Paul Kirchhoff: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 23. April 2013, 20:35 Uhr
Forscherportrait
(red) Paul Kirchhoff (Abb. 1) (* 1900 in Hörste - † 1972 in Mexiko-Stadt) war ein deutschstämmiger Anthropologe, der den größten Teil seines Lebens in Mexiko verbrachte, und dort auf dem Gebiet der ethno-historischen Forschung arbeitete. Er prägte den Begriff 'Mesoamerika' und gehörte Mitte des 20. Jahrhunderts zu den namhaften Vertretern des Diffusionismus in der Altamerikanistik und Ethnologie.
Leben und Werk
Seine akademische Laufbahn begann Kirchhoff mit einem Studium der evangelischen Theologie und vergleichender Religionswissenschaft [1] an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, von der er zur Albert Ludwigs Universität Freiburg wechselte. Mitte der 1920er Jahre begann er mit Studien der Ethnologie und Psychologie an der Universität Leipzig [2], u.a. bei Fritz Krause (1881-1963), der ab 1927 Direktor des Leipziger Museums war [3] -, dem Jahr, in dem Bischoff seine Studien abschloss. [4]. Schon als Student hatte er sich auf die Ethnologie Lateinamerikas spezialisiert. In seinen frühesten Veröffentlichungen befasste er sich mit Verwandtschafts-Verhältnissen in Südamerika (Verwandtschaftsethnologie) und sie betreffender Terminologie. [5] Seine erste Anstellung fand er als Assistent von Konrad Theodor Preuss am Ethnologischen Museum in Berlin. [6]
1931 sah Kirchhoff sich, nachdem ihm die deutschen Behörden aus politischen Gründen [7] ein Visum für einen Forschungsaufenthalt in Südafrika verweigert hatten [8], gemeinsam mit seiner Frau, Johanna Faulhaber [9], zur Emigration gezwungen, und verbrachte einige Jahre in England, Frankreich, Kolumbien und den Vereinigten Staaten. [10] Nach seiner Ausweisung aus den USA im Jahr 1936 [11] ging er ins Exil nach Mexiko, wo er eine Lehrtätigkeit an der - von ihm mitgegründeten [12] - Escuela Nacional de Antropología übernahm. 1941 wurde er mexikanischer Staatsbürger. [13] Seine 1943 herausgegebene Zeitschrift 'Mesoamerica' (durch ihre Namensgebung wurde der Begriff popularisiert) war noch Jahrzehnte später eine wesentliche Wissensquelle im Bereich der Universitätsausbildung. [14]
Als naturalisierter Mexikaner konnte Paul Kirchhoff nach dem Ende des II. Weltkriegs auch wieder zu einem längeren Arbeitsaufenthalt in die USA einreisen, wo er zwischen 1946 und 1952 an der renommierten Columbia University in New York und an der University of Washington in Seattle (einer weiteren 'Vorzeige-Universität') lehrte. Dort leitete er auch also das Innerasien-Projekt des Far Eastern Institute. [15] Zurück in Mexiko begann er seine Forchungstätigkeit für das Historische Institut (heute: Instituto de Investigaciones Históricas) der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte reiste er nun auch wieder nach Deutschland sowie nach Österreich.
Dabei kam es unter anderem (1961 und 1962) zu einer Zusammenarbeit mit dem Frobenius-Institut in Frankfurt am Main [16] und zur Gründung (1962) des von Kirchhoff vorangetriebenen, gemeinsamen deutsch-mexikanischen Proyecto Puebla-Tlaxcala, das während der 1960er und 1970er Jahre das Tal von Puebla-Tlaxcala archäologisch erkundete. [17] Als Paul Kirchhoff, der sich selber als einen "Historiker der Strukturen" bezeichnete [18], im Jahr 1972 verstarb, galt er als einer der renommiertesten Anthropologen Mexikos. Neben einer enormen Anzahl von publizierten Schriften hinterließ er auch zahlreiche - leider nach wie vor - unveröffentlichte Papiere, die im Instituto de Antropología in Puebla, Mexiko, aufberwahrt wurden. [19]
Kirchoffs Zugang zum Diffusionismus
Da Paul Kirchhoff, der die Anthropologie als eine historische Disziplin verstand, als Marxist einem materialistischen und im Grundsatz evolutionistischen Forschungsansatz folgte [20] mag seine deutlich diffusionistische Positionierung zunächst schwer verständlich erscheinen. Tatsächlich basierte sie gerade auf seinem Interesse an 'Hochkulturen' und ihrer Entwicklung (Evolution) in Mesoamerika, sowie am Ursprung von Staaten und Klassengesellschaften von dem Hintergrund (inter-)kultureller Beziehungsgeflechte. Bei deren Untersuchung gelangte er zu der Auffassung, dass das Niveau materieller Entwicklung im präkolumbischen Mittelamerika nicht weit genug entwickelt war, um die Komplexität des politischen und religiösen Überbaus der dortigen Hochkulturen erklären zu können - ein Widerspruch, der sich aus seiner Sicht jedoch durch die Annahme erheblicher transpazifische Einflüsse auf die Entwicklung dieser Kulturen auflösen ließ. Ein Nachweis für derartige kulturelle Diffusionsprozesse ließ sich, wie er feststellte, nicht zuletzt im Bereich der Religion erbrigen.
