel im fromm-religiösen Sinne, sondern ein real-körperliches Wesen, das als Astronaut von Welt zu Welt, von Planet zu Planet reist.

Kontakte zwischen den himmlischen Besuchern und den irdischen Bewohnern von Nan Madol gab es immer wieder. Sie blieben nicht immer ohne Folgen. Paul Hambruch, der deutsche Gelehrte und Archäologe, erkundete zu Beginn unseres Jahrhunderts intensiv die Geheimnisse von Nan Madol. Wissende Einheimische fassten Vertrauen zu ihm und erzählten dem Deutschen einige ihrer heiligen Überlieferungen, die er sorgsam aufnotierte - und zwar in der Originalsprache Nan Madols und in der deutschen Übersetzung. Da begegnen wir zum Beispiel dem Himmelsgott Nan Dzapue, der mit höchst "menschlichen" Absichten auf unseren Planeten kam.

Abb. 4 Lageplan der Ruinenstätte

"Einstmals verließ Nan Dzapue den Himmel und stieg nach Pankatera hinab; dort trieb er Ehebruch mit der Frau des Sau Telur. Sie trafen einander und badeten in einem Bach. Er beschlief sie auf der Stelle." Die Geburt seines Sohnes wartete der himmlische Vater nicht ab: "Nan Dzapue begab sich wieder in den Himmel zurück." Sohn Iso Kalakal entwickelte sich zu einem kriegerischen Helden und begründete die erste große Herrscherdynastie von Nan Madol.

Berichte über die Frühgeschichte von Nan Madol wurden über viele Jahrhunderte hinweg mündlich weitergereicht, von Generation zu Generation. Die heiligen Legenden wurden von unzähligen Generationen als Tatsachenberichte aufgefasst und als solche den Jungen vererbt, die wiederum ehrfurchtsvoll die Texte auswendig lernten - um sie wiederum der nächsten Generation anzuvertrauen. Noch im 19. Jahrhundert gab es kaum einen Inselbewohner, der nicht firm war in den altehrwürdigen Überlieferungen. Heute sterben die Wissenden nach und nach aus. So droht ein reiches kulturelles Erbe, dessen wahres Alter niemand kennt, in Vergessenheit zu geraten. Diesem Trend wirken zahlreiche Studenten der örtlichen Hochschule "Community College of Micronesia", Kolonia, Pohnpei, entgegen. In mühevoller Kleinarbeit haben sie sich alte Erzählungen diktieren lassen und schriftlich festgehalten. So entstand die wertvolle Mythensammlung "Never and Always". Diesem Standardwerk zufolge gehen die Siedlungen auf den künstlichen Inseln von Nan Madol auf zwei legendäre Brüder - Olsihpa und Olsohpa - zurück. Sie kamen von "irgendwoher" aus dem Westen. Bei ihrer Ankunft fanden die Beiden freilich bereits Bewohner vor - solche der göttlichen Art. Die Brüder, sie werden als Halbgötter bezeichnet, sollen magische Kräfte besessen haben. Ohne Schwierigkeit ließen sie die Basaltsäulen vom entfernt gelegenen Steinbruch herbeischweben. Göttliche Magie wurde demnach genutzt um die scheinbar anders nicht zu erklärenden Leistungen beim Transport unvorstellbarer Steinmengen zu bewerkstelligen.

Arthur C. Clarke schrieb, dass eine fortschrittliche Technologie der Zukunft aus heutiger Sicht von Magie kaum mehr zu unterscheiden sein wird. Wenn bei der Erstellung der steinernen Welt von Nan Madol tatsächlich Außerirdische "die Hand im Spiel" gehabt haben sollten, dann muss ihr Wirken für die Inselbewohner tatsächlich wie Zauberei ausgesehen haben!


