Vespertilio homo (Fledermausmensch)

"The Great Moon Hoax" - Die erste und vermutlich größte Zeitungs-'Ente' aller Zeiten

... und die 'Urgroßmutter' aller krypto-anthropologischen Schwindelstories

Abb. 1 Eine Abbildung des angeblichen Vespertilio homo (Fledermausmenschen) aus der italienischsprachigen Version des legendären Mond-Schwindels: "Delle Scoperte Fatte Nella Luna del Dottor Giovanni Herschel"

(red) Wenn wie im Rahmen unserer diversen Beiträge zur Krypto-Anthropologie immer wieder auf Fakes & Hoaxes zu behaupteten Funden der Überreste von Riesen [1] oder auch Zwergen (siehe etwa den angeblichen Homo Minusculus) hinweisen, so kann dabei leicht der Eindruck aufkommen, dass es sich bei derartigen Schwindel-Meldungen im Wesentlichen um ein modernes Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts handelt. Tatsächlich ist dies keineswegs so - man denke nur an den berühmt gewordenen Fall des gefälschten 'Riesen von Cardiff' [2], der nach seiner 'Entdeckung' am 16. Oktober 1869 für ein gewaltiges 'Rauschen im Blätterwald' sorgte.

Die 'Urgroßmutter' aller derartigen Falschmeldungen, oder auch in gutem Glauben übernommenen 'Zeitungsenten' dürfte jedoch ein Ereignis sein, das unter der Bezeichnung "The Great Moon Hoax" (Der große Mond-Schwindel) in die Pressegeschichte eingegangen ist. Dabei handelt es sich um eine Reihe von insgesamt sechs Artikeln, die ab dem 25. August 1835 in der Zeitung The Sun aus New York erschienen. Darin wurde detailliert über die angebliche Entdeckung von Leben auf dem Mond durch den berühmten britischen Astronomen Sir John Herschel (1792-1871) berichtet und vor allem die Existenz geflügelter 'Mondmenschen' (Abb. 1) konstatiert, denen der Autor dieser Charade (oder der Übersetzer dieser Story ins Italienische) - auch gleich eine wohlklingende wissenschaftliche Benennung verlieh: Vespertilio homo - der 'Fledermausmensch'.

In seinem phantastischen, eingangs mit der Überschrift "Great astronomical discoveries lately made by Sir John Herschel, L.L.D. F.R.S. &c. At the Cape of Good Hope" versehenen 'Bericht', der angeblich auf einem Supplement des "Edinburgh Journal of Science" beruhte, schilderte der Verfasser "zunächst die angeblichen astronomischen Entdeckungen Sir John Herschels, die er in seinem ab 1834 errichteten Observatorium >mit Hilfe eines Teleskops mit gewaltigen Abmessungen und eines völlig neuen Prinzips< gemacht haben sollte. Herschel habe, so hieß es, eine >neue Theorie von Kometenphänomenen< aufgestellt, er habe Planeten in anderen Sonnensystemen entdeckt, und er habe >nahezu jedes herausragende Problem der mathematischen Astronomie gelöst oder korrigiert<. Außerdem hieß es, der berühmte Wissenschaftler habe Leben auf dem Mond entdeckt." [3]

Abb. 2 Eine Kolonie des Vespertilio homo sowie andere 'lunare Kreaturen' (Illustration zum vierten Artikel des >großen Mondschwindels<)

In der Ausgabe der Sun vom Montag, den 31. August 1835 "schwärmte Richard Adams Locke, dem gewöhnlich die Autorenschaft an der legendären Zeitungsente zugeschrieben wird: >Von dort aus durchquerten wir das Land südostwärts, bis wir am Atlas (Nr. 6) ankamen, und es war in einem der erhabenen Täler am Fuße dieses Berges, wo wir die höchst überlegene Spezies des Fledermausmenschen (Vespertilio homo) fanden. Von der Statur her übertrafen sie nicht jene zuletzt beschriebenen, aber sie waren von unendlich größerer persönlicher Schönheit, und sie erschienen in unseren Augen kaum weniger lieblich als die üblichen Darstellungen von Engeln durch die phantasievolleren Malerschulen<." [4]

Dass diese frei erfundene Story, die der Sun eine beachtliche Steigerung ihrer Auflage bescherte, beim Publikum begeisterte Aufnahme fand - John Herschel persönlich soll sich in dieses Angelegenheit übrigens recht amüsiert gezeigt haben -, sich in aller Herren Länder verbreitete, und dass deren Wahrheitsgehalt zunächst nicht infrage gestellt wurde, ist alles andere als ein Zufall. Tatsächlich enthält dieser Hoax aus dem Jahr 1835 bereits alle entsprechend 'zubereiteten' Ingredienzen, die auch spätere erfolgreiche Geschichten dieser Art auszeichnen. [5] So wurden z.B. von ihrem Verfasser die frei erfundenen Elemente geschickt mit allgemein bekannten oder überprüfbaren Aussagen verwoben:

Der Astronom Sir John Herschel war eine prominente Persönlichkeit seiner Zeit und viele Menschen wussten davon, dass er inzwischen ein modernes, am Kap der Guten Koffnung befindliches Teleskop für seine Forschungen nutzte. Auch eine Zeitschrift mit dem Titel "Edinburgh Journal of Science" existierte vormals in der Tat. Von besonderer Bedeutung für die große Akzeptanz des "Großen Mondschwindels" beim Publikum dürfte aber auch gewesen sein, dass er sowohl dem wissenschafts-optimistischen Zeitgeist jener Tage entgegenkam - und zudem aufs Erfreulichste eine Frage zu beantworten schien, die noch heute die Menschheit bewegt: Sind wir alleine im Kosmos, oder gibt es außer uns auch noch andere intelligente Lebewesen?


Externa


Anmerkungen und Quellen

Vorwiegend verwendetes Material:

Fußnoten:

  1. Siehe dazu: Bernhard Beier, "Die gefälschten Riesen - Fakes und Flops in der Giganten-Forschung"; "Die gefälschten Riesen - Teil II - ... 'Photoshop-Riesen' unter die Lupe genommen" (red); sowie: "Die gefälschten Riesen - Teil III" (red)
  2. Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: Bernhard Beier, "Die gefälschten Riesen - Fakes und Flops in der Giganten-Forschung"
  3. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Great Moon Hoax" (abgerufen: 1. Januar 2018)
  4. Quelle: ebd., unter Bezugnahme auf: Museum of Hoaxes, "New Inhabitants of the Moon" (abgerufen: 1. Januar 2018)
  5. Anmerkung: Zum 'Kochrezept' eines 'guten' Hoaxes siehe bei Atlantisforschung.de: "Die gefälschten Riesen - Teil III" (red)

Bild-Quellen:

1) Borrow-188 (Uploader) bei Wikimedia Commons, unter: File:1836 the-great-moon-hoax-new-inhabitants-of-the-moon.png
2) JasonAQuest bei Wikimedia Commons, unter: File:Great-Moon-Hoax-1835-New-York-Sun-lithograph-298px.jpg