So standen Paul Kirchhoffs Arbeiten zu mesoamerikanischen Gottheiten [21], aber auch zu den Kalendersystemen der Alten Mexikaner [22] in direktem Zusammenhang mit seiner Annahme transpazifischer Kultur-Diffusion nach Mittelamerika. Dabei entwickelte Kirchhoff Ideen weiter, die bereits Alexander von Humboldt und später auch Fritz Graebner bezüglich - sowohl von China als auch von Indien ausgehender - kultureller Infusionen nach Mittelamerika vorgelegt hatten. [23]
Aus Sicht alternativer Ur- und Frühgeschichtsforschung ist zudem auch der quasi-euhemeristische [24] Aspekt des Kirchhoff´schen Werkes von Interesse. So unternahm er den Versuch, auf Basis mythischer Überlieferungen zu alten toltekischen Städten, die er archäologischen Fundstätten zuordnete, eine Rekonstruktion des historischen Toltekenreiches vorzunehmen. [25] 1961 präsentierte er zudem auch eine Lokalisierung von Aztlán, der mythisch-legendären Urheimat der Azteken, am Río Lerma in der Nähe von Yuriria. [26]
Publikationen von Paul Kirchhoff (Auswahl)
- “Los tarascos y sus vecinos según las fuentes del siglo XVI”, in: Congrés International des Américanistes (1939)
- Las tribus de Baja California y el libro de Baegert (1942)
- “Distribución geográfica de elementos culturales atribuidos a los olmecas de las tradiciones” (1942)
- “Relaciones entre el área de lo recolectores cazadores del norte de México y las áreas circunvecinas” (1943) “Los recolectores cazadores en el norte de México” (1943) y “Etnografía antigua” (1948), in: Sociedad Mexicana de Antropología, Reuniones de mesa redonda
- “ Mesoamerica”, en Acta Americana. Revista de la Sociedad de Antropología y Geografía (1943)
- “El papel de México en la América precolombina”, “El problema del origen de la civilización mexicana” y “México y su influencia en el continente”, en El México prehispánico (1946);
- “Las culturas del occidente de México a través de su arte”, en Arte prehistórico del occidente de México(1946)
- “Civilizing the chichimecas, a chapter on the culture history of ancient México”, en Latin American Studies (Texas, 1948)
- “The mexican calendar and the founding of Tenochtitlan Tlatelolco”, en Transactions of the New York Academy of Sciences (New York, 1950)
- Los pueblos de la historia tolteca-chichimeca. Sus migraciones y parentescos (1950)
- “El autor de la segunda parte de la Crónica Mexicáyotl”, en Homenaje a Alfonso Caso (1951)
- “Gatherers and farmers in the Greater Southwest. A problem in classification”, en American Anthropologist (Wisconsin, 1954)
- “Quetzalcóatl, Huémac y el fin de Tula”, in: Cuadernos Americanos (1955)
- composición étnica y organización política de Chalco, según las Relaciones de Chimalpain”, “Calendarios tenochca-tlatelolca y otros”, “ Land tenure in ancient México. A preliminary sketch” y “ La ruta de los tolteca-chichimecas entre Tula y Cholula”, in: Miscelania Paul Rivet Octogenaria Diccata (1958)
- “Las dos rutas de los colhua entre Tula y Colhuacán”, in: Revista Mexicana de estudios Antropológicos (1959)
- "The Diffusion of a Great Religious System India to Mexico", in: Acts, 36th International Congress of Americanists I (1964):91
Anmerkungen und Quellen
Einzelverweise:
- ↑ Quelle: Frauke Johanna Reisse, (1991). "Paul Kirchhoff (1900-1972)", in: Christopher Winters (ed.). International Dictionary of Anthropologists. New York: Garland. pp. 348–349; nach: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 22.04.2013). Anmerkung: Reisse scheint die einzige Quelle zu sein, in der P. Kirchhoffs theologische Studien erwähnt werden, welche angesichts seiner politischen Einstellung (siehe: Fußnote 7) erstaunlich erscheinen. Immerhin war er bereits 1920 an der Gründung der KAPD beteiligt.