Amphibische Götter und ihr Fluch

Die überirdischen, göttlichen Ur-Gründer von Nan Madol lebten, so heißt es in uralten Überlieferungen, im Meer. Masao Hadley, angesehener Wächter von Nan Madol: "Bevor das Volk von Pohnpei hier ankam, da gab es schon die Stadt der Götter! Auf dem Meeresgrund!" Diese Behausungen tief unter dem Meeresspiegel sollen auch heute noch zu finden sein: direkt bei Nan Mwoluhsei, also dort, wo die Reise endet - die der Götter aus dem All? Davon sind auch heute noch die Einheimischen überzeugt. Mutige Taucher, so wird berichtet, sind in jene Gefilde vorgedrungen und haben Ruinen erblickt. Diese Überreste einer uralten Urkultur hat noch niemand zu erforschen gewagt. Ein göttlicher Fluch soll auf ihnen ruhen und jeden Menschen töten, der sich den einstigen Behausungen der himmlischen Wesen nähert.

David Hatcher Childress ließ sich auch durch noch so Furcht einflößende Schilderungen der tödlichen Auswirkungen dieses Fluchs nicht davon abhalten, zusammen mit einigen Freunden vor Ort zu tauchen. In einer Tiefe von zwischen zwanzig und fünfunddreißig Metern unter dem Meeresspiegel stießen sie immer wieder auf senkrecht stehende Monolithen. Sie traten häufig paarweise auf und waren fast immer stark mit Korallen überwuchert. "Einige dieser Steine tragen Gravuren, zum Beispiel Kreuze, Quadrate, Rechtecke und auf einer Seite offene Vierecke. Ähnliches habe ich in den fantastischen Ruinen in den Bergen Boliviens, einige Meilen von Tiahuanaco entfernt, gesehen, bei Puma Punku. Gab es eine Verbindung?" Waren das die ersten Hinweise auf die Stadt der Götter? Childress und seine Kollegen stellten fest: Unweit der stehenden Säule fiel der Meeresboden noch weiter ab, vermutlich auf fünfzig bis sechzig Meter. In jene tieferen Regionen wagten sie nicht hinabzutauchen.

Bereits 1980 hat Dr. Arthur Saxe die unterseeische Nachbarschaft von Nan Madol tauchend erkundet. Das geschah im Auftrag der Behörde "The Trust Territory of the Pacific". Dr. Saxe veröffentlichte in einer wissenschaftlichen Broschüre seine unter Wasser gewonnenen Erkenntnisse. So berichtet er von senkrecht stehenden Säulen, die in einer schnurgeraden Linie verlaufen, die sich wiederum in den Tiefen des Meeres verliert. Sie haben einen Durchmesser, so der Gelehrte, zwischen 70 cm und zwei Metern. Ihre Länge war nicht festzustellen, da nicht eruiert werden konnte, wie tief sie im Boden des Meeresgrundes stecken. Besonders imposant: Majestätisch ruht da eine fast sieben Meter hohe Säule auf einer flachen Plattform, die an einem unterseeischen Abhang eingearbeitet ist.

Meine Forderung: Es ist endlich an der Zeit, den Meeresboden um Nan Madol herum gründlich zu erforschen. Es genügt nicht, planlos herumzutauchen. Vielmehr muss sehr sorgsam kartografiert werden. Und es gilt, die Säulen auf dem Meeresgrund zu vermessen. Schließlich muss versucht werden, auch jene tiefer gelegenen Regionen - vielleicht mit Mini-U-Booten? - zu erfassen, in die bisher noch keine Taucher vorgedrungen sind. Wird man dann endlich die uralten Stadt der Götter, über die die Überlieferungen berichten, entdecken? Warten gar mehrere solche Götter-Metropolen in den Tiefen der Südsee? Davon sind zahlreiche Bewohner von Pohnpei überzeugt. Ein solches Unterfangen ist freilich extrem kostspielig. Im Augenblick fehlen - wie schon seit Jahrzehnten - die Mittel, um auch nur die wichtigsten bekannten Ruinen vor dem weiteren Verfall zu bewahren.

Die rätselhaften Bauten wirken auf den Besucher märchenhaft schön. In üppigem Pflanzengrün sind oft massive Mauerbauten nur noch zu erahnen. Selbst in den besterhaltenen Gebäuden breitet sich stetig die Natur aus. Palmen wachsen. Ihre mächtigen Wurzeln durchdringen die Fundamente von Steinmauern und drohen sie zum Einsturz zu bringen. Mangrovenbäume wachsen direkt im Gemäuer und sprengen Steinblöcke auseinander.

Geld für die Suche nach geheimnisvollen Bauten auf dem Meeresboden ist schon gar nicht verfügbar! So schütz die Ebbe in den Kassen mehr als der Aberglaube.

Ein Fluch soll nicht nur auf der unterseeischen Heimstatt der Götter liegen sondern auch auf den Gräbern der direkten Nachfahren der Besucher aus dem All. Vermeintlich "zivilisierte" Europäer, die derlei Überlieferung für Humbug hielten, sie wurden, davon sind viele Einheimische vor Ort, mit dem Tode bestraft worden. So berichtete mir der kenntnisreiche Tour-Guide Lihp Spegal, kein Geringerer als Victor Berg, Kaiserlicher Regierungsrat und stellvertretender Gouverneur der Insel, sei ein Opfer dieses Fluches geworden.

Abb. 5 Rekonstruktion mittels Computer des vergangenen Inselreiches

Ende April 1907 gab er den Befehl, das Grab des verehrten Iso Kalakal zu suchen und zu öffnen. Bei einer Nacht- und Nebelaktion wurde tatsächlich die letzte Ruhestätte jenes frühen Herrschers gefunden. Zur Erinnerung: Iso Kalakal war von Gott Nan Dzapue höchstpersönlich gezeugt worden, der extra zu diesem Anlass vom Himmel auf die Erde herabgestiegen war. Trotz lauter Warnungen der Einheimischen wurde die Totenruhe Iso Kalakals empfindlich gestört. Sein Grab wurde geschändet, seine Gebeine wurden herausgenommen.

Die Europäer machten sich lustig über den angeblich wirkungslosen Fluch. Abfällig äußerten sie sich über die vermeintlich dummen und abergläubischen Insulaner. Ihr Lachen verstummte bald! Einen Tag nach der Grabschändung erkrankte Victor Berg, der Stunden zuvor noch kerngesund war, und starb. Eine medizinische Erklärung fanden die Ärzte nicht. Die Einheimischen waren alles andere als überrascht. So ergehe es jedem, der die heiligen Orte von Nan Madol störe!


Die geheime Welt der amphibischen Götter

Wie die amphibischen Gottheiten, die sich in der Südsee häuslich niedergelassen hatten, genau ausgesehen haben, darüber findet sich kaum ein Hinweis in den Mythen, die bis in unsere Tage erhalten geblieben sind. Nan Somohol gehörte zu ihnen. Er tummelte sich als aalartiges Wesen in den Gefilden von Nan Madol, war das Ebenbild eines "himmlischen Gottes".

Die mythologischen Überlieferungen machen deutlich, warum Nan Madol dort entstand, wo es gebaut wurde. Just dort siedelten sich Götter, die aus dem Himmel kamen, an. Sie hatten in Nan Madol einen Stützpunkt. Ein rituelles Zentrum der Götterverehrung lag auf der Insel Darong. Im Zentrum befindet sich ein "heiliger Teich". Es handelt sich dabei um einen künstlich angelegten, mit einer steinernen Einfassung versehenen See. Elf sorgsam angelegte unterirdische Kanäle stellen eine direkte Verbindung zum Meer her.

Einer dieser Tunnels ist immerhin zwei Kilometer lang. Er führt, teilweise unter dem Meeresboden verlaufend, bis jenseits des Riffs und endet unter Wasser! So war dafür Sorge getragen, dass der kleine See (Ausmaße 70 mal 56 m) niemals austrocknete. Freilich dienten die unterirdischen Kanäle nicht nur der simplen Wasserzufuhr. Vielmehr ermöglichten sie es einer der Wassergottheiten vom Meer aus direkt ins Zentrum des Eilands zu schwimmen.