- ↑ Quellen: Biblioteca Paul Kirchhoff "Paul Kirchhoff". Programa de Investigaciones Multidisciplinarias sobre Mesoamérica y el Sureste (PROIMMSE), UNAM, unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013); sowie: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Martin Rössler „Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: Ein historischer Abriss“, in: Martin Rössler, Michael Bollig, Julia Pauli, Michaela Haug, Monika Böck (Hrsg.; INSTITUT FÜR VÖLKERKUNDE, UNIVERSITÄT ZU KÖLN), Kölner Arbeitspapiere zur Ethnologie No. 1 (Cologne Working Papers in Cultural and Social Anthropology No. 1), April 2007, S. 17 (Online als PDF-Datei, 424,00 KB; abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Wikipedia, die freie Enzyklopädie, unter: Paul Kirchhoff; abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: 3648 - Political and scientific networks and the exile of ethnohistorian Paul Kirchhoff (1900-1972), bei: 54. International Congress of Americanists (abgerufen: 22.04.2013); Red. Anmerkung: Dort ist fälschlicherweise von "Karl Theodor Preuss" die Rede.
- ↑ Anmerkung: Über P. Kirchhoffs politisches Engagement heißt es bei Wikipedia: "Kirchhoff gehörte 1920 zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) in dieser und in der ihr nahestehenden Betriebsorganisation AAUD war er bis 1931 aktiv. Im gleichen Jahr emigrierte er [...] in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er sich bis 1934 in einer Exilgruppe der trotzkistischen Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) und danach auf Grund seiner Ablehnung der von Leo Trotzki propagierten Politik des Entrismus in der Revolutionary Workers League (RWL) um Hugo Oehler engagierte, in beiden Organisationen gehörte Kirchhoff der Leitung an. Ende 1936 wurde Kirchhoff aus den USA ausgewiesen und flüchtete nach Mexiko, wo er 1937 die linkskommunistische Grupo de Trabajadores Marxistas (GTM) und deren Zeitschrift Comunismo mit ins Leben rief, welche nur wenige Jahre bestand hatten." (Quelle: Wikipedia, die freie Enzyklopädie, unter: Paul Kirchhoff; abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Siehe: Leo Trotzki: Lettre à L. Sedov, 25. Januar 1932, Marxists Internet Archive (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: 3648 - Political and scientific networks and the exile of ethnohistorian Paul Kirchhoff (1900-1972), bei: 54. International Congress of Americanists (abgerufen: 22.04.2013)
- ↑ Quelle: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Wikipedia, die freie Enzyklopädie, unter: Paul Kirchhoff; abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Heinz Krumpel, "Die deutsche Philosophie in Mexiko: ein Beitrag zur interkulturellen Verständigung seit Alexander von Humboldt", Peter Lang, 1999, S. 106-107
- ↑ Quelle: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013); Anmerkung: Die deutsche Staatsbürgerschaft war ihm 1939 aberkannt worden. Quelle: 3648 - Political and scientific networks and the exile of ethnohistorian Paul Kirchhoff (1900-1972), bei: 54. International Congress of Americanists (abgerufen: 22.04.2013)
- ↑ Quelle: Heinz Krumpel, op. cit.; siehe dazu auch: Fondo Reservado Histori de los Alemanes en México, México, 1962, Tomo 2, S. 18 ff
- ↑ Quelle: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Frobenius-institut, unter: Frühere Mitarbeiter / Former Staff (abgerufen: 22.04.2013)
- ↑ Quellen: Erika R Hosselkus, Living with death between the volcanoes: Nahua approaches to mortality in colonial Puebla's Upper Atoyac Basin (Kurzbeschreibung ihrer Dissertation von 2011), bei: Udini; sowie: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (beide abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Quelle: Heinz Krumpel, "Die deutsche Philosophie in Mexiko: ein Beitrag zur interkulturellen Verständigung seit Alexander von Humboldt", Peter Lang, 1999, S. 107
- ↑ Quelle: ebd.
- ↑ Quelle: Answers (unter Bezugnahme auf: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 21.04.2013)
- ↑ Siehe z.B.: Paul Kirchhoff, "The Diffusion of a Great Religious System India to Mexico", in: Acts, 36th International Congress of Americanists I (1964):91
- ↑ Siehe z.B.: Paul Kirchhoff, “The mexican calendar and the founding of Tenochtitlan Tlatelolco”, en Transactions of the New York Academy of Sciences (New York, 1950)
- ↑ Quelle: Answers (nach: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff (abgerufen: 20.04.2013)
- ↑ Vergl. dazu bei Atlantisforschung.de: Stichwort: Euhemerismus (bb)
- ↑ Quelle: Heinz Krumpel, op. cit., S. 107; siehe dazu auch:
- ↑ Quelle: Answers (bei Verwendung von: Oxford Encyclopedia of Mesoamerican Cultures), unter: Paul Kirchhoff; sowie: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: Aztlán, Abschnitt: Lokalisierung (beide abgerufen: 22.04.2013)
Bild-Quellen:
(1) Carlos García Mora, etnólogo, unter: PAUL KIRCHHOFF, EL INSTIGADOR (martes, 5 de abril de 2011)
(2) Wikimedia Commons, unter: File:Tlaxcalamap.jpg
(3) Wikimedia Commons, unter: File:Aztlan codex boturini.jpg