Auch die zahllosen Kanäle zwischen den monströsen Steinbauten waren keineswegs nur simple Wasserwege. In ihnen bewegten sich auch die himmlischen Göttern, die sich im Wasser am wohlsten fühlten. Deshalb mussten die Kanäle auch immer Wasser führen, auch bei Ebbe. Um das zu gewährleisten hatte man ein kompliziertes System von Schleusen in die Wasserstraßen eingebaut. Auf diese Weise war es möglich, den Wasserstand in den Kanälen beliebig zu regulieren. So wurde mit Bedacht verhindert, dass sie bei Ebbe oder in Trockenzeiten kein Wasser führten.

Noch heute erzählt man vor Ort eine uralte Legende. Einst habe im Bereich der künstlichen Inseln eine Furcht einflößende Drachenfrau gelebt. Jenes Wesen hat angeblich mit tosendem Schnauben die zahllosen Kanäle zwischen den vielen Eilanden entstehen lassen. Selbst Archäologen sind davon überzeugt, dass die Geschichte einen wahren Kern hat. Der Mutterdrache soll in Wirklichkeit ein Krokodil gewesen sein.

Zurück zum Mythos: Der Sohn der Drachenfrau hat dann, zusammen mit einem Gehilfen und einem geheimen Zauberspruch, die Steinsäulen durch die Luft herbeifliegen lassen.

Unterirdische Tunnels, die Wasser in künstlich angelegte Seen auf ebenso künstlich erbauten Inseln fließen ließen waren vom Komplex Nan Madol einfach nicht mehr wegzudenken. Viele von ihnen sind inzwischen eingestürzt. So mancher ist nur einfach vergessen worden, so mancher Eingang auch nur überwuchert. Andere Kanäle sind nach wie vor bekannt, zumindest wo ihre Ein- und Ausgänge auf den Inseln zu finden sind.

Immer wieder heißt es, dass aus diesen sakralen Kanalisationen verehrungswürdige Gottwesen auftauchten und Kontakt mit den Menschen aufnahmen. So war dies zum Beispiel auch auf der Insel Dau.

Die himmlischen Götter aber, so heißt es immer wieder in den uralten Überlieferungen, die auch heute noch erzählt werden, kamen in fliegenden Boten zur Erde. Ein Beispiel:

"Die alte Überlieferung berichtet, dass da dereinst ein Kanu war, das vom Himmel herabsegelte. Es kam nicht vom offenen Meer her, sondern vom hohen Himmel herab. An Bord waren drei Männer. Das fliegende Schiff kam nach Nan Madol. Es schwebte über die Insel dahin. Schließlich gelangte es in den Westen. Die Männer nahmen einen der Hohen Häuptlinge des westlichen Nan Madol an Bord. Sie flogen mit ihm weg. Niemand wusste, was sie besprachen. Aber als sie wieder zurückkamen, da wurde der Hohe Häuptling zum ersten König ernannt."

So wenig wir sonst noch über das Aussehen dieser Wesen wissen, so ist zweierlei nicht zu bestreiten:

  • Die steinzeitliche Anlage des Venedigs der Südsee entstand an der Stelle, die nicht von den Menschen, sondern von den Göttern auserwählt worden war.
  • Die Götter, intelligente Meereslebewesen, kamen eindeutig vom Himmel herab auf die Erde und begegneten den Menschen als amphibische Kreaturen.


Abschied von Nan Madol: Kalahngan oh kaselehlie!

Nan Madol ist kein lohnendes Ziel für Touristen die Südseeromantik in idyllischer Atmosphäre suchen. Sandstrände mit Palmen, die zum erholsamen Sonnenbad laden, die gibt es nicht. Barbusige Schönheiten, die mehr oder minder gut betuchten Fremden kühlende Luft zufächern und eisgekühlte Drinks reichen, die wird man vergeblich suchen. Luxushotels mit Sauna und Pool warten nicht auf den gelangweilten Gast.

Die Hauptstadt Kolonia ist eher ein verträumtes Nest mit staubigen Straßen ohne nächtliche Beleuchtung und bodenständiger Gastronomie. Viele der Gebäude wirken bescheiden, ja ärmlich. "Kolonia ist alles andere als schön: eine Ansammlung von verwitterten Holzgebäuden und rostenden Behausungen aus Wellblech, irgendwie beliebig aneinander gereiht an einer breiten Straße." notierte die Journalistin Georgia Hess vom San Francisco Examiner.

Die Stadt ist freilich nicht ohne besonderen Reiz. Sie erinnert mich an eine verträumte Westernstadt. Nur die Cowboys fehlen.

Wer freilich auf der Suche nach Geheimnissen der Vorzeit ist, der sollte sich von den Strapazen einer Fernreise nach Mikronesien nicht abschrecken lassen. Die extremen Langstreckenflüge sind freilich gesundheitlich nicht unbedenklich. Eine ärztliche Beratung vorher ist unbedingt anzuraten. Vorbeugende Maßnahmen gegen Thrombose sollten auf alle Fälle ergriffen werden! Das Risiko ist höher als man glaubt! Das musste der Verfasser am eigenen Leibe erfahren! Neben kostbaren Erinnerungen an eine der geheimnisvollsten Stätten unserer Erde, umfangreichen Notizen und Bergen von Fotos brachte ich auch eine gefährliche Thrombose im linken Bein mit nach Hause! Ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt war die wenig erfreuliche Folge!

Abb. 6 Langbein (links) und Höchsmann (rechts) bei ihrer Reise nach Nan Madol

Vorsicht ist geboten, wenn es um die Wahl der richtigen Fluggesellschaft geht. Gewiss, es gibt da eine Vielzahl von kleinen Airlines, die ihre Dienste offerieren. Diese Gesellschaften sind aber oft sehr unzuverlässig und kurzlebig. Dem Verfasser blieb eine unangenehme Erfahrung nicht erspart: Der fest gebuchte Rückflug von Pohnpei aus war gefährdet, weil vor Ort plötzlich das "Aus" für Air Nauru verkündet wurde.

Diverse Variationen kursierten. Air Nauru sei pleite. Eines der zwei Flugzeuge der "Luftflotte" sei verkauft, das verbleibende letzte irgendwo wegen ausbleibender Zahlungen beschlagnahmt worden. So sagten die einen. Die anderen hielten dagegen: Irgendwann geht Air Nauru schon wieder in die Luft. Nur augenblicklich benötigen Seine Erlauchte Majestät, der König von Nauru, selbst das einzige Flugzeug der staatlichen Airline. Was auch gestimmt haben mag: Den Flug Pohnpei nach Fidschi gab es nicht mehr. Ich musste wieder nach Hawaii zurück, von dort aus nach Fidschi....

Auf dem Rückflug via Hawaii und Osterinsel blättere ich in meinen umfangreichen Reisenotizen. Nochmals lese ich die Berichte der ersten europäischen Besucher auf Nan Madol. James G. O’Connell und Dr. L. H. Gulick beschreiben da exakt seltsame Bauten, die ich bei meinen mehrtägigen Recherchen vor Ort nicht wiederentdecken konnte. Irgendwo im Urwalddickicht soll es noch weitere Gebäude aus gewaltigen Basaltsäulen geben, die in ganz anderem Stil errichtet wurden. Alle Monumentalanlagen, die ich besucht habe, waren rechteckig im Grundriss. Die "verborgenen Bauten" werden als "rund" oder "elliptisch" beschrieben, eingefasst von zwei parallel verlaufenden Mauern. Vergeblich habe ich nach ihnen gesucht. Ich habe sie trotz intensiver Bemühungen nicht gefunden. Was nicht heißt, dass es sie nicht doch noch gibt. Um alle künstlichen Inseln auch nur oberflächlich zu erkunden, benötigt man viele Monate. Und Jahre müssen für die Durchforstung des Dschungels der Hauptinsel Temuen veranschlagt werden, wo ebenfalls noch riesige steinerne Gebäude unter dem Gestrüpp des rapide wachsenden Urwaldes auf neugierige Besucher warten.

Auch heute noch sprechen die Menschen von Pohnpei voller Ehrfurcht von den Geheimnissen ihrer Inselwelt. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass es Areale gibt, die auch die Einheimischen aus Furcht vor unheimlichen Flüchen nicht zu betreten wagen.

Es gibt noch so manches Geheimnis zu lüften. Seit Generationen wird von den Einheimischen von rätselhaften Bauten gesprochen, von wuchtigen Mauern und mächtigen Basaltplatten, die die imposanten Gräber von Riesen abdecken. Andere Mausoleen wiederum sollen geradezu grazil aussehen, von Zwergen angelegt worden sein.

Immer wieder ist von höchst ungewöhnlichen wiederum riesigen Denkmälern die Rede. Die erfahrensten Steinmetz-Spezialisten sollen sie einst errichtet haben. Nur die Besten konnten sie bauen: rund oder elliptisch im Grundriss! Aus der Luft betrachtet wirkten sie wie ein riesiges Bild: Eine Ellipse, doppelt umrandet. Dieses Zeichen hat eine fantastische Bedeutung! Doch dazu später mehr! Wie immer, so heißt es, war Magie im Spiel. Zauberformeln, die nur den Wissenden zugänglich waren, machten die tonnenschweren Basaltsäulen federleicht. Magie brachte sie zum Schweben.

Gewiss, mein Besuch in Pohnpei hat sich gelohnt. Ich habe in der fernen Südsee die Spur von amphibischen Wesen aufgenommen, die einst aus dem All zur Erde kamen. Aber so viel ich auch gesehen habe, es gibt noch viel mehr zu entdecken! Ich muss wohl wieder zurückkehren nach Pohnpei! Wie sagte doch der nette Taxifahrer, als er mich zum Flughafen von Kolonia gebracht hatte in der Sprache der Pohnpeianer?

Kalahngan oh kaselehlie! / Thank you and goodbye!

Danke und Aufwiedersehen!


Zurück zu Teil I


Literatur

  • Ashby, Gene (Herausgeber): "Micronesian Customs and Beliefs", Pohnpei 1983
  • Ashby, Gene (Herausgeber): "Never and Always - Micronesian
  • Legends, Fables and Folklore", Kolonia, Pohnpei 1983
  • Ashby, Gene (Herausgeber): "A Guide to Pohnpei - An Island
  • Argosy", revidierte Auflage, Pohnpei 1993
  • Ballinger, Bill: "Lost City of Stone", New York 1978
  • Brown, John Macmillan: "The Riddle of the Pacific", London 1924
  • Childress, David Hatcher: "Lemuria and the Pacific", Stelle, Illinois, 1988
  • Childress, David Hatcher: "Ancient Tonga", Stelle, Illinois, 1996
  • Childress, David Hatcher: "Ancient Micronesia", Kempton, Illinois, 1998
  • Däniken, Erich von: "Aussaat und Kosmos", Düsseldorf und Wien, 1972
  • Ekschmitt, Werner: "Die sieben Weltwunder", Mainz 1984
  • Ellis, James J.: "Polynesian researches", London 1932
  • Fox, Charles E.: "The threshold of the Pacific", London 1924
  • Hambruch, Paul: "Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908-10", Berlin, 1936
  • Langbein, Walter-Jörg: "Die großen Rätsel der letzten 2500 Jahre", München 1997
  • Morrill, Sibley (Herausgeber): "Ponape", San Francisco 1970
  • "Polynesian Mythology", Wellington, New Zealand, o.J.
  • Riesenberg, Saul: The Native Polity of Ponape, Washington 1968
  • Saxe, Dr. Arthur: "The Nan Madol Area of Ponape. Researches Into Bounding and Stabilizing an Ancient Administrative Center", Office of the High Commissioner, Trust Terreitory of the Pacific, Saipan, Marianas Islands, 1980
  • Spegal, Lihp: persönliche Mitteilungen, aufgezeichnet vom Verfasser, Pohnpei, Februar 1998
  • Zamarovský, Vojtech: "Den sieben Weltwundern auf der Spur", Augsburg 1988


Bild-Quellen

1) Wikimedia Commons, unter File:Nan Madol 2.jpg
2-6) Archiv Walter-Jörg Langbein